Wojciech Jaruzelski

Wojciech Jaruzelski wurde am 06.Juli 1923 in Kurów bei Lublin geboren und ist am 25.Mai 2014 in Warschau gestorben.

Jaruzelski beim Ausrufen des Kriegsrechts 1981
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Wojciech Jaruzelski entstammt dem polnischen Kleinadel. Er wurde katholisch erzogen.

Im Juli 1943 schloss er sich den polnischen Streitkräften in der Sowjetunion an.

Als Offizier kämpfte er unter Zygmunt Berling im Zweiten Weltkrieg und erreichte im Januar 1945 Warschau sowie im Juni desselben Jahres Berlin. Die Kapitulation der faschistischen Wehrmacht erlebte er in Nauen, wurde anschließend jedoch zurück nach Polen beordert und bei der Niederschlagung der Ukrainischen Aufständischen Armee (Diese kollaborierte mit dem faschistischen Deutschland) eingesetzt. Um seine militärische Ausbildung zu vervollständigen, wurde er 1947 an die Polnische Infanteriehochschule sowie die Generalstabsakademie eingeschrieben. Dort verpflichtete er sich auch als Zuträger des Militärgeheimdienstes.[2]

Wojciech Jaruzelski trat 1947 der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (RZPR), der Nachfolgepartei der Polnischen Kommunistischen Partei, bei.

1956 wurde Jaruzelski zum jüngsten polnischen General befördert.

1964 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der PZPR und 1968 von Wladyslaw Gomulka zum Verteidigungsminister ernannt.

Ebenfalls 1968 war er an der Niederschlagung der März-Unruhen, bereits damals eine Krise in Polen, beteiligt. Dazu in der nächsten Ausgabe von DIE TROMMLER mehr.

Außerdem im Jahre 1968 war er am Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten nach Prag führend beteiligt, um die versuchte Konterrevolution in der CSSR niederzuschlagen.

Am 11. Februar 1981 wurde Wojciech Jaruzelski Ministerpräsident Polens und am 18. Oktober 1981, als Stanislaw Kania nach Kritik an seiner Parteiführung während einer Tagung des Zentralkomitees zurückgetreten war, dessen Nachfolger als Erster Sekretär der PZPR. 

Am 13. Dezember 1981 verhängte Jaruzelski das Kriegsrecht, um das konterrevolutionäre Treiben der Solidarnosc zu beenden.  Zwar konnte er die Konterrevolution zunächst stoppen, aber ihm gelang nur ein Zeitgewinn von einigen Jahren.

Die Solidarnosc war weiterhin im Untergrund aktiv.

Jaruzelski blieb bis zum 6. November 1985 Ministerpräsident Polens; danach folgte ihm Zbigniew Messner. In den Jahren von 1985 bis 1989 war er Staatsratsvorsitzender.

Nach einer Streikwelle und Verhandlungen am polnischen „Runden Tisch“ (mehr dazu in der nächsten Ausgabe DIE TROMMLER), wurde im April 1989 die Solidarnosc wieder legalisiert. Sie gewann am 04. Juni 1989 bei den teilweise bürgerlichen Wahlen die maximal zugestandenen Plätze.

Aufgrund des am „Runden Tisch“ erzielten Kompromisses war Wojciech Jaruzelski von Juli 1989 bis zum Dezember 1990 Staatspräsident. Bei seiner Wahl am 19. Juli 1989 erhielt er lediglich eine Stimme mehr, als die geforderte Mehrheit.

Jaruzelski, im Verlaufe der Konterrevolution längst eingeknickt, drängte Michail Gorbatschow dazu einzugestehen, dass beim Massaker von Katyn die Sowjets die Täter seien. Zuvor hatte Jaruzelski die gegensätzliche Position vertreten, nämlich dass deutsche Faschisten die Täter waren. Beiträge zum Thema Katyn siehe beim befreundeten Blog „Sascha’s Welt“.

Lech Walesa wurde im Dezember 1990 Jaruzelskis Amtsnachfolger als Staatspräsident.

Gegen Jaruzelski, Czesław Kiszczak (damals Leiter des militärischen Sicherheitsdienstes), Stanisław Kania (ehemaliger Generalsekretär des Zentralkomitees der PZPR) und sechs andere damals Verantwortliche des Militärrats der Nationalen Errettung wurde am 17. April 2007 am Bezirksgericht Warschau ein Verfahren eröffnet. Staatsanwälte des für die Aufarbeitung faschistischer und kommunistischer Verbrechen(hier wieder die Gleichsetzung von Sozialismus/Kommunismus und Faschismus P.R.) zuständigen Instituts für Nationales Gedenken (IPN) in Kattowitz hatten zuvor zweieinhalb Jahre lang gegen die Angeklagten ermittelt, und am 31. März 2006 wurde Anklage wegen „kommunistischer Verbrechen“ gegen sie erhoben.[8] Jaruzelski, der am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht verhängt hatte, drohte im Falle einer Verurteilung wegen „Leitung einer verbrecherischen Organisation“ eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren.[9][10]

Im November 1997 wurde bekannt, dass Wojciech Jaruzelski vor Ausrufung des Kriegsrechts 1981 bei der Sowjetunion um militärisches Eingreifen im Notfall gebeten hatte.[11] Im Dezember 2009 wurde dies erneut thematisiert, weil es Hochverrat hätte bedeuten und eine wichtige Rolle im seit September 2008 laufenden Gerichtsverfahren gegen Jaruzelski, in dem seine Verantwortung an den Kriegsrechtsverbrechen geklärt werden sollte, spielen können.[12]

Nach der Konterrevolution in Polen gab es eine Debatte über die Gründe für die Verhängung des Kriegsrechts in Polen im Jahre 1981 und Jaruzelskis Rolle dabei. Des Weiteren wurde über die Gründe des Einknickens Jaruzelskis im Verlaufe der Konterrevolution diskutiert.

Jaruzelski entschuldigte sich im August 2005 während einer öffentlichen Diskussionsrunde in Prag für die Beteiligung der polnischen Streitkräfte an der Niederschlagung der versuchten Konterrevolution in der CSSR im Jahre 1968.

Im Februar 2008 wurde bekannt, dass Jaruzelski erkrankt war. Wegen einer schweren Lungenentzündung und Herzproblemen wurde er in einem Warschauer Militärkrankenhaus behandelt. Im März 2011 wurde bei ihm ein Lymphom diagnostiziert. Jaruzelski starb am 25. Mai 2014, wenige Wochen vor seinem 91. Geburtstag, in Warschau.[13] Nach seiner Einäscherung fand das Begräbnis seiner Urne am 30. Mai auf dem Warschauer Powązki-Friedhof statt.[14]

Jaruzelskis Grabstätte
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Das Bremer Koordinationsbüro der Solidarnosc

Das Bremer Koordinationsbüro der Solidarnosc wurde mit Ausrufung des Kriegsrechts 1981 gebildet. Mit der Ausrufung des Kriegsrechts in der Nacht zum 13. Dezember 1981 wurden führende Köpfe der Solidarnosc interniert und die Organisation Solidarnosc selbst verboten.

