Versuch das Treffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel (1970) zu sabotieren

Absichten reaktionärer Kräfte zum Besuch in Kassel

 

Ein historisches Ereignis nach einem Dokument des MfS wiedergegeben.

Pläne und Maßnahmen reaktionärer Kräfte zum Treffen des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, mit dem Bundeskanzler der BRD Willy Brandt am 21. Mai in Kassel.

Anlässlich des Treffens des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, mit dem Bundeskanzler der BRD, Willy Brandt, am 21.05.1970 in Kassel planten rechte, nationalistische und revanchistische sowie linksradikale, anarchistische Kreise eine Anzahl gegen die DDR und gegen die DDR-Delegation und Willi Stoph persönlich gerichtete Aktionen.

Nach dem Treffen der Regierungschefs der BRD, Willy Brandt, und der DDR, Willi Stoph, zu einem ersten Gipfeltreffen in Erfurt, fand am 21.05.1970 in Kassel ein Folgetreffen statt. Diese Begegnungen waren Ausdruck der „Neuen Ostpolitik“ der Bundesregierung. Konkrete Beschlüsse brachten die Treffen nicht. In Reaktion auf diese Situation schlug Willi Stoph eine „Denkpause“ und die Aussetzung weiterer Gespräche vor. Erst im November 1970 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. (Im Nachhinein kann man sagen, dass diese Treffen der erste „Sargnagel“ für die DDR waren. Doch damals schöpfte man in der BRD und der DDR Hoffnungen auf Frieden und Verständigung.P.R.)

Obwohl einzuschätzen ist, dass eine Vielzahl der geplanten Vorhaben nicht umsetzbar waren, wurden unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der DDR-Delegation alle Hinweise auf mögliche Provokationen, Störmanöver usw. ernstgenommen. In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, dass internen Informationen (des MfS P.R.) zufolge Führungskräfte der westdeutschen Polizei teilweise stärker auf die geplanten Aktionen progressiver Organisationen sowie auf die erwarteten Auseinandersetzungen dieser Organisationen mit reaktionären Kräften orientierten als auf die Absicherung der Verhandlungsdelegation und des Verhandlungsortes.

Nachstehend eine Übersicht über die dem MfS in diesem Zusammenhang intern offiziell bekannt gewordenen feindlichen Plänen und Absichten:

Der Schwerpunkt der geplanten feindlichen Maßnahmen lag im Raum Kassel, wo besonders am 21.05. 1970 bzw. bereits am Vorabend des Verhandlungstages sogenannte Protestdemonstrationen, Hetzkundgebungen und andere Provokationen stattfinden sollten.

Im Vorfeld und während des Besuches von Willi Stoph kam es im Raum Kassel zu mehreren großen und zum Teil auch gewaltsamen Protesten, die von verschiedenen Gruppen aus dem konservativen und rechtsradikalen Lager organisiert wurden, sowie zu Gegendemonstrationen aus dem linken Spektrum.

Als unmittelbare Initiatoren und Veranstalter sollten insbesondere die NPD, die Junge Union und revanchistische Organisationen in Erscheinung treten. Darüber hinaus wurden dem MfS zum damaligen Zeitpunkt folgende Einzelheiten bekannt:

In der „National-Zeitung“, Ausgabe Nr. 19 vom 08.05.1970, wurden Leserstimmen veröffentlicht, die auffordern, „unter Führung der CDU/CSU, der Leiter der Vertriebenenverbände“, des „Deutschen Soldatenbundes“ und „aller freiheitlich Gesinnten“ in „Massen“ nach Kassel zu kommen.

Die „National-Zeitung“ war eine zwischen 1950 und 2019 erschienene rechtsradikale Wochenzeitung.

Der Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Kyffhäuserbund war bis 1945 Dachverband der Kriegervereine, wurde aufgrund seiner Nähe zum Nazi-Regime bei Kriegsende verboten und 1952 in der BRD als Deutscher Soldatenbund (Kyffhäuserbund) wiedergegründet.  

Der damalige NPD-Vorsitzende von Tadden erklärte offiziell demagogisch, dass am Tage des Treffens selbst die NPD in Kassel keine Aktionen veranstalten werde. Die NPD wolle jedoch auf einer Kundgebung in Kassel am Abend des 20.05.1970 „gegen die Anerkennung der deutschen Teilung und für das Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung“ eintreten. Auf einer Hetzkundgebung wollte von Tadden selbst sprechen. Nach inoffiziellen Hinweisen plante die NPD außer der Kundgebung am Abend des 20.05.1970 eine Demonstration in Kassel unter der Teilnahme von Mitgliedern aus dem Bundesgebiet. Nach internen Hinweisen wollte die NPD ihren sogenannten Ordnungsdienst neu organisieren und in Kassel einsetzen. Vorbereitungen wären im Gange.

Adolf von Tadden war ein rechtsextremer Politiker, 1939-1945 Kriegsdienst, 1945/46 Haft in Polen mit anschließender Flucht nach Deutschland, 1947 Eintritt in die rechtsextreme Deutsche Rechtspartei, 1950 Mitbegründer der Deutschen Reichspartei, 1961-64 deren Vorsitzender, 1964 Mitbegründer der NPD, 1967 – 71 deren Vorsitzender, 1964-72 Herausgeber des NPD-Parteiorgans „Deutsche Nachrichten“, ab 1975 Chefredakteur der „Deutschen Wochenzeitung“.

Eine „lautlose Demonstration“ in Form einer „Schweigefahrt“ mit dem PKW wollten – wie intern bekannt wurde- die NPD-Landesverbände Hessen und Bayern durchführen. Die Fahrzeuge sollten mit Hetzlosungen versehen werden („Kein freies Geleit für Mörder“, „Freiheit für unsere Brüder“, „Raus mit Stoph“ usw.). Sollte diese Demonstration nicht genehmigt werden, wollten sich diese NPD-Gruppen unter Umständen Demonstrationen der CDU7CSU anschließen, ohne sich äußerlich zu erkennen zu geben.

Rechtsextremistische Kreise, besonders aus der NPD, haben in Flugblättern zu einer „Gesamtdeutschen Aktion“ Willi Stoph in Kassel aufgerufen. Es wird gefordert, unter „Freunden und Bekannten“ für eine Demonstration“ am 21.05.1970 zu werben und an vorgesehene Adressen namentlich mitzuteilen, wer daran teilnimmt. Weiterhin wird in dem Flugblatt aufgefordert, „Vorschläge für Aktionen in Kassel“ zu machen.

