Schlagwort Ausgabe August 2025
Inhaltsverzeichnis August 2025
Kalenderblatt

13. August 1961:
Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls
Die Maßnahmen der DDR am 13. August 1961
Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls: Welche Reaktionen gab es im Westen?
Die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Westeuropa. Russland in der Mitte des 19. Jahrhunderts
Zar Nikolaj I., der den Thron während des ersten offenen Aufstandes gegen den Zarismus bestiegen hatte, erblickte die Hauptaufgabe seiner Regierung in der Festigung der Selbstherrschaft und der Erhaltung der Leibeigenschaft. Sein Bestreben war, das ganze Land in ein militärisches Zuchthaus zu verwandeln.
Zum Schutze der bestehenden Ordnung wurde das Gendarmeriekorps gebildet. Die geheime politische Polizei berichtete über die Geisteshaltung der Untertanen. Besondere Beamten-die Zensoren-schauten vorher sämtliche Bücher, Zeitschriften und Privatbriefe durch, um „in die Geisteshaltung einzudringen, um zu beobachten, wer sich frei und unehrbietig über Religion und Staatsgewalt äußert“. Bei den Gerichten wurden die Prozesse nicht öffentlich geführt. Jedes Freidenkertum wurde streng bestraft.
Die Regierung Nikoajs I. erachtete es für gefährlich, das Volk aufzuklären. Der Minister für Bildungswesen, Uwarow, sagte: „Ich werde beruhigt sterben, wenn ich die Entwicklung Russlands um 50 Jahre verzögere.“ Der Unterricht wurde im Geiste „der Rechtgläubigkeit, der Selbstherrschaft und der Völkischheit“ erteilt. Die Erziehung und der Unterricht im Geiste dieser „Grundsätze“ sollten in der Seele der Jugend das Gefühl des Protestes gegen das Leibeigenschafts-Regime und die Selbstherrschaft ersticken.
Der russische Zar befürchtete das Eindringen der „Revolutionären Seuche“ vom Westen. Die Revolution in Europa trat ihren Triumphzug an. Im Juli 1830 flammte in Frankreich eine neue Revolution auf. Im November desselben Jahres begann der Aufstand in Polen. Nikolaj I. brach unverzüglich die Beziehungen zu Frankreich ab und schickte eine große Armee gegen Polen. Zur gleichen Zeit trat er mit den reaktionären Regierungen Österreichs und Preußens in Verhandlungen ein, um die weitere Ausbreitung der Revolution zu verhindern. „Die Revolution steht auf der Schwelle Russlands“, sagte er, „aber ich schwöre bei Gott, solange ich atme, wird sie diese Schwelle nicht überschreiten!“
Die revolutionäre Bewegung in Europawuchs weiter an. Die Arbeiterklasse, die als Ergebnis der Entwicklung des Kapitalismus aufkam, trat in den 30-40er Jahren des 19. Jahrhunderts mit ihren Forderungen auf. Im Jahre 1831 fand in Lyon (Frankreich) der erste Aufstand der Webereiarbeiter statt. Fast zur gleichen Zeit begannen die englischen Arbeiter einen revolutionären Kampf um die Gewährung politischer Rechte. Die Arbeiter legten ihre Forderungen in einem Dokument nieder, das sie „Charta“ nannten. Diese politische Bewegung wurden „Chartismus“ genannt.
In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts erstanden den Arbeitern große Führer: Karl Marx und Friedrich Engels. Sie organisierten die erste Partei der Arbeiterklasse: den „Bund der Kommunisten“, und schrieben für sie ein Programm: das „Manifest der Kommunistischen Partei“. In dem „Manifest“ wird dargelegt, dass der jahrtausendelange Kampf zischen Unterdrückern und Unterdrückten mit dem Sieg der Arbeiterklasse enden muss, die die proletarische Diktatur errichten und den Sozialismus aufbauen wird. Das „Manifest“ schließt mit dem Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
Im Juni 1848 erhoben sich die Pariser Arbeiter mit der Waffe in der Hand zum ersten Mal zum Kampf um ihre Rechte. Aber sie waren noch schwach und nicht organisiert, und erlitten eine Niederlage. Nichtsdestoweniger fand die französische Revolution des Jahres 1848 in fast allen Ländern Europas einen Widerhall.
Im Jahre 1849 siegte die Revolution in Ungarn, das die Unabhängigkeit von der österreichischen Monarchie, der es einverleibt war, verkündete.
Nikolaj I., der gemeinsam mit dem preußischen und österreichischen Monarchen die Gegenrevolution in Europa unterstütze, schickte zur Niederschlagung der ungarischen Revolution eine Armee von 100 000 Mann. Von österreichischen und russischen Truppen umzingelt, war die revolutionäre Armee Ungarns gezwungen, sich zu ergeben. Den russischen Zaren nannte man den Gendarmen Europas. Auch die anderen feudalen Monarchen, besonders der König von Preußen, spielten die Rolle von Gendarmen.
Der Zarismus konnte die Entwicklung der russischen Geschichte jedoch nicht aufhalten. Das Leibeigenschaftssystem in Russland machte eine Krise durch. Eine der markantesten und krassesten Erscheinungen dieser Krise waren die sich immer öfter wiederholenden Bauernaufstände gegen die Leibeigenschaft.