Eine siebenköpfige Delegation der Solidarnosc von der Danziger Lenin-Werft, die sich am 12. Dezember 1981 auf den Weg nach Bremen gemacht hatte, wurde dort vom Kriegsrecht überrascht.

Ein Mitglied der Delegation und eine Dolmetscherin kehrten nach einigen Wochen nach Polen zurück. Die restlichen Delegationsmitglieder sind in der BRD geblieben.

Es erfolgte eine öffentliche und politische Auseinandersetzung in Bremen, wie der Delegation von Seiten der Gewerkschaften und der Politik der BRD geholfen werden könnte. Die Delegation bat um ein Büro, um in der BRD aktiv sein zu können. Sie bekam dieses dann auch schließlich mit der materiellen und immateriellen Unterstützung des Bremer Senats, des DGB und des DGB-Landesverbandes Bremen. Am 19. April 1982 wurde das Büro mit den Worten „noch ist Solidarnosc nicht verloren“ eröffnet. Zuvor bestimmte ein Streit um den Sitz des Büros die politische Auseinandersetzung. Man einigte sich dann am Ende auf eine ehemalige konsularische Einrichtung der USA, die den Solidarnosc-Mitgliedern feierlich am Eröffnungstag übergeben wurde.

Na ja, dafür wurden Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger Bremens und Beiträge der DGB-Mitglieder verbraucht. Der DGB hat die Aufgabe die Interessen der Arbeiterklasse, hier von Bremen, zu vertreten. Aber es wurde Energie und Geld verschwendet für eine Organisation, die seinerzeit nur vorgab die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten. In Wahrheit war sie ja eine konterrevolutionäre Organisation. P.R.

Anfangs beschränkte sich die Tätigkeit des Büros auf Hilfsaktionen, und hier insbesondere auf Medikamenten- und Lebensmittellieferungen nach Nordpolen.

Außerdem wurden die Mitglieder des Büros auf verschiedene Veranstaltungen und Kongresse in der ganzen BRD und Westberlin eingeladen. Einer der Höhepunkte dieser Reisen war die Teilnahme, inklusive Vortrag, von Kazimierz Kunikowski am DGB-Kongress 1982 in Westberlin.

Ich erinnere mich, dass zur damaligen Zeit auch Veranstaltungen des DGB vor Ort, bzw. in Rheinland-Pfalz zum Thema Solidarnosc stattfanden. Damals warf ich diese Einladungen sofort weg. Kommunistinnen und Kommunisten in den DGB-Gewerkschaften, die dort sehr viel ehrenamtlich aktiv waren, reagierten mit glänzen durch Abwesenheit auf solche Veranstaltungen. P.R.

Zur Tätigkeit des Bremer Solidarnosc-Büros gehörte auch die aktive Teilnahme am Aufbau der ausländischen Solidarnosc-Strukturen und die führende Rolle dieser innerhalb der BRD und Westberlins. Das Koordinationsbüro und ein Projekt zur Gründung der Forschungsstelle für osteuropäische Literatur an der Universität Bremen sollten sogar die Beziehungen zwischen den Partnerstädten Bremen und Danzig, die ohnehin schon unter dem Kriegsrecht in Polen angespannt waren, auf eine weitere Probe stellen.

Nach zahlreichen Berichten polnischer Medien zu diesem Büro und Gesprächen auf mittlerer Regierungsebene fingen, neben dem Geheimdienst der DDR(MfS), sich die polnischen Geheimdienste an sich für die Mitglieder des Bremer Koordinationsbüros zu interessieren. An vier Mitgliedern des Büros waren die polnischen Geheimdienste interessiert. Unter ihnen war auch Kazimierz Kunikowski.

 

Der damalige Präsident der USA, Ronald Reagan hob in einem Brief die Bedeutung des Bremer Büros der Solidarnosc hervor. Daraufhin suchten Mitarbeiter der CIA (Geheimdienst der USA) den direkten Kontakt nach Bremen, der bis zur Schließung des Büros mit mehreren Treffen und Gesprächen intensiviert wurde.

Nachdem sich die Lage in Polen beruhigt hatte und die Familien Bobrowski und Kunikowski nach einem Jahr Verhandlungen mit den polnischen Behörden und mit Unterstützung des Außenministeriums der BRD im Februar 1983 aus Polen ausreisen durften, wurde das Büro langsam überflüssig und schloss im Sommer 1983.

Entnommen Wikipedia, bearbeitet von Petra Reichel

Hungersnot und Konterrevolution

Vorbemerkung: Nun ist vom „Holodomor“ die Rede. Diese Hungersnot in den Jahren 1932/33 wird Stalin „in die Schuhe geschoben“. Bereits in den 1920er Jahren gab es in der Sowjetunion eine Hungersnot. Gegnerische Kräfte versuchten diese zu nutzen, um die Konterrevolution zu starten. Damals ist es misslungen.

Symbolbild
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Im Sommer 1921 vernichtete eine Dürre im Wolgagebiet, im Uralvorland, im Kaukasus, auf der Krim und in einem Teil der Ukraine die Saat. In den fruchtbarsten Gouvernements, den Kornkammern des Landes, gab es weder Getreide für die Versorgung der Bevölkerung noch Saatgut für eine neue Aussaat. Das Sowjetland, das sich von dem wirtschaftlichen Verfall im Gefolge des imperialistischen Krieges und des Bürgerkrieges noch nicht erholt hatte, wurde von einer neuen schrecklichen Katastrophe, einer Hungersnot, betroffen. Im Winter und Frühjahr 1922 litten über dreißig Millionen Menschen, das heißt fast ein Viertel der damaligen Bevölkerung, Hunger. Besonders stark betroffen war das Wolgagebiet, wo viele Menschen vor Hunger starben.

Die Sowjetregierung ergriff außerordentliche Maßnahmen, um die Auswirkungen der Katastrophe entgegenzuwirken. Millionen Werktätige, die in den Betrieben und auf den Feldern des Landes arbeiteten, gaben einen Teil ihres dürftigen Einkommens und ihrer Hungerrationen ab, um den Hungernden zu helfen. Aber die inneren Ressourcen waren vernichtet, das verwüstete Land brauchte Hilfe von außen. W.I. Lenin appellierte an das Internationale Proletariat, Hilfe zu leisten. Maxim Gorki wandte sich an alle ehrlichen Menschen in Europa und Amerika mit der Bitte, dem russischen Volk zu helfen. Die Appelle Lenins und Gorkis fanden bei den Werktätigen im Ausland ein starkes Echo. Aber es gab auch Kräfte, die die Naturkatastrophe, die das Sowjetland heimsuchte, für ihre konterrevolutionären Ziele auszunutzen versuchten.

