MfS: Das Ende

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Die Auswirkungen der Sprachlosigkeit der Führung der DDR auf die Mitarbeiter des MfS

Die Mitarbeiter des MfS waren überwiegend Söhne und Töchter von Arbeitern – dieser Begriff wurde in der DDR sehr weit gefasst. Zu einem geringeren Teil kamen sie aus Familien von Angestellten, Bauern, Gewerbetreibenden, Handwerkern und Intellektuellen. Sie entstammten also der werktätigen Bevölkerung und hatten dort ihre sozialen Bindungen. Deshalb empfanden sie sich keineswegs, wie das absichtsvoll immer wieder behauptet wird, als „Elite“. Sie dachten und fühlten vielmehr wie die meisten Bürger der DDR.

(Der besseren Lesbarkeit halber wird hier nicht gegendert. P.R.)

In zunehmenden Maße – verstärkt in den letzten Jahren der DDR – wurde ihnen bewusst, für eine Politik in Anspruch genommen zu werden, die mehr und mehr von sozialistischen Prinzipien abwich und zu immer schwerwiegenderen Widersprüchen in Staat und Gesellschaft führte.

Die SED als führende Partei und der Staat entfremdeten sich von den Bürgern. Dessen wurden sie sich bewusst, weil das MfS -vor allem seit Mitte der 1970er Jahre – für die Ausfüllung der wachsenden Politikdefizite von Partei und Staatsführung herangezogen wurde. Die Angehörigen des MfS bekamen Aufgaben übertragen, die weit außerhalb der Zuständigkeiten eines Sicherheits- und Rechtspflegeorgans lagen und deren Bewältigung anderen staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen zustand. Das betraf Aufgaben zur Stabilisierung volkswirtschaftlicher Prozesse, die ausschließlich in die Kompetenz von wirtschaftsleitenden Organen (heute würde man sagen Manager P.R.) gehörten.

Als die Zahl der Ausreiseanträge sprunghaft anwuchs, was ja wohl primär auf die innenpolitischen Verhältnisse zurückging, sollte das Problem vom MfS gelöst werden – die Mitarbeiter des MfS fühlten sich dabei allein gelassen. Immer öfter wurden Mitarbeiter des MfS anlässlich gesellschaftlicher Höhepunkte und schließlich sogar bei Fußballspielen und anderen sportlichen Großveranstaltungen zu eindeutig polizeilichen Sicherungseinsätzen und damit für Aufgaben eingesetzt, für die sie nicht ausgebildet waren.

Die Kritik gegen die Benutzung für kompetenzfremde Zwecke wurde im MfS zunehmend deutlicher artikuliert, zumal dafür immer einschneidender über die ohnehin karge Freizeit der Angehörigen verfügt wurde, die sich der Zweifelhaftigkeit solcher Einsätze bewusst und manchen Auseinandersetzungen dazu eingesetzt waren.

Aufgrund ihrer Tätigkeit verfügten viele Angehörige des MfS über gründliche Einblicke in die tatsächliche Lage der DDR. Sie kannten die wachsenden Probleme in der Wirtschaft, auf den Gebieten des Handels und der Versorgung, des Verkehrs, des Gesundheitswesens, des Fernmeldewesens, der Medien und Informationspolitik usw. – und ebenso deren Auswirkungen auf die Stimmungslage der Bevölkerung. (Während Handel und Versorgung, das Fernmeldewesen in der DDR, Medien und Information in der Tat in der DDR ein Desaster waren, so muss man in den Punkten Verkehr, insbesondere öffentliche Verkehrsmittel, und Gesundheitswesen feststellen, dass das Desaster heute größer ist. Es gibt zwar auch heutzutage Unzufriedenheit in der Bevölkerung, doch ist sie nicht derart, dass eine Gefahr für den Bestand des heutigen Staatswesens besteht. P.R.)

In wachsender Sorge darüber und im Wissen um die Verantwortung wurden auf allen Leitungsebenen Informationen erarbeitet, mit denen die Partei- und Staatsführung bzw. die jeweils zuständigen Organe auf derartige Probleme und die damit verbundenen Folgen aufmerksam gemacht und Veränderungen angemahnt wurden. Dass jedoch seitens der verantwortlichen Partei- und Staatsorgane erforderliche Reaktionen und Maßnahmen zumeist ausblieben, führte bei den Angehörigen des MfS zusehends zu Enttäuschungen.