Im Lande ginge große Veränderungen vor. Die Bevölkerung in den Städten vergrößerte sich. Der Handel mit Europa und im Inneren dehnte sich aus. Von den40-50er Jahren an beginnt die kapitalistische Manufaktur durch die Fabrik (die maschinelle Großindustrie) abgelöst zu werden. In den Fabriken arbeiteten bereits viele Lohnarbeiter. Die Fabrikanten begannen, aus dem Ausland Maschinen zu beziehen. Die Einfuhr der Maschinen aus dem Ausland stieg in den 25 Jahren von 1835 bis 1860 um das 25fache. Es entstanden Eisenbahnen. Im Jahre 1851, wurde eine große Eisenbahn gebaut, die die damals alte Hauptstadt Moskau mit der damals neuen, Petersburg, verband.
Jedoch der Entwicklung des Kapitalismus stand die Leibeigenschaft im Wege. Die Industrie arbeitete schlecht, da die leibeigene Arbeitskraft sich für die Entwicklung des Kapitalismus als unproduktiv und unvorteilhaft erwies. Auch in der Landwirtschaft erwies sich die Arbeit mit Leibeigenen als unvorteilhaft. Im Frondienst arbeiteten die Leibeigenen schlecht. Die Technik der Landwirtschaft war noch rückständiger als in der Industrie. Die Ernten waren schlecht. Die Gutsbesitzer, die Geld brachten, steigerten die Ausbeutung ihrer Leibeigenen. Die Bauern kamen herunter und verarmten.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa
ORIGINAL-TEXT aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1, aus dem Jahre 1947
Die großen russischen Aufklärer
Die bürgerliche Revolution in Europa und die Bauernaufstände im Lande stellten die fortschrittlichen Menschen Russlands vor die unvermeidliche Frage: „Was hat Russland zu erwarten? Welchen Weg soll es beschreiten, um eine gebührende Stellung in Europa einzunehmen?“
Das Werk Radischtschews fortsetzend, waren die Dekabristen als erst zum offenen Kampf gegen den Zarismus angetreten und hatten eine neue junge Generation von Revolutionären, mit Herzen und Belinskij an der Spitze, zum Kampfe aufgerüttelt.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947
Alexander Iwanowitsch Herzen wurde im Jahre 1812 in einer adligen Familie geboren und unter dem ideellen Einfluss Radischtschews, der Dekabristen und der Aufklärungsideen der französischen Revolution erzogen. Schon in früher Jugend erwies er der revolutionären Heldentat der Dekabristen seine Huldigung. „Die Hinrichtung Pestels und seiner Kameraden störte endgültig den Schlaf meiner Seele“, schrieb Herzen selbst darüber.
Nachdem Herzen die Universität von Moskau bezogen hatte, stellte er sich in den Mittelpunkt des Zirkels der revolutionären Jugend. Die Aufgabe seines Lebens und das Programm des von ihm organisierten Zirkels umriss Herzen mit folgenden Worten: „Die bestehende Achse, um die unser Leben kreiste, war unsere Einstellung gegenüber dem russischen Volke, der Glaube an das Volk, die Liebe zu ihm und der Wunsch, wirksam an seinem Schicksal teilzunehmen.“
Die Mitglieder von Herzens Zirkel hielten sich für „die Nachkommen der Dekabristen“ und führten den Kampf gegen die Selbstherrschaft und die Leibeigenschaft weiter.
Wegen Propaganda revolutionärer Ideen wurde Herzen verhaftet.
Im Jahre 1847 war er gezwungen, Russland zu verlassen, um den Kampf gegen die Leibeigenschaft außerhalb der Grenzen Russlands fortzusetzen.
Die zaristische Regierung erklärte Herzen zum lebenslänglich Exilierten.
Im Jahre 1848 nahm Herzen am revolutionären Kampf in Europa teil und war bitter enttäuscht über die europäische, besonders die deutsche Bourgeoisie, die den revolutionären Kampf aufgegeben und den Weg des Paktierens mit den Feudalen beschritten hatte.
Im Jahre 1853 gründete Herzen in London die „Freie russische Druckerei“ und gab die Zeitschrift „Der Polarstern“ heraus. Den Umschlag der Zeitschrift schmückten die Bildnisse der hingerichteten Dekabristen. Der Titel „Polarstern“ ließ erkennen, das Herzen das Werk der Dekabristen fortsetzte. Von 1857 bis 1867 ab Herzen im Ausland die berühmte Zeitschrift „Die Glocke“ heraus.
Unter der Devise „Ich rufe die Lebendigen“ rief er alle fortschrittlich und rechtlich denkenden Menschen Russlands zum Kampf gegen die Selbstherrschaft und Leibeigenschaft auf. Herzen forderte die Befreiung der Bauern unter Zuteilung von Land, die Errichtung einer demokratischen Macht und die völlige Vernichtung aller Arten von Leibeigenschaft. Herzen hoffte, dass Russland die bürgerliche Gesellschaftsordnung vermeiden und zum Sozialismus gelangen würde, indem es die Bauerngemeinde als Keimzelle der sozialistischen Gesellschaft benutze. Zeitweise wurde Herzen schwankend, sprach nicht von einer Revolution, sondern von einer Reform, aber diese Schwankungen waren vorübergehend und nicht von langer Dauer. Herzen war und blieb stets revolutionärer Kämpfer gegen die Selbstherrschaft.