Gorki schlug im Juni 1921 vor, ein Gesamtrussisches Hilfskomitee für die Hungernden zu bilden. Dieser Vorschlag wurde von ehemaligen „im öffentlichen Leben tätigen“ Kadetten, von S.N. Prokopowitsch, J.D. Kuskova, N.M. Kischkin, dem ehemaligen zaristischen Minister N.N. Kutler und anderen, aufgegriffen. Sie bildeten die Initiativgruppe für die Gründung eines solchen Komitees. Am 21. Juli fand eine Zusammenkunft dieser Gruppe mit Vertretern der Sowjetmacht statt. Kischkin redete dabei lange über die Bedeutung der Beteiligung der bürgerlichen „Öffentlichkeit“ an der Arbeit zur Beseitigung der Volkskatastrophe. Er forderte „Unabhängigkeit“ für die Organisationen des zu bildenden Komitees und „exakte Garantien“ der Sowjetorgane, dass die Mitarbeiter des Komitees ungehindert arbeiten können. Natürlich verlangte er auch völlige Sicherheit für die Güter und Spenden, die das Komitee aufbringe. Dem Komitee müssten das Recht und die Möglichkeit eingeräumt werden, mit ausländischen Organisationen Verbindung aufzunehmen.

Es war klar, dass die „im öffentlichen Leben Tätigen“ ihre Teilnahme am Kampf gegen die Hungersnot für politische Ziele ausnutzen wollten. Der Vertreter der Sowjetregierung, der an der Zusammenkunft teilnahm, wies darauf hin, dass die Regierung keinerlei politische Verpflichtungen eingehen werde und aus dem Vorhaben keine politischen Schlussfolgerungen zu ziehen beabsichtige. Die Art der Garantien, die die Regierung geben könne, werde durch die Diktatur des Proletariats bestimmt. „Wir garantieren“, erklärte er, dass das Komitee für seine sachliche Arbeit alle Voraussetzungen erhält, so dass es mit Erfolg praktische Ergebnisse erzielen kann. Eine sachliche Arbeit wird bei der Regierung und den örtlichen Behörden auf keinerlei Hindernisse stoßen.“

Die Sowjetregierung wollte möglichst alle gesellschaftlichen Kräfte in den Kampf gegen die Hungersnot einbeziehen und kam deshalb dem Vorschlag der Initiativgruppe entgegen. Am 21 Juli 1921, dem gleichen Tag, an dem sich die Gruppe mit Vertretern der Sowjetmacht traf, wurde durch eine Verfügung des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees das Gesamtrussische Hilfskomitee für die Hungernden gegründet. Es wurde unter das Zeichen des Roten Kreuzes gestellt, unter dem es arbeiten sollte. Anfangs gehörten dem Komitee 63 Mitglieder an, die in der Mehrzahl, mit Ausnahme einiger Vertreter der Regierung und anderer Sowjetfunktionäre, im öffentlichen Leben Tätige der alten Gesellschaft waren. Nur der Vorsitzende des Komitees und sein Stellvertreter wurden vom Gesamtrussischen ZEK ernannt, die übrigen Mitglieder des Präsidiums aber in geheimer Abstimmung auf einer allgemeinen Versammlung des Komitees gewählt. Später konnte es selbstständig weitere Mitglieder hinzuziehen. Das Gesamtrussische Hilfskomitee für die Hungernden erhielt das Recht, im Lande selbst sowie im Ausland Geschäftsstellen zu gründen, in Russland und im Ausland Lebensmittel, Viehfutter, Medikamente und anderes zu kaufen und unter den Hungernden zu verteilen.

Die bürgerlichen Elemente schätzten die Bildung des Gesamtrussischen Hilfskomitees auf ihre Weise ein. Die Konterrevolutionäre hofften, unter dem Deckmantel der legalen Arbeit die lokalen Abteilungen des Komitees in Organe des politischen Kampfes gegen die Sowjetmacht verwandeln zu können. Die weißgardistischen Emigranten beeilten sich, mit den Mitgliedern des Komitees Verbindung aufzunehmen. Auch die Agenten des internationalen Imperialismus setzten große Hoffnungen auf das Komitee.

Die breite öffentliche Bewegung im Ausland zwang auch die führenden Politiker der kapitalistischen Welt, zu erklären, wie sie zur Hilfe für die Hungernden in Russland standen. Der Oberste Rat der Entente fasste am 10. August 1921 den Beschluss, eine Kommission zu bilden, die Möglichkeiten ermitteln sollte, wie der hungernden Bevölkerung Russlands geholfen werden konnte. An die Spitze der Kommission wurde Joseph Noulens, der ehemalige französische Botschafter in Russland und allen bekannten Feind der Sowjetmacht, gestellt. Die Kommission Noulens‘ verlangte als unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Hungernden in Russland geholfen wird, von der Sowjetregierung, dass sie die Schulden der Zaren- und Provisorischen Regierung anerkenne, „ausreichende Garantien für die Einlösung der künftigen Verpflichtungen“ gebe und „normale Bedingungen“ für das Wirtschaftsleben im Lande schaffe.

Auf Gorkis Appell reagierte in den USA die American Relief Administration (ARA), die Amerikanische Verwaltung für Hilfe, deren Vorsitzender Handelsminister Herbert Hoover war. Die ARA war eine Vereinigung von Wohltätigkeits-, religiösen und nationalistischen Gesellschaften, die unter einer einheitlichen Leitung arbeiteten. Ihr Ziel war, den Völkern Europas, die unter dem Krieg gelitten hatten, mit Lebensmitteln und anderen Gütern zu helfen. Eine der verschwiegenen Aufgaben die Organisation bestand darin, in die verschiedenen Länder einzudringen und auf sie im Sinne des Imperialismus politisch Einfluss zu nehmen. Die Vertreter der ARA waren bestrebt, in Verhandlungen mit der Sowjetregierung zu erreichen, dass sie unkontrolliert arbeiten konnten und ihre Filialen auf dem Boden Sowjetrusslands die Rechte der Exterritorialität zugebilligt erhielten. Über die nach Russland geschickten Lebensmittel wollten sie nach ihren eigenen Gesichtspunkten verfügen. W.I. Lenin verfolgte aufmerksam die Verhandlungen mit der ARA und schrieb am 13. August 1921:

„Da die niederträchtigen amerikanischen Krämer den Anschein erwecken wollen, als wären wir imstande, jemand zu betrügen, empfehle ich, ihnen sofort telegrafisch im Namen der Regierung…offiziell folgendes vorzuschlagen: Wir deponieren bei einer New Yorker Bank in Gold eine Summe, die 120% dessen beträgt, was sie im Laufe eines Monats für eine Million hungernder Kinder und Kranker liefern. Aber dann stellen wir die Bedingung, dass sich die Amerikaner angesichts einer derart vollständigen materiellen Garantie auf keine Weise, weder politisch noch administrativ, einmischen und keinerlei Ansprüche erheben. Die Kontrolle werden paritätische Kommissionen (von unserer Regierung und von ihnen) an Ort und Stelle ausüben. Mit diesen Vorschlägen geben wir den Krämern eins auf die Nase und stellen sie dann vor der ganzen Welt bloß.“

Bei den Verhandlungen in Riga musste die ARA gezwungenermaßen auf die geforderte Kaution und die ultimativ beanspruchte Exterritorialität ihrer Vertreter verzichten. Am 20. August wurde ein für beide Seiten annehmbares Abkommen geschlossen. Die Verwaltung der ARA wurden ziemlich weitgehende Rechte bei der Unterbringung ihrer Filialen, bei der selbstständigen Auswahl der Mitarbeiter, bei der Verfügung über alle Fonds usw. eingeräumt. Die Sowjetregierung behielt sich jedoch das Recht vor, Mitarbeiter der amerikanischen Einrichtungen abzulehnen.

Mitte August 1921 fand in Genf eine Konferenz von Vertretern internationaler und nationaler Rot-Kreuz-Gesellschaften statt, die den populären norwegischen Polarforscher Fridtjof Nansen zum Hauptbevollmächtigten der Rot-Kreuz-Gesellschaften bei der Hilfe für die Hungernden in Russland wählten. Nansen nahm ohne unnötige Verzögerung Verhandlungen mit der Sowjetregierung auf und schloss mit ihr am 27. August ein Abkommen über die Arbeit der von ihm geschaffenen Organisation, des Exekutivkomitees der internationalen Hilfe für Russland, dem auch Vertreter der Sowjetmacht angehörten. Im Unterschied zur ARA schlug Nansen vor, alle Arbeiten im Zusammenhang mit der Verteilung von Lebensmitteln in Russland mit Hilfe der örtlichen Machtorgane durchzuführen.

Das Abkommen mit der ARA und das Wirken der internationalen Hilfsorganisation Nansens spalteten die einheitliche Front, die die Imperialisten unter Ausnutzung der Hungersnot gegen Sowjetrussland zu bilden versuchten. Lediglich die Regierungen der Ententemächte, die in der Kommission Noulens‘ vertreten waren, kamen zu keinem Abkommen mit der Sowjetregierung. Bald wurde klar, dass die imperialistischen Kreise große Hoffnungen auf die Vertreter des Gesamtrussischen Hilfskomitees für die Hungernden setzten. Agenten der französischen Regierung hatten bereits Verhandlungen mit M.I. Skobelew, dem Vertreter dieses Komitees in Paris, aufgenommen.

Das Gesamtrussische Hilfskomitee für die Hungernden bildete im Lande zahlreiche örtliche Geschäftsstellen, in die viele „im öffentlichen Leben tätige“ Repräsentanten des Bürgertums eintraten. Da die Anhänger der Kadetten die Mehrheit im Komitee bildeten, wählten sie eine Delegation mit M.N. Kischkin, S.N. Prokopowitsch und J.D. Kuskowa and der Spitze, die sie ins Ausland schicken wollten. Sie hatten es damit deshalb so eilig, weil die Delegation offenbar an den politischen Verhandlungen der Sowjetregierung mit den Regierungen der kapitalistischen Länder teilnehmen wollte. Die Sowjetorgane durchschauten die politischen Absichten der Kadettenvertreter im Gesamtrussischen Hilfskomitee. Das Gesamtrussische Zentralexekutivkomitee beschloss am 18. August, die Reise dieser Delegation ins Ausland zu verschieben. Es empfahl dem Komitee, seine Mitglieder vor allem zur praktischen Arbeit in die von der Hungersnot betroffenen Bezirke zu schicken. Die Mehrheit des Komitees war mit dem Beschluss des Gesamtrussischen ZEK nicht einverstanden und forderte am 23. August ultimativ, die Delegation ins Ausland reisen zu lassen. Anderenfalls drohte es, seine Arbeit einzustellen.

Die Gesamtrussische Tscheka(Geheimdienst P.R.) nahm am 27. August eine Reihe von Haussuchungen vor und verhaftete mehrere Mitglieder des Komitees. In der aus diesem Anlass veröffentlichten Mitteilung der Tscheka hieß es:

 „Seit dem Bestehen des Komitees erhielt die Gesamtrussische Tscheka Informationen darüber, dass eine Gruppe von Mitgliedern des Komitees in Wirklichkeit nicht von ihren aktiven politischen Bestrebungen Abstand genommen hatte. Vielmehr sah diese Gruppe in der Katastrophe der Bevölkerung des Wolgagebiets ein Mittel des politischen Kampfes und der Verschwörung gegen Sowjetrussland. Sie setzte alle Hoffnungen auf eine erneute Intervention der ausländischen Kapitalisten in neuer Form. Diese Gruppe organisierte mehrere konspirative Zusammenkünfte, nutzte den Umstand aus, dass das Hilfskomitee legal existierte, knüpfte Verbindungen an u.a.m.. Alle dies Tatsachen veranlassten die Gesamtrussische Tscheka am 27. August d. J. bei den Mitgliedern des Komitees und Personen ihrer Umgebung Haussuchungen durchzuführen und Verhaftungen vorzunehmen. Dabei wurde reiches Material sichergestellt, dass die Richtigkeit vorhergehenden Angaben bestätigte.“

Bei Kischkins Sekretärin, einer gewissen Kafjewa, die Mitglied der Kadettenpartei war, entdeckten die Tschekisten einen von Kischkins Hand stammenden Plan für die Umgestaltung Sowjetrusslands. Der Plan sah einen obersten Herrscher an der Spitze der des Staates, eine Reichsduma und einen Reichsrat, Gebiets-, Gouvernements-, Kreis- und Amtsbezirksvorsteher usw. vor. Bei P.T. Salatow, einem anderen Mitglied des Komitees, der etwas früher als die Kafjewa verhaftet worden war, wurden „Thesen für einen Bericht zu den Aufzeichnungen ‚Wiederheerstellung eines einheitlichen Russlands‘“ gefunden, die Kischkins Plan anfochten. In den Thesen wurde vorgeschlagen, nach dem Sturz der Sowjetmacht eine zentralisierte starke Macht zu bilden. Nur eine von einer einzelnen geleiteten diktatorischen Macht in Russland könne die Ordnung wiederherstellen. In den Thesen wurde auch dargelegt, wie die Sowjets gestürzt werden sollten, die zu einer einheitlichen Bewegung unter zentraler Führung zusammenfließen sollten.

