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Notwendigkeit und Legitimität zur Bildung des MfS am 08. Februar 1950

Die Regierung der DDR nahm am 26. Januar 1950 Berichte des Vorsitzenden der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle und der Chefs der Hauptverwaltungen „Kriminalpolizei“ und „Schutz der Volkswirtschaft“ im Innenministerium über die „Tätigkeit feindlicher Elemente auf dem Gebiet der DDR“ entgegen.

Drei Monate zuvor hatte sich auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ein zweiter deutscher Staat konstituiert, nachdem die Westmächte mit der Bildung eines westdeutschen Separatstaates Deutschland gespalten hatten.

Die DDR-Regierung kam nach diesen Berichten zu dem Schluss, dass mit dem Aufstieg der Wirtschaft, der Festigung der demokratischen Ordnung und dem Wachsen der Friedensfront sich zugleich „die Tätigkeit der Agenten, Spione und Saboteure verschärft hat“.

Es gab organisierte Brandstiftungen und andere Sabotagehandlungen, Sprengstoffanschläge in volkseignen Betrieben und Werken, auf Volkseignen Gütern und Neubauernhöfen sowie im Bereich des Verkehrs.  „In dem Maße, wie der Feind feststellt, dass er die demokratischen Errungenschaften nicht mehr rückgängig machen kann, konzentriert er seine ganze Kraft, um Sabotage, Brandstiftung usw. die Durchführung des Wirtschaftsplanes und sonstigen demokratischen Maßnahmen zu stören“, hieß es von Regierungsseite. Dabei habe sich erwiesen, dass diese Sabotage ideologisch vorbereitet würde: durch feindliche Propaganda, durch Hetze im Rundfunk, namentlich von Westberlin aus, durch die Verbreitung von Flugblättern.

Der Generalinspekteur der Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft, Erich Mielke, hatte in seinem Bericht hervorgehoben: „Seit Bestehen der neuen demokratischen Ordnung und insbesondere seit der Bildung der jungen Deutschen Demokratischen Republik versuchen die aus dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik davongejagten reaktionären, faschistischen, imperialistischen Kräfte und ihre Handlanger – wie auch im Westen Deutschlands gebliebenen und sich dort sammelnden Kräfte – gemeinsam mit den in unserer Republik zurückgebliebenen reaktionären Elementen unter Führung, Unterstützung und Organisierung durch die amerikanisch-englischen Imperialisten, die demokratische Entwicklung zu stören und zu behindern. Zu diesem Zweck greifen sie zu verschiedenen Methoden und Mitteln, wie sie bei Gangstern, Räubern und Mördern üblich sind.“

Hier nur einige Fakten aus dem Bericht:

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Bildquelle: GSA  Messgerätebau https://blog.gsa-messgeraete.de/gefahrstoffmessung-im-explosionsgefahrdeten-arbeitsbereich/gsh-symbol-explosion/

Im April 1949 wurden im Sprengstoffwerk Gnaschwitz Sprengkapseln und Zündschnüre unbekannter Herkunft sichergestellt. Im September des gleichen Jahres ereignete sich dann im Sprengstoffwerk Gnaschwitz-nach 28 Jahren Havariefreiheit-eine Explosion, die zwei Todesopfer forderte. Sachschaden: 500 000 Mark sowie zwei Monate Produktionsausfall. Am 17. Oktober 1949 kam es in diesem Betrieb zu einer zweiten Explosion mit drei Toten, einem Sachschaden von 100 000 Mark sowie drei Wochen Produktionsausfall. Bei einer weiteren Explosion in diesem Werk am 5. Januar 1950 gab es wieder drei Tote und 90 000 Mark Sachschaden.

Im Januar 1950 kam es zu einer Explosion im Sprengstoffwerk Schönebeck, die neun Menschenleben forderte.

In der Maxhütte Unterwellenborn wurden im 2. Halbjahr 1947 große Mengen Thomasstahl verschoben.

