Vorwort Dezember 2025

Nun beschäftigt sich DIE TROMMLER mit einem umfangreichen Thema. Das geht über den Jahreswechsel hinaus.

Es geht um eine der vielen kirchlichen Gruppen, welche die Keimzellen für konterrevolutionäre Gruppierungen waren. Hier um eine Laienspielgruppe, die aus einer Gruppe der sogenannten unabhängigen Friedensbewegung der DDR hervorgegangen ist.

In dieser und der nächsten Ausgabe werden die Dokumente vorgestellt. In der Februar-Ausgabe befasst sich DIE TROMMLER mit der Aufgaben, welche vom Bundesarchiv für die heutigen Schülerinnen und Schüler formuliert worden sind.

Das Ganze trägt den Titel „Zersetzung“. Überall auf der Welt ist die Zersetzung eine der Methoden von Geheimdiensten. Es wird aber so getan, als hätte das MfS alleine solche Maßnahmen durchgeführt.

Das Material ist vom Bundesarchiv entnommen worden. Petra Reichel hat das bearbeitet bzw. zusammengefasst.

Material aus dem Bundesarchiv:

Broschüre „Zersetzung“

Quellen für die Schule /: „Zersetzung“ 

 

DIE TROMMLER wünscht allen frohe Weihnachtstage und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Vor allem viel Gesundheit ist ein wichtiger Neujahrswunsch.

Der Beginn der Arbeiterbewegung

Das Proletariat begann mit den ersten Schritten seiner Entwicklung den Kampf gegen die kapitalistischen Unterdrücker. Tausende von Arbeitern, die in einer Fabrik beschäftigt waren, konnten sich miteinander für den Kampf gegen den ausbeuterischen Fabrikanten verabreden. Sie forderten Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, Erhöhung des Arbeitslohnes, Verkürzung der Arbeitszeit. Wenn der Unternehmer es ablehnte, die Forderungen zu befrieden, so legten sie die Arbeit nieder, brachten die Maschinen zum Stehen. Eine solche Einstellung der Arbeit wurde „Statnutjsja“ (Streik) genannt (abgeleitet vom Wort „Staknustjsja“, d.h. sich verabreden). Als die Arbeiter die Forderungen vorbrachten, sagten sie oft: „Wenn man nicht nach unserem Willen tut, so werden wir nicht arbeiten, und damit basta!“  Daher wurden die Streiks auch „Sabastowki“ genannt.

In den ersten zehn Jahren nach der Reform des Jahres 1861 waren die Streiks nicht organisiert und trugen einen spontanen Charakter. Die Arbeiter traten fast ausschließlich mit ökonomischen Forderungen hervor. Viele glaubten noch, dass die Zarenmacht helfen würde, ihre gerechten Forderungen zu erfüllen. Andere brachten ihre schwere Lage mit der Einführung von neuen Maschinen in Zusammenhang, die die Arbeit der erfahrensten und geschicktesten Arbeiter entwertete.

Lenin schrieb über die ersten Aktionen des Proletariats: „Es gab eine Zeit, wo die Feindschaft der Arbeiter gegen das Kapital nur in einem dumpfen Gefühl des Hasses gegen ihre Ausbeuter, in dem undeutlichen Bewusstsein ihrer Unterdrückung und ihrer Knechtschaft und in dem Wunsch, sich an den Kapitalisten zu rächen, Ausdruck fand. Der Kampf äußerte sich damals in einzelnen Aufständen der Arbeiter, die die Gebäude zerstörten, die Maschinen zerbrachen, die Fabrikvorgesetzten verprügelten usw.“

Aber allmählich begann die Arbeiterbewegung, die in der Form von Aktionen gegen die einzelnen Kapitalisten begonnen hatte, den Charakter eines bewussten Kampfes der Arbeiterklasse gegen die gesamte Klasse der Kapitalisten anzunehmen. Aus den Reihen der Arbeiter traten immer mehr Revolutionäre hervor. Anfangs schlossen sich die revolutionären Arbeiter den Volkstümlern (Narodniki) an, die die revolutionäre Bewegung in Russland in den 1860-1870er Jahren, vor dem Auftreten der Marxisten, führten. Die Volkstümler behaupteten irrtümlich, dass der Kapitalismus in Russland eine fremde Erscheinung, dass der Keim der Grundlage des Sozialismus in der Bauerngemeinschaft, d.h. die bäuerliche Gesellschaft sei, die das gesamte zugeteilte Bauernland besitzt. Da die Bauern kein Privateigentum an dem Land besaßen, sondern nur zur Nutzung an den zugeteilten Parzellen des Grund und Bodens, der gesamten Gemeinschaft gehörte, erklärten die Volkstümler die Bauern als „geborene Sozialisten“.

Im Frühjahr des Jahres 1874 beschlossen viele von den Revolutionären, „ins Volk“, d.h. auf die Dörfer zu gehen, um unter den Bauern eine revolutionäre Agitation zu betreiben. Sie versuchten, die Bauern zum Kampf um Land und Freiheit, gegen die Gutsbesitzer und gegen den Zarismus aufzuwiegeln. Wegen dieses „Gehens ins Volk“ wurden sie eben „Volkstümler“ genannt. Der „Gang ins Volk“ erlitt einen völligen Zusammenbruch. Die Polizei, die Kulaken und die Popen (Geistlichen) fingen die Revolutionäre ab. Viele wurden zur Zwangsarbeit und Verbannung verurteilt. Daraufhin gab ein Teil der Volkstümler die Agitation unter den Bauern auf und begann, geheime Verschwörergruppen zu bilden, die sich das Ziel setzten, den Zaren und seine Helfer zu töten und auf diese Weise einen Umsturz in Russland herbeizuführen. Die Anhänger des Terrors schufen die Partei „Narodnaja Wolja“ („Volkswille“), an deren Spitze Sheljabow und Sophia Perowskaja standen.

Am 1. März 1881 töteten die „Narodowolzen“ den Zaren Alexander II. Doch keinerlei Veränderungen zum Besseren ergaben sich hieraus. Den Platz Alexanders II. nahm sein Sohn Alexander III. ein. Die „Narodnaja Wolja“ wurde zerschlagen. Einige ihrer Führer wurden hingerichtet, die anderen eingekerkert. Die Reaktion im Lande verstärkte sich noch mehr.

Die fortschrittlichen Arbeiter, die sich anfangs den Volkstümlern angeschlossen hatten, begannen sie zu verlassen. Sie fingen an zu begreifen, dass nicht die Bauernschaft, sondern die Arbeiterklasse die führende Kraft der revolutionären Bewegung ist.

Unter den fortschrittlichen Arbeitern traten hervorragende Revolutionäre auf. Einer der ersten war der Weber Peter Alexjew. Ursprünglich ein Bauer aus der Smolensker Umgebung, lernte er als Autodidakt lesen und suchte eifrig in Büchern Antwort auf die ihn bewegenden Fragen über die Lage der Arbeiter und Bauern. Peter Alexejew betrieb eine revolutionäre Agitation unter den Arbeitern. Wegen revolutionärer Propaganda verhaftet, hielt er am 10. März 1877 vor Gericht eine bemerkenswerte Rede, die mit den Worten schloss: „Die Millionenmasse des Arbeitervolkes wird ihren muskulösen Arm erheben, und das von Bajonetten geschützte Joch der Despotie wird in Staub zerfallen.“

Lenin nannte diese Rede die große Prophezeiung des russischen Arbeiterrevolutionärs. Peter Alexejew wurde zu zehn Jahren Zwangsarbeit und zur Strafansiedlung in Jakutien verurteilt, wo er auch umkam.

Der revolutionäre Kampf der russischen Arbeiter begann zu jener Zeit, als in Westeuropa die von Marx und Engels geführte Arbeiterklasse bereits beim Aufbau ihrer Klassenorganisationen – der Gewerkschaften und Parteien – war. Zur Vereinigung der Arbeiter im Kampf gegen die Kapitalisten organisierten Marx und Engels im Jahre 1864 die Internationale Arbeiter-Assoziation-die Erste Internationale. Das Ziel der Internationalen Arbeiter-Assoziation war die Vereinigung der Arbeiter aller Länder zwecks Organisation des gemeinsamen Kampfes für die Vernichtung der Herrschaft der Kapitalisten und für die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Die Befreiung der Arbeiterklasse muss die Sache der Arbeiterklasse selbst sein, schrieb Marx in den Statuten der Ersten Internationale. Unter der Leitung der Ersten Internationale. Unter der Leitung der Ersten Internationale organisierten die europäischen Arbeiter erfolgreich Streiks. Im Jahre 1871 stürzten sie Arbeiter von Paris die Macht der Bourgeoisie und riefen die Pariser Kommune aus. Die war die erste Regierung der Arbeiterklasse. Lenin nannte die Kommune das Urbild der Diktatur des Proletariats. Die Pariser Kommune existierte 72 Tage.

Die russischen Revolutionäre, die vor den Verfolgungen des Zarismus ins Ausland geflohen waren, schufen in der Ersten Internationale eine russische Sektion. Im März 1870 wandten sie sich an Marx mit der Bitte, die Vertretung Russlands im Generalrat der Internationale zu übernehmen. Marx nahm dieses Angebot an und schrieb ihnen in seiner Antwort, dass die Aufgabe der Vernichtung des Zarismus in Russland die notwendige Voraussetzung für die Befreiung nicht nur des russischen Volkes, sondern auch des europäischen Proletariats sei.

Die fortschrittlichen russischen Arbeiter waren, ebenso wie die westeuropäischen Arbeiter, bestrebt, ihre eigenen revolutionären Organisationen zu schaffen. Die erste revolutionäre Organisation in Russland war der „Südrussische Arbeiterbund“. Er war von Ewgenij Saslawskij im Jahre 1875 in Odessa gegründet worden und umfasste etwa 200 Metallarbeitet. Dieser Bund bestand ungefähr ein Jahr und wurde von der zaristischen Regierung zerschlagen, sein Organisator Saslawskij wurde zur Zwangsarbeit verurteilt und starb bald darauf im Gefängnis.

Einer der Leiter des „Südrussischen Arbeiterbundes“, Viktor Obnorskij, rettete sich vor der Verhaftung ins Ausland. Dort machte er sich mit der westeuropäischen Arbeiterbewegung bekannt. Nach Russland zurückgekehrt, gründete Viktor Obnorskij gemeinsam mit dem Tischler Stepan Chalturin im Jahre 1878 in Petersburg den „Nördlichen Bund russischer Arbeiter“, in dessen Programm es hieß, dass er sich nach seinen Aufgaben den sozialdemokratischen Parteien des Westens anschließe und sich zum Ziele setze, „die bestehende politische und wirtschaftliche Staatsform als eine äußerst ungerechte zu stürzen“. Bald zerschlug die Polizei auch den „Nördlichen Bund russischer Arbeiter“. Viktor Obnorskij wurde zur Zwangsarbeit verschickt, während Stepan Chalturin, der an dem Anschlag auf den Zaren Alexander II. teilgenommen hatte, am Galgen endete.

Die ersten Arbeiterorganisationen waren noch keine marxistischen, obgleich sie von der Volkstümlerrichtung abgerückt waren. Die fortschrittlichen Arbeiter fingen erst an, sich mit dem Marxismus bekannt zu machen.

 

 

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

 

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“

Die Ausbreitung des Marxismus in Russland

Im Jahre 1872 erschien in Russland der erste Band des großen Werkes von Marx „Das Kapital“. In diesem Werk entdeckte Marx die Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft und begründete die Notwendigkeit des Kampfes des Proletariats für den Sozialismus. Die Lehre von Marx konnte nicht sofort große eine große Verbreitung unter den Arbeitern finden. Die Ideen von Marx muss in ihrem Bewusstsein erst beigebracht werden. Mit der Propaganda der Ideen des Marxismus in Russland begannen gebildete Marxisten mit Plechanow an der Spitze sich zu beschäftigen.

Georgij Walentinowitsch Plechanow 1856 bis 1918
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Unter den Gelehrten und Politikern des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts nimmt Georgij Waltentinowitsch Plechanow (1856 bis 1918) eine der ersten Stellen ein. Er liebte sein Vaterland und entschloss sich, sein Leben dem Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse von ihren Bedrückern und Ausbeutern zu widmen. „Ich bin in Russland geboren“, schrieb Plechanow im Jahre 1895, „und liebe glühend mein Land, obgleich die russischen Gendarmen und ihre Gesinnungsgenossen mich einen Verräter nennen. Meine Kräfte habe ich dem russischen Volk geweiht. Aber gerade deshalb, weil ich Russland und das russische Volk liebe, sehe ich klarer als jene, die dem Wohle unseres Landes gleichgültig gegenüberstehen, wie sehr die Interessen der russischen Regierung den Interessen des russischen Volkes entgegenstehen.“

Seit Jünglingsjahren hatte sich Plechanow den Volkstümlern angeschlossen, aber bereits im Jahre 1879 trat er aus der Organisation „Boden und Freiheit“ aus, da er nicht mit dem Übergang der Volkstümler zur Taktik des individuellen Terrors einverstanden war. Im Jahre 1880 fuhr Plechanow, der vom Zarismus verfolgt wurde, ins Ausland, wo er sich mit den Führern der Arbeiterbewegung bekannt machte und eine Verbindung mit Engels anknüpfte. Gleichzeitig studierte er eifrig die Werke von Marx und Engels. Einen besonders großen Eindruck machte auf ihn „Das Kommunistische Manifest“. „Ich war begeistert von dem ‚Manifest‘ und beschloss sofort, es in die russische Sprache zu übersetzen“, schrieb Plechanow.

Im Herbst 1883 schuf er die erste russische marxistische Organisation – die Gruppe „Befreiung der Arbeit“. Diese Gruppe leistete eine große Arbeit bei der Verbreitung der Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus in Russland. Durch Mitglieder dieser Gruppe wurden viele Werke von Marx und Engels in die russische Sprache übersetzt und herausgegeben. In seinen Briefen an Engels vom 30. Oktober 1894 schreib Plechanow: „Die Propaganda Ihrer Ideen und der Ideen von Marx betrachte ich als Aufgabe meines Lebens.“

In seinen ersten marxistischen Arbeiten „Sozialismus und politischer Kampf“ und „Unsere Meinungsverschiedenheiten“ bewies Plechanow, dass zusammen mit der Entwicklung des Kapitalismus in Russland auch die revolutionäre Arbeiterklasse wächst und dass sie sich zum Entscheidungskampf gegen die Selbstherrschaft vorbereiten muss.

Nachdem sich Engels mit Plechanows Schrift „Unsere Meinungsverschiedenheiten“ bekannt gemacht hatte, schrieb er in einem seiner Briefe, er sei stolz darauf, dass unter der russischen Jugend eine Partei besteht, die sich aufrichtig und ohne Vorbehalte zu den großen ökonomischen und historischen Theorien von Marx bekennt.

Eine große Rolle in der Vorbereitung zur Schaffung einer marxistischen sozialdemokratischen Partei in Russland spielten zwei Programmentwürfe der russischen Sozialdemokraten, die von der Gruppe „Befreiung der Arbeit“ ausgearbeitet worden waren. In diesen Programmentwürfen jedoch, wie auch in einigen anderen Arbeiten Plechanows, waren schwerwiegende Fehler enthalten. Plechanow war der Meinung, dass die Bauernschaft kein Verbündeter des Proletariats im Kampf gegen sie Selbstherrschaft sein könne, er berücksichtigte nicht, dass nur im Bündnis mit der Bauernschaft die Arbeiterklasse den Sieg über den Zarismus erringen kann. Zur gleichen Zeit hielt er die liberale Bourgeoisie für eine ernsthafte revolutionäre Kraft. Diese Fehler führten dazu, dass in der Folgezeit Plechanow Menschewik wurde und gegen Lenin und die Bolschewiki kämpfte.