Die Junge Union plante am Vorabend der Begegnung in Kassel einen „Schweigemarsch“. In dem Zug-es wurden etwa 3 000 Mitglieder erwartet- sollten 535 Fackeln getragen werden. (Die Zahl würde den Toten „der Mauer und Demarkationslinie“ entsprechen.) Die Initiative für diese Provokation ging von den Landesverbänden Hessen und Westberlin aus, die dazu ein Aktionskomitee „Wir gehen nach Kassel“ unter Vorsitz von Wohlrabe (MdB/CDU) geründet und alle Landesverbände der Jungen Union in Westdeutschland aufgefordert haben, an der Demonstration teilzunehmen. In Westberlin sollten ca. 500 Mitglieder für die Teilnahme gewonnen werden. Etwa 1 200 Anmeldungen aus Westdeutschland und Westberlin würden bereits vorliegen. Für die gesamte Aktion stellten die CDU und der Bundesvorstand der Jungen Union 350 000 DM zur Verfügung.

Jürgen Wohlrabe, Jahrgang 1936, CDU-Politiker, ab 1958 in der Studentenbewegung der CDU, 1979-95 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Westberlin, 1989-91 Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses.

Der neue SPD-Informationsdienst „intern“ berichtete in seiner ersten Nummer vom 10.05.1970, dass der Bundesvorstand der CDU erwäge, in Kassel durch eine Plakataktion „Akzente zu setzen“. Auf den Plakaten soll der Bonner Regierung „Verzichtsausverkaufspolitik“ vorgeworfen werden.

Der Informationsdienst „intern“ wurde zwischen 1970 und 2017 als Nachfolger der „bonner depeschen“ vom Bundesvorstand der SPD herausgegeben.

Auf einer Bundesvorstandssitzung des „Freundeskreises der CSU“ seien nach Mitteilung einer zuverlässigen Quelle folgende Maßnahmen festgelegt worden:

  • Blockierung der Fahrstrecke vom Bahnhof Wilhelmshöhe bis zum Tagungsort am 21.05.1970 durch Organisierung von Sitzstreiks;

  • Aufstellung von schwarzen Kreuzen und Hetzplakaten (Darstellung der Sicherungsanlagen der Staatsgrenze der DDR) sowie Organisierung von Sprechchören;

  • Druck von 10 000 Hetzflugblättern, in denen gegen Willi Stoph gehetzt werden soll.

Die Kirche hatte die Absicht, in Kassel auf einem größeren Platz, zusammen mit der Inneren Mission ein großes Zelt aufzustellen und darin Veranstaltungen durchzuführen. (Derselbe Standort für die Errichtung eines Zeltes sei der DKP abgelehnt worden.)

Der „Bund der Vertriebenen“ wollte am 21.05.1970 demonstrieren. Einen entsprechenden Antrag auf Genehmigung habe er an den Kasseler Magistrat gestellt. Weitere Einzelheiten lagen zum damaligen Zeitpunkt nicht vor.

Der Bund der vertriebenen Deutschen (BVD, seit 1954) wurde 1949 von Linus Kather als Zentralverband der vertriebenen Deutschen gegründet. Im Jahre 1957 schloss sich der BVD mit dem Verband der Landsmannschaften zum Bund der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände zusammen.

Die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ (VOS) hatte ebenfalls die Absicht, am 21.05.1970 in Kassel zu demonstrieren. Es sollte ein Demonstrationszug von etwa 200 Mitgliedern organisiert werden, die in Häftlingskleidung auftreten sollten.

Die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ wurde 1950 in Westberlin gegründet. Sie betreute vormals in sowjetischen Lagern und Haftanstalten inhaftierte sowie kriegsgefangene Deutsche und setzte sich für die Aufarbeitung der diktatorischen Herrschaft primär in der DDR ein. (Ach das kennen wir ja. Die Opferverbände – heute gehören sie zu den Siegern der Geschichte. P.R.)

Der Westberliner Landesvorstand der „Vereinigung 17. Juni 1953“ hatte die westdeutschen Landesverbände aufgerufen, am 21.05.1970 nach Kassel zu kommen. Das Ziel bestand darin, etwa 2000 Mitglieder für Kassel zu mobilisieren. Es sollte erreicht werden, dass die Mitglieder der Vereinigung aus „Protest“ die Anfahrtsstrecke zum Tagungsort blockieren. Weiterhin sollten Lautsprecherwagen eingesetzt werden. Darüber hinaus wurde eine Flugblattaktion vorbereitet.

Aus dem „Komitee 17. Juni“, das aus Aktivisten des „Aufstandes“, die sich durch Flucht in den Westen ihrer Verantwortung entzogen haben, hervorgegangener, im August 1957 gegründeter Verein, der sich besonders nach dem 13.08.1961 antikommunistischer Propaganda, der Ablehnung von Verständigungs- und Entspannungsbemühungen westlicher Politiker und militanter Übergriffe auf Funktionäre und Büros der SEW oder Repräsentanten der DDR und UdSSR widmete.

Außer den bisher genannte Aktionen der von rechten Kräften entfachten Atmosphäre der Morddrohung hatten Personen aus Westdeutschland an Willi Stoph Drohbriefe gerichtet. So hatte jemand aus Mannheim Willi Stoph angedroht, er werde „auf dem Boden von Kassel von Scharfschützen abgeschossen“.

Strafantrag gegen Willi Stoph haben außer Gerhard Frey (Herausgeber der „National-Zeitung“) folgende Personen gestellt:

  • Pöhlmann (stellv. NPD-Bundesvorsitzender und NPD-Fraktionsvorsitzender im bayrischen Landtag)

  • Heinze (NPD-Abgeordneter aus Augsburg)

  • Kuhnt (Fraktionsvorsitzender der NPD vom Landtag Baden-Württemberg)

  • Stöckicht (stellvertretender NPD-Fraktionsvorsitzender vom Landtag Baden-Württemberg)

  • Und noch Einer aus Starnberg/Bayern

Wie eine vertrauenswürdige Quelle berichtete, hatten auf dem Landesparteitag der NPD von Nordrhein-Westfalen am 25. und 26.04.1970 einzelne Delegierte Drohungen gegen Willi Stoph geäußert. So erklärte das 1968 im Zusammenhang mit einem bewaffneten Überfall auf das DKP-Büro in Bonn bekanntgewordene NPD-Mitglied Hengst, Bernd, es sei für ihn „Ehrensache“ nach Kassel zu reisen, denn er wolle Stoph „persönlich ohrfeigen“.