Bei den Haussuchungen und Verhaftungen von Angestellten des Komitees sowie Personen, die mit ihnen in Verbindung standen, wurden im Gebäude des Komitees Dokumente gefunden, die bewiesen, dass hier eindeutige politische Arbeit geleistet wurde, So wurde bei J.S. Galkina, einer Instrukteurin und Organisatorin lokaler Komitees, ein Brief gefunden, in dem sie darlegte, dass sich „um das Komitee herum eine interessante Arbeit anbahnt. Sie berichtete über eine ganze Reihe von Organisationen und Personen, die sich mit antisowjetischer Arbeit in der Ukraine befassten. Der Petrograder Ingenieur M. Mett, der die Abteilung für gesellschaftliche Arbeiten des Komitees leitete, empfahl einem Freund in Riga in einem Brief vom 22. August „das Mitglied des Komitees und der Auslandsmission S.N. Prokopowitsch als ‚seinen‘ Mann, dem man jegliche Unterstützung erweisen und sich voll zur Verfügung stellen muss“. In einem Brief an die Nationalbank in New York schrieb Mett: An die Nationalbank, New York. Hiermit bestätige ich, dass der von mit am 30. März 1921 auf die Summe von 3 000 Dollar ausgestellte Scheck Nr. 116 echt ist. Ich bitte Sie, die genannte Summer Mister Ephraim Nieburg, meinem Vertreter in Riga (Lettland), oder einer von ihm benannten Person auszuzahlen. Notieren Sie auch, dass Mister Ephraim Nieburg, Ingenieur, mich in Riga solange vertritt, bis sich die Dinge in Russland ändern. Hochachtungsvoll M. Mett, Ingenieur.“ Das Mitglied des Komitees Bulgakow schrieb über die politische Tätigkeit des Komitees in sein Tagebuch: „Auch wir und der Hunger sich Mittel des politischen Kampfes.“

Es war klar, dass das Hilfskomitee für die Hungernden in Wirklichkeit ein Zentrum antisowjetischer Arbeit war. Die Sowjetregierung teilte am 30. August 1921 mit, es sei endgültig bewiesen, dass „die Mehrheit des Komitees im Bann politischer Spekulationen steht, die mit den Interessen der Hungernden nichts zu tun haben. Das Komitee neigt dazu, sich über die Interessen einer sachlichen Arbeit hinwegzusetzen, und zwar um sich an jenem konterrevolutionären politischen Spiel zu beteiligen, das im Zusammenhang mit der Bildung des Komitees unter den ausländischen Weißgardisten und den von ihnen inspirierten Regierungskreisen Europas angefangen hat. Die Sowjetregierung musste mit Bedauern dies Ergebnis ihres Schrittes feststellen, mit dem sie die ehemaligen aktiven Gegner der Sowjetmacht möglichst umfassend zur Hilfe für die Hungernden hatte heranziehen wollen. Sie hat daher beschlossen, das Komitee aufzulösen. In diesem Zusammenhang fordert die Sowjetregierung alle, die nicht gewillt sind, die Interessen der Hungernden konterrevolutionären Spekulationen zu opfern, auf, ihre Kräfte anzuspannen und die Hilfsaktion für die Hungernden weitgehend selbstständig weiterzuführen.“

Die aktivsten Mitglieder des Gesamtrussischen Hilfskomitees für die Hungernden, N.M. Kischkin, S.N. Prokopowitsch, J.D. Kuskowa und andere, wurden auf administrativem Wege aus Sowjetrussland ausgewiesen.

Aber die Imperialisten der Ententeländer dachten nicht daran ihre Versuche aufzugeben, die Hungersnot in Sowjetrussland für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele auszunutzen. Am 4. September 1921 informierte Noulens die Sowjetregierung darüber, dass die von ihm geleitete Kommission beschlossen habe, „ein Komitee von Experten nach Russland zu schicken. Die Experten sind bevollmächtigt, an Ort und Stelle rasch und gründlich das Ausmaß des Erforderlichen zu überprüfen und festzulegen, wie schnellstens und am wirksamsten geholfen werden kann.“ Noulens verlangte, dass diesen „Prüfern“ (es waren etwa dreißig) „alle erforderlichen Voraussetzungen und Garantien“ für ihre Arbeit gewährt werden. Er fügte eine Liste ausführlicher Fragen bei, die geprüft werden sollten. Im Grunde handelte es sich dabei um ein schlecht getarntes Spionageprogramm: Die Lage Russlands sollte ausgekundschaftet werden. W.I. Lenin war über Noulens‘ Forderungen empört und sagte am gleichen Tage: „Noulens ist bodenlos dreist.“ Dem Politbüro leitete Lenin einen Beschlussentwurf zu, in dem es hieß: Tschitscherin wird beauftragt, als Antwort an Noulens in schärfster Form eine ablehnende Note nach Art einer Proklamation gegen Borugeoisie und Imperialismus zu verfassen, dabei ist die konterrevolutionäre Rolle von Noulens selbst besonders hervorzuheben und extra auf den unverschämt-frechen Charakter des Angebots einzugehen, vor jedem Vertrag eine sich Expertenausschuss nennende Kommisssion von Spionen zu schicken… Speziell unterstreichen, dass wir auch nicht eine Sekunde glauben können, das die Herren Noulens den Wunsch haben zu helfen, wenn sie so an die Sache herangehen.“