In zahlreichen Betrieben wurden Elektromotore und Transportbänder zerstört, Produktionsunterlagen verschoben und Transportbefehle gefälscht.

Im September 1948 wurden schwere Wirtschaftsverbrechen im Gebiet Glauchau-Meerane aufgedeckt. Die Täter unterschlugen große Mengen Textilien und verbrachten sie illegal in die Westzonen. Der Schaden für die Versorgung der Bevölkerung betrug über zehn Millionen Mark.


Auf ersten Erfahrungen fußend, hatte der Berichterstatter bereits 1946 eingeschätzt: „Die Feinde des demokratischen Neuaufbaus werden zu allen Mitteln greifen, und besonders zur Wirtschaftssabotage…Manch eine harmlose Produktionssenkung, höherer Ausschuss, schlechte Qualität der Erzeugnisse, hohe Gestehungskosten oder Maschinendefekte oder ‚zufälliger Brand‘ …stellen sich oft als Sabotage, Brandstiftung usw.., als Arbeit der Feinde der Demokratie heraus…Damit wollen sie auch den Beweis führen, dass die neuen Leiter, die antifaschistischen Demokraten, nicht fähig sein, die Wirtschaft zu leiten und zu entwickeln. Eine Reihe von Tatsachen mahnt zur Wachsamkeit. Deshalb ist vorbeugen besser als nachsehen. Jeder Betriebsleiter, jeder Direktor ist verpflichtet, rechtzeitig solche Gefahren abzuwenden. Überall muss die Wachsamkeit der Antifaschisten zu spüren sein…Heute ist jedes Brett, jede Schraube, jeder Laib Brot, jeder Sack Mehl eine Kostbarkeit…Größte Aufmerksamkeit dem Vieh, den Maschinen, dem Frühjahrsgemüse und den ersten Früchten,… dem Schutz der Felder…Das Eigentum des Volkes gilt es zu schützen.“

Die Wirkungen der in dieser Zeit verübten Straftaten waren oft verheerend. Sie störten den Wiederaufbau des Landes und seine Entwicklung. Sie trafen in der Sowjetischen Besatzungszone eine ohnehin schwach entwickelte und vom Krieg schwer geschädigte Wirtschaft. Hinzu kamen die Demontagen im Rahmen der Reparationsleistungen an die UdSSR.

Und die Schäden waren nicht nur Folge von Nachlässigkeit und Schlamperei. Festgestellt wurde eine Vielzahl schwerwiegender Fälle von Agenten- und Spionagetätigkeit. Ihre Initiatoren und Organisatoren waren bekannt: Sie kamen mehrheitlich aus US-amerikanischen und britischen Geheimdienstzentralen von Einrichtungen und Organisationen in den Westzonen und in Westberlin. Beteiligt waren Nazis, hasserfüllte Antikommunisten, Kriminelle und Abenteurer. Mitunter wurden auch junge Menschen instrumentalisiert und missbraucht. Feinde der antifaschistisch-demokratischen Ordnung, Kriminelle und andere Personen, die wegen Begehung von Straftaten von den Sicherheitsorganen belangt wurden oder werden sollten, erhielten in den Westzonen und in Westberlin als „politische Flüchtlinge“ wohlwollende Aufnahme und wurden dort zu „Helden“ erkoren. „Flüchtlinge“ aus dem Osten wurden in den sogenannten aufnahmelagern, etwa in Berlin-Lichtenrade, von diversen Geheimdiensten befragt und für deren Machenschaften rekrutiert. So gewannen die Geheimdienste über ihre „Befragungsstellen“ nicht nur Nachrichten aus der Gegend hinter dem „Eisernen Vorhang“, sondern auch Personal für die subversive Arbeit „im kommunistischen Machtbereich“. Im Kampf gegen „den Kommunismus“ war jedes Mittel recht. Selbst Mörder wurden als Freiheitskämpfer gefeiert. Der Zweck heiligte alle Mittel. Schließlich ging es immer gegen den gleichen Feind: die Roten!, die Kommunisten!