In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts spielten nicht die Adligen, sondern die Rasnotschienzy (russ: „Leute aus verschiedenen Ständen“) in der Freiheitsbewegung Russlands die Hauptrolle. Es waren dies Leute aus verschiedenen Ständen, hervorgegangen aus verschiedenen sozialen Gruppen: aus dem Kleinbürgertum, der Geistlichkeit, der Kaufmannschaft, aus dem Beamtentum und dem Kleinadel. Die Revolutionäre aus den Reihen der Rasnotschienzy standen dem Volk näher als die adligen Revolutionäre.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947
Der erste revolutionäre Rasnotschienez war der große russische Kritiker Wissarion Grigorjewitsch Belinskij (1811 bis 1848), der von seinen Freunden wegen seines leidenschaftlichen Dranges nach Wahrheit, wegen seiner Aufrichtigkeit und wegen seines feurigen Charakters „der unbezähmbare Wissarion“ genannt wurde.
Sohn eines Marinearztes, kannte Belinskij ein mühe- und entbehrungsvolles Leben seit seiner Kindheit und lernte schon sehr früh die Selbstherrschaft und die Leibeigenschaft hassen. Um Belinskij und Herzen bildete sich ein Zirkel, für den die Bezeichnung „die Westler“ geprägt wurde. Die Mitglieder dieses Zirkels kritisierten die leibeigenschaftliche Ordnung scharf und verfochten den Standpunkt, dass europäische Zivilisation für Russland notwendig sei.
Belinskij war der Begründer der russischen literarischen Kritik. Ungeachtet der wütenden Zensur legte er in geschickter Weise in den der Zensur unterliegenden Artikeln sein fortschrittlichen Befreiungsideen dar.
Belinskij, der das russische Volk mit heißem Herzen liebte, geißelte alle jene, die es als eine „rückständige Rasse“ hinzustellen versuchten. „Wir werden sowohl Dichter, wie auch Philosophen sein“, schrieb Belinskij im festen Glauben an die Zukunft des russischen Volkes, „ein künstlerisches, ein gelehrtes, ein militärisches, ein industrielles, ein händlerisches, ein soziales Volk zu sein.“
Prophetisch schrieb er, indem er von einem neuen, glücklichen Leben des russischen Volkes und der ganzen Menschheit träumte: „Wir beneiden unsere Enkel und Urenkel, denen beschieden ist, dass Russland des Jahres 1940 zu sehen, wie es an der Spitze der gebildeten Welt stehen, der Wissenschaft und der Kunst Gesetze geben und die Achtung der ganzen aufgeklärten Menschheit empfangen wird.“
Belinskij starb im Jahre 1848 in der Blüte seines literarischen Talentes, aber körperlich durch Entbehrungen und Verfolgungen gebrochen.
Der Nachfolger des revolutionären Aufklärers Belinskij und Fortsetzer seines Werkes war der große russische Schriftsteller und Gelehrte, der revolutionäre Demokrat Tschernyschewskij.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947
Lenin nannte Tschernyschewskij den großen Sozialisten der vormarxistischen Periode. Wie Herzen und Belinskij hatte auch er noch nicht begriffen, dass nur die Arbeiterklasse das Land zum Sozialismus führen kann. Tschernyschewskij verfocht das Programm der Bauernrevolution, wobei er die völlige Abschaffung der Leibeigenschaft und die unentgeltliche Übereignung des gesamten Grund und Bodens an die Bauern forderte. Für ihn verband sich die weitere Entwicklung des Landes auf dem Wege zum Sozialismus mit der Bauerngemeinde. Seine sozialistischen Ansichten legte Tschernyschewskij in einer Reihe von Artikeln nieder. Besonders markant sind die Ansichten in dem Roman „Was tun?“ dargelegt, der von ihm während der Zeit seiner Haft in der Festung geschrieben worden ist.
Im Jahre 1861 ging aus Tschernyschewskijs Zirkel die in einfacher Volkssprache geschriebene Proklamation: „Gruß an die leibeigenen Bauern von den ihnen Wohlwollenden“ hervor. Die Proklamation rief die Bauern auf, sich einmütig und organisiert für den allgemeinen Aufstand gegen den Zaren und die Gutsbesitzer vorzubereiten. Mit ebensolchen Proklamationen wandte sich Tschernyschewskijs Zirkel an die Soldaten und an die junge Generation.
Diese Proklamationen fielen der Polizei in die Hände. Tschernyschewskij und seine Freunde wurden verhaftet. Nachdem Tscheryschewskij zwei Jahre in der Peter-Paul-Festung festgehalten worden war, wurde er zu 14 Jahren Zwangsarbeit und zur lebenslänglichen Strafansiedlung in Sibirien verurteilt. Vor seiner Verschickung zur Zwangsarbeit wurde an Tscheryschewskij noch die mittelalterliche Zeremonie einer Hinrichtung vollzogen. Auf einem der Petersburger Plätze führten Henker Tschernyschewskij auf das Schafott, ließen ihn niederknien, fesselten ihn mit Ketten an den Schandpfahl und zerbrachen den Degen über seinem Kopf. Es regnete. Tschernyschewskij stand ruhig im Regen, das Ende der Verhöhnung abwartend. Als man ihn das Schafott herunterführte, trat ein Mädchen aus der Menge der Jugend hervor, die sich am Ort des Strafvollzugs versammelt hatte, und warf ihm als Zeichen der Bewunderung und Huldigung für die Standhaftigkeit des Revolutionärs Blumen vor die Füße.