Anfang der 1880er Jahre, unter dem Einfluss der fortschrittlichen revolutionären Arbeiter, begann die Arbeiterklasse mutiger für die Verteidigung ihrer Interessen aufzutreten. In den zehn Jahren von 1870 bis 1880 fanden mehr als 200 Streiks statt. Ein besonders großer Streik wurde im Jahre 1878 in der neuen Baumwollspinnerei in Petersburg durchgeführt. An diesem Streik nahm der Arbeiter Peter Mojsejenko teil, der später eine hervorragende Rolle bei dem Streik in der Morosowfabrik in Orchechowo-Sujewo im Jahre 1885 spielte.

Der Streik in der Morosowfabrik zeigte die Geschlossenheit und die kameradschaftliche Solidarität der Arbeiter. Er hatte bereits seine Organisatoren und Leiter. Einer von ihnen war der Weber Peter Anissimowitsch Mojsejenko. Er eben erst aus der Verbannung zurückgekehrt, wohin er als Mitglied des „Nordbundes russischer Arbeiter“ wegen Teilnahme an den Petersburger Streiks verschickt worden war. Gemeinsam mit den ortsansässigen Arbeitern Luka Iwanow und Wassilij Wolkow arbeitete Peter Mojsejenko für die Arbeiter ein Programm ihrer Forderungen aus. Dieses Programm wurde auf geheimen Versammlungen der Arbeitervertreter durchgesprochen und den Fabrikanten vorgelegt. Der Streik dauerte acht Tage und zeichnete sich durch große Hartnäckigkeit aus. Er wurde gebrochen, nachdem die Polizei sämtliche Führer und 600 aktive Teilnehmer am Streik verhaftet hatte. Mojsejenko, Luka Iwanow, Wassilij Wolkow und andere Arbeiter wurden dem Gericht übergeben. Vor Gericht wurden derartig ungeheuerliche Zustände in der Morosowfabrik festgestellt, dass selbst die für dieses Gericht besonders ausgewählten Geschworenen gezwungen waren, die Unschuld der Streikführer anzuerkennen.

Der Streik bei Morosow war der größte von allen vorhergegangen. Er bedeutete den Beginn einer Massenbewegung der Arbeiter. Die Spontanität der Streiks fing an, durch ihre organisierte Durchführung ersetzt zu werden. In den Forderungen der Streikenden ertönten nun nicht mehr das jammernde Flehen und Bitten, sondern die machtvollen Forderungen der neuen revolutionären Klasse, die begonnen hatte, sich ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst zu werden.

Der Streik bei Morosow erschreckte den Zaren Alexander III. und seine Minister. Im Jahre 1886 wurde ein Gesetz über die Geldstrafen und die Lohnbücher erlassen. Nach diesem Gesetz sollten die Strafgelder nicht den Fabrikanten zugutekommen, sondern für die Bedürfnisse der Arbeiter selbst verwendet werden. Der Streik hatte dem Zarismus gezeigt, dass die Arbeiterklasse eine drohende Macht werden kann. Im Streik bei Morosow trat das Proletariat zum ersten Mal als fortschrittliche Kraft der revolutionären Bewegung auf.

 

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

 

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“

Das Anwachsen des Kapitalismus in Russland nach der Reform des Jahres 1861

Das zaristische Russland beschritt später als die Länder Westeuropas den Weg der kapitalistischen Entwicklung. Zu jener Zeit, als im Westen – in England, Frankreich und Deutschland – die Maschinengroßindustrie schnell anwuchs und mit ihr zusammen auch das Proletariat, herrschte in Russland noch die wenig produktive, unfreiwillige Leibeigenenarbeit. Nach der Reform des Jahres 1861 begann sich der Kapitalismus in der Industrie und der Landwirtschaft schneller zu entwickeln.

In den ersten Jahrzehnten nach der Reform wurden vor allem im Eisenbahnbau Kapitalien investiert. Von 1861 bis 1881 wurden mehr als 19 000 Kilometer Eisenbahnen gebaut. Für den Eisenbahnbau waren Stahl- und Eisenerzeugnisse notwendig. Dies bewirkte eine Belebung der metallurgischen und eisenverarbeitenden Industrie.

Im Jahre 1871 wurde der erste Hochoffen in der Ukraine in Jusoka (später Stalino) angeblasen.

(Die Stadt wurde 1924 zu Ehren Stalins in Stalino umbenannt. Nach dem Tod Stalins und als Stalin verdammt wurde, hatte man im Jahre 1961 die Stadt in Donezk umbenannt. Diese Stadt liegt im Donbas. Von 2014 bis 2022 war Donezk die Hauptstadt der Volksrepublik Donezk, die mit Russland verbündet war. Seit 2022  gehört die Volksrepublik Donezk zur Russischen Föderation, wobei Donezk weiterhin ihre Hauptstadt ist. Die Ukraine beansprucht dieses Gebiet für sich.  Siehe Wikipedia und den KI-Text P.R.) Für KI-Text Stalino im Browser eingeben.

Die im Süden gelegenen Werke begannen Schienen und andere Gegenstände für den Eisenbahnbau herzustellen, die früher aus dem Ausland eingeführt wurden. Die Förderung von Steinkohle in der Ukraine erhöhte sich in der gleichen Zeit um das 15fache.

Im Süden Russlands entstand ein neuer Industriebezirk: das Donez-Steinkohlebecken (Donbass).

Im Kaukasus entwickelte sich im schnellen Tempo der Bakuer Erdölbezirk, in dem der wertvolle flüssige Brennstoff: das Erdöl, gewonnen wurde. Es entwickelten sich und erstarkten solche Industriezentren wie Petersburg, Moskau, Jekaterinoslaw (später Dnjeproetrowsk), Rostow, Charkow, Odessa.

Im Kaukasus entwickelte sich im schnellen Tempo der Bakuer Erdölbezirk, in dem der wertvolle flüssige Brennstoff: das Erdöl, gewonnen wurde. Es entwickelten sich und erstarkten solche Industriezentren wie Petersburg, Moskau, Jekaterinoslaw (später Dnjeproetrowsk), Rostow, Charkow, Odessa.

Die Abschaffung der Leibeigenschaft begünstigte das Eindringen des Kapitalismus auch auf dem Land. Die Gutswirtschaften verwandelten sich allmählich in kapitalistischen Wirtschaften. Ein Teil der Gutsbesitzer konnte sich den neuen Verhältnissen nicht anpassen und wurde ruiniert. Ihr Land kauften die Kulaken (die reichen Bauern) auf. Im Dorf nahm die Klassenschichtung zu. Es sonderte sich der kleine Teil der reichen Bauern, der Kulaken aus; die Mehrzahl der Bauern setzte sich aus armen Kleinbauern und Mittelbauern zusammen.

Die Gutsbesitzer verpachteten das Land in großen Flächen an die Kulaken für einige Jahre, die Kulaken ihrerseits verpachteten es an die mittellosen Bauern gewöhnlich auf ein Jahr. Der Mangel an Land bei der übergroßen Masse der Bauern zwang sie, Land zu pachten oder sich als Knechte den Kulaken und Gutsbesitzern zu verdingen. Für die Pacht mussten die Bauern mit ihrem eigenen Inventar das Land des Gutsbesitzers oder des Kulaken bearbeiten. Es waren dies die alten leibeigenen Frondienste in der neuen Form der Abarbeit. Eine andere Form dieses Frondienstes war die Halbpacht, bei der die Bauern für das gepachtete Land die Hälfte ihres Ernteertrages in natura abgeben mussten. Das Ergebnis war, dass die Bauern ruiniert wurden und viele als Knechte sich verdingten oder in die Stadt nach Arbeit gingen. Die Überbleibsel der Leibeigenschaft hinderten die Entwicklung des Kapitalismus. Dies hatte zur Folge, dass Russland hinter den anderen kapitalistischen Ländern zurückblieb.

Nichtsdestoweniger entwickelte sich der Kapitalismus in Russland unaufhaltsam weiter. Lenin schrieb, indem er das Fazit aus den Erfolgen des Kapitalismus am Ende des 19. Jahrhunderts zog: „Das Russland des Hakenpfluges und des Dreschflegels, der Wassermühle und des Handwebstuhles begann sich schnell in das Russland des Pfluges und der Dreschmaschine, der Dampfmühle und des Dampfwebstuhles zu verwandeln.“

Mit der Entwicklung des Kapitalismus in Russland war, wie auch in anderen Ländern, das Aufkommen der Arbeiterklasse und das Entstehen einer Arbeiterbewegung verbunden. Als Ergebnis der Reform des Jahres 1861 wurden 10 Millionen Bauern von der leibeigenen Abhängigkeit befreit. Viele von ihnen gingen, da sie nicht mit Land versorgt waren, in die Fabriken und Werke, zu den Eisenbahnarbeiten, zu verschiedenen Bauunternehmen, sowie als Knechte zu den Kulaken und Gutsbesitzern. Innerhalb von 20 Jahren (1861 bis 1881) verdoppelte sich die Zahl der Arbeiter in Russland und stieg auf 668 000. Die neuen Unternehmungen zeichneten sich durch große Ausmaße aus. Ende des 19. Jahrhunderts waren auf den Unternehmungen mit mehr als je 1000 Arbeitern mehr als ein Drittel sämtlicher Arbeiter Russlands beschäftigt. Die gemeinsame Arbeit in großen Unternehmungen begünstigte den Zusammenschluss der Arbeiterschaft, und der gemeinsame Kampf gegen die Ausbeuter entwickelte in ihnen kämpferische, revolutionäre Eigenschaften. Auf diese Weise formte sich eine neue Gesellschaftsklasse: das Proletariat, das sich von Grund aus von den leibeigenen Arbeitern und kleinen Handwerkern unterschied.

Die Arbeitsbedingungen der Arbeiter waren äußerst schwer. Der Arbeitstag war nicht gesetzlich geregelt. Nicht selten erreichte er 15 bis 16 Stunden. Der Arbeitslohn war erbärmlich. Besonders niedrig wurde die Frauenarbeit bezahlt. Für eine der Männerarbeit gleichwertige Arbeit erhielt die Frau einen geringeren Arbeitslohn. Die Arbeit der Jugendlichen und Kinder wurde noch schlechter bezahlt. Die Arbeit der Jugendlichen z.B. in der Krenholmer Textilmanufaktur dauerte von früh vier Uhr bist acht Uhr abends. Bei einer 16stündigen Tagesarbeit erhielten sie 4 Rubel im Monat. Aber ausgezahlt bekamen sie nur 8 Kopeken. Der Eigentümer der Fabrik behielt für Unterhalt der Jugendlichen 6 Rubel und 50 Kopeken im Monat ein. Auf diese Weise blieb der jugendliche Arbeiter dem Fabrikanten, nachdem er einen Monat gearbeitet hatte, noch 2 Rubel 58 Kopeken schuldig. Diese Schuld musste er abarbeiten, sobald er ein selbstständiger Arbeiter geworden war.

Die Fabrikanten bestraften die Arbeiter erbarmungslos. Die Strafen wurden völlig willkürlich auferlegt. Oft betrogen die Fabrikanten die Arbeiter bei der Auszahlung des Arbeitslohnes, gaben ihnen an Stelle von Geld minderwertige Produkte aus dem Fabrikladen und berechneten sie zwei- bis dreimal teurer, als diese auf dem Markt kosteten. Außerordentlich schlecht waren die Wohnverhältnisse. In jeder der kleinen Kammern der Arbeiterkasernen waren mehrere Familien untergebracht.

Über die unerträgliche Lage der Arbeiter gibt die Semstwo-Sanitätskommission, die zu Beginn der 1880er Jahre in Ursachen der Arbeiterunruhen in der Chludowmanufaktur (an der Station Jarzewo der Moskau-Brester Eisenbahnlinie gelegen) untersuchte, in ihrem Bericht Zeugnis:

„Die Millionenfabrik (Chludows), eine Brutstätte jedweder Seuche, erscheint zur gleichen Zeit als das Muster der erbarmungslosen Ausbeutung der Volksarbeit durch das Kapital. Die Arbeit in der Fabrik findet unter äußerst ungünstigen Bedingungen statt: Die Arbeiter müssen den Baumwollstaub einatmen, sind der Einwirkung der erdrückenden Hitze bis 28,2 O R. ausgesetzt und haben auch noch den erstickenden Geruch zu ertragen, der aus den schlecht angelegten Retiraden sich verbreitet. Die Fabrikleitung erklärte, dass sie keine Verbesserung dieser Retiraden aus dem Grunde vornimmt, weil im entgegengesetzten Falle, bei der Abstellung der üblen Ausdünstungen, diese Orte sich in Erholungsorte für die Arbeiter verwandelt würden, und man diese dann von dort mit Gewalt herausjagen müsste. Wie müssen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in dieser Fabrik gewesen sein, wenn sogar die Retiraden zu Erholungsorten werden konnten!

Tag und Nacht wird gearbeitet. Jeder muss zwei Schichten am Tag arbeiten, alle sechs Stunden wird Pause gemacht, so dass der Arbeiter niemals ganz ausschlafen kann. Die Arbeiter werden in der Nähe der Fabrik in einem großen feuchten Gebäude in der dritten Etage untergebracht, das, gleich einer gewaltigen Menagerie, in Käfige und Kammern eingeteilt ist, die schmutzig und stinkig, von dem Geruch der Aborte (altes Wort für Toilette P.R.) geschwängert sind. In diese Kammern sind die Bewohner hineingepfropft, wie Heringe in der Tonne.“

Die Arbeiter in der Fabrik Chludows wurden auf ein Jahr gedungen. In ihren Arbeitsbüchern war angegeben, dass sie nicht das Recht hatten, die Fabrik vor Ablauf eines Jahres zu verlassen. Die Fabrikverwaltung aber konnte den Arbeiter zu jeder beliebigen Zeit auf die Straße setzen. Den Lohn erhielten die Arbeiter nicht in Gestalt von Geld, sondern in Gestalt von Lebensmitteln und Kleidung aus dem Laden des Arbeitgebers.

Einer besonders grausamen Ausbeutung waren in dieser Fabrik die Kinder und Jugendlichen, die fast die Hälfte der gesamten Belegschaft ausmachten, ausgesetzt. Laut Zeugnis des Semstwoarztes waren die Kinder so überanstrengt, dass sie bei einer als Folge einer Körperversetzung etwa notwendig machenden Operation ohne jede Narkose einschliefen.

Strafen und Abzüge jeglicher Art verringerten den Arbeitslohn um einen beträchtlichen Teil.

Die Lage der Arbeiter in der Fabrik Chludows war kein Ausnahmefall.

Eine fürchterliche Ausbeutung der Arbeiter in den Fabriken und Werken des zaristischen Russlands war eine übliche und überall anzutreffende Erscheinung. Sie verschaffte den Fabrikanten und Werkbesitzern gewaltige Profite, die Arbeiter überanstrengte sie, machte sie zu Invaliden und führte zu vorzeitigem Tod. In Russland, wie auch überall, wuchs der Kapitalismus auf den Knochen und dem Blut der Arbeiter.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“

Die Entwicklung der russischen Kultur im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert waren Russland und Westeuropa bei weitem enger verbunden als im vorhergehenden Jahrhundert.

Während des Krieges mit Napoleon im Jahre 1812 und in der Zeit der europäischen Feldzüge 1813 bis 1815 lernte Europa Russland und Russland Europa näher kennen. Die Völker Europas verfolgten den heroischen Kampf des russischen Volkes um seine Unabhängigkeit mit Begeisterung. Die russischen Menschen bangten um das Schicksal ihres Vaterlandes. In ihnen wuchs das Streben, ihr Vaterland frei, gebildet und glücklich zu machen. „Jeder fühlte, dass er berufen ist, an der großen Aufgabe mitzuwirken“-bezeugte der Dekabrist Jukuschkin. „Wir waren Kinder des Jahres 1812“ – so erklärte der Dekabrist Murawjow-Apostol die Entstehung seines Freidenkertums.

Auf diese Weise gaben der Vaterländische Krieg des Jahres 1812 und die darauffolgenden Feldzüge in Europa der Erweckung des Nationalbewusstseins des russischen Volkes einen starken Anstoß. Die Gefahren des Jahres 1812 erweckten die russische Nation, schrieb späterhin Tschernyschewskij.