Der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, G.W. Tschitscherin, teilte daraufhin den Regierenden Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Belgiens in einer Note vom 7. September 1921 mit: „Die Werktätigen Russlands haben den Namen des Mannes nicht vergessen, der einer ihrer schlimmsten und blutigsten Feinde während ihres Kampfes auf Leben und Tod war, den sie gegen Konterrevolution und ausländische Einmischung führten. Sie haben nicht vergessen, dass von den ausländischen Vertretern Herr Noulens seit dem ersten Tag der Existenz des Arbeiter- und Bauernstaates in Russland die meisten Anstrengungen unternahm, damit zwischen der Sowjetregierung und den Regierungen der Ententeländer keine Einigung und Verständigung zustande kam… Herr Noulens setzte seine ganze Kraft ein für die Vorbereitung einer Verschwörung gegen die Sicherheit der Republik und gegen das Leben ihrer leitenden Funktionäre, für die Vorbereitung von Aufständen, für die Werbung von Teilnehmern an allen möglichen Abenteuern, die gegen die Republik gerichtet waren, für Versuche, Brücken in die Luft zu sprengen und Katastrophen bei der Eisenbahn zu organisieren usw.. Her Noulens trägt die Hauptschuld an dem Aufstand der Tschechoslowaken, die von den Feinden des russischen Volkes betrogen und von ihnen in den Kampf gegne die Sowjetmacht hineingezogen wurden. Herr Noulens war einer der aktivsten Führer jenes Blockadesystems, das das ganze russische Volk der Verarmung und dem Elend ausgeliefert hat. Diese Führer haben in bedeutendem Maße die augenblickliche unerhörte Hungersnot verursacht…Die Ernennung dieses geschworenen Anführers aller gegen Sowjetrussland gerichteten Unternehmungen zum Beauftragten der internationalen Hilfskommission für die Hungernden hat die breiten Massen des russischen Volkes in höchstes Erstaunen versetzt und größte Entrüstung ausgelöst. Die Kommission des Herrn Noulens möchte die Hilfe für die Hungernden durch das Sammeln von Informationen über die innere Lage Sowjetrusslands ersetzen. Sie hat ein umfangreiches Untersuchungsprogramm aufgestellt, dessen Durchführung darauf hinausläuft, die Ressourcen und Mittel Sowjetrusslands auf dem Gebiet der Landwirtschaft, des Transportwesens, der Viehzucht usw. zu ermitteln. Und das soll unter Führung jener Leute geschehen, die schon einmal solche Studien zu dem unverhohlenen Zweck betrieben haben, Meutereien anzustiften und den Vormarsch der ausländischen Armeen auf dem auf dem Territorium der Sowjetrepublik zu erleichtern. Die Hungersnot und die Leiden der Werktätigen Russlands waren für diese Kommission nur ein Anlass um zu versuchen herauszubekommen, über welche Kräfte und Mittel die Sowjetregierung verfügt.“

Die Sowjetregierung lehnte es ab, dem Drängen der Kommission Noulens‘ nachzugeben. Geleichzeitig wies sie darauf hin, dass „sie jeder anderen Organisation in vollem Maße entgegenkommt, wenn sie sieht, dass diese Organisation sich wirklich mit der Hilfe für die Hungernden beschäftigen will. Jeder derartigen Organisation schlägt die Sowjetregierung vor, die Methoden der Hilfeleistung und Kontrollmethoden über die Verteilung der für die Hungernden bereitgestellten Mittel ganz genau und konkret in Gestalt eines formellen Vertrages zu fixieren, und zwar nach dem Muster der Verträge, die bereits mit der American Relief Administration und dem obersten Kommissar Nansen abgeschlossen worden sind… In den Vorschlägen der Kommission Noulens‘ sieht die Sowjetregierung jedoch nur eine unerhörte Verhöhnung der Millionen, die vor Hunger sterben.“

Alle Versuche Fridtjof Nansens, die Regierungen der Ententemächte und den Völkerbund zur ehrlichen Hilfe für die Hungernden zu gewinnen, stießen auf unüberwindliche Hindernisse. In seinem Buch „Russland und der Friede“, das 1923 erschien, schrieb Nansen, das Haupthindernis, auf das er gestoßen war, sei das Argument der politischen Führer Europas gewesen, „dem hungernden und leidenden russischen Volk zu helfen sei gleichbedeutend mit einer Stützungsaktion für die Sowjetregierung und die Bolschewiki. „Die Herzen der politischen Führer“, sagte Nansen, „sind oft hart und unmenschlich.“

Der IX. Gesamtrussische Sowjetkongress sprach Fridtjof Nansen auf seiner Tagung am 25. Dezember 1921 in einer Grußadresse seinen tiefempfundenen Dank aus. In der Adresse hieß es: „Das russische Volk wird den Namen des großen Gelehrten, Forschers und Bürgers F. Nansen, der heldenhaft einen Weg durch das ewige Eis des toten Nordens gebahnt, aber sich als machtlos erwiesen hat, die grenzenlose Grausamkeit, die Gewinnsucht und Hartherzigkeit der herrschenden Klasse der kapitalistischen Länder zu überwinden, in seinem Gedächtnis bewahren.“

W.I. Lenin schrieb: „Die Kapitalisten, die heute die mächtigsten Staaten der Welt, wie England, Amerika und Frankreich regieren, haben uns wohl erklärt, dass auch sie, wie sie sagen, unseren hungernden Bauern helfen wollen, aber zu solchen Bedingungen, die die Übergabe der ganzen Macht über unsere Arbeiter-und-Bauern-Republik in ihre Hände bedeuten. Die Sache ist klar. Wann hat man je erlebt, dass der Blutsauger des werktätigen Menschen, der Kapitalist und Wucherer, selbstlos hilft? Die Klasse der Kapitalisten hat den Hunger des werktätigen Menschen immer ausgenutzt, um seinen Körper und seine Seele zu unterjochen. Und unseren Hunger will man jetzt ausnutzen, um unsre mit Blut errungene Freiheit zu vernichten, um den Arbeitern und Bauern für immer die Macht aus der Hand zu reißen und um erneut Zar, Gutsbesitzer, Herrn, Polizeioffizier und Beamte über ihre Köpfe zu stellen.“

Auch die Mitarbeiter der American Relief Administration versuchten sich antisowjetisch zu betätigen. Herbert Hoover, der Leiter der ARA, verbarg nicht, dass er der Sowjetordnung feindlich gesonnen war, und als er das Abkommen mit Sowjetrussland schloss, verfolgte er damit natürlich seine eignen Ziele. Der Sowjetstaat und seine Organe hielten die Bedingungen des Abkommens strikt ein, wobei sie die Tätigkeit der amerikanischen Vertreter aufmerksam beobachteten.

In dem von der ARA in Sowjetrussland aufgebauten Apparat waren etwa dreihundert amerikanische Mitarbeiter beschäftigt, von denen viele Berufsspione waren. Die Funktionäre der ARA stellten häufig Leute mit zwielichtiger, sowjetfeindlicher Vergangenheit, reaktionäre Geistliche, ehemalige Sozialrevolutionäre und Kulaken als russische Mitarbeiter in ihren Apparat ein. Neben der Verteilung von Lebensmitteln und der Leitung von Verpflegungspunkten wandte dieser Apparat nicht wenig Zeit für Spionage und sowjetfeindliche subversive Tätigkeit auf. Die Mitarbeiter der ARA unternahmen häufig Fahrten durch das Land (versuchten sogar in Grenzbezirke zu gelangen, wo es keine Verpflegungspunkte gab), warben unter den Sowjetbürgern labile Elemente für ihr Agentennetz, „befragten“ Personen, die sich um Hilfe an die ARA wandten, sammelten geheime und offizielle Angaben über den Zustand der Industrie, der Landwirtschaft und über die militärische Lage des Sowjetlandes.