Tschernyschewskij war ein großer russischer Patriot, der sein ganzes Leben seinem Volke weihte. Bereits in seiner Jugend schrieb er: „Zum Ruhme des Vaterlandes beizutragen, nicht zum vergänglichen, sondern zum ewigen Ruhme des Vaterlandes und zum Wohle der ganzen Menschheit – was kann es Edleres und Wünschenswerteres geben als das?“ Bis an sein Lebensende blieb Tschernyschewskij dieser großen Idee treu.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947
Tschernyschewskijs nächster Mitkämpfer und Freund war Nikolaj Alexandrowitsch Dobroljubow. Gemeinsam mit Tschernyschewskij und Nekrassow war Dobroljubow an der Herausgabe des Kampforgans der revolutionären Demokratie, der Zeitschrift „Sowremennik“ („Der Zeitgenosse“), beteiligt. Ihm diente die literarische Kritik als Kampfmittel gegen die Selbstherrschaft und Leibeigenschaft. In unbeirrbarem Glauben an das Volk hielt Dobroljubow die Volksmassen für die gewaltige Kraft der Geschichte. Um aber diesen Kräften freien Lauf zu geben, forderte er die Bauernbefreiung und rief alle rechtlich denkenden und bewussten russischen Patrioten auf, die Bauernrevolution zu unterstützen. Im Jahre 1861 starb Dobroljubow im Alter von 25 Jahren an der Schwindsucht. Tschernyschewskij grämte sich sehr über den Verlust seines jungen Freundes, revolutionären Gesinnungsgenossen und Mitkämpfers. Marx und Engels stellten Dobroljubow in eine Reihe mit den großen westeuropäischen Aufklärern: Lessing und Diderot. Lenin schrieb über Dobroljubow, dass dem gesamten gebildeten und denkenden Russland „der Schriftsteller teuer sei, der leidenschaftlich die Willkür hasste und leidenschaftlich den Volksaufstand gegen die ‚Türken im Innern‘, gegen die Selbstherrschaft, erwartete.“
Einer von Tschernyschewskijs Gefährten in seinem Kampf um die Bauernrevolution war der Dichter der revolutionären Bauerndemokratie Nikolaj Alexjewitsch Nekrassow.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947
Schüler und Nachfolger des großen russischen Kritikers Belinskij, der auf den jungen Dichter einen gewaltigen ideellen Einfluss ausübte, richtete Nekrassow die gesamte Kraft seiner „zündenden Verse“ auf den Kampf mit den Übeln und den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft seiner Zeit. In seinen Poemen und Gedichten geißelte er die Anhänger der Leibeigenschaft und rief das Volk zum Kampf gegen den Zaren und die Gutsbesitzer auf. Sein Schaffen übte in der Periode des Aufschwungs der Bauernbewegung Ende der 50er Jahre einen gewaltigen Einfluss auf den demokratischen Teil der Gesellschaft aus. Nekrassows Gedichte, die in der bilderreichen Volkssprache geschrieben sind, wurden zu Lieblingsliedern des russischen Volkes.
Lenin nannte Herzen, Belinskij, Tschernyschewskij, Dobroljubow die großen russischen Aufklärer. Sie vereinte der leidenschaftliche Hass gegen die Selbstherrschaft und die Leibeigenschaft und alle ihre Überbleibsel.
Die Aufklärer verteidigten die Interessen der Volksmassen und waren bestrebt, Russland nach neuen, europäischen Grundsätzen umzuwandeln. Durch ihre Predigten halten die revolutionären Aufklärer, jene neue Etappe in der Geschichte Russlands vorzubereiten, in der die breiten Volksmassen der Arbeiter und Bauern zum Kampf gegen den Zarismus unter der Leitung der bolschewistischen Partei antraten.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts erhoben sich die Revolutionäre aus verschiedenen Klassen zum Kampf gegen den Zarismus, aber erst am Ende dieses Jahrhunderts trat die konsequenteste und entschlossenste Klasse auf den Plan: das Proletariat, dem es gelang, den großen Befreiungskampf bis zum Ende zu führen.
Lenin sagte prophetisch voraus, dass die russische Arbeiterklasse „sich den Weg zur freien Vereinigung mit den sozialistischen Arbeitern aller Länder bahnen wird, nachdem sie jene Natter, die Zarenmonarchie, zertreten haben wird, gegen die Herzen als erster das große Banner des Kampfes erhoben hat, indem er sich an die Massen mit dem freien russischen Wort wandte“.
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa
ORIGINAL-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947
Der Krimkrieg und die Verteidigung von Sewastopol
Die fortschrittlichen russischen Menschen, die für Abschaffung der Leibeigenschaft kämpften, sahen ein, dass in ihr der Grund nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die militärische Schwäche des Landes zu suchen sei. Sie sahen voraus, dass das Russland der Leibeigenschaft im Falle eines militärischen Zusammenstoßes mit den bürgerlichen Staaten Europas eine ernste Niederlage erleiden würde.