Die Liebe zum Vaterland war bei den russischen Menschen von dem leidenschaftlichen Streben durchdrungen, Russland zu reformieren und es in die Reihe der fortschrittlichen Länder zu stellen. Der Kampf um die Aufklärung Russlands wurde das allgemeine Programm aller fortschrittlichen Menschen des Landes. Der Menschenverstand wurde als jene Kraft anerkannt, die das in Unwissenheit und Unterdrückung schmachtende Russland auf den Weg der Freiheit führen sollte.

Der allgemeine Hang zur Aufklärung zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte auch nicht ohne Auswirkung auf die Maßnahmen der Regierung im Bildungswesen bleiben. Im Jahre 1802 wurde ein Ministerium für Volksaufklärung, Jugenderziehung und Verbreitung der Wissenschaften geschaffen. Zwar war das Ministerium von dem sich im Lande weithin entfaltenden „Freidenkertum“ sehr beunruhigt, jedoch „der Geist der Zeit“ zwang es, sich mit der Einführung der Bildung zu beschäftigen.

Außer der bereits von Lomonossow geschaffenen Moskauer Universität wurden im Jahre 1804 die Universitäten in Kasan, Charkow, Wilno und Derpt (Dorpat) errichtet.

Die Universitäten sollten Bildungszentren des Landes werden. Um sie herum wurden wissenschaftliche Gesellschaften geschaffen. Die besten Professoren und Gelehrten des Landes hielten in den Universitäten Vorlesungen, schrieben Lehrbücher. Die führende Rolle sowohl im wissenschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Leben spielte die Moskauer Universität. Selbst nach der Niederwerfung des Dekabristenaufstandes, als die zaristische Regierung das Bildungswesen stark beengte, bewahrte die Moskauer Universität auch weiterhin diese Rolle.

Die zaristische Regierung, die das Anwachsen von Bildung für gefährlich hielt, war bemüht, den Zutritt der Rasnotschienzy in die Schulen, Gymnasien und Universitäten zu beschränken. In den Gymnasien und Universitäten wurde eine hohe Unterrichtsgebühr, die für die Rasnotschienzy unerschwinglich war, eingeführt. An jeder Universität wurde die Zahl der Studenten stark vermindert. Das Lehrprogramm wurde überprüft, um aus ihm „den Geist des Freidenkertums“ auszurotten.

Die zaristische Regierung konnte jedoch das mächtige Streben des russischen Volkes nach Wissen und Fortschritt nicht aufhalten. Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft war das Bedürfnis des Landes nach Bildung noch mehr gewachsen. Der Kapitalismus erforderte gelernte Arbeiter, fähige Techniker und kundige Ingenieure. Die Semstwos eröffneten in den Dörfern die Semstwoschulen. In den Städten erhöhte sich die Zahl der städtischen Schulen und der Gymnasien. In den 1860er Jahren wurde das erste Mädchengymnasium errichtet, in den 1870er Jahren wurden in Petersburg die Akademischen Frauenkurse, die den Grund zur akademischen Ausbildung der Frauen legten, geschaffen.  Dem Bedarf der Kapitalisten an technischem Personal Rechnung tragend, eröffnete das Finanzministerium am Ende des 19. Jahrhunderts drei polytechnische Institute und eine beträchtliche Anzahl von mittleren Handels- und technischen Schulen. Die Entwicklung der mittleren und Hochschulbildung, der allgemeinen und speziellen Bildung förderte das Wachstum der russischen Wissenschaft.

Die Entwicklung der russischen Wissenschaft im 19. Jahrhundert zeitigte große Erfolge, die sie nicht nur auf gleiche Stufe, sondern in vielem an die Spitze der Wissenschaft Westeuropas stellten.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkte sich in Russland in ungewöhnlichem Maße das Interesse an den „politischen Wissenschaften“, insbesondere an der Geschichtswissenschaft.

Der russische Historiker Karamsin gab im Jahre 1818 die ersten Bände seines Werkes „Geschichte des Russischen Reiches“ heraus. Ungeachtet dessen, dass der Autor reaktionäre, monarchistische Ansichten verfocht, machten sich die russischen Menschen nach diesen Büchern mit starkem Interesse mit der großen Vergangenheit ihres Vaterlandes bekannt. Puschkin, der dieses Verdienst Karamsins hervorhob, dass Karamsin die Geschichte Russlands ebenso entdeckte wie Kolumbus Amerika.

Nach Karamsin arbeiteten viele russische Gelehrte an der Erforschung der Geschichte Russlands. Das hervorragensde Geschichtswerk in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das vielbändige Werk des berühmten russischen Historikers Solowjów „Geschichte Russlands von den ältesten Zeiten an“.

Die russischen Gelehrten erforschten die Vergangenheit und Gegenwart ihres Landes und seine natürlichen Reichtümer. Damit beschäftigten sich die russischen wissenschaftlichen Geographen. Die kolossalen Gebiete von der Ostsee bis zum Stillen Ozean und von der Arktis bis zum Schwarzen Meer wurden auf Karten eingetragen, in geographische Atlanten aufgenommen, mit Hilfe von wissenschaftlichen Expeditionen beschrieben und erforscht. Die russischen Geographen beschränkten sich aber nicht mehr auf die Erforschung des weiten russischen Landes. In den Jahren 1803 bis 1806 machte Krusenstern als erster Russe eine Reise um die Welt. In den Jahren 1819 bis 1821 gelangte die russische Expedition von Lasarew, die sich durch die Eismassen durchgeschlagen hatte, als erste bis zu den Ufern der Antarktis. Über den ganzen Stillen Ozean liegen Inseln verstreut, die bis auf den heutigen Tag (Stand 1947 P.R.) ihre russischen Bezeichnungen behalten haben:

Die Suworow-Insel, die Kutusow-Insel, die Sandbank „Beregisj“ usw.

Im Jahre 1871 gelangte der russische Gelehrte Miklucha-Maklaj bis zur Insel Neuguinea. Das war der erste Europäer, der zu einem Stamm der Papuas kam, sich unter ihnen einige Jahre aufhielt und ihre Lebensweise und Bräuche erforschte.

Die Expeditionen von Przewalskij, Pewzow, Potanin, Koslow drangen in das Innere von Zentralasien und lieferten der Weltwissenschaft ihren unschätzbaren Beitrag.

Die schöpferischen Ideen der russischen Gelehrten offenabarten sich im 19. Jahrhundert auf allen Wissensgebieten.

Die russische Wissenschaft begann mit den Arbeiten des genialen Lomonossow, der den Grund zu vielen Naturwissenschaften und exakten Wissenschaften legte. Seine Fortsetzer waren, gleich ihm, Aufklärer des russischen Volkes und neuer der Wissenschaft.

Einer von diesen Neuerern war der Professor der Universität Kasan, der geniale Mathematiker Lobatschewskij. Er stellte sein geometrisches System auf, das eine neue Vorstellung vom Raum gab. Der englische Mathematiker Sylvester nannte Lobatschewskij „den Kopernikus der Geometrie“.

In den Jahren 1802 bis 1803 entdeckte der russische Physiker Petrow unabhängig von den ausländischen Gelehrten die Elektrolyse die Grundlage der modernen Elektrochemie. Er entdeckte den Lichtbogen einige Jahre früher als die europäischen Gelehrten.

Die russischen Gelehrten und Erfinder wandte den elektrischen Strom als erste in der Praxis an. Im Jahre 1832 baute Schilling in Petersburg als erster in der Welt einen elektromagnetischen Telegraphen; er hatte ihn zwischen dem Ministerium der Verkehrswege und dem Winterpalast eingerichtet. Einige Jahre später wurde ein ähnlicher Apparat von den Engländern Whitestone und Cook erfunden und erhielt eine weltweite Verbreitung.

Im Jahre 1833 baute der Mechaniker Tscherepanow im Ural die erste russische Dampflokomotive einer originalen Bauart.

Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft waren günstigere Bedingungen für die Entwicklung der russischen Wissenschaft geschaffen. Die Gelehrten und Erfinder begegneten jedoch nach wie vor Hindernissen auf dem Wege zur Verwirklichung ihrer schöpferischen Ideen.

Der russische Erfinder Jablotschow konstruierte die erste elektrische Bogenlampe in der Welt. Im Jahre 1875 erleuchteten die „Jablotschkowkerzen“, die unter den regierenden Kreisen des zaristischen Russlands keinerlei Interesse hervorriefen, die Kaufläden und Straßen von Paris. Das von Jablotschkow erfundene elektrische Licht nannten die Franzosen „das russische Licht“. Der russische Elektrotechniker Popow hat als erster den Radiotelegraphen im Jahre 1895 erfunden, jedoch wurden für seine Versuchsanlagen keine Gelder bewilligt. Als Antwort auf das diesbezügliche Gesuch traf der Kriegsminister den Beschluss: „Für ein solches Hirngespinst bewillige ich keine Mittel.“  Der Italiener Marconi wiederholte später die Erfindung des russischen Gelehrten und erhielt volle Anerkennung.

Der hervorragende Mechaniker, der Vater des russischen Flugwesens, Shukowskij, führte erstmalig die Erforschung der Aerodynamik und der Theorie des Flugzeugbaus ein, seine Arbeiten fanden jedoch erst unter der Sowjetmacht Anwendung.

Nikolaj Jegorowitsch Shukowskij 1847 bis 1921
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Der große Chemiker Mendelejew formulierte im Jahre 1869 das geniale Gesetz: Die Eigenschaften der Elemente befinden sich in periodischer Abhängigkeit von ihrem Atomgewicht.“

Dmitrij Iwanowitsch Mendelejew 1834 bis 1907
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Entsprechend diesem Gesetz stellte er die periodische Tabelle der Elemente zusammen, die einen gewaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Chemie ausübte. Die Eigenschaften jener Elemente, die in der Tabelle fehlten, wurden von Mendelejew genau vorhergesagt, und diese Elemente wurden in der Folgezeit entdeckt.

Mendelejew arbeitete auf den verschiedensten Gebieten der Naturkunde, er beschäftigte sich mit den Fragen der Entwicklung der Technik und der Industrie. Er war ein eifriger Anhänger der Errichtung mit fortschrittlicher Technik ausgerüsteten Fabriken und Werken in Russland, und er erblickte in der Industrialisierung des Landes einen Ausweg aus seiner Rückständigkeit. Mendelejew hielt Russland „für einen schlafenden Riesen, für den die Stunde des Erwachens angebrochen war“.

Mendelejew war als Gelehrter kein Einzelgänger wie Lomonossow, sondern Vertreter einer mächtigen wissenschaftlichen Bewegung, die das Russland des 19. Jahrhunderts auf einen der ersten Plätze der Weltwissenschaft stellte.

In der Reihe der Gelehrten von Weltbedeutung befinden sich die russischen Gelehrten I.M. Setschenow, I.I. Metschnikow, K.A. Timirjasew, I.P. Pawlow.

Iwan Michajlowitsch Setschenkow 1829 bis 1905
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Der schöpferische Genius des russischen Volkes zeigte sich auf allen Gebieten der Kultur. Jedoch die größte Erhabenheit und Stärke erreichte er in der russischen Literatur. Schon im 18. Jahrhundert wies in der russischen Literatur viele ruhmvolle Namen auf: Lomonossow, Dershawin, Fonwisin, Radischtschew. Das 19. Jahrhundert setzte die ganze Welt durch den mächtigen Aufschwung der künstlerischen Literatur in Russland in Erstaunen. Der große proletarische Schriftsteller Maxim Gorki hebt ausdrücklich hervor, dass „keine einzige der Literaturen des Westens mit einer solchen Stärke und Schnelligkeit, in solch mächtigem, blendendem Glanze des Talentes ins Leben getreten ist….Nirgends hat sich in einer Zeitspanne von weniger als 100 Jahren ein solch helles Sternbild großer Namen, wie in Russland gezeigt“.

In diesem „Sternbild großer Namen“ gab es aber einen Stern erster Größe. Dies war der große russische Dichter Alexander Sergejewitsch Puschkin. Seine Bedeutung als nationaler Genius war schon von seinen Zeitgenossen begriffen worden. „Die Stimme des Volkes bezeichnete ihn als russischen nationalen Volksdichter“, schrieb Belinskij über Puschkin.

Alexander Sergejewitsch Puschkin 1799 bis 1837
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Puschkin war der Schöpfer der modernen russischen Literatursprache und sämtlicher Arten der russischen Literatur. Mit „Eugen Onegin“, die Enzyklopädie des russischen Lebens, wie Belinskij dieses Werk charakterisierte, legte er den Grund zum russischen Roman, mit der „Hauptmannstochter“ schuf er die erste russische historische Erzählung. Mit seiner Tragödie „Boris Godunow“ gab er das Vorbild für das russische historische Drama. Mit seinen lyrischen Gedichten pflanzte Puschkin, nach den Worten Turgenjews. „als erster mit kraftvoller Hand schließlich die Fahne der Poesie tief in die russische Erde“.

Puschkins Schaffen, vollendet in seiner Form, weist einen tiefen Ideengehalt auf. Seine Werke sind von Liebe und Mitgefühl der Unterdrückten, von Hass gegen die Tyrannen erfüllt. Die düsteren Bilder des Lebens im Lande der Leibeigenschaft weckten des Dichters Zorn und Tadel. Nach Radischtschew schrieb Puschkin die „Ode auf die Freiheit“, in der er zur Vernichtung der Selbstherrschaft aufrief. Mit dem Gedicht „Das Dorf“ brandmarkte Puschkin zornig „das Geschlecht von Herren, die jedes Recht verhöhnen“, das „sein Joch erbarmungslos dem Landmann aufs Genick“ legte.

Puschkin, der den Ideen der Dekabristen warme Sympathie entgegenbrachte, verfasste bemerkenswerte „Sendschreiben nach Sibirien“ und schickte es durch die Frau eines der Verurteilten an die verbannten Dekabristen. Er rief die Dekabristen auf, die Hoffnung nicht zu verlieren und bis zum Ende für die Sache der Freiheit einzutreten.

Die letzten Lebensjahre des großen Dichters vergingen in der qualvollen Atmosphäre von Verleumdungen, Denunziationen und Demütigungen. Im Jahre 1837 wurde er von Dantes, einem Offizier vom Zarenhof, im Duell getötet. In seinem Gedicht „Auf den Tod des Dichters“ brandmarkte Lermontow nicht nur den Mörder, sondern auch die Würdenträger, die den Thron umgaben.

Puschkins Beitrag zur Weltliteratur erkennen bis zum heutigen Tage die fortschrittlichen Menschen aller Länder an. Das Sowjetland ehrte seinen großen nationalen Dichter in hohem Maße. Puschkin war der beliebteste Dichter sämtlicher Völker der Sowjetunion.

Michail Jurewitsch Lermontow 1814 bis 1841
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Lermontow, der Nachfolger Puschkins, hielt es gleichfalls für die Pflicht des Dichters und Schriftstellers, dem Vaterland und der Freiheit zu dienen. In den Poemen „Mzyri“, „Das Lied vom Zaren Iwan Wassiljewitsch“, „Dämon“ und im Roman „Ein Held unserer Zeit“ schuf Lermontow das Bild eines stolzen, freiheitsliebenden Menschen, der sich der Unterdrückung und dem zwang nicht fügen will. Der rebellische Held des Poems „Mzyri“ kennt „nur die eine, aber flammende Leidenschaft“: die Liebe zur Freiheit. Die Lermonontowschen Dichtungen, Verse und Romane sich erfüllt von heißer und eindringlicher Liebe zum Vaterland, von Mitgefühl für die Unterdrückten und von Hass gegen die Bedrücker.

Nikolaj Wassiljewitsch Gogol 1809 bist 1852
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts zeichnete der große russische Schriftsteller Gogol treffende und wahrheitsgetreue Bilder des russischen Lebens in seinen Werken.  Seine genialen Schöpfungen „Der Revisor“, „Die toten Seelen“ und andere erschütternde, zornerfüllte Bilder des leibeigenen Russlands. Herzen schrieb über den Eindruck, den Gogols „Tote Seelen“ hervorriefen: „Die Toten Seelen‘ haben ganz Russland erschüttert. Eine solche Anklage war dem zeitgenössischen Russland notwendig. Die ist eine Krankheitsgeschichte, von Meisterhand geschrieben.“

In Gogols Werken „Der Revisor“, „Die toten Seelen“, „Der Mantel“ sind Typen geprägst worden, worin „unter dem sichtbaren Lachen“ des Dichters seine „der Welt unsichtbaren Tränen“ verborgen waren. Bei der Darstellung solcher Gestalten wie Tschitschikow, Sobakewitsch, Manilow und Chlestakow sah Gogol gleichzeitig schon ein neues Russland vor sich und sehnte sich danach, indem er rief: „Russland! Russland! Ich sehe dich von meiner wunderbaren, herrlichen Ferne, ich sehe dich!“ Gogol schuf aber auch positive Gestalten. Eine solche ist die des Sohnes des ukrainischen Volkes Bulba.

Der große Satiriker Saltykow-Schtschedrin entlarvte in seinen Werken boshaft und treffsicher die Gutsbesitzer, die Beamten, die aufkommende Bourgeoisie. In der „Geschichte einer Stadt“, in den „Herren Golowljow“, in den „Erzählungen aus dem alten Poschechonien“ zeichnete Saltykow ein markantes Bild des Verfalls der leibeigenen Gesellschaftsordnung.

Alexander Nikolajewitsch Ostrowskij 1823 bis 1886
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Der Dramatiker Ostrowskij zeigte das dunkle Reich der Kaufleute, der bestechlichen Kreaturen, der parasitären Ausbeuter. Seine Theaterstücke „Der Wald“, „Das Gewitter“, „Eine einträgliche Stelle“, „Armut ist keine Schande“ geben ein breites und wahrheitsgetreues Bild des russischen Lebens um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

 

Iwan Sergejewitsch Turgenjew 1818 bis 1883
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Der berühmte Schriftsteller Turgenjew schilderte in seinem „Tagebuch eines Jägers“ teilnahmsvoll und schwermütig die Lebensweise und die geistige Welt der Bauern. Seine Romane: „Das Adelsnest“, „Rudin“, „Am Vorabend“, „Väter und Söhne“ schildern jene Zersetzung, die in der russischen Gesellschaft am Vorabend der Abschaffung der Leibeigenschaft vor sich ging. Turgenjew schuf markante Typen jener „überflüssigen Menschen“, die nicht wussten, was sie mit ihren Kräften im Lande der Leibeigenschaft anfangen sollten.

Gontscharow zeichnet in seinen Romanen „Eine gewöhnliche Geschichte“, „Der Abgrund“ und „Oblomow“ wirklichkeitsnah und in bilderreicher Sprache das Russland der Beamten und der Gutsbesitzer vor der Reform der 1860er Jahre. Dobroljubow weist auf die gewaltige gesellschaftliche Bedeutung des Romans „Oblomow“ hin, der ein Urteilsspruch über die gesamte leibeigene Gesellschaftsordnung war.

Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij 1821 bis 1881
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

In den 1840er Jahren wurde Dostojewskij durch seinen Roman „Arme Leute“ bekannt. Seine Romane „Schuld und Sühne“, „Der Idiot“, „Die Brüder Karamasow“ brachten ihm Weltruhm ein. Dostojewskij zeichnete in ihnen in genialer Weise Bilder der Erniedrigung und der Herabwürdigung der Persönlichkeit in der kapitalistischen Gesellschaft.

 

Leo Nikolajewitsch Tolstoi 1828 bis 1910
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

In den 1850er Jahren trat der „große Schriftsteller des russischen Landes“, Leo Tolstoi, auf den Plan. Seine genialen Werke „Krieg und Frieden“, „Anna Karenina“, „Auferstehung“ enthalten, wie Lenin sagte, unvergleichliche Bilder des russischen Lebens“. In der größten Schöpfung der russischen Literatur – in dem Roman „Krieg und Frieden“- wird der heldenhafte Kampf des russischen Volkes um seine Unabhängigkeit im Jahre 1812 geschildert. Dieser Roman ist von dem tiefen Glauben an die schöpferischen Kräfte des großen russischen Volkes erfüllt.

 

Anton Pawlowitsch Tschchow 1860 bis 1904
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Am Ende des 19. Jahrhunderts trat der vortreffliche Schriftsteller Anton Pawlowitsch Tschechow hervor. In seinen satirischen Werken geißelt er die unnützen Flenner, die bürgerlichen Liberalen, die Kleinbürger. Keiner vor ihm vermochte den Menschen das schmähliche und traurige Bild ihres Lebens im trüben Chaos des kleinbürgerlichen Alltags so schonungslos wahr zu zeigen“, schrieb Gorki über Tschechow„Sein Feind war die Banalität, sein ganzes Leben lang bekämpfte und verspottete er sie und schilderte sie mit seiner kühlen, spitzen Feder.“

Alexej Maximowitsch Gorki 1868 bis 1936 (Foto aus dem Jahre 1899)
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brachte die junge Arbeiterklasse Russlands ihren genialen Künstler, den großen proletarischen Schriftsteller Alexej Maximowitsch Gorki hervor. Er wurde am 16. März 1868 in Nishnij-Nowgorod in der Familie eines Kunsttischlers geboren. Nach dem frühen Verlust seines Vaters begann für ihn mit dem 10. Lebensjahr ein arbeitsames, an Entbehrungen und Umherwandern reiches Leben. Seine schwere und freudlose Kindheit beschrieb Gorki in den vortrefflichen Büchern „Kindheit“ und „Unter fremden Menschen“. Schon in seiner Jugend machte er sich mit den Revolutionären bekannt. Sein herz entflammte in zornigem Protest gegen die Ausbeuter, brannte in heißem Mitgefühl für die Unterdrückten und Ausgebeuteten. Diese Gefühle des jungen revolutionären Schriftstellers fanden in seinen Werken ihren Niederschlag. Im Jahre 1901 ertönte wie Sturmgeläut das berühmte „Lied vom Sturmvogel“, das zur Revolution aufrief. „Mag der Sturm noch stärker brausen“, rief der Dichter, der dafür den Beinamen „Sturmvogel der Revolution“ erhielt. Schon zu jener Zeit wurde Gorki der Lieblingsschriftsteller nicht nur des russischen, sondern auch des westeuropäischen Proletariats.

Im Jahre 1902 wurde Gorki zum Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt, die zaristische Regierung hielt die Wahl des revolutionären Schriftstellers jedoch für eine „Frechheit“ und strich seinen Namen von der Liste der Akademiker. Zum Zeichen des Protestes verzichteten die Schriftsteller Tschechow und Korolenko auf ihre Ehrenmitgliedschaft der Akademie.

Immer neue Werke Gorkis erschienen im Druck. Sie waren von dem Glauben an den neuen Menschen, an den aufopferungswilligen Kämpfer um die Freiheit, an den stolzen, kühnen und starken Schöpfer eines neuen Lebens durchdrungen. „Mensch – das klingt stolz!“ schrieb Gorki. In dem Roman „Die Mutter“ begrüßte er mit Jubel die junge Arbeiterklasse Russlands. „Wenn man auf sie schaut, da sieht man – Russland wird die hervorragendste der Demokratien der Erde sein“, sagt einer der Helden des Romans „Die Mutter“ über die neue Generation der russischen Arbeiter.

Lenin begrüßte das Erscheinen des talentvollen proletarischen Schriftstellers warm Er sah den Beweis der geistigen Kraft der neuen revolutionären Klasse, die die Welt umgestalten wird. „…Gorki“ schrieb Lenin„ist zweifellos der größte Vertreter der proletarischen Kunst…“

Die russische Literatur des 19. Jahrhunderts war die fortschrittlichste Literatur der Welt. Ihr ideeller Reichtum setzte Europa in Erstaunen. Gorki schrieb: „In der russischen Literatur fanden die großen, von der Menschheit geschaffenen Freiheitsideen ihren treffenden Ausdruck.“

Der hohe Ideengehalt entsprang der ursprünglichen und tiefen Verbindung der russischen Literatur mit dem großen russischen Volk und seinem Freiheitskampf.

Die Verbindung der russischen Literatur mit der russischen gesellschaftlichen Befreiungsbewegung war nicht zufällig. Herzen erklärte diese Besonderheit der russischen Literatur folgendermaßen: Bei einem Volke, das keine politische Freiheit besitzt, ist die Literatur die einzige Tribüne, von deren Höhe herab es den Schrei seiner Empörung und seines Gewissens vernehmen lassen kann.“

Die Schriftsteller waren die fortschrittlichen Vertreter der revolutionären Generationen im Russland des 19. Jahrhunderts. Die russische Literatur war die hauptsächliche Pflanzstätte der fortschrittlichen gesellschaftlichen Idee und der erste Erzieher der jungen revolutionären Generationen. Von Radischtschew an war die russische Literatur von dem Gefühl der sozialen Gerechtigkeit durchdrungen. Die fortschrittlichen Schriftsteller machten nicht „Gott“, nicht die „Natur“ für den Kummer und die Leiden des russischen Volkes verantwortlich, sondern jene soziale Ordnung, deren Abänderung die Menschen selbst vornehmen sollten. Die besten fortschrittlichen Schriftsteller und Dichter Russlands des 19. Jahrhunderts waren Demokraten, leidenschaftliche Verteidiger der Freiheit, die den Zarismus und die Leibeigenschaft im Lande hassten.

Die Liebe zum Vaterland und der Nationalstolz der russischen Schriftsteller verwandelten sich bei ihnen niemals in nationale Beschränktheit.

Belinskij bestimmte in einem Artikel, der der Lyrik Lermontows gewidmet war, die Auffassung des Patriotismus, der sich durch die gesamte russische Literatur hindurchzieht, folgendermaßen: „Sein Vaterland lieben, heiß, glühend zu wünschen, in ihm die Verwirklichung des Ideals der Menschheit zu sehen und nach Maßgabe seiner Kräfte dazu beizutragen.“

Die großen fortschrittlichen Ideen fanden auch in der Kunst ihren Niederschlag. Die Vertreter dieser Ideen waren im 19. Jahrhundert in der Literatur: Puschkin, in der Malerei: Wenezianow, in der Musik: Glinka. Wenezianow stellte als erster in der Malerei das einfache russische Leben und eine rein russische Landschaft dar.

In den 1860er Jahren erhalten in der darstellenden Kunst die demokratischen Ideen eine große Verbreitung. Eine Gruppe von Absolventen der Akademie der Künste, die gegen die reaktionäre Richtung in der Kunst protestierten, gründete die „Genossenschaft der Wanderausstellungen“. Die Künstler dieser Genossenschaft traten für eine national-russische, wahrhaft völkische und realistische Richtung in der Kunst ein. Aus der Mitte dieser „Wanderaussteller“ gingen die drei nationalen Künstlerriesen: Reptin, Surikow und Levitan hervor.

Ilja Jefimowitsch Reptin 1844 bis 1930 (Selbstbildnis)
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Reptins Bilder stellen mit einem tiefen Realismus und künstlerischer Vollendung das Leben und die Arbeit des russischen Volkes dar. Die „Burlaki“ („Die Wolgaschlepper“) – ausgemergelte Menschen, die sich mit allen Kräften in den Schleppgurt stemmen, treideln den schweren Schleppkahn. „Der Kreuzzug im Gouvernement Kursk“ – umgeben von Polizisten, im Schatten von Kirchenfahnen, versengt von einer unbarmherzigen Sonne, schreitet die erschöpfte und zerlumpte Volksmenge in der Prozession und bittet um Regen. Reptins Bilder sind vom Mitgefühl für das unterdrückte Volk erfüllt. Sein Bild „Saporoshzy“ („Die Saprosher Kosaken“) zeigt die unbezwungen Kosaken-Freischar, die auf die Drohungen der Feinde mit fröhlichem Spott antwortet.

 

Surikows Bilder sind von der Begeisterung über den mächtigen Volksgeist durchdrungen, der im Namen einer Idee zu Tod und Pein bereit ist. Seine „Bojarin Morosowa“, „Stepan Rasin“ und andere stellen die Volksmassen in den krisenhaften Augenblicken der russischen Geschichte dar.

Levitans Bilder: „Goldender Herbst“, „März“, „Abend an der Wolga“, „Die ewige Ruhe“ spiegeln mit großer Eindringlichkeit und Liebe die reine, sanfte und schwermütige russische Natur wieder.

Das Gedächtnis des russischen Volkes wird für immer die Namen so bedeutender Künstler bewahren wie: Perow mit seiner „Trojka“, „Teestunde in Mytischtschi“ und mit den Porträts der hervorragenden russischen Schriftsteller; Schischkin mit seinen wunderbaren Bildern „Morgen im Fichtenwalde“, „Roggen“ usw.; Kramskoj, ein hervorragender Schöpfer von Porträts der großen Repräsentanten der russischen Kultur; Serow, ein bemerkenswerter russischer Maler; Aiwasowskij, der das Meer ausgezeichnet darstellte: „Der Sturm“, „Die neunte Woge“; Wereschtschagin mit seinen Kriegs- und Schlachtenbildern: „Apothes des Krieges“, „Tödlich verwundet“ und andere; Wasnezow, der sich den russischen Märchen und Heldensagen in seinen berühmten Bildern zugewendet hat: „Drei Recken“, „Aljonuschka“ und Polenow mit seinen Bildern: „Großmütterchens Garten“, „Die Kranke“, „Moskauer kleiner Hof“.

Der nationale Genius des russischen Volkes zeigte sich im 19. Jahrhundert auch im musikalischen Schaffen. Der Stammvater der russischen Oper und der symphonischen Musik war Glinka.

Michail Iwanowitsch Glinka 1804 bis 1857
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Er verwertete den unausschöpflichen Reichtum der Volksweisen, die schöpferischen Errungenschaften der westeuropäischen Musik und schuf geniale Vorbilder der russischen musikalischen Kunst. Glinkas Opern: „Ruslan und Ludmila“ und „Iwan Sussanin“ wurden klassische Werke nicht nur der russischen Musik, sondern auch der Musik der gesamten Welt.

Einen großen Beitrag zur russischen Musikkunst leisteten in den 1860er und 1870er Jahren die Komponisten, die sich in der musikalischen Gemeinschaft „Das mächtige Häuflein“ zusammengeschlossen hatten. Die Komponisten des „Mächtigen Häufleins“; Balakirew, Borodin, Kjui, Mussorgskij und Rimskij-Korssakow: „Schneewittchen“, von Mussorgskij: „Boris Godunow“ und „Chowanschtschina“, stellten zum ersten Mal in der Opernkunst das Volk in der Eigenschaft des Haupthelden des Werkes dar.

Den 80-90er Jahren des 19. Jahrhunderts gehört die Blütezeit des Schaffens Tschaikowskijs an, eines der größten Komponisten der Welt.

