Kurzauswertung anhand der beigefügten Originaldokumente (siehe Dokumentenmappe) von Petra Reichel
Der Sieger schreibt Geschichte. Für die heutigen Schülerinnen und Schüler wird ein Dokumentenheft, nebst Begleitheft die Sicht der Sieger der Geschichte dargestellt. Das ist nur gut für die Tonne.
Doch die Verlierer der Geschichte können hinterlassene Originaldokumente auswerten. Vielleicht gibt es im Laufe der Zeit ehrliche Geheimdienstexpertinnen und -experten, Historikerinnen und Historiker, Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die den nächsten Generationen die Wahrheit sagen. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden dann wahrscheinlich nicht mehr leben, die den Siegern der Geschichte heute unangenehm sind und daher nicht befragt werden. So versucht DIE TROMMLER mit bescheidenen Mitteln die Geschichte aus Sicht der Verliererinnen und Verlierer zu erklären.
Auch wenn es detailliert nicht in der Kürze eines Beitrages möglich ist, so lässt sich in der Kurzauswertung erkennen, dass es hier um ein Protokoll der Traurigkeit geht.

Bild entnommen vom Bundesarchiv/Stasi-Unterlagenarchiv
Die Volkskammer hatte am 17.11.1989 die Bildung eines Amtes für Nationale Sicherheit beschlossen. Bekanntlich existierte die DDR seit dem 09.11.1989 nicht mehr als Arbeiter- und Bauernstaat. Es folgte eine Übergangszeit bis zur Annexion am 07.10.1990. Zum damaligen Zeitpunkt, als die Entscheidung gefallen war und die Konterrevolution gesiegt hat, brauchte man keinen sozialistischen Geheimdienst mehr. Man versuchte sich mit Angleichung und versuchte das MfS in einen bürgerlichen Geheimdienst unter neuem Namen (AfNS – Amt für Nationale Sicherheit) umzuwandeln. So machten es ja auch die anderen ehemaligen sozialistischen Staaten in Osteuropa.
Der zweite Abschnitt des Original-Dokuments vom 18.11.1989 ist „Bla Bla“ und schon damit begann das Hausieren mit irreführenden Begriffen. Was für ein Aktionsprogramm der SED und was für eine „revolutionäre Erneuerung“? Es ging eher um die konterrevolutionäre Erneuerung und die Umwandlung der DDR in einen bürgerlichen Staat.
Der Rest dieses Papiers sind Anweisungen. Damals war Rudi Mittig noch im Amt. Er wurde zum Großteil mit der Umsetzung dieser Anweisungen beauftragt. Dezember 1989 wurde Rudi Mittig von seinen Funktionen entbunden und im Januar 1990 entlassen.
In einem Papier vom 30.11. 1989 verbiegt sich das AfNS. Man macht sich „Asche auf‘ s Haupt“, weil der Vorgänger-Geheimdienst ( MfS) Daten über „Andersdenkende“ gesammelt hatte. Nun Ja, macht das nicht jeder Geheimdienst dieser Welt von seinem Standpunkt, bzw. dem Standpunkt seines Auftraggebers aus? Aber ach, der Auftraggeber, noch die DDR, wandelte sich ja seit 09.11.1989.
In einem Telegramm vom 04.12.1989, unterzeichnet von Wolfgang Schwanitz, vermutlich ein Rundschreiben an die Bezirksdienststellen, geht es darum, dass vernünftige Kräfte der „Bürgerbewegung“, unter der Leitung von Rechtsanwalt Wolfgang Schnur, die Lage deeskalieren wollen. Sie wandten sich an Wolfgang Schwanitz. Dieser befiehlt nun, dass sofort mit dem Schreddern von Dokumentenmaterial aufzuhören ist. Am Ende dann so ein Bla Bla von „Sicherheitspartnerschaft“. Na ja, solche Worte kennen wir zur Genüge aus der heutigen Zeit.
Die folgenden aufgeführten Dokumente (Dokumente im PDF-Anhang) sind ein Protokoll der Traurigkeit. Es geht u.a. um den Sturm auf die Dienststellen den nunmaligen AfNS. Die Lage eskaliert und entgleitet auch der sogenannten Bürgerbewegung. Dass es überhaupt möglich ist, dass Dienststellen eines Geheimdienstes so einfach gestürmt werden können, ist ein Armutszeugnis.
In einem Fernschreiben des Ministerrates an dessen Beauftragten vom 07.12.1989 teilt dieser u.a. Folgendes (Festlegungen) aus seiner Sitzung vom 07.12.1989 mit:
Ach nee, die Regierung verurteilt nun das aus der neuen Sicht unberechtigte Sammeln von Informationen des MfS und verbietet eine Fortsetzung derartiger Praktiken. Mensch, wie sinnig. Was macht den ein Geheimdienst? Sammeln, sammeln, sammeln, auch wenn es der größte Blödsinn ist. Kein Geheimdienst dieser Welt fragt nach Berechtigung des Sammelns. Aber ach, die DDR war ja inmitten der Wandlung.
Ach, aber Staatsgeheimisse sollen nun doch gewahrt bleiben. Immerhin was.
Nun beauftragt die Regierung den Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit unberechtigt angelegte Dokumente unter Aufsicht zu vernichten. Was war unberechtigt? Siehe oben.
Das AfNS fertigt in seinem Schreiben vom 08.12.1989 ein Festlegungsprotokoll an. Es geht um ein Informationsgespräch mit Vertretern des „Neuen Forums“ am 08.12.1989
Ein trauriges Protokoll der Konterrevolution. Es geht um Details der Festlegungen, die der Ministerrat bereits getroffen hatte.
Ein Dokument vom 08.12.1989 gibt die Entscheidung der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) bekannt. Stattdessen soll ein Auslandsnachrichtendienst geschaffen werden.
Die Details werden im Dokument aufgezählt.
Es folgt das Protokoll zur Auflösung des AfNS
Dann noch einige Papiere, die sich mit Details beschäftigen.
Ein Telegramm vom 13.12. 1989, unterzeichnet von Wolfgang Schwanitz fasst den Vorgang der Auflösung des AfNS zusammen und dankt beteiligten Polizeibehörden, die dabei Hilfe leisteten.
Ein Papier vom 13.12.1989 fasst die Auflösung der Bezirks- und Kreisämter des AfNS detailliert zusammen.
Bericht an Hans Modrow über die Auflösung der Kreis- und Bezirksämter der AfNS vom 14.12.1989
In einem Papier vom 19.12.1989 geht es um die materielle und personelle Auflösung des AfNS und wer dazu beauftragt wird.
Wer erinnert sich? Es war ja die Bildung eines Verfassungsschutzes geplant? Mensch soviel Angleichung, dass man sogar den Namen eines Geheimdienstes der BRD übernimmt? In einem nicht vollständigen Papier ohne Datum ist davon die Rede, dass der „Runde Tisch“ verlangt hatte die Bildung des Verfassungsschutzes bis zum 06.05.1990 auszusetzen. Bekanntlich kam der Verfassungsschutz in der (Noch-)DDR nicht zustande.
Ein Dokument vom 10.01.1990 enthält den Bericht über die Auflösung des AfNS.
Das „Neue Forum“ ruft am 15.01.1990 vor dem Dienstobjekt Ruschestraße in Berlin zur Demonstration auf.
Es wird aufgefordert Farbe und Spraydosen mitzubringen. Also es wird zu Schmierereien und Sachbeschädigung aufgerufen.
Es wird kurz über den Verlauf dieses Sturms berichtet. Vernünftige Kräfte der „Bürgerbewegung“ beteiligen sich daran, dass wieder Ruhe einkehrt.
Wer glaubt ernsthaft daran, dass bei der Erstürmung der Dienststellen des ehemaligen MfS nur wütende Bürger beteiligt waren? Es war für westliche Geheimdienste die willkommene Gelegenheit Papiere und Dateien ins Ausland zu schaffen. Bekannt ist der Fall der „Rosenholz-Dateien“, die in den USA landeten, aber später wieder zurückgegeben wurden. Na ja, die Amis haben da vermutlich eine Kopie angelegt.
Alle Dokumente auszuwerten würde ins unendliche gehen. Daher habe ich mich auf das Wichtigste beschränkt.
Es ist ein Protokoll der Traurigkeit. Der Samen zum Untergang der DDR war, meiner Meinung nach, schon lange vor Ausbruch der Konterrevolution gelegt worden. Das MfS war nicht in der Lage dies rechtzeitig zu erkennen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen.
Die Konterrevolution wütete in allen osteuropäischen Ländern gleichzeitig. Deren Geheimdienste erkannten das auch nicht rechtzeitig. Diese wurden umgewandelt und dem bürgerlichen Staatswesen angepasst. Das hatte man vermutlich auch in der DDR vor, bis dann absehbar war, dass die DDR nicht mehr lange existierte.