Die zaristische Selbstherrschaft strebte nach der Beherrschung der der Türkei gehörenden Meerengen: des Bosporus und der Dardanellen. Hier hatte Russland jedoch mächtige Nebenbuhler: England, Frankreich und Österreich. Jede von diesen Mächten war bemüht, das Wirtschaftsleben der Balkanhalbinsel in seine Hand zu bekommen. Die Meerengen wurden zur Quelle eines erbitterten Kampfes des zaristischen Russlands mit seinen starken Konkurrenten.
Der Krieg Russlands mit der Türkei brach im Jahre 1853 aus. Im Juni dieses Jahres besetzte eine 80 000 Mann starke russische Armee die Donaufürstentümer Moldau und Walachei. Im November 1853 spürte das Geschwader des Admirals Nachimow auf der Reede von Sinope (an der Südküste des Schwarzen Meeres) türkische Schiffe auf und versenkte sie. Jedoch war die Hauptmacht nicht die Türkei, sondern ihre mächtigen Verbündeten: England und Frankreich. Im Herbst 1854 führ ihre Flotte, die mehr als 360 Dampf- und Segelkriegsschiffe, gewaltige Transportschiffe, mit Truppen und Artillerie beladen, zählte, ins Schwarze Meer ein und nach Jewpatorija, wo sie vor Anker ging. Die russische Segelschiff-Schwarzmeerflotte konnte sich mit der Dampfschiffflotte nicht in ein Gefecht einlassen, und man beschloss, sie am Eingang der Bucht von Sewastopol zu versenken, damit sie dem Geschwader des Gegners den Zugang in diese versperren sollte.
Die Kriegshandlungen konzentrierten sich während des Ostkrieges vornehmlich in der Krim, daher wird der Krieg Russlands mit England und Frankreich in den Jahren 1853 bis 1855 auch Krimkrieg genannt.
Die Stütze der Verteidigung Russlands im Schwarzen Meer war die starke Seefestung Sewastopol. Die Zugänge zur Bucht und ihre Ufer waren gut befestigt und machten Sewastopol für den Feind von der Seeseite her unzugänglich. Aber von der Landseite her war Sewastopol überhaupt nicht befestigt. Seine Garnison war nicht groß, obgleich sie nach der Versenkung der Schiffe noch durch Matrosen ergänzt wurde.
Die Admirale Nachimow und Kornilow leiteten die Verteidigung. Indem sie das Zögern des Gegners ausnutzten, begannen sie, Sewastopol auf der Landseite zu befestigen, dabei auch nicht den leisesten Gedanken an einen Rückzug zulassend. „Wir werden bis zum letzten kämpfen“, schrieb Kornilow in einem seiner Befehle. „Es gibt keinen Weg zum Rückzug, hinter das Meer. Allen Vorgesetzten verbiete ich, das Rückzugssignal zu geben, dann erstecht einen solchen Vorgesetzten; erstecht den Trommler, der es wagen würde, ein solches schmachvolles Signal zu trommeln.“
Im Verlaufe von zwei Wochen wurde die Stadt mit drohenden Bollwerken und Feldbefestigungen umgeben. Die Schiffsgeschütze der versenkten Schiffe wurden in den Batterien aufgestellt. Als die verbündete Armee an Sewastopol herangerückt war in der Hoffnung, die Festung in einem leichten und schnellen Sturm zu nehmen, sah sie mit Erstaunen eine starke Befestigungslinie vor sich. Da die englisch-französischen Truppen nicht damit rechneten, dass ein Sturm Erfolg haben würde, gingen sie zur Belagerung der Stadt über und besetzten Balaklawa und die Fedjuchinhöhen.
Nachdem die Verbündeten Sewastopol eingeschlossen hatten, eröffneten sie am 5. Oktober 1854 ein gewaltiges Artilleriefeuer auf die Festung. Bei dem ersten Bombardement kam der Befehlshaber der Verteidigung, Kornilow, um.
Nach dem Tode Kornilows wurde Admiral Nachimow die Seele der Verteidigung Sewastopols. Die Matrosen nannten ihn einfach Pawel Stepanowitisch. Zwischen Nachimow und den Matrosen herrschte ein tiefes gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Liebe. Er rief die Matrosen auf, ihr Sewastopol bis zum Ende zu verteidigen.
Die von Nachimow erzogenen Matrosen wurden die Löwen der Nachimow genannt. Unter ihrem Einfluss befanden sich sämtliche Soldaten der Garnison Sewastopol.
Die Verteidiger Sewastopols zeigten eine unermüdliche Energie und ein hohes Verantwortungsbewusstsein bei dem Bau der Befestigungsanlagen. Unter der Oberleitung des Ingenieurs Totleben errichteten die Matrosen und Soldaten Befestigungen, besserten die zugefügten Beschädigungen aus, legten Unterstände an. Nicht selten ersetzten die Matrosen die ausgeschiedenen Artilleristen auf den Festungsbastionen. Tag und Nacht machten die Soldaten und Matrosen Ausfälle, überfielen die Vorposten des Feindes, zuweilen drangen sie in die feindlichen Schützengräben ein und begannen ein erbittertes Handgemenge.
Alle Einwohner Sewastopols unterstützten unermüdlich die Verteidiger der Festung – die Soldaten und Matrosen: die Frauen der Matrosen brachten den Verteidigern der Bastionen unter Lebensgefahr Speise und Wasser, schleppten Granaten heran, leisteten den Verwundeten Hilfe; selbst die Halbwüchsigen (altes Wort für Teenager P.R.) und die Kinder der Matrosen bestätigten sich mutig auf den Befestigungsanlagen.
