Bearbeitet von Petra Reichel
Die Montagsdemos waren wichtige Ereignisse der Konterrevolution in der DDR. Das hatte das MfS nicht erkannt. Es ist von aufmüpfigen Jugendlichen ausgegangen worden, die in diesem Schreiben als „dekadent“ bezeichnet werden. Dass sich rechtschaffende Bürgerinnen und Bürger an den Montagsdemos beteiligten, war dem MfS entgangen. PR.
Störungshandlungen feindlich-negativer Kräfte und „dekadenter“ Jugendlicher auf dem Markt
Auf der Grundlage von Informationen interner Quellen über geplante Störungshandlungen am 09.10.1989 auf dem Obermarkt wurde im Zusammenwirken mit dem Volkspolizei-Kreisamt, Der Volkspolizei-Bereitschaft Halle und in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse ein Sicherungseinsatz zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durchgeführt.
Zwischen 16:45 Uhr und 17:15 Uhr versammelten sich ca. 350 – 400 Personen (davon ca. 80% Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren) vor dem Eingang der Marktkirche. Der Zulauf erfolgte über den Ober- und Untermerkt in kleineren Gruppen zwischen 5 bis 25 Personen. Nachdem bereits 17:15 Uhr innerhalb der Ansammlung Kerzen (ca. 10 bis 15 Stück) angezündet wurden, kam es 17:30 Uhr zur Entfaltung von zwei Transparenten (Betttuch) mit den Texten:
- „Gewaltloses Widerstehen, Schweigen für Leipzig, Schweigen für Reformen, Schweigen für Hierbleiben“
- „Wir schweigen, obwohl wir viel zu sagen haben“
Das mit (1) gekennzeichnete Transparent wurde von Pfr. Hanewinckel (ev. Georgengemeinde) gehalten, der sich zusammen mit den kirchlichen Amtsträgern
- Sup. Buchenau
- Probst (Name unkenntlich gemacht)
- Pfarrer (Name unkenntlich gemacht)
- Pfarrer (Name unkenntlich gemacht)
In der Nähe der Ansammlung aufhielt. Am Schaukasten der Marktkirche war das mit (2) gekennzeichnete Transparent angebracht.
Erst nachdem im Gespräch Probst (Name unkenntlich gemacht) aufgefordert wurde, disziplinierenden Einfluss geltend zu machen, wurden die Kerzen gelöscht und die Transparente entfernt.
Ca. 200 Personen, darunter überwiegend Gläubige, betraten 18:05 Uhr die Kirche, wobei der andere Teil von ebenfalls 200 Personen vor der Kirche verblieben. Da diese sich trotz mehrfacher Aufforderung und vereinzelter Zuführungen (vorläufiger Festnahmen P.R.) nicht entfernten, mussten sie durch die Volkspolizei von der Kirche abgedrängt werden. Der hartnäckige Kern „dekadenter“ Jugendlicher und Jungerwachsener verblieb im Bereich des Roten Turm und widersetzte sich der Auflösung der Ansammlung. Daraufhin wurden von 18:10 Uhr bis 19:25 Uhr weitere Personen (insgesamt 38 Personen) zugeführt (vorläufig festgenommen P.R.). Darunter befand sich auch die Mitarbeiterin der Kaderabteilung (Personalabteilung P.R.) HO Industriewaren
(Name unkenntlich gemacht)
Halle-Neustadt, Block 399/1.
Gegen Initiatoren wurden Ermittlungsverfahren und Verfahren zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten eingeleitet. Alle anderen wurden belehrt.
Die eigentliche kirchliche Veranstaltung in der Marktkirche wurde als Andacht von 18:10 bis 19:00 Uhr durchgeführt. Im Verlauf wurde durch die kirchlichen Amtsträger Einfluss auf die Anwesenden genommen, so dass nach Beendigung ein reibungsloser Abgang vom Markt erfolgte.
Im Ergebnis konnte eingeschätzt werden, dass die genannten Amtsträger, insbesondere Pfr. Hanewinckel und (Name unkenntlich gemacht) ihre Einflussnahme herauszögerten und indirekt zu den genannten Aktionen ermunterten. Die am Roten Turm versammelten Jugendlichen suchten offensichtlich die Konfrontation mit den Sicherungskräften, was durch provozierende Äußerungen und Widerstandshandlungen zum Ausdruck kam. (Krawallmacher hatten die Situation ausgenutzt. Das MfS hatte sie Leute überbewertet. P.R.)
Durch das konsequente offensive Handeln der Sicherungskräfte konnte die beabsichtigte Eskalation der Störungshandlungen unterbunden werden.
Der Leiter der Kreisdienststelle hat unterschrieben.
Ein weiteres Schreiben von der Volkspolizei (Tagesbericht) befasst sich mit demselben Ereignis. Es ist sachlich-nüchtern gehalten und nennt mehrere Personen namentlich, die festgenommen wurden, da sie seinerzeit illegales Material dabeihatten. Es handelt sich um bislang rechtschaffende Bürgerinnen und Bürger. Einer war betrunken und nutzte die Situation, um Krawall zu machen. Dieses Schreiben hängt auch als Dokument diesem Beitrag an.