Peter Iljitsch Tschaikowskij 1840 bis 1893
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Tschaikowskij gelang es wie keinen anderen, die besten Traditionen der nationalen Kunst mit den hohen allgemeinmenschlichen Gefühlen und Idealen zu einer harmonischen Einheit zu verbinden. Das ist der Grund, weshalb die Menschen der verschiedenen Länder und Völker Tschaikowskijs Musik nachempfinden und verstehen.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich auch das russische Nationaltheater. Mit dem Namen des hervorragenden Künstlers Schtschepkin ist die Blüte des Kleinen Theaters in Moskau verbunden. In diesem Theater traten die großen russischen Schauspieler und Schauspielerinnen auf: Sadowskij, Fedotowa, Jermolowa; in den besten russischen Schauspielnen: „Muttersöhnchen“ von Fonwisin, „Das Unglück, klug zu sein“ von Gribojedow, „Der Revisor“ von Gogol, die Theaterstücke von Ostrowskij und später Tschechow und Gorki. Über die Rolle des Kleinen Theaters äußerten sich die besten russischen Menschen: „Auf der Moskauer Universität haben wir gelernt, im Kleinen Theater sind wir erzogen worden.“

Im Jahre 1917 schrieb der große proletarische Schriftsteller Gorki in Bezug auf die schöpferische Leistung des russischen nationalen Genius im 19. Jahrhundert: „Auf dem Gebiete der Kunst, in der Schaffenskraft des Herzens, hat das russische Volk eine erstaunliche Kraft bewiesen, indem es unter den entsetzlichsten Bedingungen eine herrliche Literatur, eine wunderbare Malerei und eine originale Musik schuf, die die ganze Welt bewundert. Der Mund des Volkes war verschlossen, die Flügel der Seele gebunden, doch sein Herz gebar Dutzende von großen Künstlern des Wortes, des Tones, der Farbe.“

 

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

 

 

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland, Band 1

Die Kultur der Völker Russlands im 19. Jahrhundert

Das geistige Leben eines jeden Volkes verläuft nicht abgesondert vom Leben anderer Völker. Es bildet sich als Ergebnis des Zusammenwirkens der Kulturen verschiedener Völker, dabei seine wesentlichen nationalen Traditionen und Züge bewahrend und entfaltend.

Das geistige Leben eines jeden Volkes verläuft nicht abgesondert vom Leben anderer Völker. Es bildet sich als Ergebnis des Zusammenwirkens der Kulturen verschiedener Völker, dabei seine wesentlichen nationalen Traditionen und Züge bewahrend und entfaltend.

Das kennzeichnende Merkmal der russischen Kultur war nicht nur ihr hoher Ideengehalt, sondern auch ihr kämpferischer Geist. Dies ist auch der Grund, weshalb die russische Kultur, die die führenden fortschrittlichen Ideen der Menschheit in sich aufnahm, auch selbst auf die Entwicklung dieser Ideen einen mächtigen Einfluss ausübte. Mit dem großen Puschkin beginnend, nahm dieser Einfluss immer mehr zu. Die französischen Schriftsteller Georges Sand, Alphonse Daudet, Emile Zola, Maupassant hielten Turgenjew für einen großen Meister des Wortes und lernten im gleichen Maße von ihnen. In seiner Grabrede über der sterblichen Hülle Turgenjews sprach der französische Dichter Renan: „In Turgenjew lebte eine ganze Welt. Der Stamm der Slawen, die jetzt auf den ersten Plan in die Geschichte der Völker gerückt sind, bildet eine phänomenale Erscheinung und verkörpert sich in diesem großen Künstler. Turgenjew war ein Sohn seines Vaterlandes, aber nach seiner Art und Weise zu fühlen und zu schaffen, gehörte er der ganzen Menschheit.“

Einen noch größeren Einfluss auf die Kultur der Welt übten Tolstoi und Dostojewskij aus. Der französische Schriftsteller Romain Rolland schrieb über den mächtigen Einfluss Leo Tolstois auf das geistige Leben Europas folgendes: Es war dies wie ein in das grenzenlose Weltall geöffnetes Tor, wie eine große Offenbarung des Lebens. Noch nie war eine ähnliche Stimme in Europa ertönt.“ Großen Einfluss hatte in Europa auch Dostojewskij – „der erste Psychologe der Weltliteratur“, wie ihn der Schriftsteller Thomas Mann nannte. Tschechows und besonders Gorkis Werke schufen in Europa eine neue Schule von Schriftstellern.

Die russische Literatur beeinflusste die Bildung der Schriftsteller anderer slawischer Völker in erheblichem Maße. Die Werke Belinskijs, Tschernischewskijs, Nekrassows und anderer russischer Schriftsteller hatten eine mächtige Einwirkung auf die slawischen Schriftsteller.

Noch tiefer und unmittelbarer war die Verbindung der russischen Kultur mit der Kultur der anderen Völker Russlands. Die herrschenden Klassen des zaristischen Russlands fürchteten die Entwicklung der russischen Kultur und hinderten ihr schöpferisches Aufblühen. Um so mehr erniedrigten und unterdrückten sie die Kultur der unterjochten Völker.

Das russische Volk schuf seine nationale Kultur, die von Achtung gegenüber der Kultur anderer Völker durchdrungen ist.

Das Wachstum des Kapitalismus in den Grenzgebieten Russlands war von der Entwicklung einer nationalen Bewegung unter den unterdrückten Völkern Russlands begleitet. Die fortschrittlichen russischen Menschen zeigten gegenüber den Anfängen und Offenbarungen der Kultur der erwachenden Nationen tiefe Sympathie. Zwischen den russischen Kulturschaffenden und den fortschrittlichen Vertretern der andren Völker Russlands wuchs und befestigte sich eine brüderliche Freundschaft.

Das ukrainische Volk hat im 19. Jahrhundert eine Reihe von bedeutenden Schriftstellern aufzuweisen, die die reiche und klangvolle ukrainische Sprache vervollkommnet und bedeutende künstlerische Werke in ukrainischer Sprache geschaffen haben. Die Schöpfer der ukrainischen Literatursprache und Gründer der ukrainischen Literatur waren die drei Schriftsteller: Kotljarewskij – der Autor von „Natalka-Poltawka“ und „Aeneida“, Kwitka-Osnowjanenko – der Verfasser der „Kleinrussischen Novellen“, und Grebinka – der Autor ukrainischer Fabeln und Gedichte, ein persönlicher Freund und Übersetzer des großen Puschkin. (Ach ja, die Ukraine- Davon will heute niemand mehr was wissen. P.R.)

Der große Volksdichter der Ukraine war Taras Grigorjewitsch Schewtschenko.

Taras Grigorjewitsch Schewtschenko 1814 bis 1861
Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

In seiner Kindheit war er, der Sohn eines Leibeigenen, Hirte, später diente er bei einem Gutsbesitzer. Zusammen mit seinem Herrn gelangte er nach Petersburg und wurde zu einem Malermeister in die Lehre gegeben. Im Jahre 1836 wurde Schewtschenko mit den Schriftstellern Shukowskij und Grebinka bekannt, sowie mit dem berühmten Künstler Brjullow. Um dem urwüchsigen Talent das Studium zu ermöglichen, malte Brjullow Shukowskijs Porträt, verloste es in einer Lotterie und kaufte für die erhaltenen 2500 Rubel Schewtschenko frei. Schewtschenko trat in die Akademie der Künste ein. Zur gleichen Zeit schrieb er seine ersten Gedichte. Im Jahre 1840 erschien seine erste Gedichtsammlung „Kobsarj“ („Der Kobsaspieler“). Von tiefem Hass gegenüber dem Zarismus ist Schewtschenkos Gedicht „Der Traum“ erfüllt. In dem Gedicht „Der Kaukasus“ ruft Schewtschenko die Werktätigen aller Nationen zu Aufstand gegen den Zarismus, gegen das von ihm geschaffene Völkergefängnis, wo „von dem Moldauer bis zum Finnen in allen in allen Sprachen alles schweigt.“

Im April 1847 wurde Schewtschenko wegen revolutionärer Tätigkeit verhaftet. Das Gericht fällte das Urteil: „Den Künstler Schewtschenko wegen Abfassung aufrührerischer und in höchstem Grade frecher Gedichte, da er von starker Konstitution ist, als Gemeinen dem Orenburger Korps zuzuteilen.“

Der Zar Nikolaj I. fügte diesem Urteil hinzu: „Unter strengster Aufsicht – mit dem Verbot, zu schreiben und zu malen.“

Nach zehnjähriger Verbannung wurde Schewtschenko freigelassen. Die Verbannung hatte den revolutionären Dichter nicht gebrochen. Nach wie vor rief er das ukrainische Volk zum Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit auf. Im Juli 1859 siedelte er nach Petersburg über, wo er sich mit dem großen russischen revolutionären Schriftsteller Tschernyschewskij befreundete. Die Führer der russischen revolutionären Demokratie Tschernyschewskij und Dobrojubow schätzen Schewtschenko als ihren Gesinnungsgenossen und Mitkämpfer hoch ein. Dobroljubow schrieb über Schewtschenko: „Er ist ein Volkspoet in vollen Sinne des Wortes…Er kam aus dem Volke, lebte mit dem Volke, und nicht nur mit den Gedanken, sondern auch durch die Umstände seines Lebens war er mit ihm stark und mit allen Fibern verbunden.“

Schewtschenko brachte den russischen Schriftstellern und Revolutionären, die um die Freiheit der Völker kämpften, größte Liebe entgegen.

In der Entwicklung des poetischen Genius von Schewtschenko spielte die große russische Kultur, der Schewtschenko mit tiefer Achtung begegnete, eine gewaltige Rolle.

Die Werke des großen Volksdichters der Ukraine, des revolutionären Demokraten Schewtschenko, gehören nicht nur dem ukrainischen Volke, sondern allen Völker der Sowjetunion. (Na ja, davon ist nichts mehr geblieben. P.R.)

In enger Verbindung mit der russischen Kultur entwickelte sich auch die bjelorussische Literatur. In der Mitte des 19. Jahrhunderts trat der bedeutende Dichter und Dramaturg Dunin-Marzinkewitsch hervor, der mit seinen Poemen „Gapon“, „Kupala“ und anderen den Grund zur bjelorussischen Literatursprache legte. Er war der erste Schriftsteller, der sich dem überaus reichen Schaffen des bjelorussischen Volkes zuwandte. Nach der Reform des Jahres 1861 brachte die bjelorussische Literatur einen ganzen Plejadenschwarm von neuen bedeutenden Schriftstellern hervor, mit Franzisk Boguschewitsch an der Spitze, der besonders energisch für die Entwicklung der bjelorussischen Sprache kämpfte. In Poesie und Prosa schilderten die bjelorussischen Dichter und Schriftsteller wahrheitsgetreu das schwere Leben der weißrussischen Bauernschaft und traten als Ankläger der Zustände des zaristischen Russlands auf.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückt der revolutionäre Dichter Janka Kupala auf den ersten Platz. Janka Kupala (dies war der literarische Name von Iwan Dominikowitsch Luzewitsch), der Sohn eines armen Bauern, wurde der Herold für die Millionenmassen des unglücklichen bjelorussischen Volkes in seinem Befreiungskampf. Zur Zeit des revolutionären Aufschwungs in den Jahren 1912 bis 1913 schreib Janka Kupala die klassischen Werke der bjelorussischen Literatur: die Gedichtbücher „Shalejka“, „Gusljar“, „Spadtschina“ und andere.

Unter der ideellen Einwirkung der russischen Kultur entfaltete sich auch das Schaffen der Schriftsteller Georgiens, Armeniens und Aserbaidschans.

Die Gründer der neuen georgischen Literatur war Ilja Tschawtschadse, ein glühender Verehrer Belinskijs, Dobroljubows und Tschernyschewskijs. Unter dem Einfluss dieser revolutionären Demokraten und Vertreter des großen russischen Volkes geißelte Tschawtschawadse in seinen Werken den degenerierten Adel und schrieb verständnisvoll über die unterdrückte Bauernschaft. Er veröffentlichte Übersetzungen der Artikel von Belinskij, Dobroljubow und anderer russischer und westeuropäischer Schriftsteller. Die Zeitschrift „Der Bote Georgiens“, die Tschawtschawadse herausgab, wurde das Zentrum der Aufklärungsbewegung unter dem georgischen Volk. Ilja Tschawtschawadse ist der Schöpfer und Klassiker der zeitgenössischen georgischen Literatursprache.

Einer der bedeutensden Schriftsteller Armeniens war Chatschatur Abowjan. Sein Roman „Die Wunden Armeniens“, aus der Geschichte des russisch-persischen Krieges, spielte in der Geschichte der nationalen Kultur Armeniens eine große Rolle und legte den Grund zu der neuen armenischen Literatursprache. Dieser Roman, der der Stimmung nach patriotisch ist, schilderte in grellen Farben die schwere Lage des armenischen Volkes unter der persischen Oberherrschaft. Abowjan schätzte die russische Kultur hoch und war ein glühender Anhänger der geistigen und politischen Annäherung an das russische Volk. Er eröffnete die erste weltliche Schule in Armenien und machte die armenische Jugend mit den besten Werken der russischen und westeuropäischen Literatur bekannt. In den 1850er bist 1860er Jahren wurde in Moskau die Zeitschrift „Das Nordlicht“ in armenischer Sprache herausgegeben, in der vorbildliche Werke der russischen Literatur abgedruckt wurden.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der Gründer der aserbaidschanischen Literatur, Mirsa Achundow, seinen Kampf um die Entwicklung der aserbaidschanischen Sprache und schlug eine Reform des arabischen Alphabets vor. Achundow wurde in einer russischen Schule erzogen und die russische Literatur hatte einen großen und positiven Einfluss auf sein Schaffen. Achundow liebte besonders Puschkin. Er schrieb auf den Tod des russischen Dichters eine seiner besten Dichtungen. In seinen Lustspielen entlarvte er die Heuchelei und die Habgier der muselmanischen Geistlichkeit. Man nannte ihn den muselmanischen Molière. Achundow trat als erster gegen die Rechtlosigkeit der Frauen auf und kämpfte für die Aufklärung des aserbaidschanischen Volkes.

In Kasachstan waren der kasachische Dichter Abaj Kunanbajew und der demokratische Gelehrte Tschokan Walichanow glühende Anhänger der russischen Aufklärer. Kunanbajew war der Gründer der kasachischen Literatursprache und Klassiker der kasachischen Literatur. Er hat die Werke Puschkins, Lermontows und Krylows in die kasachische Sprache übersetzt. Kunanbajew erblickte in einer tiefen und engen Verbindung mit der fortschrittlichen Kultur den sichersten Weg zur Aufklärung des kasachischen Volkes.

Ein ebensolcher überzeugter Verfechter der Freundschaft des russischen und kasachischen Volkes war Tschokan Walichanow, der sich mit Dostojewskij und anderen Schaffenden der russischen Kultur und Aufklärung der Mitte des 19. Jahrhunderts befreundete. Walichannow war der erste kasachische Gelehrte. Seine Arbeiten über die Geschichte und Geographie der Völker Mittelasiens hatten große wissenschaftliche Bedeutung und waren von Mitgefühl für die unterdrückten Völker erfüllt.

Die kulturelle gegenseitige Beeinflussung und enge Verbindung aller Völker Russlands half die Rückständigkeit und Unwissenheit, die die zaristische Regierung aufrechterhalten suchte, zu überwinden. Die vom Zarismus unterdrückten Völker begeisterten sich an den fortschrittlichen Ideen der russischen Kultur; aus den großen Schöpfungen der russischen Schriftsteller eigneten sich die Ideale der politischen Freiheit und sozialen Gerechtigkeit an. Sie lernten, im russischen Volke ihren besten Freund und Führer im Kampfe um die nationale und soziale Befreiung zu sehen.

Besonders verstärkte sich der fortschrittliche Einfluss der russischen Kultur der anderen Völker Russlands vom Ende des 19. Jahrhunderts an, als an die Spitze der Freiheitsbewegung sämtlicher Völker Russlands das Proletariat trat, das solche Genies der Weltkultur wie Lenin und Stalin hervorgebracht hat. Russland wurde das Vaterland des Leninismus – der höchsten Errungenschaft der russischen und der Weltkultur.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“

Russland – ein Nationalitätenreich. Der nationale Befreiungskampf der Völker Russlands

Die Umwandlung Russlands in ein viele Nationalitäten umfassendes Reich

Der im Verlauf des 15. Und 16. Jahrhunderts geschaffene zentralisierte Russische Staat verwandelte sich seinem Bestand nach mehr und mehr in einen Nationalitätenstaat.

Die Eroberung des Kasaner und des Astrachner Khanats, dieser Bruchstücke der Goldenen Horde, führte am Ende des 16. Jahrhunderts dazu, dass die Tataren und Völker des Wolga- und Uralgebietes – die Udmurten, Marijer, Tschuwaschen, die Mordwinen und Baschkiren – in den Bestand des Russischen Staates einbezogen wurden.

Im 16. Und 17. Jahrhundert gliederte der Russische Staat seinen Besitz zuerst das Westliche, aber später auch das gesamte Östliche Sibirien an. Dieses ausgedehnte Territorium bewohnten verschiedene sibirische Stämme: die Manjsi, die Chanten, Ewenken, Chakassen, Jakuten, Burjat-Mongolen und andere. Im Norden und Nordosten namadisierten die Nenzen, die Tschuktschen, die Korjaken und andere Völkerschaften mit ihren Rentierherden.

Im 18. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildeten sich auch die westlichen Grenzen des Russischen Reiches heraus. Laut Beschluss des Wiener Kongresses im Jahre 1815, der nach dem Fall des napoleonischen Imperiums Europa umgestaltete, wurde unter der Bezeichnung „Polnisches Reich“ der größere Teil der polnischen Gebiete Russland angegliedert. Der russische Imperator wurde zum erblichen König von Polen erklärt. Die unmittelbare Verwaltung Polens wurde dem vom Imperator ernannten Statthalter übertragen.

Die Litauen und Bjelorussland benachbarten baltischen Gouvernements (Livland und Estland) wurden schon zur Zeit des Nordischen Krieges Russland angegliedert. Das Gouvernement Kurland fiel nach der neuen Teilung Polens im Jahre 1795 an Russland. Die baltischen Gouvernements wurden von russischen Gouverneuren verwaltet. Die wirtschaftliche Herrschaft im Baltikum jedoch gehörte den Großgrundbesitzern, den deutschen Baronen, die der russische Zarismus unterstützte.

Die Vereinigung der Ukraine mit Russland war schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts im Einklang mit dem Willen des ukrainischen Volkes erfolgt, der westliche oder rechts des Dnjepr gelegene Teil der Ukraine jedoch unter der Herrschaft Polens geblieben. Nach der Teilung Polens im Jahre 1793 waren sämtliche bjelorussischen und fast alle Ukrainischen Gebiete dem Russischen Reich einverleibt worden.

Als Ergebnis der Eroberung Finnlands im Jahre 1809 wurde das Großfürstentum Finnland geschaffen. Alexander I. fügte seinen früheren Titeln Allrussischer Imperator und König von Polen auch noch den eines Großfürsten von Finnland hinzu.

Ungefähr zu der gleichen Zeit dehnten sich die Grenzen Russlands im Süden aus. Die internationalen und inneren Verhältnisse Georgiens brachten es in eine solche Lage, dass es entweder zwischen Persien und der Türkei aufgeteilt oder unter die Herrschaft Russlands geraten musste. Schon im Jahre 1555 war der westliche Teil Georgiens (Imeretien) an die Türkei gefallen, der östliche Teil aber (Kartlien und Kachetien) an Persien. Den Schlägen von zwei stärkeren Nachbarn ausgesetzt, konnte das feudale zersplitterte Georgien nicht dem Andrängen der Gegner standhalten und sich seine Unabhängigkeit bewahren. Die Angriffe der Türken und Perser drohten Georgien nicht nur mit dem Verlust seiner Unabhängigkeit, sondern auch mit der physischen Vernichtung der Bevölkerung.

Die georgischen Feudalherren halfen mit ihren inneren Fehden den Türken und Persern das georgische Volk auszuplündern und vernichten.

Die fortschrittlichen Männer Georgiens sahen die einzige Rettung des Volkes in der Angliederung an Russland, dessen Macht immer größer wurde. Obgleich auch die Angliederung Georgiens an Russland den Verlust der Unabhängigkeit bedeutete, rettete es das georgische Volk und seine Kultur vor der Vernichtung.

Nach schweren, von den persischen Eroberern verursachten Nöten sandte die georgische Regierung nach Petersburg eine Gesandtschaft mit „Bittpunkten“, betreffend die Angliederung Georgiens an Russland. Die zaristische Regierung erließ im September 1801 ein Manifest über die Angliederung Georgiens.

Nach der Angliederung Georgiens an Russland wurde auch das übrige Transkaukasien einverleibt.

Ab Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts begann die zaristische Regierung die Bergvölker des Nordkaukasus zu bezwingen. Unter der Leitung des tapferen Heerführers Schamil eröffneten die Bergvölker den Kampf um ihre Unabhängigkeit. Schamil hatte sich die Aufgabe gestellt, die zersplitterten und rückständigen Bergvölker in einem selbstständigen Staat zu vereinigen. Er stellte eine Armee zusammen und führte eine Reihe von Reformen durch, die fortschrittlichen Charakter trugen. Der Kampf der Bergvölker um ihre Unabhängigkeit dauerte länger als 25 Jahre (1834 bis 1859), wurde aber von der zaristischen Regierung unterdrückt.

Die südöstlichen Grenzen des Russischen Reiches erreichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Persien, Afghanistan und China. Russland verwandelte sich in ein gewaltiges, viele Nationalitäten umfassendes Imperium, das in seinem Bestand Dutzende von großen und kleinen Völkerschaften aufgenommen hatte. Vor dem ersten Weltkrieg zählte es ungefähr 170 Millionen Einwohner, unter denen die Großrussen den entwickeltsten Teil der Bevölkerung darstellten. Etwa 100 Millionen waren nicht Großrussen. Davon hatten ungefähr 30 Millionen, hauptsächlich türkische Bevölkerung, die Etappe der kapitalistischen Entwicklung noch nicht durchschritten, besaßen kaum ein eigenes Industrieproletariat und führten größtenteils ein Nomadenleben als Viehzüchter. In wirtschaftlicher und kultureller Beziehung am entwickelsten waren die Völker, die den westlichen Teil des Russischen Reiches bewohnten und früher als die anderen in das kapitalistische Wirtschaftssystem einbezogen worden waren. Bei diesen Völkern hatte sich bereits eine nationale Bourgeoisie und ein nationales Proletariat gebildet. Daher war im 19. Jahrhundert der Kampf um die nationale Unabhängigkeit vor allem in dieses Gebieten entbrannt.

Der Zarismus – der gemeinsame Feind der Völker Russlands

Die eroberten oder auf andere Weise dem Russischen Reich angeschlossenen Territorien verwandelte die zaristische Regierung in Kolonien. Die besten Ländereien zusammen mit den darauf ansässigen Bauern wurden an die Gutsbesitzer verteilt, die die örtlichen Bauern bedrückten und ausbeuteten.

Die zaristische Regierung half nicht nur den Volksmassen der Grenzgebiete nicht, sich von den Überbleibseln der rückständigen patriarchalischen Lebensformen zu befreien, sondern festigte und unterstützte diese Überbleibsel auf jedwede Weise. Die Politik des russischen Zarismus gegenüber den nichtrussischen Völkerschaften charakterisierend, schrieb J.W. Stalin: Der Zarismus pflegte in den Grenzgebieten absichtlich die patriarchalisch-feudale Bedrückung, um die Massen in Sklaverei und in Unwissenheit zu halten. Der Zarismus besiedelte vorsätzlich die besten Winkel der Grenzgebiete mit kolonisatorischen Elementen, um die Eingeborenen in die schlechtesten Gebiete zurückzudrängen und die nationale Zwietracht zu verstärken. Der Zarismus bedrückte, mitunter schloss er auch einfach die örtlichen Schulen, Theater, Bildungsanstalten, um die Massen in Unwissenheit zu halten. Der Zarismus unterband jedwede Initiative der besten Menschen aus der ortsansässigen Bevölkerung. Schließlich tötete der Zarismus jedwede Aktivität der Volksmassen der Grenzgebiete ab. Durch alles dies erregte der Zarismus unter den Eingeborenen tiefstes Misstrauen gegenüber allem Russischen, das zuweilen in eine feindselige Haltung überging.“

Der nationale Druck der herrschenden Klassen im zaristischen Russland zeigte sich vor allem darin, dass die Völker der Grenzgebiete dem russischen Volk nicht gleichberechtigt und der Möglichkeit beraubt waren, ihr eigenes Staatsleben zu haben und eine nationale Kultur zu entwickeln. Die zaristischen Beamten verhöhnten die Sprache und die Gebräuche der unterdrückten Völker, denen es verboten war, ihre Bücher zu drucken, ihre Kinder in der Muttersprache zu unterrichten, ein nationales Theater zu schaffen und sogar ihre nationalen Lieder zu singen. Nachdem die Angliederung Georgiens vollzogen war, unterzeichnete Zar Alexander I. ein neues Manifest über die gegenseitigen Beziehungen zwischen Georgien und Russland, gemäß dem die Verwaltung Georgiens dem neuen obersten georgischen Regenten übertragen wurde. Als Regenten von Georgien und in andere hohe Verwaltungsstellen wurden russische Beamte eingesetzt. An die Spitze Georgiens wurde ein russischer Oberbefehlshaber gestellt, dem das uneingeschränkte Reicht der Ernennung und Absetzung der Amtspersonen eingeräumt wurde. Die georgischen Fürsten und Gutsbesitzer sahen in den russischen Militärbehörden vor allem ihren Schutz gegen die georgische Bauernschaft, die sich sowohl gegen den Druck der zaristischen Behörden als auch gegen ihre eigenen Feudalherren auflehnte. Auf diese Weise bildete sich ein Bündnis zwischen den zaristischen Kolonisatoren und den ortseingesessenen Feudalherren.

Bjelorussland und die Ukraine wurden gleichfalls von russischen Beamten verwaltet und in Gouvernements des Russischen Reiches umgewandelt. Die bäuerliche Bevölkerung dieser Gouvernements war der Ausbeutung seitens der polnischen und russischen Gutsbesitzer ausgesetzt. Aus Erwägungen der internationalen Politik machte die zaristische Regierung den polnischen Gutsbesitzern Zugeständnisse, indem sie ihnen Ländereien, die von den bjelorussischen, ukrainischen und litauischen Bauern bewohnt waren, zuteilte. Auf diese Weise standen diese Bauern unter doppelten Druck: unter dem der polnischen Gutsbesitzer und des russischen Zarismus.

Als in der Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zarenmacht nach Mittelasien vorrückte, bemühte sie sich, es in eine Baumwoll-Rohstoffquelle für die Textilindustrie Russlands zu verwandeln. Die Regierung zwang die örtlichen Bauern, alle ihre Felder mit Baumwollstauden zu bepflanzen; die Baumwolle kam in die Fabriken der russischen Kapitalisten. Dieses Produktionssystem der Baumwolle führte zur Unterjochung der Baumwollbauern sowohl durch die russischen Kaufleute, als auch durch die örtlichen „Bajs“ (Kulaken). Unter Ausnutzung der bitteren Geldnot der Baumwollbauern gewährten die Bajs ihnen Darlehen zu Wucherzinsen, nahmen nicht selten den verschuldeten Bauern das Land weg und verwandelten die Bauern in ihre ewigen Knechte (Tschajriker).

Durch den Schutz der feudalen Privilegien, durch Geschenke und durch die Verleihung von Würden und Orden verwandelte die zaristische Regierung die örtlichen Feudalherren in treue und eifrige Diener. Sie traten als Vermittler im Handel dieser Gebiete mit Russland auf und waren materiell an der Erhaltung des kolonialen Regimes interessiert.

Die städtische Bourgeoisie und die bürgerliche Intelligenz der nationalen Grenzgebiete befanden sich ebenso zu einem beträchtlichen Teil im Dienst bei den zaristischen Kolonisatoren und unterstützten das kolonisatorische Regime.

Der russische Zarismus strebte danach, sich in allen seinen Besitzungen zu festigen und den nichtrussischen Völkerschaften die letzten Reste ihrer Selbstständigkeit zu nehmen. Nach dem Ausspruch Lenins verwandelte sich Russland in ein „Völkergefängnis“. Die russischen Beamten nannten offiziell die nichtrussischen Völkerschaften mit dem verächtlichen Namen „Fremdstämmige“ und erlegten ihnen jede erdenkliche Beschränkung auf. Besonders heftig wurden die Juden verfolgt. Es wurde die „Wohngrenze“ eingeführt, jenseits welcher die Juden sich nicht niederlassen durften. Die zaristischen Behörden hetzten ein Volk gegen das andere, organisierten blutigen Judenprogrome. Mit dem gleichen Ziel, die Völker Russlands unter sich zu entzweien, organisierte die Selbstherrschaft in Transkaukasien das Gemetzel zwischen Armeniern und Tataren.

 

Der Zarismus war der gemeinsame Feind des russischen Volkes und der anderen Völker, die zum Bestand des Russischen Reiches gehörten. Daher fand das russische Volk im Kampf um seine Freiheit und Unabhängigkeit stets die Unterstützung und Sympathie der nichtrussischen Völkerschaften. Andererseits erweckte die nationale Befreiungsbewegung der nichtrussischen Völkerschaften stets das lebhafte Mitgefühl der fortschrittlichen Menschen der russischen Gesellschaft. Nehmen wir z.B. den Aufstand, der unter Führung von Stepan Rasin erfolgte. An ihm nahmen außer den russischen Bauern und Kosaken Baschikren und Tataren teil. Eins der glänzendsten und heroischsten Blätter in der Geschichte des Befreiungskampfes der Völker Russlands war der große Bauernkrieg unter Führung von Jemeljan Pugatschow. An diesem Krieg nahmen die Völker des Wolgagebietes, des Urals und von Kasachstan teil.

Der Kampf der russischen Bauern gegen die leibeigene Ausbeutung fand besondere Sympathie und Widerhall bei den ukrainischen und bjelorussischen Bauern. Wiederholt hatte sich die ukrainische Bauernschaft gegen die Leibeigenschaft erhoben. Eine große Bewegung der Bauernmassen der Ukraine gegen den Druck der Leibeigenschaft entfaltete sich unter der Leitung des legendären Volkshelden Ustin Karmeljuk. Von 1812 bis 1835 stand Karmeljuk an der Spitze der Bauernaufstände in der Ukraine rechts des Dnjepr und riss die Massen der Bauernschaft zum Kampf gegen die polnischen, ukrainischen und russischen Gutsbesitzer fort. Die zaristische Regierung verhaftete Karmeljuk siebenmal und verschickte ihn nach Sibirien, aber jedes Mal flüchtete er und begann den Kampf gegen die Gutsbesitzer von neuem. Infolge seiner ungewöhnlichen Volkstümlichkeit unter der Bauernschaft war Kameljuk nicht zu fassen. In jeder ukrainischen Bauernhütte fand er Schutz und eine Zufluchtsstätte. Im September 1835 wurde Kameljuk während einer Razzia getötet. Die von ihm geleitete Bewegung fand Sympathie und Unterstützung der fortschrittlichen Menschen Russlands.

Auch der Kampf des polnischen Volkes um seine Unabhängigkeit rief die lebhafteste Sympathie der besten russischen Menschen hervor. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts fanden in Polen mehr als einmal Aufstände statt, deren Ziel die Schaffung eines unabhängigen polnischen Staates war. Große Ausmaße nahm der polnische Aufstand in den Jahren 1830/31 an. Dieser Aufstand endete mit einer Niederlage, da die Adligen, die die Bewegung leiteten, sich vor den Volksmassen fürchteten. Die Bauernschaft, die Agrarreformen verlangte, schloss sich dem Aufstand nicht an.

Nach der Unterdrückung des Aufstandes von 1830/31 wurde über Polen der Kriegszustand verhängt. Die zaristische Regierung traf alle Maßnahmen, um einen neuen Aufstand zu verhüten. Jedoch die außerordentlich schnelle Entwicklung des Kapitalismus in Polen, die durch das feudalistisch-leibeigene Regime des Zarismus gehindert wurde, schuf den Boden für einen neuen Aufschwung des nationalen Befreiungskampfes Polens um seine Selbstständigkeit. Dieser Aufschwung wurde auch durch die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Europa und in Russland selbst gefördert.

Im Januar 1863 begann ein neuer polnischer Aufstand, in welchem sich breitere Schichten der kleinen Gutsbesitzer, der städtischen Arbeiter und der Handwerker, der polnischen demokratischen Intelligenz und ein beträchtlicher Teil der Bauernschaft zum Kampf erhoben. Jedoch herrschte in der nationalen Befreiungsbewegung des Jahres 1863 keine Einigkeit. Die großen Gutsbesitzer, die Eigentümer der Latifundien (der großen Güter), waren eng mit dem russischen Zarismus verbunden und zogen eine Verständigung mit der zaristischen Regierung vor.

Die von den Aufständischen geschaffene Regierung, in der Mehrzahl aus Angehörigen der Schlachta (des Kleinadels) bestehend, erschrak vor dem Schwung der Bewegung, die sich zu einem Kampf der Bauern um Land ausweitete, und forderte die Bauern auf, nach Hause zu gehen. Durch diese Maßnahme schwächte sie die Bewegung. Die polnischen Schlachtschitzen setzten ihre Hoffnungen auf die europäischen Mächte, aber weder von Frankreich noch von Österreich erhielt Polen die versprochene Hilfe. Zar Alexander II. traf mit dem König von Preußen ein Abkommen über die gemeinsame Unterdrückung des polnischen Aufstandes, zog eine gewaltige Armee zusammen und setzte sie zur Unterdrückung des aufständischen Polens ein.

Der Aufstand griff von Polen nach Litauen, Bjelorussland und auf die benachbarten Gebiete der Ukraine über. Die Bauern Litauens und Bjelorusslands erhoben sich gegen die Gutsbesitzer, und zwar sowohl gegen die russischen wie auch gegen die polnischen. Organisator und Führer des Aufstandes in Bjelorussland war Kastusj Kalinowskij. Er forderte Freiheit und Selbstverwaltung für das heimatliche Bjelorussland und Durchführung einer Bodenreform zugunsten der Bauern. Der Aufstand in Polen, Litauen und Bjelorussland wurde grausam unterdrückt. Die Führer des Aufstandes, die polnischen revolutionären Offiziere Wrublewskij und Dombrowskij flohen nach Frankreich. Der Führer der aufständischen bjelorussischen Bauern Kastusj Kalinowskij und viele Hunderte von Teilnehmern des Aufstandes wurden hingerichtet.

Während die Kräfte der russischen und europäischen Reaktion zur Unterdrückung des Aufstandes in Polen eingesetzt waren, unterstützten die russischen revolutionären Demokraten, mit Herzen und Tschernyschewskij an der Spitze, eifrig den Kampf des polnischen Volkes um seine Freiheit. Ein Teil der russischen Offiziere, die nicht an der Unterdrückung des Aufstandes teilnehmen wollten, nahm den Abschied. Einige russische Offiziere beteiligten sich an dem bewaffneten Kampf der Polen gegen den Zarismus.

Die geheime Gesellschaft „Semlja i Wolja“ („Erde und Freiheit“) schloss mit dem litauisch-bjelorussischen Komitee der Aufständischen zum gemeinsamen Kampf gegen den Zarismus mit der Losung: „Für eure und unsere Freiheit“ ein Bündnis. Serakowskij, einer der nächsten Mitkämpfer Tschernyschewskijs, leitete den Aufstand der litauischen Bauern. In seiner Zeitschrift „Kolokol“ („Die Glocke“) verteidigte Herzen unablässig die Rechte des polnischen Volkes auf seine Unabhängigkeit und geißelte die zaristischen Unterdrücker und Henker.

Auf diese Weise näherten sich die fortschrittlichen Vertreter des russischen Volkes und die unterdrückten nichtrussischen Völkerschaften immer mehr und mehr in dem gemeinsamen Kampf um ihre soziale und nationale Befreiung.

Vor dem Auftreten der Arbeiterklasse in Russland konnte jedoch der Befreiungskampf der unterdrückten Völkerschaften, wie auch der Aufstand der russischen Bauern, nicht erfolgreich sein. Erst die neue historische Epoche, die mit der Entwicklung des Kapitalismus in Russland und seinen Kolonien verbunden ist, schuf die Bedingungen für die Umwandlung der zersplitterten nationalen Befreiungsbewegungen in eine breite allgemein-demokratische Bewegung, geführt von dem russischen Proletariat, dem konsequentesten und entschlossensten Kämpfer gegen den Zarismus, für die Befreiung der unterdrückten Völker.

Zur Lage der Völker in der Sowjetunion (Stand 1947) siehe „Der Staatsaufbau der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

 

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Westeuropa. Russland in der Mitte des 19. Jahrhunderts

Zar Nikolaj I., der den Thron während des ersten offenen Aufstandes gegen den Zarismus bestiegen hatte, erblickte die Hauptaufgabe seiner Regierung in der Festigung der Selbstherrschaft und der Erhaltung der Leibeigenschaft. Sein Bestreben war, das ganze Land in ein militärisches Zuchthaus zu verwandeln.

Zum Schutze der bestehenden Ordnung wurde das Gendarmeriekorps gebildet. Die geheime politische Polizei berichtete über die Geisteshaltung der Untertanen. Besondere Beamten-die Zensoren-schauten vorher sämtliche Bücher, Zeitschriften und Privatbriefe durch, um „in die Geisteshaltung einzudringen, um zu beobachten, wer sich frei und unehrbietig über Religion und Staatsgewalt äußert“. Bei den Gerichten wurden die Prozesse nicht öffentlich geführt. Jedes Freidenkertum wurde streng bestraft.

Die Regierung Nikoajs I. erachtete es für gefährlich, das Volk aufzuklären. Der Minister für Bildungswesen, Uwarow, sagte: „Ich werde beruhigt sterben, wenn ich die Entwicklung Russlands um 50 Jahre verzögere.“ Der Unterricht wurde im Geiste „der Rechtgläubigkeit, der Selbstherrschaft und der Völkischheit“ erteilt. Die Erziehung und der Unterricht im Geiste dieser „Grundsätze“ sollten in der Seele der Jugend das Gefühl des Protestes gegen das Leibeigenschafts-Regime und die Selbstherrschaft ersticken.

Der russische Zar befürchtete das Eindringen der „Revolutionären Seuche“ vom Westen. Die Revolution in Europa trat ihren Triumphzug an. Im Juli 1830 flammte in Frankreich eine neue Revolution auf. Im November desselben Jahres begann der Aufstand in Polen. Nikolaj I. brach unverzüglich die Beziehungen zu Frankreich ab und schickte eine große Armee gegen Polen. Zur gleichen Zeit trat er mit den reaktionären Regierungen Österreichs und Preußens in Verhandlungen ein, um die weitere Ausbreitung der Revolution zu verhindern. „Die Revolution steht auf der Schwelle Russlands“, sagte er, „aber ich schwöre bei Gott, solange ich atme, wird sie diese Schwelle nicht überschreiten!“

Die revolutionäre Bewegung in Europawuchs weiter an. Die Arbeiterklasse, die als Ergebnis der Entwicklung des Kapitalismus aufkam, trat in den 30-40er Jahren des 19. Jahrhunderts mit ihren Forderungen auf. Im Jahre 1831 fand in Lyon (Frankreich) der erste Aufstand der Webereiarbeiter statt. Fast zur gleichen Zeit begannen die englischen Arbeiter einen revolutionären Kampf um die Gewährung politischer Rechte. Die Arbeiter legten ihre Forderungen in einem Dokument nieder, das sie „Charta“ nannten. Diese politische Bewegung wurden „Chartismus“ genannt.

In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts erstanden den Arbeitern große Führer: Karl Marx und Friedrich Engels. Sie organisierten die erste Partei der Arbeiterklasse: den „Bund der Kommunisten“, und schrieben für sie ein Programm: das „Manifest der Kommunistischen Partei“. In dem „Manifest“ wird dargelegt, dass der jahrtausendelange Kampf zischen Unterdrückern und Unterdrückten mit dem Sieg der Arbeiterklasse enden muss, die die proletarische Diktatur errichten und den Sozialismus aufbauen wird. Das „Manifest“ schließt mit dem Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Im Juni 1848 erhoben sich die Pariser Arbeiter mit der Waffe in der Hand zum ersten Mal zum Kampf um ihre Rechte. Aber sie waren noch schwach und nicht organisiert, und erlitten eine Niederlage. Nichtsdestoweniger fand die französische Revolution des Jahres 1848 in fast allen Ländern Europas einen Widerhall.

Im Jahre 1849 siegte die Revolution in Ungarn, das die Unabhängigkeit von der österreichischen Monarchie, der es einverleibt war, verkündete.

Nikolaj I., der gemeinsam mit dem preußischen und österreichischen Monarchen die Gegenrevolution in Europa unterstütze, schickte zur Niederschlagung der ungarischen Revolution eine Armee von 100 000 Mann. Von österreichischen und russischen Truppen umzingelt, war die revolutionäre Armee Ungarns gezwungen, sich zu ergeben. Den russischen Zaren nannte man den Gendarmen Europas. Auch die anderen feudalen Monarchen, besonders der König von Preußen, spielten die Rolle von Gendarmen.

Der Zarismus konnte die Entwicklung der russischen Geschichte jedoch nicht aufhalten. Das Leibeigenschaftssystem in Russland machte eine Krise durch. Eine der markantesten und krassesten Erscheinungen dieser Krise waren die sich immer öfter wiederholenden Bauernaufstände gegen die Leibeigenschaft.

Im Lande ginge große Veränderungen vor. Die Bevölkerung in den Städten vergrößerte sich. Der Handel mit Europa und im Inneren dehnte sich aus. Von den40-50er Jahren an beginnt die kapitalistische Manufaktur durch die Fabrik (die maschinelle Großindustrie) abgelöst zu werden. In den Fabriken arbeiteten bereits viele Lohnarbeiter. Die Fabrikanten begannen, aus dem Ausland Maschinen zu beziehen. Die Einfuhr der Maschinen aus dem Ausland stieg in den 25 Jahren von 1835 bis 1860 um das 25fache. Es entstanden Eisenbahnen. Im Jahre 1851, wurde eine große Eisenbahn gebaut, die die damals alte Hauptstadt Moskau mit der damals neuen, Petersburg, verband.

Jedoch der Entwicklung des Kapitalismus stand die Leibeigenschaft im Wege. Die Industrie arbeitete schlecht, da die leibeigene Arbeitskraft sich für die Entwicklung des Kapitalismus als unproduktiv und unvorteilhaft erwies. Auch in der Landwirtschaft erwies sich die Arbeit mit Leibeigenen als unvorteilhaft. Im Frondienst arbeiteten die Leibeigenen schlecht. Die Technik der Landwirtschaft war noch rückständiger als in der Industrie. Die Ernten waren schlecht. Die Gutsbesitzer, die Geld brachten, steigerten die Ausbeutung ihrer Leibeigenen. Die Bauern kamen herunter und verarmten.

 

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

 

 

 

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

ORIGINAL-TEXT aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1, aus dem Jahre 1947

Der Krimkrieg und die Verteidigung von Sewastopol

Die fortschrittlichen russischen Menschen, die für Abschaffung der Leibeigenschaft kämpften, sahen ein, dass in ihr der Grund nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die militärische Schwäche des Landes zu suchen sei. Sie sahen voraus, dass das Russland der Leibeigenschaft im Falle eines militärischen Zusammenstoßes mit den bürgerlichen Staaten Europas eine ernste Niederlage erleiden würde.

Die zaristische Selbstherrschaft strebte nach der Beherrschung der der Türkei gehörenden Meerengen: des Bosporus und der Dardanellen. Hier hatte Russland jedoch mächtige Nebenbuhler: England, Frankreich und Österreich. Jede von diesen Mächten war bemüht, das Wirtschaftsleben der Balkanhalbinsel in seine Hand zu bekommen. Die Meerengen wurden zur Quelle eines erbitterten Kampfes des zaristischen Russlands mit seinen starken Konkurrenten.

Der Krieg Russlands mit der Türkei brach im Jahre 1853 aus. Im Juni dieses Jahres besetzte eine 80 000 Mann starke russische Armee die Donaufürstentümer Moldau und Walachei. Im November 1853 spürte das Geschwader des Admirals Nachimow auf der Reede von Sinope (an der Südküste des Schwarzen Meeres) türkische Schiffe auf und versenkte sie. Jedoch war die Hauptmacht nicht die Türkei, sondern ihre mächtigen Verbündeten: England und Frankreich. Im Herbst 1854 führ ihre Flotte, die mehr als 360 Dampf- und Segelkriegsschiffe, gewaltige Transportschiffe, mit Truppen und Artillerie beladen, zählte, ins Schwarze Meer ein und nach Jewpatorija, wo sie vor Anker ging. Die russische Segelschiff-Schwarzmeerflotte konnte sich mit der Dampfschiffflotte nicht in ein Gefecht einlassen, und man beschloss, sie am Eingang der Bucht von Sewastopol zu versenken, damit sie dem Geschwader des Gegners den Zugang in diese versperren sollte.

Die Kriegshandlungen konzentrierten sich während des Ostkrieges vornehmlich in der Krim, daher wird der Krieg Russlands mit England und Frankreich in den Jahren 1853 bis 1855 auch Krimkrieg genannt.

Die Stütze der Verteidigung Russlands im Schwarzen Meer war die starke Seefestung Sewastopol. Die Zugänge zur Bucht und ihre Ufer waren gut befestigt und machten Sewastopol für den Feind von der Seeseite her unzugänglich. Aber von der Landseite her war Sewastopol überhaupt nicht befestigt. Seine Garnison war nicht groß, obgleich sie nach der Versenkung der Schiffe noch durch Matrosen ergänzt wurde.

Die Admirale Nachimow und Kornilow leiteten die Verteidigung. Indem sie das Zögern des Gegners ausnutzten, begannen sie, Sewastopol auf der Landseite zu befestigen, dabei auch nicht den leisesten Gedanken an einen Rückzug zulassend. „Wir werden bis zum letzten kämpfen“, schrieb Kornilow in einem seiner Befehle. „Es gibt keinen Weg zum Rückzug, hinter das Meer. Allen Vorgesetzten verbiete ich, das Rückzugssignal zu geben, dann erstecht einen solchen Vorgesetzten; erstecht den Trommler, der es wagen würde, ein solches schmachvolles Signal zu trommeln.“

Im Verlaufe von zwei Wochen wurde die Stadt mit drohenden Bollwerken und Feldbefestigungen umgeben. Die Schiffsgeschütze der versenkten Schiffe wurden in den Batterien aufgestellt. Als die verbündete Armee an Sewastopol herangerückt war in der Hoffnung, die Festung in einem leichten und schnellen Sturm zu nehmen, sah sie mit Erstaunen eine starke Befestigungslinie vor sich. Da die englisch-französischen Truppen nicht damit rechneten, dass ein Sturm Erfolg haben würde, gingen sie zur Belagerung der Stadt über und besetzten Balaklawa und die Fedjuchinhöhen.

Nachdem die Verbündeten Sewastopol eingeschlossen hatten, eröffneten sie am 5. Oktober 1854 ein gewaltiges Artilleriefeuer auf die Festung. Bei dem ersten Bombardement kam der Befehlshaber der Verteidigung, Kornilow, um.

Nach dem Tode Kornilows wurde Admiral Nachimow die Seele der Verteidigung Sewastopols. Die Matrosen nannten ihn einfach Pawel Stepanowitisch. Zwischen Nachimow und den Matrosen herrschte ein tiefes gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Liebe. Er rief die Matrosen auf, ihr Sewastopol bis zum Ende zu verteidigen.

Die von Nachimow erzogenen Matrosen wurden die Löwen der Nachimow genannt. Unter ihrem Einfluss befanden sich sämtliche Soldaten der Garnison Sewastopol.

Die Verteidiger Sewastopols zeigten eine unermüdliche Energie und ein hohes Verantwortungsbewusstsein bei dem Bau der Befestigungsanlagen. Unter der Oberleitung des Ingenieurs Totleben errichteten die Matrosen und Soldaten Befestigungen, besserten die zugefügten Beschädigungen aus, legten Unterstände an. Nicht selten ersetzten die Matrosen die ausgeschiedenen Artilleristen auf den Festungsbastionen. Tag und Nacht machten die Soldaten und Matrosen Ausfälle, überfielen die Vorposten des Feindes, zuweilen drangen sie in die feindlichen Schützengräben ein und begannen ein erbittertes Handgemenge.

Alle Einwohner Sewastopols unterstützten unermüdlich die Verteidiger der Festung – die Soldaten und Matrosen: die Frauen der Matrosen brachten den Verteidigern der Bastionen unter Lebensgefahr Speise und Wasser, schleppten Granaten heran, leisteten den Verwundeten Hilfe; selbst die Halbwüchsigen (altes Wort für Teenager P.R.) und die Kinder der Matrosen bestätigten sich mutig auf den Befestigungsanlagen.

Unter den Verteidigern von Sewastopol befand sich auch der spätere große Schriftsteller Nikolajewitsch Tolstoi. In seinen „Sewastopoler Erzählungen“ schilderte er mit großer künstlerischer Kraft die heroischen Tage der Verteidigung Sewastopols.

Zu Beginn des Jahres 1855 nahm der Kampf noch an Erbitterung zu. Der Feind führte von der Land- wie von der Seeseite her orkanartige Bombardements auf die Festung durch. Am 26. Mai unternahm er den ersten Sturm auf Sewastopol.

Nach einem erneuten Bombardement wurde der Sturm am 18. Juni 1855 wiederholt. Die Feinde stürzten sich auf eine ganze Reihe von Bastionen zugleich. Ungeachtet der Überlegenheit der Kräfte der Stürmenden haben-nach den Worten eines französischen Generals – „die Russen sich selbst übertroffen“.

Aber der Kampf wurde immer schwerer. In Sewastopol gab es nur 50 000 ermüdeter und entkräfteter Kämpfer. Die Verbündeten hatten 100 000 Mann an Truppen und nach wie vor das Übergewicht in der Bewaffnung. Einer nach dem anderen fielen die besten Organisatoren der Verteidigung Sewastopols, Istomin und Nachimow. Totleben wurde schwer verwundet, jeden Tag schieden viele Hunderte von Leuten aus.

Am 27. August 1855 begann der Feind einen neuen Sturm auf Sewastopol. Die russischen Soldaten und Matrosen unternahmen mehr als einmal Gegenangriffe. Die Abhänge des Malachowhügels waren mit Leichen übersät.

Schon war aber Sewastopol nicht mehr zu halten. In der Nacht gingen die Verteidiger auf Befehl des Kommandos auf die Nordseite über, nachdem die Pulverkammern und sämtliche Militärmagazine gesprengt worden waren. Die ruhmvolle 349tägige Verteidigung Sewastopols war beendet. Den Siegern verblieben nur „blutige Ruinen“, wie sie in ihren Meldungen schrieben. Sewastopol war gefallen, aber es war nicht besiegt. Russland war gezwungen, den Pariser Friedensvertrag zu unterschreiben, demzufolge es nicht das Recht hatte, im Schwarzen Meer eine Flotte zu halten.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

ORIGINAL-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“ aus dem Jahre 1947

Die bürgerlichen Reformen

Der Krimkrieg hatte die Rückständigkeit des leibeigenen Russlands und den gewaltigen Unterschied zwischen der für jede Zeit fortgeschrittenen bürgerlichen Armee und der rückständigen Armee des leibeigenen Russlands anschaulich gemacht. Die russischen Soldaten waren vornehmlich mit alten, langsam schießenden Steinschlossflinten bewaffnet, während die französischen und englischen Infanteristen schnellschießende und weittragende Gewehre hatten. Die russischen Soldaten waren berühmt wegen ihrer Tapferkeit, Ausdauer und Standhaftigkeit. Sie waren jedoch schlecht im Schießen ausgebildet und den Franzosen in der Taktik der aufgelockerten Schlachtordnung unterlegen. Die russische Artillerie war weniger weittragend als die englische und französische; außerdem fehlte es ihr an Pulver und Granaten, die nicht in ausreichender Menge erzeugt wurden. Die Versorgung der Armee mit Proviant hing ebenfalls völlig von der leibeigenen Landwirtschaft ab. Da es an Eisenbahnen fehlte, konnten die Reserven nur langsam herangeschafft werden.

Lenin betonte, dass „der Krimkrieg die Fäulnis und Kraftlosigkeit des leibeigenen Russlands erwies.“

Die Niederlage im Krimkrieg stellte das zaristische Russland vor die Notwendigkeit der unverzüglichen Abschaffung der Leibeigenschaft.

Dies verlangte auch die viele Millionen zählende Bauernschaft, die sich in ununterbrochenen Aufständen gegen das Leibeigenschaftsregime im Lande auflehnte. Die Jahre des Krimkrieges waren die Jahre besonders mächtiger Bauernaufstände. Im Jahre 1854 Hatte die Bauernbewegung zehn Gouvernements ergriffen. In den folgenden Jahren wuchs sie ununterbrochen an. Es ergab sich eine revolutionäre Situation im Lande. Aber die Bauernbewegung zu Anfang der 60er Jahre ging nicht in eine Revolution über. Lenin erklärte diese Tatsache damit, dass zu jener Zeit „das Volk, das Hunderte von Jahren in der Knechtschaft der Gutsbesitzer geschmachtet hatte, nicht imstande war, sich zu einem umfassenden, offenen, bewussten Kampf für die Freiheit zu erheben.“

Die Arbeiterklasse war noch schwach und konnte die Bauernschaft nicht zum Sturm gegen die Selbstherrschaft und die Leibeigenschaft führen.

Aber die Gefahr einer Bauernrevolution war eine Realität und veranlasste die zaristische Regierung, die Leibeigenschaft abzuschaffen.

Während des Krimkrieges im Februar des Jahres 1855, starb Nikolaj I. Den Thron bestieg sein Sohn Alexander II., ein ebensolcher Anhänger der Beibehaltung der Leibeigenschaft und der Unerschütterlichkeit der Selbstherrschaft wie sein Vorgänger. Aber die Gefahr einer Bauernrevolution veranlasste ihn, mit der Vorbereitung der Bauernreform zu beginnen. Im März des Jahres 1856 erklärte er vor einer Deputation der Moskauer Adligen: „Besser die Leibeigenschaft von oben abschaffen, als jene Zeit abwarten, wenn sie anfangen wird, von unter abgeschafft zu werden.“

Es wurde ein Hauptkomitee für die Bauernangelegenheit geschaffen, das aus höchsten Beamten und Großgrundbesitzern, also den Anhängern der Leibeigenschaft, bestand. In den Gouvernements wurden gewählte Komitees aus Adligen gebildet, die die Frage erörterten, wie die leibeigenen Bauern mit geringstem Nachteil für die Gutsbesitzer zu befreien wären.

Die Bauern waren von der Teilnahme an der Vorbereitung der Reform völlig ausgeschaltet, obgleich sie mehr als alle anderen an ihr interessiert waren. Zum Schutze der Interessen der leibeigenen Bauern trat der große revolutionäre Demokrat Tschernyschewskij auf. Er verfolgte aufmerksam den Gang der Reform und zeigte in seinen Artikeln in der Zeitschrift „Sowremennik“, dass die „Befreiung“, die von den Anhängern der Leibeigenschaft durchgeführt wurde, in Wirklichkeit ein Betrug und eine Ausplünderung der Bauern wäre. Tschernyschewskij meinte: wer auch immer die Bauern befreien würde, die Gutsbesitzer, also die Anhänger der Leibeigenschaft, oder die liberale Bourgeoisie, es würde stets nur „eine Scheußlichkeit herauskommen“. Tschernyschewskij forderte völlige Freiheit und unentgeltliche Übergabe der Gutsbesitzerländereien an die Bauern.

Aber die Bauernbewegung war vereinzelt und spontan. Den Anhängern der Leibeigenschaft gelang es, die Reform in einer ihrem eigenen Interesse dienlichen Weise durchzuführen. Am 19 Februar 1861 unterzeichnete Alexander II. das Manifest über die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Bestimmungen über die Regelung der Bauernangelegenheiten.

Die Bauern wurden persönlich für frei erklärt, nunmehr konnte der Gutsbesitzer die Bauern weder kaufen, noch verkaufen, noch austauschen. Er durfte sich nicht in ihr Familienleben einmischen. Die Bauern erhielten das Recht, sich mit Handel und Gewerbe zu beschäftigen, bewegliches und unbewegliches Eigentum zu besitzen. Sie konnten aus dem Bauernstand austreten und sich in den Kleinbürger- oder Kaufmannsstand „überschreiben“ lassen. All dies bedeutete, dass der Bauer laut Gesetz aus einem zwangspflichtigen Sklaven ein freier Mensch geworden war. Die persönliche Abhängigkeit der Bauern von den Gutsbesitzern war aufgehoben. Hierin bestand die große fortschrittliche Bedeutung der Bauernreform des Jahres 1861.

Aber diese ihrem Wesen nach bürgerliche Reform war von den Anhängern der Leibeigenschaft durchgeführt worden. Die Bestimmungen vom 19. Februar 1961 hatten viele feudale Überbleibsel im Dorf am Leben erhalten. In den Händen der Gutsbesitzer war nach wie vor gewaltiger Landbesitz verblieben. Die Ausmaße der Landparzellen der Bauern waren so berechnet, dass ihnen in vielen Gouvernements weniger Land verblieb als vor der Reform. In ganz Russland wurde vom Bauernland mehr als der fünfte Teil weggenommen, „Abgeschnitten“. Dieses Land – die „Otreski“ (Boden“abschnitte“) genannt- blieb in den Händen der Gutsbesitzer. Die Gutsbesitzer behielten mit Absicht die Gemengelage des Bauern- und Gutslandes bei. Das Gutsland zwängte nicht selten in Streifen in das Bauernland und zerschnitt es in Stücke. Die Bauern waren gezwungen, dieses Gutsland zu erhöhten Preisen zu pachten. Für die erhaltenen Bodenparzellen hatten die Bauern den Gutsbesitzern ungefähr 900 Millionen Rubel zu zahlen. Diese Summe entrichtete der Staat für die Bauern. Die Bauern waren jedoch verpflichtet, dem Fiskus diese Gelder mit Zinsen im Verlaufe von 49 Jahren zurückzuzahlen. Bis zur Revolution des Jahres 1905 hatten die Bauern im Ganzen mehr als 2 Milliarden Rubel an Einlösegeldern aufgebracht, In dieser gewaltigen Summe war nicht der nur der Wert des Grund und Bodens, sondern auch das Lösegeld für die Freiheit der Person des Bauern enthalten. Die Bauern erhielten das Land nicht als persönliches (privates) Eigentum, sondern als Eigentum der Bauerngemeinde oder des „Mir“. Die Bauern hafteten „einer für den anderen“ durch den gesamten „Mir“ dafür, dass dem Staat die Einlösegelder und Steuern gezahlt würden.

Die Reform des 19. Februar 1961 konnte die Bauern, die den Übergang des Gutsbesitzerlandes ohne jedes Lösegeld in die Hände gefordert hatten nicht befriedigen. Daher breitete sich nach der Veröffentlichung des Manifestes im ganzen Land eine Massenbewegung der Bauern in weiterem Umfang aus. Unter den Bauern verleitete sich das Gerücht, dass das Manifest und die Bestimmungen vom 19. Februar angeblich nicht die echten Erlasse des Zaren seinen, sondern dass die Beamten und Adligen „die wirkliche Freiheit“ verhehlt hätten. Die Bauern weigerten sich, das neue Gesetz anzukennen und fingen an, die Ländereien der Gutsbesitzer in ihren Besitz zu nehmen. Besonders drohend und anhaltend war der Aufstand der Bauern im Dorfe Besdna im Gouvernement Kasa und im Dorfe Kandejewka im Gouvernement Pensa.

Die aufständischen Bauern durchfuhren die Dörfer mit einer roten Fahne, auf der die Losung Stand: „Das gesamte Land ist unser.! Gegen die Aufständischen wurden Truppen geschickt, die die „Aufrührer“ grausam unterdrückten.

Der Kampf der Bauern um Land und Freiheit wurde von dem revolutionären Demokraten, an deren Spitze Tschernyschewskij und Dobroljubow standen, unterstützt.

Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft war die zaristische Regierung gezwungen, noch andere bürgerliche Reformen durchzuführen, mit dem Ziel, die selbstherrscherisch-polizeiliche Staatsordnung Russlands den neuern Verhältnissen anzupassen. Im Jahre 1864 wurden neue Organe der lokalen Verwaltung: die Kreis – Gouvernements-Semstows geschaffen. Sie verwalteten die Schulen, Krankenhäuser, Wege und das gesamte Wirtschaftsleben des Kreises. Die Semstwos wurden von den adligen Gutsbesitzern geleitet. Ihnen wurden bei den Wahlen die Mehrheit der Stimmen eingeräumt. In die Semstwobehörden konnten auch Bauern, allerdings nur in äußerst beschränkter Anzahl, gewählt werden. Der größte Teil der Sitze der bäuerlichen Vertretet fiel den reichen Kulaken zu. Auf diese Weise war die Gestaltung des gesamten bäuerlichen Lebens nach wie vor in die Hände der adligen Gutsbesitzer gelegt.

Im gleichen Jahr (1864) wurde eine Reform der Rechtspflege durchgeführt. Die Gerichtssitzungen fanden nun öffentlich statt. An den Kreisgerichten nahmen jetzt geschworene Beisitzer aus den Kreisen der Adligen sowie der städtischen und ländlichen Bourgeoisie teil. Zur Verhandlung kleiner Fälle wurden Friedengerichte eingesetzt. Im Dorfe amtierte das Bezirksgericht, nach dessen Entscheidung die Bauern der Prügelstrafe unterworfen werden konnten. Die politischen Fälle wurden vor den Obergerichten und im Senat, die sich in den Händen der Adligen befanden, verhandelt. Bei der zivilen Rechtsprechung kamen Gesetze zur Anwendung, die streng die Interessen der Gutsbesitzer und Kapitalisten wahrten. Die verhafteten Revolutionäre wurden in der Mehrzahl der Fälle ohne Prozess und Untersuchung nach Sibirien verbannt oder ins Gefängnis und Zuchthaus geschickt.

Im Jahre 1870 wurden die städtischen Dumas (Stadträte) geschaffen, die die städtische Wirtschaft, die Schulen, Krankenhäuser und verschiedene städtische Anstalten verwalteten. Die Stadtduma wählte ihr Vollzugsorgan: Die Stadtverwaltung mit dem Stadtoberhaupt an der Spitze. Das Wahlrecht für die städtische Selbstverwaltung hatten nur die reichen Kaufleute und Hausbesitzer. Die Tätigkeit der Stadtdumas stand unter Aufsicht der Gouverneure.

Im Jahre 1874 führte die zaristische Regierung eine Heeresreform durch. An Stelle von Rekrutenaushebungen wurde die allgemeine Militärdienstpflicht eingeführt. Die Jugend, die das 21. Lebensjahr erreicht hatte, erschien zur Einberufung und wurde zum Militärdienst eingezogen. Die Dienstzeit wurde von 25 auf 6 Jahre herabgesetzt, danach wurde der Soldat in die Reserve übernommen. Die Führung der Armee hatten nach wie vor die Adligen. Die Generale und Offiziere gingen mit seltenen Ausnahmen aus dem Adel hervor und erzogen die Soldaten im Geiste der Verteidigung der Interessen des Zaren und der Gutsbesitzer.

Alle diese Reformen zeugten davon, dass in Russland, wie auch in Westeuropa, an der Stelle der alten feudalen Ordnung die neue kapitalistische Ordnung trat, die gegenüber dem Feudalismus ein fortschrittlicheres System darstellte. In Russlandbestanden jedoch nach der Reform vom Jahre 1861 noch viele Überbleibsel der Leibeigenschaft fort, die die Entwicklung des Kapitalismus im Lande hemmten; daher bleib Russland hinter den fortgeschrittenen Ländern Europas immer mehr und mehr zurück. Das zaristische Russland machte erst den ersten Schritt auf dem Wege zur Umwandlung in eine bürgerliche Monarchie.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1, aus dem Jahre 1947