In dieser Situation sahen auch viele von ihnen in einer Politik, wie sie sich seit 1985 mit Perestroika und Glasnost in der UdSSR anzubahnen schien, zunächst einen Ausweg aus der Sackgasse. Bald jedoch wuchsen angesichts der Entwicklung in der Sowjetunion Zweifel, ob eine grundlegende Wende zur Stärkung des Sozialismus erreicht werden könnte. Es mehrten sich die Anzeichen, dass damit keineswegs seine Deformationen überwunden und Lösungen für die immer drängenderen gesellschaftlichen Probleme gefunden würden.

Dieser komplizierte und in vieler Hinsicht auch widersprüchliche Prozess fand seinen Höhepunkt zum 40. Jahrestag der DDR. Nach monatelanger Sprachlosigkeit der politischen Führung der DDR, die offenkundig Ausdruck ihrer Hilflosigkeit war, erhofften die Mitarbeiter ein befreiendes Wort. Doch statt kritischer – vor allem selbstkritischer! – Analyse bot diese nur Schönfärberei. Statt überzeugender Ansätze für die dringend erforderliche Kurskorrektur wurde wie gehabt auf dem „bewährten Weg“ verblieben – der ja in die gesellschaftliche Krise geführt hatte. (Nun ja, man hat ja Gorbatschow entlarvt und in der Tat lag kein Konzept für den weiteren Weg vor. Auch im Nachgang weiß niemand, was der richtige Weg gewesen wäre. Den 40. Jahrestag der DDR kann man im Nachgang als unbewusste Abschiedsfeier betrachten. P.R.)

Gorbatschow guckt auf die Uhr. Honecker lacht bald nicht mehr.
Bildquelle: Tagesspiegel https://www.tagesspiegel.de/berlin/der-letzte-tanz-der-totgesagten-beim-40-geburtstag-der-ddr-8105713.html

Was sich bis zu diesem Zeitpunkt unter den Angehörigen des MfS – wie in der gesamten Bevölkerung – an Kritik und Zweifeln hinsichtlich der Gesellschaftskonzeption der SED, der Richtigkeit der Politik und an Vertrauensverlust zur politischen Führung bereits entwickelt hatte, mündete in offene Enttäuschung, ja Verbitterung, bewirkte verbreitet Unzufriedenheit und Sorgen über die eigene Entwicklung.

Die Hilf- und Sprachlosigkeit der politischen Führung der DDR wirkte sich auch auf die Leitung des MfS aus. Die Beschlüsse und Weisungen eben dieser Führung, die jahrzehntelang die Handlungsgrundlage des MfS gewesen waren, blieben jetzt aus. Ihr Fehlen – deutliches Indiz für den Verlust der führenden Rolle der SED und den Zustand ihrer Politik- und Regierungsunfähigkeit-, führte auch zu wachsender Führungslosigkeit im MfS/AfNS. (Die heutige Ampelregierung ist auch unfähig. Trotzdem bleibt der heutige Staat stabil. Die Führungslosigkeit des MfS kann ich mir nur dadurch erklären, dass nicht mehr alle Informationen bei Erich Mielke und dessen Stellvertreter Rudi Mittig ankamen. Markus Wolf spielt eine undurchsichtige Rolle. Das ist doch nicht alles von heute auf morgen entstanden. Das MfS war als Ministerium Teil der Regierung und gleichzeitig wird sich über die Sprachlosigkeit der Regierung beklagt. Das verstehe, wer will. P.R.)

Der zunehmende Vertrauensverlust von Mitarbeitern gegenüber der Leitung des MfS war nicht zu übersehen.

(Es haben sich einige frühere MfS-Angehörige „ihr Schäfchen ins Trockene gebracht“, d.h. sie haben sich bereichert, sind zu Wendehälsen geworden und haben z.B. Unternehmen gegründet. Das haben die Autoren in ihren Erinnerungen nicht niedergeschrieben. P.R.)

Entnommen aus dem Buch „Die Sicherheit“. Original-Autoren für diesen Abschnitt sind Gerhard Niebling und Wolfang Schwanitz, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Buch „Die Sicherheit“. 

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Das gesamte Buch oder auch einzelne Abschnitte daraus kann man von der Website MfS-Insider herunterladen.

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