März-Unruhen 1968 in Polen

Der Polnische Oktober brachte vielen Polen die Hoffnung auf konterrevolutionäre Änderungen. Liberale Änderungen von Władysław Gomułka auf dem VIII. Plenum des Zentralkomitees der PZPR initiiert, wie zum Beispiel eine Amnestie für politische Gefangene, die Verbesserung der Beziehungen zur katholischen Kirche, die Begrenzung der Zensur wie eine freiwillige Zurückhaltung der Sicherheitsorgane, erwiesen sich jedoch zunehmend als Hirngespinst. Die neue Führung hatte nicht die Absicht, die Konterrevolution auf den Weg zu bringen. Die Versprechungen infolge des Polnischen Oktober diensten nur dazu die Lage zu beruhigen.

Schon in den letzten Monaten des Jahres 1956 attackierte Gomułka in seinen Reden die Revisionisten und ihr Programm der Liberalisierung des sozialistischen Systems. Die ganzen folgenden zehn Jahre waren eine schrittweise Abkehr von den „Errungenschaften des Oktobers“. Es gab viele personelle Änderungen in der Partei, die Liquidierung der Zeitschriften der Intelligenz „Po prostu“ sowie „Przegląd Kultury“, den Ausbau des Polizeiapparats, verschärfte Zensur, eine Rückkehr zur antikirchlichen Politik, was sich zum Beispiel in der Einstellung des Religionsunterrichts in den Schulen zeigte.

Die Rückkehr zum konsequenten Weg des Sozialismus nahm an Stärke noch zu. Dabei spielte die Außenpolitik eine Rolle. Und zwar der Ausgang des Sechstagekriegs zwischen Israel und den umgebenden arabischen Staaten im Juni 1967. Die UdSSR verurteilte Israel und brach die diplomatischen Beziehungen ab; ebenso hielten es die polnische Regierung. Es wurden Kundgebungen an den Arbeitsstätten organisiert, in denen die „imperialistischen Bestrebungen“ Israels missbilligt wurden. In  Parteikreisen, in Heer und Miliz, auch unter regierungstreuen Katholiken, konzentriert um die Vereinigung „PAX“, wurde Israel verurteilt.

Die sozialistischen Länder waren auf Seiten der Palästinenser, bzw der arabischen Länder.

Die Kirche mit Kardinal Stefan Wyszyński an der Spitze nahm dagegen eher eine proisraelische Haltung ein, so wie die Mehrheit der polnischen Gesellschaft. Einige polnische Juden bekundeten öffentlich ihre Unterstützung für die Operationen der israelischen Armee.

Die gesellschaftliche Stimmung sollte sich nach den Direktiven der UdSSR für die PZPR richten, ohne aber in eine feindliche Stimmung gegenüber der Sowjetunion umzuschlagen. Im Verlauf der Debatte hielt Władysław Gomułka eine Rede auf dem VI. Kongress der Berufsverbände. Er vertrat darin die These, es bestehe in Polen „eine zionistische Fünfte Kolonne“ (eine Formulierung, die in der Presse nicht auftauchte), die die israelische Aggression gegenüber den arabischen Ländern akzeptiere und unterstütze. Er stellte fest, „die Aggression Israels sei das Resultat der reaktionärsten Verschwörung des internationalen Imperialismus“.

Nach der Rede Gomułkas steigerte sich die Aggressivität der „Partisanen“ (Fraktion der PVAP), d. h. der nationalistisch-populistischen Fraktion um General Mieczysław Moczar (seit 1964 Innenminister).  Moczar selbst verglich das Vorgehen der israelischen Armee mit Hitler-Methoden aus dem Zweiten Weltkrieg. Man bezichtigte Bürger jüdischer Herkunft zum Beispiel gegenüber Sicherheitsbehörden der Steuerhinterziehung. Den Aktionen der „Parteigänger“ schloss sich auch die PAX Bolesław Piaseckis an, der Revisionisten, Wurzellose Kosmopoliten sowie den Episkopat angriff.

Da viele Juden sich mit Israel verbunden fühlen, kam es damals auch zum Konflikt mit polnischen Juden innerhalb Polens. Die Stimmung gegen Juden verschärfte sich nicht nur in Parteikreisen, sondern auch unter Arbeitern und „Menschen niederer Schichten“. Das Kesseltreiben erreichte die Strukturen der Partei, des Heeres (im Jahr 1967 wurden etwa 200 höhere Dienstgrade ihrer Offiziers-Funktion entbunden, darunter 14 Generäle, eine Maßnahme, für die persönlich Polens Verteidigungsminister Wojciech Jaruzelski verantwortlich war), die Miliz, die Sicherheitsorgane und andere gesellschaftliche Institutionen. Die Politische Säuberung betraf auch die höheren Lehranstalten. Lehrer und Professoren wurden von Schulen und Universitäten verwiesen. Zur Verschärfung der Lage trug auch die versuchte Konterrevolution in der Tschechoslowakei im Jahre 1968 bei.

In unmittelbarer Folge kam es zu einer Studentendemonstration vor dem Adam-Mickiewicz-Denkmal (Warschau) (30. Januar 1968) gegen die Absetzung des Theaterstücks Totenfeier (poln.: Dziady) des polnischen Dichterfürsten Adam Mickiewicz unter Regie von Kazimierz Dejmek, gespielt im Warschauer Nationaltheater, dessen Inszenierung zu Recht antisowjetische Merkmale unterstellt wurden.[1] Nach den ersten vier Aufführungen wurde Dejmek informiert, das Stück solle nur einmal wöchentlich aufgeführt werden, der schulischen Jugend sollten nicht mehr als 100 Tickets zu Normalpreisen verkauft werden, der Regisseur solle die Reaktionen des Publikums notieren.

Am 16. Januar wurde er informiert, dass am 30. Januar die letzte Vorführung sei. Diese Vorstellung (es war die elfte seit der Premiere) war fast ausverkauft, hauptsächlich durch Studenten. Ständig gab es Szenenbeifall. Nach Vorstellungsende wurde skandiert: „Unabhängigkeit ohne Zensur!“, ausgedacht von Karol Modzelewski. Es waren auch Rufe zu hören: „Wir wollen Kultur ohne Zensur!“ Am Ausgang des Theaters hatte sich eine Menge von etwa 200 Menschen zusammengefunden (wiederum mehrheitlich Studenten), die sich in Richtung des Mickiewicz-Denkmals mit Transparenten bewegten mit Parolen wie „Wir fordern weitere Vorstellungen“, die auf den Stufen des Denkmals ausgebreitet wurden. Die Miliz (MO) reagierte nicht sofort, erst nach einigen Minuten wurde die Kundgebung mit Schlagstöcken aufgelöst, und 35 Demonstranten wurden festgenommen, von denen neun einem Strafgericht überstellt wurden. Zwei Studenten der Universität Warschau wurden auf Antrag des   Hochschulministers Henryk Jabłoński der Universität verwiesen, da sie nach der Vorstellung mit Reportern der französischen Presse gesprochen hatten. Es handelte sich um Adam Michnik und Henryk Szlajfer.

Westliche Medien griffen die Ereignisse in Polen auf, so die „New York Times“, die „Washington Post“ und es war ein „gefundenes Fressen“ für den Propaganda-Sender „Radio Free Europe/Radio Liberty“.

Da Kritik am Staate Israel und an Juden, die den Staat Israel unterstützen mit Antisemitismus gleichgesetzt werden, sah man damals im Westen sowie in der heutigen offiziellen Geschichtsschreibung die damaligen Ereignisse in Polen undifferenziert als Antisemitismus.

Viele der damaligen Akteure hofften trotz alledem auf das irgendwann die Konterrevolution gelingen möge. Ihre Hoffnung hat sich erfüllt. Im Jahre 1980 wurde Solidarnosc gegründet. Die Konterrevolution konnte nun marschieren und siegte 1989/90.

 

Entnommen Wikipedia, bearbeitet von Petra Reichel

3 Kommentare zu „März-Unruhen 1968 in Polen

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