Im Auftrag des amerikanischen Spions Woodworth, der in der ARA tätig war, sammelte ein gewisser Paltschitsch geheime Karten der Erdölfelder von Baku, Surachany und Grosny, in denen die Bohrlöcher und Bohrtürme angegeben waren. Auch für Informationen über die Leistungsfähigkeit der Erdölraffinerien, über die Rüstungsindustrie, über Kraftwerke und Bodenschätze interessierte er sich.

Ermutigt durch die Tätigkeit der ARA, erhoben sich in mehreren Orten Kulakenelemente. Die sowjetfeindliche Agitation verstärkte sich. Allein im Kreis Samara wurden von Dezember 1921 bis Oktober 1922 vierundzwanzig Kulaken wegen antisowjetischer Erhebungen, die mit der amerikanischen Hilfe in Verbindung standen, zur Verantwortung gezogen. Auch weißgardistische Elemente wurden wieder aktiv.

Die Organe für Staatssicherheit des Sowjetlandes führten einen ständigen Kampf gegen die Versuche der amerikanischen Agenten unter der Fahne der ARA Sabotage zu betreiben und subversive Arbeit zu leisten. Zum Beispiel verwiesen sie den amerikanischen Spion Foy, einen Mitarbeiter der ARA, des Landes, weil er Spionageangaben gesammelt und sich gegenüber lokalen Behörden beleidigend verhalten hatte. Sowjetbürger, die rechtswidriger Tätigkeit überführt worden waren, wurden gerichtlich belangt oder auf Verlangen der Sowjetorgane von den Organisationen der ARA entlassen.

Nichtsdestoweniger verstand es die Sowjetregierung im Interesse der Hilfsaktion für die Hungernden sachliche Beziehungen zur ARA herzustellen. Dadurch wurde es möglich, die reichen Hilfsmittel dieser Organisation für die Hungernden zu erschließen.

Die Hungerkatastrophe bildete den Boden für die Verstärkung des Aberglaubens und religiöser Vorurteile. Die wenig klassenbewussten Massen suchten bei übernatürlichen Kräften Rettung aus dem Unglück. In den Jahren 1921 bis 1923 gab es eine verbreitete Bewegung der „Erneuerung der wundertätigen Ikonen“, der Kreuze, die angeblich von Gott geschickt worden waren, um den Menschen zu helfen oder sie zu bestrafen. Die Kirche, die sich bemühte, ihren Einfluss auf die breiten Massen zu behalten, konnte als religiöse Institution bei den schweren Prüfungen, denen das Volk ausgesetzt war, nicht abseitsstehen und musste am Kampf gegen den Hunger teilnehmen. Patriach Tichon wandte sich am 22. August 1921 an die Bevölkerung mit dem Aufruf wer könne, solle den Hungernden „nach seinen Kräften“ helfen. Die reaktionäre Geistlichkeit veranstaltete Prozessionen mit „restaurierten wundertätigen Ikonen“ und kurze Gottesdienste auf den von der Sonne versengten Feldern. Sie schürte im Volk einen religiösen Fanatismus und brachte die Bevölkerung nach und nach gegen die „gottlose“ Sowjetmacht auf, als sei dies am Hunger schuld.

Im Juni 1921 verbreitete sich im dem Dorf Bojewo im Kreis Woronesh das Gerücht, die alte Ikone „Sie ist würdig“ im Gotteshaus habe sich „erneuert“. Die ungebildeten und rückständigen Bauern, hauptsächlich Frauen, unternahmen eine Wallfahrt zur Ikone und forderten von den Popen, sie mögen sie ihnen für öffentliche Dankgebetee zur Verfügung stellen. Mit der Ikone zogen die Bauern auf die Felder. Sie glaubten, die Ikone könne sie von der Dürre befreien. Die Geistlichen veranstalteten feierliche Empfänge mit Glockengeläut und Gottesdienste für die Ikone. Die religiöse Psychose, die die Bauern ergriff, führte dazu, dass in vielen umliegenden Dörfern „erneuerte“ Ikonen „auftauchten“ und nicht nur in den Gotteshäusern, sondern auch in den Häusern der Bauern. Gegen die Inspiratoren und Organisationen des gefälschten „Wunders“ fand vor dem Revolutionstribunal des Gouvernements Woronesh ein Prozess statt. In seinem Urteil vom 22. Oktober 1921 stellte das Tribunal fest: „Eine wissenschaftlich-psychiatrische Untersuchung hat die Entwicklung eine Epidemie, einer religiösen Massenpsychose (bei den Bauern D.G.) festgestellt, dass die andere Seite, die Nonnen und die Kirche, materiellen Vorteil aus diesem Volksunglück gezogen hat.“ Das Revolutionstribunal hielt die zur Verantwortung gezogenen Bauern und sogar einige Geistliche für „von einer religiösen Geisteskrankheit Besessene“ und erließ ihnen die Strafe. Elf Angeklagte wurden freigesprochen, nur sieben Geistliche wurden zu je sechs Monaten gesellschaftlich nützlicher Arbeit mit Bewährung verurteilt. Die Freiheit wurde ihnen nicht entzogen.

Im Gouvernement Rjasan wurde eine „wundertätige“ Ikone, die im Troizki-Kloster aufbewahrt wurde, zum Gegenstand der Anbetung. Erzbischof Feodorit von Rjasan sollte mit ihr im Jahre 1613 angeblich die Herrschaft Michail Romanows „gesegnet“ haben. Der Klostervorsteher Ewergetow händigte die Ikone dem Vorsitzenden des Kirchenrates der Vorstadt Rykowaja, Kopin aus, und dieser veranstaltete mit ihr einen Umzug durch viele Siedlungen. Das Ehrengeleit der weißen und schwarzen Geistlichkeit für die Ikone hielt öffentliche Dankgebete ab, und konterrevolutionär Eingestellte erinnerten bedeutungsvoll daran, dass der Thron des Zaren Michail Romanow mit ebendieser Ikone „gesegnet“ worden war.

Als die Volkskatastrophe immer größere Ausmaße annahm, wurde in gesellschaftlichen Organisationen der Werktätigen des Öfteren erwogen, die gewaltigen Werte in den Kirchen zu nutzen, um die Hungersnot zu lindern. Arbeiter und Bauern äußerten sich in zahlreichen Versammlungen in diesem Sinne. Im Januar 1922 wandten sich Vertreter der hungernden Gouvernements mit ähnlichen Gesuchen an die Sowjetregierung. Am 23. Februar beschloss das Gesamtrussische Zentralexekutivkomitee, „alle Wertgegenstände aus Gold, Silber und Edelsteinen, die sich im Besitz der Kirche befinden und deren Konfiskation den Kult selbst nicht wesentlich beeinträchtigen kann, zu beschlagnahmen“ und dem Hilfsfonds für die Hungernden zuzuführen. Daraufhin zeigte die reaktionäre Geistlichkeit ungeschminkt ihr wahres Gesicht. Patriarch Tichon wandte sich am 28. Februar 1922 mit einem Aufruf an alle „gläubigen Kinder der russischen orthodoxen Kirche“, in dem er über den Beschluss des Gesamtrussischen ZEK folgendes sagte: „Vom Standpunkt der Kirche aus ist ein derartiger Akt eine Gotteslästerung, und wir halten es für unsere heilige Pflicht, die Ansichten der Kirche zu diesem Akt zu äußern und unsere gläubigen Kinder davon in Kenntnis zu setzen… Wir können die Konfiskation oder auch freiwillige Spende von geweihten Gegenständen in Gotteshäusern nicht billigen. Deren Gebrauch außerhalb des Gottesdienstes ist von den Kanons der ökumenischen Kirche verboten und wird von ihr als Gotteslästerung bestraft. Laien werden exkommuniziert, Kirchendiener aus Amt und Würden entlassen.“

Das war ein unverhohlener Aufruf zum Ungehorsam, zur Sabotage des Beschlusses der Sowjetregierung. Tichons Appell wurde in den Kirchen verkündet, von Mund zu Mund weitergegeben und löste eine Welle von mitunter blutigen Unruhen aus. Am 12. März 1922 kam eine Kommission für die Beschlagnahme von Kirchenwerten in die Kathedrale der Stadt Schuja im Gouvernement Iwanowo-Wonessenk, wo sich bereits eine aufgeputschte Menge eingefunden hatte, die die Kommission mit Geschrei und Schimpfworten empfing. Die Mitglieder der Kommission wurden herumgestoßen und geschlagen. Die Kommission wollte einen Zusammenstoß vermeiden und beschloss daher, ihren Auftrag erst am 15. März zu erledigen. Aber an jenem Tage hatte sich entsprechend einem Appell der erzreaktionären Geistlichkeit eine noch größere Menge in und vor der Kathedrale versammelt. Als eine Milizstreife die Ordnung vor der Kathedrale herstellen wollte, wurde sie von der Menge mit Steinen empfangen. Die Glocken der Kathedrale läuteten anderthalb Stunden Sturm und peitschten die Menge auf. Aus der Menge waren Revolverschüsse zu hören. Die Rotarmisten wurden umringt, vier von den übrigen abgedrängt, entwaffnet und übel zugerichtet. Die Rotarmisten waren gezwungen, zu den Waffen zu greifen. Dabei wurden vier Menschen getötet. In einer Regierungserklärung zu dem Vorfall hieß es: „Seit das Dekret über die Konfiskation von Kirchenwerten zur Rettung der Hungernden und zur Wiederherstellung ihrer Existenz veröffentlicht worden ist, betreiben die Spitzen der Geistlichkeit offen eine verbrecherische Arbeit. Sie zeigt sich darin, dass sie regierungsfeindliche Appelle erlassen und dazu aufrufen, Gold, Silber und Brillanten nicht abzugeben, dass sie konterrevolutionäre Organisatoren aussenden und Beratungen der geistlichen Rädelsführer mit einflussreichen Laien, hauptsächlich ehemaligen Kaufleuten und hohen Beamten, die weiterhin eine führende Rolle unter den Gläubigen spielen, abhalten. Die oberste Geistlichkeit hält sich im Hintergrund und bemüht sich, überall die am wenigsten gebildeten Elemente der Bevölkerung, nämlich Greisinnen, Hysterikerinnen und sogar Kinder, in den Vordergrund zu schieben. Die Kirchenfürsten lassen sich allein davon leiten, die vom Volk geschaffenen kirchlichen Werte in ihrer Hand zu behalten. Sie verbreiten ungeheuerliche und unsinnige Gerüchte, behaupten, die Werte würden nicht für die hungernden Bauern, sondern für Zahlungen an Polen oder die Rote Armee u.a. m. verwendet. Auf dem Boden dieser verbrecherischen Agitation, deren Fäden in einem Führungszentrum zusammenlaufen, kam es an mehreren Orten zu Auseinandersetzungen, als die Kommissionen für die Beschlagnahme ihren Auftrag, der durch das Dekret des Präsidiums des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees beschlossen worden ist, erfüllen wollten…

Der Regierung ist jeder Gedanke an ein wie auch immer geartetes Vorgehen gegen die Gläubigen und gegen die Kirche fremd… Die Wertgegenstände sind durch die Arbeit des Volkes geschaffen worden und gehören dem Volk. Die Ausübung der religiösen Riten leidet, wenn die wertvollen Gegenstände durch andere, schlichtere ersetzt werden, keinerlei Schaden. Für die Wertgegenstände kann man genügend Getreide, Saatgut, Zugvieh und Gerät kaufen, um nicht nur das Leben, sondern auch die Existenzgrundlage der Bauern im Wolgagebiet und den anderen von der Hungersnot betroffenen Gebieten der Sowjetischen Föderation zu retten. Dem Appell und der Forderung der Hungernden selbst sowie der Arbeiter, Bauern und Rotarmisten des ganzen Landes folgend beschloss das Präsidium des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees, die kirchlichen Werte zu konfiszieren. Die überwiegende Masse der unteren Geistlichkeit hielt und hält dieses Dekret für unbedingt richtig und gerecht. Nur die Clique der Kirchenfürsten ist unersättlich bemüht, die Werte um jeden Preis in ihrer Hand zu behalten. Sie macht weder vor verbrecherischen Verschwörungen noch vor der Provozierung offener Meutereien halt… Die Sowjetregierung nimmt nach wie vor Rücksicht auf die Gläubigen und übt ihnen gegenüber Toleranz, aber sie duldet keine einzige Stunde, dass die oberste Geistlichkeit, die sich in Seide kleidet und mit Brillanten schmückt, im Staat der Arbeiter und Bauern einen besonderen Staat der Kirchenfürsten bildet.“

Der Widerstand der Oberschicht der Geistlichkeit wurde gebrochen. Dem Hilfsfonds für die Hungernden wurde eine große Anzahl von kirchlichen Wertgegenständen zugeführt, mit denen das Leben von Menschen gerettet werden konnte.

Durch die gewaltigen Anstrengungen der Kommunistischen Partei, des Sowjetvolkes, seiner Regierung und mit Hilfe des internationalen Proletariats gelang es, die Hungersnot im Jahre 1923 zu überwinden. Der Konterrevolution gelang es zur damaligen Zeit nicht, sie für ihre Ziele auszunutzen.

Entnommen aus dem Buch „Fiasko einer Konterrevolution“, Dietz Verlag Berlin 1982, Original-Autor David Golinkow, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Buch „Fiasko einer Konterrevolution“, Original-Autor David Golinkow