Unter den Verteidigern von Sewastopol befand sich auch der spätere große Schriftsteller Nikolajewitsch Tolstoi. In seinen „Sewastopoler Erzählungen“ schilderte er mit großer künstlerischer Kraft die heroischen Tage der Verteidigung Sewastopols.
Zu Beginn des Jahres 1855 nahm der Kampf noch an Erbitterung zu. Der Feind führte von der Land- wie von der Seeseite her orkanartige Bombardements auf die Festung durch. Am 26. Mai unternahm er den ersten Sturm auf Sewastopol.
Nach einem erneuten Bombardement wurde der Sturm am 18. Juni 1855 wiederholt. Die Feinde stürzten sich auf eine ganze Reihe von Bastionen zugleich. Ungeachtet der Überlegenheit der Kräfte der Stürmenden haben-nach den Worten eines französischen Generals – „die Russen sich selbst übertroffen“.
Aber der Kampf wurde immer schwerer. In Sewastopol gab es nur 50 000 ermüdeter und entkräfteter Kämpfer. Die Verbündeten hatten 100 000 Mann an Truppen und nach wie vor das Übergewicht in der Bewaffnung. Einer nach dem anderen fielen die besten Organisatoren der Verteidigung Sewastopols, Istomin und Nachimow. Totleben wurde schwer verwundet, jeden Tag schieden viele Hunderte von Leuten aus.
Am 27. August 1855 begann der Feind einen neuen Sturm auf Sewastopol. Die russischen Soldaten und Matrosen unternahmen mehr als einmal Gegenangriffe. Die Abhänge des Malachowhügels waren mit Leichen übersät.
Schon war aber Sewastopol nicht mehr zu halten. In der Nacht gingen die Verteidiger auf Befehl des Kommandos auf die Nordseite über, nachdem die Pulverkammern und sämtliche Militärmagazine gesprengt worden waren. Die ruhmvolle 349tägige Verteidigung Sewastopols war beendet. Den Siegern verblieben nur „blutige Ruinen“, wie sie in ihren Meldungen schrieben. Sewastopol war gefallen, aber es war nicht besiegt. Russland war gezwungen, den Pariser Friedensvertrag zu unterschreiben, demzufolge es nicht das Recht hatte, im Schwarzen Meer eine Flotte zu halten.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa
ORIGINAL-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“ aus dem Jahre 1947
Die bürgerlichen Reformen
Der Krimkrieg hatte die Rückständigkeit des leibeigenen Russlands und den gewaltigen Unterschied zwischen der für jede Zeit fortgeschrittenen bürgerlichen Armee und der rückständigen Armee des leibeigenen Russlands anschaulich gemacht. Die russischen Soldaten waren vornehmlich mit alten, langsam schießenden Steinschlossflinten bewaffnet, während die französischen und englischen Infanteristen schnellschießende und weittragende Gewehre hatten. Die russischen Soldaten waren berühmt wegen ihrer Tapferkeit, Ausdauer und Standhaftigkeit. Sie waren jedoch schlecht im Schießen ausgebildet und den Franzosen in der Taktik der aufgelockerten Schlachtordnung unterlegen. Die russische Artillerie war weniger weittragend als die englische und französische; außerdem fehlte es ihr an Pulver und Granaten, die nicht in ausreichender Menge erzeugt wurden. Die Versorgung der Armee mit Proviant hing ebenfalls völlig von der leibeigenen Landwirtschaft ab. Da es an Eisenbahnen fehlte, konnten die Reserven nur langsam herangeschafft werden.
Lenin betonte, dass „der Krimkrieg die Fäulnis und Kraftlosigkeit des leibeigenen Russlands erwies.“
Die Niederlage im Krimkrieg stellte das zaristische Russland vor die Notwendigkeit der unverzüglichen Abschaffung der Leibeigenschaft.
Dies verlangte auch die viele Millionen zählende Bauernschaft, die sich in ununterbrochenen Aufständen gegen das Leibeigenschaftsregime im Lande auflehnte. Die Jahre des Krimkrieges waren die Jahre besonders mächtiger Bauernaufstände. Im Jahre 1854 Hatte die Bauernbewegung zehn Gouvernements ergriffen. In den folgenden Jahren wuchs sie ununterbrochen an. Es ergab sich eine revolutionäre Situation im Lande. Aber die Bauernbewegung zu Anfang der 60er Jahre ging nicht in eine Revolution über. Lenin erklärte diese Tatsache damit, dass zu jener Zeit „das Volk, das Hunderte von Jahren in der Knechtschaft der Gutsbesitzer geschmachtet hatte, nicht imstande war, sich zu einem umfassenden, offenen, bewussten Kampf für die Freiheit zu erheben.“
Die Arbeiterklasse war noch schwach und konnte die Bauernschaft nicht zum Sturm gegen die Selbstherrschaft und die Leibeigenschaft führen.
Aber die Gefahr einer Bauernrevolution war eine Realität und veranlasste die zaristische Regierung, die Leibeigenschaft abzuschaffen.