1948 und 1949 wurden in de SBZ bereits zahlreiche Agenten westlicher Geheimdienste enttarnt und festgenommen. In Sachsen-Anhalt wurden Mitglieder einer vom amerikanischen Geheimdienst organisierten und finanzierten Spionagegruppe verhaftet. Deren Leiter war ein ehemaliger Oberst des „Amtes Abwehr“ im Oberkommando der Wehrmacht (OKW).

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Bildquelle: Docusnap https://www.docusnap.com/it-dokumentation/keine-agenten-im-einsatz/

Im gleichen Zeitraum wurde im Kreis Merseburg eine konspirativ arbeitende Terrororganisation aufgespürt, die aus früheren Funktionären der Hitlerjugend bestand. Sie planten ein Attentat auf Angehörige der dortigen Kriminalpolizei.

Im Land Brandenburg wurden im September 1949 eine Spionagegruppe unschädlich gemacht und Gewehre, Pistolen sowie große Mengen Munition sichergestellt.

In Thüringen wurde di Spionagegruppe Erich G. ausgehoben. Sie hatte den Auftrag, Spionagematerial für den britischen Geheimdienst zu sammeln.

In Mecklenburg wurden sieben Teilnehmer einer Gruppe verhaftet, die Diversionsakte, wie Sprengstoffanschläge in Neubrandenburg, vorbereitet und durchgeführt hatten, Spionagematerial für das Ostbüro der SPD sammelten sowie Hetzflugblätter verbreiteten.

Am 31. Dezember 1949 erfolgte die Verhaftung der Agenten Günter R. und Robert v.d.L., die im Auftrage amerikanischer Dienststellen zu subversiver Tätigkeit in die DDR entsandt worden waren.

Die Fakten zu Beginn des Jahres 1950 bewiesen: nach Gründung der DDR verstärkten sich die feindlichen, kriminellen Handlungen gegen die Junge Republik, gegen die in Ostdeutschland begonnene grundlegende antifaschistisch-demokratische Umgestaltung er Eigentumsordnung und der sozialen Beziehungen und die dabei bereits erreichten Ergebnisse.

„Die Festnahme von mehr als achtzig Personen wegen Spionage-, Agenten- und Diversionstätigkeit in einem einzigen Fall beweist, dass von einem Nachlassen des verbrecherischen Handelns aller dieser Elemente nicht gesprochen werden kann“, hieß es im Bericht des Generalinspekteurs der Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft im Januar 1950.

Die Regierung der DDR fasste auf der Basis der am 26. Januar 1950 erörterten Berichte den Beschluss über die „Abwehr gegen Sabotage“. Darin wurde unter anderem gefordert:

  • Verbesserung der Ausbildung und Schulung der Angehörigen der „Organe der Sicherheit unseres Staates und der Volkswirtschaft“, um sie in die Lage zu versetzen, gegen die „verstärkte(n) Tätigkeit der Feinde unserer Ordnung in jeder Weise gewappnet zu sein“.

  • Aufbau eines gemeinsamen Informationssystems durch die Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei und die Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft. Darin sollten alle Fälle von Sabotage, Spionage usw. erfasst werden, damit „in Verbindung mit der Feindpropaganda von außen und der Tätigkeit der Agenten im Lande ständig ein Gesamtüberblick über den Stand der Feindtätigkeit zu ersehen ist“, um die notwendigen operativen Maßnahmen ergreifen zu können.

  • Festlegung gemeinsamer Maßnahmen durch den Minister für Industrie und den Minister des Innern zum Schutz vor allem derjenigen volkseigenen Betriebe, „an deren Zerstörung der Feind ein besonderes Interesse hat.“

Darüber hinaus verpflichtete der Beschluss alle Leiter staatlicher Dienststellen und volkseigener Betriebe, bei der Auswertung des Wirtschaftsplanes 1949 und der Beratung des Planes 1950 zur Feindtätigkeit Stellung zu nehmen und alle Werktätigen zu erhöhter Wachsamkeit aufzurufen.

Zwei Tage zuvor, am 24. Januar 1950, hatte das Politbüro des ZK der SED bereits beschlossen, der Innenminister solle in der Regierung die „Umwandlung der Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft in das Ministerium für staatliche Sicherheit beantragen“.

Auf der Grundlage des Beschlusses, der am 26. Januar erfolgten Berichterstattungen und er daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen sowie im Hinblick auf die Bedeutung, den Umfang und die Spezifik der hierbei zu lösenden Aufgaben beschloss die Regierung der DDR einen Gesetzentwurf über die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit. Dieser wurde in der Provisorischen Volkskammer am 8. Februar 1950 zur Abstimmung vorgelegt. Bis zu jenem Zeitpunkt waren für derartige Aufgaben die Deutsche Volkspolizei, vor allem das zur Hauptverwaltung Kriminalpolizei gehörende und für politische Delikte zuständige Kommissariat K 5 bzw. das 1949 gebildete Dezernat D sowie eben jene Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft zuständig. Innenminister Carl Steinhoff (es gibt auch die Schreibweise Karl Steinhoff P.R.) begründete in der 10. Sitzung der Provisorischen Volkskammer den Gesetzentwurf wie folgt:

„Die verbrecherische Tätigkeit dieser Elemente (Spione, Diversanten, Saboteure) richtet sich gegen alle wahrhaften Kämpfer der Nationalen Front, denen der Friede und eine glückliche Zukunft unseres deutschen Vaterlandes am Herzen liegen. Die Spionage-, Diversions- und Sabotageakte gefährden aber nicht nur den wirtschaftlichen und politischen Aufschwung der Deutschen Demokratischen Republik, sondern sie sind auch geeignet, den Frieden zu gefährden, dadurch, dass sie direkt oder indirekt Anlass für neue kriegerische Entwicklungen bieten können. Sie sind deshalb in jedem Sinne gegen unsere demokratische Ordnung, gegen den Wirtschaftsplan, gegen das Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik und gegen die Friedenspolitik gerichtet.“

Diese Erkenntnisse entsprachen auch den Erfahrungen in anderen osteuropäischen Ländern, die einen ähnlichen Entwicklungsweg wie die DDR gingen.

Zu den Aufgaben des MfS wurde durch den Innenminister ausgeführt: „Die hauptsächlichsten Aufgaben dieses Ministeriums werden sein, die volkseigenen Betriebe und Werke, das Verkehrswesen und die volkseignen Güter vor Anschlägen verbrecherischer Elemente sowie gegen alle Angriffe zu schützen, einen entschiedenen Kampf gegen die Tätigkeit feindlicher Agenturen, Diversanten, Saboteure und Spione zu führen, unsere demokratische Entwicklung zu schützen und unserer Friedenswirtschaft eine ungestörte Erfüllung der Wirtschaftspläne zu sichern. Zur Durchführung dieser Aufgaben bildet das Ministerium in den Ländern Verwaltungen für Staatssicherheit, die dem Ministerium unmittelbar unterstellt werden.“

Wie das Sitzungsprotokoll vom 8. Februar 1950 ausweist, verzichtete die Volkskammer mit Zustimmung aller Fraktionen bei der Beratung des Gesetzentwurfes auf eine Überweisung an einen Ausschuss. Sie verband die erste und die zweite Lesung miteinander. Es gab – abgesehen von einer vom Ältestenrat veranlassten geringfügigen Korrektur – keine Änderungsvorschläge.

Das Gesetz wurde einstimmig angenommen.