Während des Krimkrieges im Februar des Jahres 1855, starb Nikolaj I. Den Thron bestieg sein Sohn Alexander II., ein ebensolcher Anhänger der Beibehaltung der Leibeigenschaft und der Unerschütterlichkeit der Selbstherrschaft wie sein Vorgänger. Aber die Gefahr einer Bauernrevolution veranlasste ihn, mit der Vorbereitung der Bauernreform zu beginnen. Im März des Jahres 1856 erklärte er vor einer Deputation der Moskauer Adligen: „Besser die Leibeigenschaft von oben abschaffen, als jene Zeit abwarten, wenn sie anfangen wird, von unter abgeschafft zu werden.“
Es wurde ein Hauptkomitee für die Bauernangelegenheit geschaffen, das aus höchsten Beamten und Großgrundbesitzern, also den Anhängern der Leibeigenschaft, bestand. In den Gouvernements wurden gewählte Komitees aus Adligen gebildet, die die Frage erörterten, wie die leibeigenen Bauern mit geringstem Nachteil für die Gutsbesitzer zu befreien wären.
Die Bauern waren von der Teilnahme an der Vorbereitung der Reform völlig ausgeschaltet, obgleich sie mehr als alle anderen an ihr interessiert waren. Zum Schutze der Interessen der leibeigenen Bauern trat der große revolutionäre Demokrat Tschernyschewskij auf. Er verfolgte aufmerksam den Gang der Reform und zeigte in seinen Artikeln in der Zeitschrift „Sowremennik“, dass die „Befreiung“, die von den Anhängern der Leibeigenschaft durchgeführt wurde, in Wirklichkeit ein Betrug und eine Ausplünderung der Bauern wäre. Tschernyschewskij meinte: wer auch immer die Bauern befreien würde, die Gutsbesitzer, also die Anhänger der Leibeigenschaft, oder die liberale Bourgeoisie, es würde stets nur „eine Scheußlichkeit herauskommen“. Tschernyschewskij forderte völlige Freiheit und unentgeltliche Übergabe der Gutsbesitzerländereien an die Bauern.
Aber die Bauernbewegung war vereinzelt und spontan. Den Anhängern der Leibeigenschaft gelang es, die Reform in einer ihrem eigenen Interesse dienlichen Weise durchzuführen. Am 19 Februar 1861 unterzeichnete Alexander II. das Manifest über die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Bestimmungen über die Regelung der Bauernangelegenheiten.
Die Bauern wurden persönlich für frei erklärt, nunmehr konnte der Gutsbesitzer die Bauern weder kaufen, noch verkaufen, noch austauschen. Er durfte sich nicht in ihr Familienleben einmischen. Die Bauern erhielten das Recht, sich mit Handel und Gewerbe zu beschäftigen, bewegliches und unbewegliches Eigentum zu besitzen. Sie konnten aus dem Bauernstand austreten und sich in den Kleinbürger- oder Kaufmannsstand „überschreiben“ lassen. All dies bedeutete, dass der Bauer laut Gesetz aus einem zwangspflichtigen Sklaven ein freier Mensch geworden war. Die persönliche Abhängigkeit der Bauern von den Gutsbesitzern war aufgehoben. Hierin bestand die große fortschrittliche Bedeutung der Bauernreform des Jahres 1861.
Aber diese ihrem Wesen nach bürgerliche Reform war von den Anhängern der Leibeigenschaft durchgeführt worden. Die Bestimmungen vom 19. Februar 1961 hatten viele feudale Überbleibsel im Dorf am Leben erhalten. In den Händen der Gutsbesitzer war nach wie vor gewaltiger Landbesitz verblieben. Die Ausmaße der Landparzellen der Bauern waren so berechnet, dass ihnen in vielen Gouvernements weniger Land verblieb als vor der Reform. In ganz Russland wurde vom Bauernland mehr als der fünfte Teil weggenommen, „Abgeschnitten“. Dieses Land – die „Otreski“ (Boden“abschnitte“) genannt- blieb in den Händen der Gutsbesitzer. Die Gutsbesitzer behielten mit Absicht die Gemengelage des Bauern- und Gutslandes bei. Das Gutsland zwängte nicht selten in Streifen in das Bauernland und zerschnitt es in Stücke. Die Bauern waren gezwungen, dieses Gutsland zu erhöhten Preisen zu pachten. Für die erhaltenen Bodenparzellen hatten die Bauern den Gutsbesitzern ungefähr 900 Millionen Rubel zu zahlen. Diese Summe entrichtete der Staat für die Bauern. Die Bauern waren jedoch verpflichtet, dem Fiskus diese Gelder mit Zinsen im Verlaufe von 49 Jahren zurückzuzahlen. Bis zur Revolution des Jahres 1905 hatten die Bauern im Ganzen mehr als 2 Milliarden Rubel an Einlösegeldern aufgebracht, In dieser gewaltigen Summe war nicht der nur der Wert des Grund und Bodens, sondern auch das Lösegeld für die Freiheit der Person des Bauern enthalten. Die Bauern erhielten das Land nicht als persönliches (privates) Eigentum, sondern als Eigentum der Bauerngemeinde oder des „Mir“. Die Bauern hafteten „einer für den anderen“ durch den gesamten „Mir“ dafür, dass dem Staat die Einlösegelder und Steuern gezahlt würden.
Die Reform des 19. Februar 1961 konnte die Bauern, die den Übergang des Gutsbesitzerlandes ohne jedes Lösegeld in die Hände gefordert hatten nicht befriedigen. Daher breitete sich nach der Veröffentlichung des Manifestes im ganzen Land eine Massenbewegung der Bauern in weiterem Umfang aus. Unter den Bauern verleitete sich das Gerücht, dass das Manifest und die Bestimmungen vom 19. Februar angeblich nicht die echten Erlasse des Zaren seinen, sondern dass die Beamten und Adligen „die wirkliche Freiheit“ verhehlt hätten. Die Bauern weigerten sich, das neue Gesetz anzukennen und fingen an, die Ländereien der Gutsbesitzer in ihren Besitz zu nehmen. Besonders drohend und anhaltend war der Aufstand der Bauern im Dorfe Besdna im Gouvernement Kasa und im Dorfe Kandejewka im Gouvernement Pensa.
Die aufständischen Bauern durchfuhren die Dörfer mit einer roten Fahne, auf der die Losung Stand: „Das gesamte Land ist unser.! Gegen die Aufständischen wurden Truppen geschickt, die die „Aufrührer“ grausam unterdrückten.
Der Kampf der Bauern um Land und Freiheit wurde von dem revolutionären Demokraten, an deren Spitze Tschernyschewskij und Dobroljubow standen, unterstützt.
Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft war die zaristische Regierung gezwungen, noch andere bürgerliche Reformen durchzuführen, mit dem Ziel, die selbstherrscherisch-polizeiliche Staatsordnung Russlands den neuern Verhältnissen anzupassen. Im Jahre 1864 wurden neue Organe der lokalen Verwaltung: die Kreis – Gouvernements-Semstows geschaffen. Sie verwalteten die Schulen, Krankenhäuser, Wege und das gesamte Wirtschaftsleben des Kreises. Die Semstwos wurden von den adligen Gutsbesitzern geleitet. Ihnen wurden bei den Wahlen die Mehrheit der Stimmen eingeräumt. In die Semstwobehörden konnten auch Bauern, allerdings nur in äußerst beschränkter Anzahl, gewählt werden. Der größte Teil der Sitze der bäuerlichen Vertretet fiel den reichen Kulaken zu. Auf diese Weise war die Gestaltung des gesamten bäuerlichen Lebens nach wie vor in die Hände der adligen Gutsbesitzer gelegt.
Im gleichen Jahr (1864) wurde eine Reform der Rechtspflege durchgeführt. Die Gerichtssitzungen fanden nun öffentlich statt. An den Kreisgerichten nahmen jetzt geschworene Beisitzer aus den Kreisen der Adligen sowie der städtischen und ländlichen Bourgeoisie teil. Zur Verhandlung kleiner Fälle wurden Friedengerichte eingesetzt. Im Dorfe amtierte das Bezirksgericht, nach dessen Entscheidung die Bauern der Prügelstrafe unterworfen werden konnten. Die politischen Fälle wurden vor den Obergerichten und im Senat, die sich in den Händen der Adligen befanden, verhandelt. Bei der zivilen Rechtsprechung kamen Gesetze zur Anwendung, die streng die Interessen der Gutsbesitzer und Kapitalisten wahrten. Die verhafteten Revolutionäre wurden in der Mehrzahl der Fälle ohne Prozess und Untersuchung nach Sibirien verbannt oder ins Gefängnis und Zuchthaus geschickt.
Im Jahre 1870 wurden die städtischen Dumas (Stadträte) geschaffen, die die städtische Wirtschaft, die Schulen, Krankenhäuser und verschiedene städtische Anstalten verwalteten. Die Stadtduma wählte ihr Vollzugsorgan: Die Stadtverwaltung mit dem Stadtoberhaupt an der Spitze. Das Wahlrecht für die städtische Selbstverwaltung hatten nur die reichen Kaufleute und Hausbesitzer. Die Tätigkeit der Stadtdumas stand unter Aufsicht der Gouverneure.
Im Jahre 1874 führte die zaristische Regierung eine Heeresreform durch. An Stelle von Rekrutenaushebungen wurde die allgemeine Militärdienstpflicht eingeführt. Die Jugend, die das 21. Lebensjahr erreicht hatte, erschien zur Einberufung und wurde zum Militärdienst eingezogen. Die Dienstzeit wurde von 25 auf 6 Jahre herabgesetzt, danach wurde der Soldat in die Reserve übernommen. Die Führung der Armee hatten nach wie vor die Adligen. Die Generale und Offiziere gingen mit seltenen Ausnahmen aus dem Adel hervor und erzogen die Soldaten im Geiste der Verteidigung der Interessen des Zaren und der Gutsbesitzer.
Alle diese Reformen zeugten davon, dass in Russland, wie auch in Westeuropa, an der Stelle der alten feudalen Ordnung die neue kapitalistische Ordnung trat, die gegenüber dem Feudalismus ein fortschrittlicheres System darstellte. In Russlandbestanden jedoch nach der Reform vom Jahre 1861 noch viele Überbleibsel der Leibeigenschaft fort, die die Entwicklung des Kapitalismus im Lande hemmten; daher bleib Russland hinter den fortgeschrittenen Ländern Europas immer mehr und mehr zurück. Das zaristische Russland machte erst den ersten Schritt auf dem Wege zur Umwandlung in eine bürgerliche Monarchie.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel
Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa