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Bildquelle: VBE-Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg https://www.vbe-bw.de/leistungen/attachment/mann-drueckt-paragraph-symbol/

Das „Gesetz über die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit“ hatte folgenden Wortlaut:

§ Die bisher dem Ministerium des Innern unterstellte Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft wird zu einem selbstständigen Ministerium für Staatssicherheit umgebildet. Das Gesetz vom 7. Oktober über die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik (GBl. S.) wird entsprechend geändert.

 § Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.

Berlin, den 8. Februar 1950

Es wurde wenige Tage später im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht. Dazu hieß es:

„Das vorstehende, vom Präsidenten der Provisorischen Volkskammer unter dem 10. Februar 1950 ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündet.                                                                                                                                                                                Berlin, den 18. Februar 1950                                                                                                                                                             

Der Präsident      

                                                                                                                                                                                                            Der Deutschen Demokratischen Republik  

                                                                                                                                                                                                                   W. Pieck“

Am 20. Februar wurde Wilhelm Zaisser zum Minister für Staatssicherheit ernannt. Erich Mielke, bis dahin Generalinspekteur der Hauptverwaltung zum Schutze der Volkswirtschaft, wurde sein Stellvertreter im Range eines Staatssekretärs. Auch dieser Entscheidung der Regierung der DDR ging ein entsprechender Beschluss des Politbüros voraus. Am 7. Februar 1950 war dort zugleich auch beschlossen worden, Wilhelm Zaisser in den Parteivorstand der SED zu kooptieren, dem Parteivorstand vorzuschlagen, ihn als Kandidat des Politbüros zu benennen und ab sofort zu allen Sitzungen des Politbüros hinzuzuziehen. Wilhelm Zaisser und Erich Mielke waren bewährte Antifaschisten und Kämpfer in den Internationalen Brigaden zu Verteidigung der Spanischen Republik.

Mit Leitungsaufgaben im neuen Ministerium wurden Antifaschisten betraut, die sich im Widerstandkampf gegen den Faschismus ausgezeichnet hatten, Funktionäre aus dem ehemaligen Sicherheitsapparat der KPD, Mitglieder des Nationalkomitees Freies Deutschland und andere Kämpfer der Antihitlerkoalition sowie Persönlichkeiten, die nach 1945 an der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung im Osten aktiv beteiligt waren.

Als Mitarbeiter wurden vorrangig junge Menschen eingestellt, die aus der Arbeiter- und Bauernklasse kamen, der SED oder dem Jugendverband (FDJ) angehörten und möglichst keine Westverbindungen besaßen.

Von 52 zur Gründergeneration des MfS gehörenden leitenden Mitarbeitern waren beispielsweise 24 in faschistischen Lagern und Zuchthäusern inhaftiert gewesen, 14 hatten als Partisanen in der Sowjetunion, der Slowakei, in Polen und Jugoslawien sowie sieben in den Reihen der Roten Armee am bewaffneten Kampf gegen den Faschismus teilgenommen, zwölf waren Interbrigadisten in Spanien. Dies hervorzuheben wird angesichts einer anderen Traditionslinie für notwendig erachtet.

Von 62 leitenden Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, der „Organisation Gehlen“ (die 1955 von der Bundesregierung übernommen und 1956 als Bundesnachrichtendienst (BND) firmierte) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) kamen sechs aus dem Reichssicherheitshauptamt (u.a. aus dem berüchtigten Wannsee-Institut) und aus der Gestapo. Drei waren im faschistischen Justizdienst, darunter im Nazi-Justizministerium tätig gewesen, 16 hatten leitende Funktionen bei der SS – vom Hauptsturmführer bis zum Standartenführer- und bei der SA. Viele in den Führungen dieser westdeutschen Geheimdienste hatten zuvor als Generale und ranghohe Stabsoffiziere in faschistischen Geheimdienstzentralen gearbeitet, etwa im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) – Amt Ausland/Abwehr – und im Oberkommando des Heeres (OKH)-Abteilung „Fremde Heere Ost“(FHO), dem Vorläufer der „Organisation Gehlen“. Nicht wenige hatten als Offiziere auf Seiten des faschistischen Aggressors aktiven Kriegsdienst geleistet oder bei der Geheimen Feldpolizei gedient. Allein die Tatsache, dass es dem Chef der Abteilung „Fremde Heere Ost“ im OKH, Generalleutnant Reinhard Gehlen, nach 1945 gelang, Teile dieses Geheimdienstes in er „Organisation Gehlen“ zu restaurieren und zum offiziellen BRD-Geheimdienst zu etablieren, spricht Bände und bedarf keines weiteren Kommentars. Dass dies nicht nur mit Duldung, sondern auch mit aktiver Unterstützung der USA und besonders ihrer Geheimdienste geschah, soll nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.

Der Blick auf das Personal macht deutlich, welche Tradition und Kontinuität die sich gegenüberstehenden und bekämpfenden Dienste beider deutscher Staaten verkörperten und welchen politischen Zielen und Idealen sie sich verpflichtet fühlten.

Die Bildung des MfS war unmittelbarer Bestandteil des Aufbaus der zentralen Staatsorgane nach Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 und der Übergabe von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) bis dahin ausgeübter Verwaltungsfunktionen an die Organe der DDR. Die Bildung des MfS erfolgte auf der Grundlage und in Durchsetzung der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949. Mit dem von der Provisorischen Volkskammer verfügten Gesetz über die Verfassung der DDR trat die „unter Beteiligung des deutschen Volkes geschaffene, vom Deutschen Volksrat am 19. März 1949 beschlossene und vom Dritten Volkskongress am 30. Mai 1949 bestätigte Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft“.

Der Grundsatz dieser Verfassung, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 3), war mit der ausdrücklichen Verpflichtung für jedes staatliche Handeln verbunden, dem Wohl des Volkes, der Freiheit, dem Frieden und dem demokratischen Fortschritt zu dienen. Das war somit auch Verfassungsauftrag für das MfS bei seiner Bildung.

Das MfS entstand und entwickelte sich als ein komplexes zentrales Abwehr- und Aufklärungsorgan zum äußeren Schutz und zur inneren Sicherheit. (Im September 1953 wurde der im September 1951 gebildete Außenpolitische Nachrichtendienst (APN), der äußere Aufklärungsarbeit betrieb, eingegliedert. Aus ihm ging später die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums hervor.)

Dass es sich beim MfS keineswegs nur um einen „klassischen Geheimdienst“ handelte, wurde auch darin sichtbar, dass ihm bereits mit der Gründung gleichfalls exekutive Befugnisse als Rechtspflegeorgan übertragen wurden. Zum Ministerium gehörten auch staatliche Untersuchungsorgane. (Das wird heute nicht nur kritisch gesehen, sondern auch dämonisiert. P-R.) Die Struktur des MfS richtete sich sowohl nach territorialen Gesichtspunkten als auch nach inhaltlichen Kriterien, die sich vor allem aus den gegnerischen Hauptangriffsrichtungen und den zu sichernden Bereichen in der DDR ergaben.

Das MfS wurde zentral durch den Minister für Staatssicherheit, der immer auch Mitglied des Ministerrates der DDR war, als militärisches Organ geleitet. Auf Beschluss des Politbüros der SED und des Ministerrates der DDR wurde das MfS nach den Ereignissen um den 17. Juni 1953 zum Staatssekretariat für Staatssicherheit umgebildet und zeitweilig, vom 23. Juli 1953 bis zum 24. November 1955, in das Ministerium des Innern (MdI) eingegliedert. Auch dazu nachfolgend mehr.

Es erhebt sich die berechtigte Frage, ob es notwendig und richtig war, das MfS als zentralisiertes Staatsorgan zu entwickeln, zu einer komplexen Einrichtung in der nachrichtendienstliche und Staatschutzfunktionen, polizeiliche, strafprozessuale und andere exekutive Befugnisse vereinigt wurden. Aber auch hier sollte es nicht an einer historisch objektiven und differenzierten Sicht fehlen.

Die Bildung, Aufgaben und Struktur des MfS folgten sowjetischem Vorbild. Auch auf anderen Gebieten der Staatsorganisation der DDR und in den damaligen volksdemokratischen Staaten in Osteuropa war in entscheidenden Fragen das sowjetische Staats- und Gesellschaftsmodell verbindlich. Daran ändern die Besonderheiten nichts, die die Staats- und Rechtsordnung der DDR im Unterschied zur sowjetischen kennzeichneten. Darüber, dass die Sowjetunion als „Pionier des Sozialismus“ beim Aufbau einer neuen, gerechteren sozialen Ordnung auf deutschem Boden Vorbildfunktion hatte, wurde niemand im Unklaren gelassen. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ – das wurde von den Hauptakteuren der Gründerzeit der DDR nicht als „Fremdbestimmung“ oder „aufgezwungen“ betrachtet, sondern entsprang ihrer ehrlichen Überzeugung. Die Sowjetunion war bereits seit den 1920er Jahren als „Vaterland aller Werktätigen“ besonders auch von deutschen Kommunisten und Sozialisten verteidigt worden – auf den Straßen der Weimarer Republik, im antifaschistischen Widerstand, in den Schützengräben des Großen Vaterländischen Krieges des Sowjetvolkes im Kampf gegen den faschistischen Aggressor, in der Antihitlerkoalition. Die Sowjetunion hatte die Hauptlast bei der Befreiung der Menschheit von der Barbarei des Hitlerfaschismus getragen. Insofern war es nur logisch, dass das von ihr verkörperte Gesellschaftssystem von vielen als erfolgreich wahrgenommen und als Vorbild verstanden wurde.

Und ein zweiter, unseres Erachtens ebenso bedeutsamer Fakt: Die Konzentration von unterschiedlichen Aufgaben im MfS wurde im Interesse einer hohen Effizienz bei der Sicherung der DDR und der Bürger für notwendig erachtet. Dieser Aspekt wurde in den Folgejahren im Wesentlichen auch nicht in Zweifel gezogen. Aufgrund der Lage und der Aufgaben nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die zentrale Bündelung der Anstrengungen, der Kräfte und des Einsatzes der äußerst beschränkten Mittel und Ressourcen für den Kampf gegen Hunger, für den Weideraufbau des Landes, für die Gestaltung einer neuen, ausbeutungsfreien Gesellschaft und ihren Schutz als überlebensnotwendig betrachtet und organisiert. Als Staat der Arbeiter und Bauern, wie sich die DDR verstand, hatte sich dieser Staat gewaltige gesellschaftliche Umwälzungen im Interesse des arbeitenden Volkes vorgenommen, musste faktisch aus dem Nichts in Angriff genommene Aufbauwerk unter äußerst komplizierten Bedingungen geleitet, organisiert und geschützt werden.

Das konnte nach damaliger Auffassung keine Staatsgewalt im Sinne der bürgerlichen Gewaltenteilung sein, mit der die tatsächliche Kapitalherrschaft verschleiert wird, sondern nur eine einheitliche zentrale Staatsgewalt unter Führung jener Partei, die durch ihr politisches Programm und ihre im antifaschistischen Kampf bewährten Kader auch über die erforderlichen Voraussetzungen verfügte.  Und das war die SED. Dabei wurde davon ausgegangen, dass es zwischen den Zielen der SED, dem Staat und den Bürgern eine objektive Interessenübereinstimmung gibt, die durch ein harmonisches und widerspruchsfreies Verhältnis bestimmt wird. Die SED war nicht nur zahlenmäßig die stärkste Partei, sie hatte ein klares gesellschaftliches Konzept. Sie übernahm in dieser einheitlichen zentralen Staatsgewalt die Führung. Dementsprechend wurde auch das Staatsrecht der DDR Schritt für Schritt auf die führende Rolle der SED ausgerichtet. Der Zentralismus wurde in der DDR ein Grundsatz im Staatsaufbau, in der Tätigkeit aller Staatsorgane, in der Gestaltung einer einheitlichen Rechtsordnung und ihrer Durchsetzung in der Praxis, im System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. Er wurde auch auf alle gesellschaftlichen Bereiche einschließlich der Parteien und Massenorganisationen übertragen. Dieser zentralistische Aufbau des Staates und der Gesellschaft war somit erst recht in einem militärisch geleiteten Schutz-, Sicherheits- und Rechtspflegeorgan wie dem MfS bindendes Leitungs- und Organisationsprinzip.

Erst in der Endphase der DDR, als der Schutz der Verfassung für die führende Rolle der SED zu Fall gebracht wurde und damit dem Zentralismus in der DDR faktisch die politische Basis entzogen wurde, war auch das Ende des MfS als zentrales sozialistisches Schutz- und Sicherheitsorgan besiegelt. Das entsprach bekanntlich auch den Intentionen des Gegners und der „inneren Opposition“.

Es soll auch in den Führungsetagen der SED– offensichtlich unter dem Druck der Ereignisse- „Bestrebungen“ gegeben haben, „sich von Aufgaben zu trennen, die diesem Ministerium nicht zustanden und insgesamt die Arbeit transparenter zu machen“. An der Spitze der Modrow-Regierung aus dem MfS gebildeten Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) jedenfalls wurden – wie bereits beschrieben- entsprechende Vorstellungen zur Abtrennung von Dienstbereichen und von exekutiven Befugnissen erarbeitet. Dokumente, die das belegen, befinden sich in den Akten des MfS, die vom „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ (heute Bundesarchiv P.R.) verwaltet werden.

In diesem Zusammenhang ist es zumindest aufschlussreich, dass in der BRD-nicht erst seit dem 11. September 2001- über die engere Verzahnung der BRD-Geheimdienste, Staatschutzorgane und Polizei nachgedacht und das formal geltende Trennungsgebot zwischen ihren jeweiligen Aufgaben und Befugnissen zunehmend kritisch bewertet wird. Bereits vor den von Bundesinnenminister Otto Schily (Amtszeit von 1998-2005) vorgelegten Anti-Terror-Sicherheitspaketen hatten Staats- und Rechtsexperten besorgt darauf hingewiesen, dass sich in der BRD faktisch Entwicklungen vollzögen, die das „Trennungsgebot“ in Frage stellten oder bereits stillschweigend ignorierten.

Wie verhält es sich zum Beispiel in Bezug auf die Gewaltenteilung, dass ausgerechnet der damalige Justizminister der BRD, Klaus Kinkel (Amtszeit 1991-1992) (vordem Chef des Bundesnachrichtendienstes, Amtszeit von 1979-1982), nun den Richtern unmissverständlich klarmachte, dass sie nun auch die Aufgabe hätten daran mitzuwirken, dass das „ehemalige SED-System delegitimiert“ werden müsse. Was ist hier mit der Trennung Legislative, Judikative und Exekutive? Wurde hier nicht das Trennungsgebot überschritten. Wo bleibt die Unabhängigkeit der Richter?

Entnommen aus dem Buch „Die Sicherheit“, Original-Autoren Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Gerhard Neiber und Wolfgang Schwanitz. Bearbeitet von Petra Reichel

 

Das ganze Buch oder auch einzelne Abschnitte steht auf der Website „MfS-Insider“ zum Download zur Verfügung.

Original-Text aus dem Buch „Die Sicherheit“ zum Download.

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