Am 02.10.1968 verübte der Rechtsextremist Bernd Hengst einen bewaffneten Überfall auf ein DKP-Büro in Bonn.

Bernd Hengst Jahrgang 1943, NPD-Politiker, 1967/68 bis zu seiner Verhaftung am 13.02.1971 führender Kopf der „Wehrsportgruppe Hengst“, einer rechtsterroristischen Vereinigung, die Anschläge plante und verübte.

Das Mitglied der Gewerkschaftsorganisation „Christlicher Metallarbeiterverband“ im Volkswagenwerk Baunatal bei Kassel, äußerte nach offizieller Darstellung der DPK: „Wenn es schon keine Handhabe gibt, den Stoph zu verhaften, so wird sich ein deutscher Mann finden, der hinter dem Zielfernrohr den Finger krumm macht.“

Gemeint ist die 1899 geründete „Christliche Gewerkschaft Metall“, die zum Christlichen Gewerkschaftsbund gehört.

Es lagen Informationen darüber vor, dass neben rechtsextremistischen Kräften auch linksradikale, anarchistische Kreise um die „Internationale Arbeiterkorrespondenz“ in Frankfurt/Main versuchen unter den Funktionären des DGB und der SPD Stimmung zu machen für Parolen, wie „Zwingt Brandt und Stoph am 21. Mai Farbe zu bekennen“.

„Internationale Arbeiterkorrespondenz“ ist der Name einer trotzkistischen Zeitschrift, die von 1965 bis 1981 erschien.

Auch die „Kommunistische Partei Marxisten-Leninisten“ trat gegen das geplante Treffen in Kassel auf. Eine ihrer Losungen lautete: „Stoph und Brandt: Verräter der deutschen Arbeiterklasse“. Mit solchen Losungen planten die sogenannten Marxisten-Leninisten sowie Trotzkisten in Kassel aktiv zu werden (nähere Einzelheiten waren zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt).

Die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten war eine westdeutsche kommunistische Kleinpartei, die 1968 in Hamburg gegründet wurde und sich zunächst an das maoistische China, später an Albanien anlehnte. Sie ging 1986 in der Vereinigten Sozialistischen Partei auf. (Das war eine der damaligen K-Gruppen, aus denen später Politikerinnen und Politiker der SPD und der GRÜNEN hervorgegangen sind. P.R.)

Nach einer internen, nicht bestätigten Information sollten die Kubaner Jorge Fraga, Regisseur aus Havanna, und Alfredo Guevara, Präsident des ICAIC (Kubanisches Institut für Filmkunst und Filmindustrie, gegründet 1959, größte staatliche Filmgesellschaft Kubas), anlässlich der Dokumentar- und Kurzfilmwoche (11.-18.04.1970 in Oberhausen) zum Ausdruck gebracht haben, dass sie es begrüßen würden, wenn auf Stoph geschossen würde. Die Kubaner erklärten, die „Linken“ wären klug, wenn sie einen solchen Anschlage inszenierten, da dann die wirklichen Zustände in der BRD zur Oberfläche kämen. (Eigenartige Logik- P.R.)

Geplante Störmaßnahmen und Hetzkundgebungen, die über den Raum Kassel hinausgehen, wurden seitens der NPD nicht bekannt. Im Einzelnen handelt es sich um

  • Abbrennen von „Mahnfeuern“ entlang der Staatsgrenze zur DDR am Vorabend des Treffens. Dazu will die NPD die Landsmannschaften und andere revanchistische Organisationen mobilisieren.

  • Durchführung von Hetzkundgebungen in einigen-zum damaligen Zeitpunkt unbekannten- westdeutschen Städten.

  • Verteilung von Hetzflugblättern in Westdeutschland.

Vom MfS wurden die notwenigen Maßnahmen zur weiteren Aufklärung der feindlichen Pläne, Absichten und Maßnahmen eingeleitet.

Nachbemerkungen von Petra Reichel

Dass damals in der BRD im Vorfeld eines Staatsbesuchs nicht die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen geplant und durchgeführt wurden, ist aus heutiger Sicht verwunderlich.

Die „Hau-drauf“- und „Hau-Ruck“- Methoden gegen die DDR hatten keinen Erfolg. Allerdings hatten die damals Verantwortlichen der DDR übersehen, dass die indirekte Strategie, die DDR von innen zu erodieren, auf lange Zeit Erfolg hatte.

Siehe Egon Bahr und die Tutzinger Rede von Egon Bahr und den Gastbeitrag von Karl-Heinz Schulze zum Brandt-Besuch in der DDR 1970 und MfS-Dokument zum Brandt-Besuch von 1970.

Dokument nur noch als Abschrift erhalten. Zum Original-Dokument ist nur noch die 1. Seite als Faksimile vorhanden.

entnommen aus dem Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv

Reaktion der Bevölkerung der DDR auf das Treffen zwischen Willi Stoph und Willy Brandt in Kassel (1970)

Ein historisches Ereignis nach einem Dokument des MfS wiedergegeben.

Entnommen aus dem Bundesarchiv Stasi-Unterlagen-Archiv

Der Umfang der Reaktion der Bevölkerung der DDR war in der Phase der Vorbereitung des Treffens in Kassel relativ gering, nahm aber unmittelbar am Verhandlungstag wesentlich zu.

Nachdem am 19.03.1970 die Regierungschefs der BRD, Willy Brandt, und der DDR, Willi Stoph, zu einem ersten Gipfeltreffen in Erfurt zusammengekommen waren, fand am 21.05.1970 in Kassel ein Folgetreffen statt. Die Begegnungen waren Ausdruck der „Neuen Ostpolitik“ der Bundesregierung, die auf eine Annäherung der beiden deutschen Staaten abzielte. Konkrete Beschlüsse brachten die Treffen nicht, beide Seiten beharrten auf Maximalforderungen für weitere deutschlandpolitische Initiativen, die eine Annäherung zu diesem Zeitpunkt unmöglich machten. In Reaktion auf diese Situation schlug Willi Stoph eine „Denkpause“ und die Aussetzung weiterer Gespräche vor. Erst im November 1970 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen.

Nach dem Treffen setzte eine stark rückläufige Tendenz in der Reaktion der Bevölkerung auf das Treffen in Kassel ein, was sich zum damaligen Zeitpunkt fortsetzte.

Stärker wurden Fragen diskutiert, wie

  • Die Aggression gegen Kambodscha und den Libanon,

  • ungeklärte Probleme im Zusammenhang mit der Planerfüllung in Industrie und Landwirtschaft,

  • Schwierigkeiten auf dem Gebiet von Handel und Versorgung (besonders die teilweise unkontinuierliche Versorgung mit Fleisch- und Wurstwaren),

  • geplante lohnpolitische Maßnahmen im Bereich der Volksbildung.

Zwischen März 1969 und Mai 1970 versuchten amerikanische Truppen in einer zunächst geheimen Luftoffensive den Nachschub für den prokommunistischen Vietcong aus Kambodscha zu unterbinden. Als die Bombardements nicht die erhofften Erfolge zeitigten, gingen im Frühjahr 1970 südvietnamesische and amerikanische Truppen zu begrenzten Bodeneinsätzen im Süden Kambodschas über.

Am 08.05.1970 töteten libanesische Terroristen in einem Kibbuz in Israel mehrere Schulkinder. Als Vergeltung bombardierte die israelische Armee Dörfer im Libanon, wobei ebenfalls mehrere Menschen zu Tode kamen.

Unmittelbar am Tage der Verhandlungen in Kassel bestand nach übereinstimmenden Berichten bei einem großen Teil der Bevölkerung der DDR ein starkes Informationsbedürfnis, wobei das Interesse hauptsächlich auf mögliche Ergebnisse des Treffens richtete.

Vermehrt wurden an diesem Tage wiederum Sendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen abgehört, mehrfach mit einer solchen Begründung, dass man sich „von beiden Seiten her“ informieren müsste. Verbreitet setzte sich am Verhandlungstag die Meinung durch, dass die Sender der DDR anlässlich dieses Ereignisses eine ausreichende und übersichtliche Publikation geleistet hätten, wobei solche Argumente auch von Personen bekannt wurden, die als ständige Empfänger westlicher Stationen bekannt waren.

Obwohl der Umfang der Diskussionen zum Treffen in Kassel erheblich nachgelassen hatte und zum damaligen Zeitpunkt keinen Schwerpunkt mehr darstellte, wurden eine Reihe politischer Meinungsäußerungen besonders von dem an politischen Tagesfragen interessierten Teil der Bevölkerung weiterhin an Verlauf, Inhalt und Ergebnis bestimmt. Der überwiegende Teil dieser Diskussion beinhaltete zustimmende Äußerungen zum Zustandekommen des Treffens in Kassel.

Das Treffen wurde mehrfach als konkreter Bestandteil der Klassenauseinandersetzung gewertet.

Folgende inhaltliche Komplexe spiegelten sich in den positiven Diskussionsrichtungen wider:

  • Der Vertragsentwurf der DDR ist und bleibt eine reale Grundlage für die Normalisierung zwischen beiden deutschen Staaten.

  • Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR ist Voraussetzung für normale Beziehungen zwischen der DDR und der BRD und gleichzeitig Maßstab dafür, inwieweit die Bundesregierung an der Schaffung solcher Beziehungen interessiert ist.

  • Mit ihrer Initiative leistet die DDR einen konstruktiven Beitrag für die Entspannung in Deutschland und die Sicherheit in Europa.

  • Verhandlungen sind notwendig und richtig. Je länger der Frieden erhalten wird, umso stärker wird die DDR und das gesamte sozialistische Lager.

  • Die DDR hat seit Jahren immer wieder Verhandlungsvorschläge unterbreitet. Das Treffen in Kassel ist das Ergebnis unseres Staates und ein Zeichen der wachsenden Autorität der DDR.

Am 18.12.1969 hatte Walter Ulbricht den Entwurf eines Vertrages über die „Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen“ an Bundespräsident Gustav Heinemann geleitet. Vgl. zur Übergabe des Briefes in Bonn ausführlich: Kaiser, Monika _ Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972. Berlin 1997, Seite 349

Gleichzeitig spiegelten die zum Teil abgebenden Verpflichtungen die Bereitschaft vieler Bürger und Bürgerinnen wider, durch den Kampf um eine hohe Planerfüllung ihren Beitrag zur Stärkung der DDR zu leisten.

In allen Bevölkerungsschichten war am Verhandlungstag eine starke Reaktion auf die Vorkommnisse in Kassel zu verzeichnen, wobei diese Ereignisse auch seinerzeit noch einen relativ großen Anteil der bekannt gewordenen Äußerungen der Bevölkerung einnahmen. Die überwiegende Zahl der sich zu diesem Komplex äußernden Personen brachte ihre Empörung über

  • die Schändung der DDR-Staatsflagge vor dem Verhandlungshotel,

  • das provokatorische Auftreten neonazistischer Kräfte, besonders bei der Ankunft der DDR-Delegation und an der Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus in Kassel,

  • die Schändung des Kranzes der DDR-Delegation,

  • die Tatsache, dass diese gefährlichen Provokationen unter den Augen und mit Duldung der westdeutschen Polizei unternommen werden konnten,

  • das zynische und arrogante Auftreten des Regierungssprechers Ahlers während der Pressekonferenz in Kassel

    zum Ausdruck und werteten diese Ereignisse als Zeichen einer zunehmenden Faschisierung in Westdeutschland.

Als Willi Stoph im Schlosshotel Wilhelmshöhe in Kassel zu Unterredungen mit Willy Brandt weilte, rissen drei jugendliche Rechtsextreme die DDR-Flagge vor dem Tagungsort herunter. Die Gespräche wurden nach einem förmlichen Protest Stophs unterbrochen und nach einer Entschuldigung Brandts fortgesetzt.

Die für den Nachmittag des 21.05.1970 geplante Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Fürstengarten wurde angesichts massiver und teils gewalttätiger Proteste abgesagt und konnte erst nach Auflösung der Demonstration am Abend erfolgen.

Die Schleifen an dem vom Willi Stoph am Abend des 21.05.1970 vor dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Fürstengarten niedergelegten Kranzes wurden in der darauffolgenden Nacht von Unbekannten entwendet.

Conrad Ahlers, Jahrgang 1922, Journalist und SPD-Politiker, 1951/52 Chef vom Dienst des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1952-54 Pressereferent im Amt Blank, 1954-57 Redakteur der Tageszeitung „Die Welt“, 1957-59 Korrespondent des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, 1962-65 dessen stellvertretender Chefredakteur, 1966-69 stellvertretender, dann 1969-72 Regierungssprecher und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. (siehe auch „Die Spiegelaffäre“)

Die Unterstützung neofaschistischer und revanchistischer Kräfte durch die führenden politischen Kreise in der BRD sei offensichtlich gewesen. Im Zusammenhang mit der Beurteilung dieser Vorkommnisse traten auch solche Personen positiv in Erscheinung, die zu anderen Anlässen als politisch desinteressiert eingeschätzt wurden. Diese positiven Stellungnahmen waren oft mit der Forderung verbunden, die BRD sollte nun Endlich eine der Realität entsprechende Haltung zu den von der DDR gestellten Grundproblemen, besonders zur völkerrechtlichen Anerkennung, einnehmen.

Betont wurde, durch die Berichterstattung im Fernsehen usw. seit vor der internationalen Öffentlichkeit der wahre Charakter der BRD entlarvt worden. Andererseits sei aber auch klar geworden, dass viele fortschrittliche Menschen in Westdeutschland die Bonner Politik nicht billigen und den Mut aufbringen, durch konzentriertes Auftreten ihren friedlichen Absichten vor der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Wiederholt traten Meinungen auf, durch die Störaktionen der Neonazis seien auch Teilen der westdeutschen Bevölkerung die Augen geöffnet worden, sodass es zur weiteren Differenzierung unter der westdeutschen Bevölkerung kommen könnte. Im Ausland seien über das Erstarken des Neonazismus in der BRD bestätigt worden, da der Faschisierungsgrad in Kassel besonders deutlich geworden sei. Vereinzelt sind in den Diskussionen jedoch auch Tendenzen der Abschwächung der Bedeutung der neofaschistischen Ausschreitungen bekannt geworden.

Sie beinhalten im Wesentlichen:

  • Die Vorfälle sollten nicht zu ernst genommen und nicht „aufgebauscht“ werden.

  • Die Fahnenprovokation wäre lediglich eine Einzelaktion dreier Unverbesserlicher.

  • In Kassel hätten sich nur einige Jugendliche vor Fernsehen und Presse hervortun wollen, um Abenteuerlust zu stillen; mit Politik habe das aber nichts zu tun.

  • Die Aktionen in Kassel seinen lediglich so zu sehen, dass die westdeutsche Bevölkerung Familienzusammenführungen usw. wünschten. Von unserer Seite würden die Vorkommnisse aufgewertet.

  • Das Verhalten Einzelner sei nicht mit der politischen Konzeption der Bonner Regierung zu identifizieren.

Im Zusammenhang mit Diskussionen über die Ergebnisse des Kasseler Treffens setzte sich immer mehr die Kenntnis durch, dass eine lange Periode von Verhandlungen notwendig ist, ehe es zu konkreten Vereinbaren zwischen der DDR und der BRD kommen kann. Überwiegend wurde anerkannt, dass der erste Schritt die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die BRD sein muss. Es wurde betont, die Chancen, zu realen Ergebnissen und sofortigen Übereinkommen zu kommen, wären von vornherein äußerst minimal gewesen.

Ausgangspunkt solcher Erwägungen sind bereits im Zusammenhang mit dem Erfurter Treffen aufgetretene Widersprüche zwischen Wort und Tat des westdeutschen Bundeskanzlers, der Verlauf des SPD-Parteitages in Saarbrücken, die Haltung zum WHO-Aufnahmeantrag der DDR, die Verhaftung von DDR-Journalisten u.a.m.

Wiederholt traten Äußerungen auf, das Treffen in Kassel stelle lediglich eine Erwiderung des Brandt-Besuches in Erfurt dar und sei daher nur als Geste der Demonstration zu bewerten.

Die SED-Führung schlug im Vorfeld des Erfurter Gipfeltreffens Berlin/DDR als Ort der Begegnung vor. Sie bestand allerdings darauf, dass Brandt nicht über Westberlin einreiste, sondern auf dem Flughafen Schönefeld landen sollte. Dies lehnte die Bundesregierung ab. Am 12.03.1970 einigten sich die Unterhändler auf Erfurt als Ort der Begegnung. Wenige Tage vor dem Treffen äußerte sich Regierungssprecher Conrad Ahlers auf einer Pressekonferenz über die Arbeitsbedingungen der westdeutschen Delegation, die DDR sei ein „halbwegs zivilisiertes Gebiet“. Diese in den Medien der BRD aber auch der DDR verbreiteten Äußerungen sorgten für Verärgerung bei der SED. Vgl. Seltsame Töne. In: ND v. 14.03.1970, Seite 2; Erfurter Bürger weisen Frechheiten von Ahlers entschieden zurück. In: ND v. 17.03.1970, Seite 1

Der 14. SPD-Parteitag fand vom 11. Bis 14.05.1970 in Saarbrücken statt.

Die SED-Führung stellte 1966 einen offiziellen Antrag auf Aufnahme in die Weltgesundheitsorganisation. Im April 1970 stellte die im Westen noch immer nicht anerkannte DDR einen neuen Aufnahmeantrag, der ebenfalls scheiterte. Die Aufnahme kam aber erst 1973 mit der Aufnahme in die Vereinten Nationen zustande.

Die Reporter des DDR-Magazins „Neue Berliner Illustrierte“, Hans-Joachim Mollenschott und Manfred Schulz, waren am 14.05.1970 auf der Fahrt nach München an der Weiterreise gehindert und zur Rückkehr in die DDR gezwungen worden. Vgl. Unerhörte Provokation. Polizei der Bundesrepublik verhaftet DDR-Journalisten. In ND v. 14.05.1970 Seite 1

Unter solchen Personenkreisen, die auf sogenannte menschliche Erleichterungen gehofft hatten, ist eine Enttäuschung und gewisse Resignation darüber festzustellen, dass es während des Kasseler Treffens zu keinen konkreten Vereinbarungen gekommen ist. (Erwartet wurden u.a. sogenannte Erleichterungen im Reiseverkehr der zwischen der DDR und Westdeutschland, im Besucherverkehr DDR/Westberlin, im Zusammenhang mit den Grenzsicherungsmaßnahmen und im Handelsaustausch, Familienzusammenführungen usw.)

Während ein kleiner Teil der interessierten Personen davon ausgeht, dass die Ursache des „Scheiterns“ darin zu suchen sei, dass die DDR zu keinem „Zugeständnis“ bereit gewesen sei, äußert der überwiegende Teil bei richtiger Einschätzung der Situation, dass Fragen der sogenannten menschlichen Erleichterungen lediglich eine untergeordnete Rolle bei diesen Verhandlungen spielen können.

Der Teil der Äußerungen, in denen von einem generellen „Scheitern“ der Treffen in Erfurt und Kassel gesprochen wird, ist nach übereinstimmenden Einschätzungen aus den Bezirken als sehr gering zu beurteilen.

Überwiegend werden die große politische Bedeutung der Treffen und die vor der Weltöffentlichkeit gezeigte Initiative und Friedensbemühungen der DDR erkannt. Die Blockierung der Gespräche wird weitestgehend mit der Haltung der Bonner Regierung in Zusammenhang gebracht.

Unterschiedliche Meinungen werden über die Weiterführung der Gespräche geäußert. Am weitesten verbreitet ist in allen Bevölkerungsschichten die Annahme, vorläufig würden überhaupt keine Verhandlungen mehr stattfinden, da sowohl in Erfurt als auch in Kassel gezeigt haben, dass eine Annäherung der Standpunkte nicht zu erwarten sei.

Vereinzelt wurde Enttäuschung darüber gezeigt, dass es zu keinen Verhandlungen auf unterer und mittlerer Ebene gekommen sei, wobei die Hoffnung zum Ausdruck gebracht wurde, durch Bonner Initiativen könnten derartige Zusammenkünfte doch noch bis zum Herbst zustande kommen. Unter diesen Umständen sei eventuell doch noch ein drittes „Gipfeltreffen“ zu erwarten, während dem die in den vorbereitenden „Kommissionen“ gesammelten Erfahrungen ausgewertet werden könnten.

In Einzeldiskussionen wurde behauptet, die DDR habe nach dem Kasseler Treffen keine politischen Interessen mehr an einem weiteren Gespräch auf Regierungsebene, da besonders mit den letzten Verhandlungen die Ziele, die Politik der DDR gegenüber der BRD vor aller Weltöffentlichkeit unter Beweis zu stellen, erfüllt seien. Mit weiteren Gesprächen sei deshalb lediglich nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die BRD zu rechnen.

Politisch-ideologische Unklarheiten waren in allen Bevölkerungsschichten aufgetreten, besonders aber unter Personen mit loyaler politischer Einstellung und ungenügendem politischen Wissen. Sie resultierten aus einer falschen Beurteilung bzw. Nichtanerkennung der Aggressivität des westdeutschen Imperialismus, aus Unkenntnis der Klassenkampfsituation und der politischen Ziele der BRD.

Einen inhaltlichen Schwerpunkt bilden dabei die Einschätzung des Charakters der westdeutschen SPD/FDP-Führung und der politischen Rolle Brandts, wobei häufig eine Auswertung der Person Brandts vorgenommen wird.

Vorherrschend sind solche Tendenzen wie:

  • Die Brandt-Regierung befasst sich mit „echten“ Problemen und humanitären Anliegen. Es ist die erste westdeutsche Regierung welche die Interessen der Werktätigen vertritt.
  • Die Brandt-Regierung betreibt realistischere Politik als die vorangegangen westdeutschen Regierungen. Die DDR-Regierung sollte anerkennen und mit ihren Forderungen einen Schritt zurückgehen.
  • Nur noch der vorhandene Einfluss der CDU/CSU hat Brandt und seine Regierung abgehalten, konstruktiver für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten einzutreten.
  • Die Brandt-Regierung ist ebenfalls eine „Arbeiterregierung“ und muss entsprechend „geachtet“ werden (vereinzelt).

Weiterhin traten Unklarheiten über die Notwendigkeit der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR in folgenden Richtungen auf:

  • Unverständnis über das Beharren der DDR-Regierung auf die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung.
  • Mit der Forderung auf völkerrechtliche Anerkennung sei die SPD und die Regierung der BRD überfordert. Westdeutschland allein sei nicht zu solchen „Zugeständnissen“ in der Lage.

Westdeutschland habe wesentliche Souveränitätsrechte durch den Anschluss an westliche Verträge aufgegeben (unter Hinweis auf „Pariser Verträge“) und könne keine alleinige Entscheidung treffen.

  • Unverständnis darüber, warum wir überhaupt mit Brandt verhandeln und von seinem Staatsapparat die Anerkennung fordern, wenn feststeht, dass er lediglich die Monopole vertritt und auf Grundsatzforderungen nicht eingeht.

Außerdem trat in allen Bezirken die Tendenz in Erscheinung, die DDR sei nicht ausreichend zu Kompromissen bereit und erschwere dadurch das Stattfinden weiterer Verhandlungen. Unsere Delegation (die der DDR P.R.) habe nicht ausreichend Interesse gezeigt, Ansatzpunkte zu weiteren Vereinbarungen aufzugreifen. Vereinzelt wurde die Frage gestellt, ob die DDR nicht die Verhandlungen kompliziert habe, dass sie vor dem Treffen verstärkt gegen die Praktiken der westdeutschen Regierung polemisiert hätte.

Weitere Unklarheiten bestanden über Verlauf und das Ergebnis der beiden Treffen unter dem Gesichtspunkt, dass sie der DDR nicht genutzt hätten und letzten Endes eine „Verhärtung der Fronten“ bedeuteten.

In vielen Diskussionen wurde das konsequente Auftreten der Delegation der DDR in Kassel begrüßt. Das fand seinen Ausdruck in vielen Sympathiebekundungen, die häufig auch von solchen Personen ausgesprochen wurden, die bisher abwartend in Erscheinung traten. Im Zusammenhang mit der Ablehnung des Verhaltens neofaschistischer Kräfte in Kassel wurde die kluge und taktische Haltung unserer Delegation herausgestellt, wobei der Großmut der Delegationsleitung gelobt wurde.

Die von Willi Stoph vorgetragene Konzeption wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern als richtungsweisend und eindeutig hervorgehoben.

Anlässlich des Treffens mit Willy Brandt in Erfurt trug Willi Stoph ein 7-Punkte-Programm vor, das unter anderem die Gleichberechtigung der beiden deutschen Staaten und die Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der BRD zum Gegenstand hatte. Die Forderungen waren für die westdeutsche Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht annehmbar. Vgl. Erklärung des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, beim Treffen mit dem Bundeskanzler in Erfurt 19. März 1970. Eine Dokumentation. Hg. V. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn 1970, Seite 15-44

In Unkenntnis der Lage wurde jedoch auch vereinzelt zum Ausdruck gebracht, die DDR solle den Weg unterhalb der Schwelle der völkerrechtlichen Anerkennung durch „starre Erklärungen“ nicht verbauen und die SPD innenpolitisch nicht in Schwierigkeiten bringen. Eingehend auf die Verhandlungskonzeption Brandts wurde von diesen Bürgerinnen und Bürgern geäußert, die Vorschläge im 20-Punkte-Programm seien eine Grundlage zu weiteren Verhandlungen, die man ausnutzen müsse. Brandt lasse in seinen Ausführungen erkennen, dass er kein Nazi gewesen sei.

Die Bundesregierung übergab Willi Stoph am 21.05.1970 in Kassel ein 20 Punkte-Programm über die „Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen“. Sie reagierte damit auf ein von der DDR bereits 1969 vorgelegtes Papier, das gleichfalls Bedingungen für die Aufnahme bilateraler Beziehungen enthielt. Das 20-Punkte-Programm war unter anderem wegen Formulierungen, die Deutschland als Ganzes bzw. die „deutsche Nation“ betrafen und einen Sonderstatus der DDR definierten, die ihrerseits auf gleichwertige Anerkennung beharrte, nicht annehmbar. Im Weiteren beinhaltete das Programm Fragen der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, einen Gewaltverzicht und die territoriale Integrität der beiden deutschen Staaten. Vgl. den Wortlaut „Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen“. In: Bulletin der Bundesregierung, 1970, Seite 670-672.

Negativ-feindliche Diskussionen waren im Verhältnis zum Erfurter Treffen-bereits damals waren sie vom Umfang her gering- noch weiter zurückgegangen. Sie lassen keine territoriale und personelle Schwerpunktbildung erkennen, tragen den Charakter von Einzelerscheinungen und hatten keine Massenwirksamkeit.

Offensichtlich wurde ein Teil dieser „Argumente“ von Kommentaren westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen übernommen. In ihrem Inhalt richteten sie sich fast ausschließlich gegen die Politik unserer (der DDR P.R.) Partei (SED P.R.) und Regierung bzw. direkt gegen die Leitung der DDR-Delegation, wobei sie bis zur Verleumdung führender Persönlichkeiten der DDR reichten.

Außerdem waren folgende Tendenzen vorherrschend:

  • Anlehnung an die Konzeption der Regierung der BRD und von Brandt unterbreitete Vorschläge.
  • Unterstützung der Bonner Ostpolitik hinsichtlich der „Politik der kleinen Schritte“.
  • Unterstellung, in der DDR würde nur von Entspannung geredet. In der Wirklichkeit ging es der DDR nicht um Verständnis, sondern um die Ausweitung ihres politischen Einflusses.
  • Diskriminierung der Friedenspolitik der DDR. Der DDR gehe es nicht um die europäische Sicherheit (Argument, sie würde durch den Auf- und Ausbau der NVA und der Grenzsicherungstruppen selbst zur Verschärfung beitragen), sie habe durch „sture“ Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung die Verhandlungen zum Scheitern verurteilt.
  • Unterstellung, eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR bringe für den „einfachen Arbeiter“ keine Vorteile, sondern würde nur die Spaltung Deutschlands vertiefen.
  • Verleumdungen im Zusammenhang mit der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen DDR und SU: Die DDR-Regierung sei völlig von der SU abhängig und dürfe selbstständig keine Entscheidung treffen.

Die „Politik der kleinen Schritte“ war neben dem „Wandel durch Annäherung“ Leitgedanke der neuen Ostpolitik, wie sie von Willy Brandt und Egon Bahr entwickelt worden war. Die „Politik der kleinen Schritte“ hatte Brandt erstmals am 18.03.1963 in seiner Regierungserklärung als Regierender Bürgermeister von Westberlin öffentlich als Maxime ausgegeben. Die Strategie von Brandt und Bahr, durch Verhandlungen schrittweise eine Annäherung zu erreichen, erwies sich 1970 mit den Begegnungen in Erfurt und Kassel sowie dem Abschluss bilateraler Verträge zwischen der BRD und der Sowjetunion bzw. Polens als erfolgreich. (Im Nachgang muss man sagen, dass auf Zeit gespielt wurde. Das ist schließlich gelungen. P.R.)

Einzelne negative Personen stellten „Vergleiche“ zwischen den beiden führenden Staatsmännern an und bezeichneten Willy Brandt gegenüber Willi Stoph als „redegewandter“ und „sicherer im Auftreten“. Brandt sei ein „wirklicher Staatsmann“ und eine „Persönlichkeit“. Vereinzelt wurde die Verbreitung politischer Witze festgestellt, die sich auf die Fahrt von Willi Stoph nach Kassel beziehen.

Dokument nur noch als Abschrift erhalten. Zum Original-Dokument ist nur noch die 1. Seite als Faksimile vorhanden.

Buchvorstellung „75 Jahre Bundesrepublik Deutschland“

Herr Dr. Klammeier hat beim Geschichtsblog angefragt, ober er das Buch „75 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ vorstellen darf.

Da der Geschichtsblog und seine Schwesterblogs parteiunabhängig sind, können alle ihre Meinung kundtun, außer AfD und andere Rechte sowie Rechtspopulisten. Beleidigende und unsachliche Inhalte gehen natürlich auch nicht.

So können Herr Dr. Kammeier und seine Freunde ihr Buch gerne hier vorstellen.

So wie der Geschichtsblog und dessen Schwesterblogs, sind die Arbeiten von Herrn Dr. Kammeier und seinen Freunden als Ergebnis ihres Hobbys entstanden. Der Geschichtsblog und seine Schwesterblogs werden ja auch hobbymäßig betrieben.

Ich merke hier an, dass die Inhalte des Buches nicht der Meinung des Geschichtsblogs und dessen Schwesterblogs entsprechen.

Petra Reichel


Gastbeitrag von Dr. Heinz Ulrich Kammeier

Uns drei Autoren eint ein gemeinsames Hobby, nämlich das Sammeln von Autogrammen und Autographen, mit dem wir bereits als Schüler anfingen. Wie bei anderen Sammelgebieten auch spezialisiert man sich irgendwann: Christian Bach auf „Film/TV/Show“, Peter Krevert auf „Sport“ und Heinz-Ulrich Kammeier auf „Politik“. 

Wir sind in der „Arbeitsgemeinschaft der Autographensammler“ und dem „Club der Autogrammsammler“ organisiert und stehen in regem Austausch miteinander. Auf diese Weise sind einige Bücher entstanden, zum Beispiel 2005 „Was Prominente mit Sammlern und Bewunderern erleben“ und 2022 „50 Jahre Olympische Spiele in München“.

Vor ca. einem Jahr entstand die Idee, anlässlich des 75. Jahrestages des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ein weiteres Buch zu verfassen. Die Idee, lediglich die Politik mit ihren Erfolgen und Fehlentwicklungen zu thematisieren, verwarfen wir nach einem ersten Gedankenaustausch, denn auch sportliche Ereignisse („Helden von Bern“, Katharina Witt usw.) und der Unterhaltungssektor (Sisi- und Karl-May-Filme, Kultsendungen „Einer wird gewinnen“/Kulenkampff, „Wetten dass“, „Neue Deutsche Welle“) haben das Bewusstsein der Menschen nachhaltig geprägt. 

Und so haben wir, gewissermaßen als Kompromiss, den Schwerpunkt auf der Politik gelassen, die anderen skizzierten Bereiche aber angemessen berücksichtigt in der Hoffnung, viele Menschen anzusprechen und mancherlei Erinnerungen wachzurufen.

Heinz-Ulrich Kammeier

Peter Krevert – Heinz-Ulrich Kammeier – Christian Bach

75 Jahre Bundesrepublik Deutschland – eine einzigartige autographische Zeitreise

280 Seiten, kompletter Farbdruck, € 19,75 zuzüglich Versand

Bestelladresse :

Dr. Heinz-Ulrich Kammeier                                                                                                                                 Bertha-von-Suttner-Hof 8                                                                                                                                 33803 Steinhagen                                                                                                                                                     Tel. 05204/8718819                                                                                                                                                 Mail: hukammeier@aol.com

Tauchen Sie ein in die bewegte Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – von den Anfängen der Bonner Republik bis zur modernen Berliner Republik. Dieses Buch ist ein visuelles Fest, das Entwicklungen, Wendepunkte und Ikonen der letzten 75 Jahre widerspiegelt. Auch Skandale finden Erwähnung – eine Demokratie ist nicht perfekt…

Was erwartet Sie ?

  • Dokumente und Handschriften, Autogrammkarten und signierte Ersttagsbriefe, die die politischen, sportlichen und kulturellen Entwicklungen nachzeichnen
  • Erläuternde Texte etwa zur Gründung des neuen Staates, zur Saarfrage, dem Regierungswechsel 1969, dem Olympia-Attentat, der RAF, der Wiedervereinigung, den deutschen Fußball- Weltmeisterinnen und Weltmeistern, deutsch-deutscher Sport-Ikonen wie Katharina Witt oder Birgit Fischer, Kult-Serien wie die « Lindenstraße », Showmaster wie Kulenkampff, Frankenfeld oder Gottschalk
  • 1000 Abbildungen, die mancherlei Erinnerungen wachrufen
  • Handschriften wie ein Privatbrief von Willy Brandt, Redemanuskripte von Helmut Schmidt und Wolfgang Schäuble, Tagebucheinträge von Fritz Walter

Sichern Sie sich Ihr Exemplar  «75 Jahre Bundesrepublik» und feiern Sie mit uns im Mai die Demokratie, Vielfalt und jüngere Geschichte unseres Landes ! 

Leseproben siehe Dokumentenanhang :

Eine Weinkönigin wird Bundesministerin

„Bedingt abwehrbereit» und doch gesiegt… (SPIEGEL-Affäre)

Das Bremer Koordinationsbüro der Solidarnosc

Das Bremer Koordinationsbüro der Solidarnosc wurde mit Ausrufung des Kriegsrechts 1981 gebildet. Mit der Ausrufung des Kriegsrechts in der Nacht zum 13. Dezember 1981 wurden führende Köpfe der Solidarnosc interniert und die Organisation Solidarnosc selbst verboten.

Eine siebenköpfige Delegation der Solidarnosc von der Danziger Lenin-Werft, die sich am 12. Dezember 1981 auf den Weg nach Bremen gemacht hatte, wurde dort vom Kriegsrecht überrascht.

Ein Mitglied der Delegation und eine Dolmetscherin kehrten nach einigen Wochen nach Polen zurück. Die restlichen Delegationsmitglieder sind in der BRD geblieben.

Es erfolgte eine öffentliche und politische Auseinandersetzung in Bremen, wie der Delegation von Seiten der Gewerkschaften und der Politik der BRD geholfen werden könnte. Die Delegation bat um ein Büro, um in der BRD aktiv sein zu können. Sie bekam dieses dann auch schließlich mit der materiellen und immateriellen Unterstützung des Bremer Senats, des DGB und des DGB-Landesverbandes Bremen. Am 19. April 1982 wurde das Büro mit den Worten „noch ist Solidarnosc nicht verloren“ eröffnet. Zuvor bestimmte ein Streit um den Sitz des Büros die politische Auseinandersetzung. Man einigte sich dann am Ende auf eine ehemalige konsularische Einrichtung der USA, die den Solidarnosc-Mitgliedern feierlich am Eröffnungstag übergeben wurde.

Na ja, dafür wurden Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger Bremens und Beiträge der DGB-Mitglieder verbraucht. Der DGB hat die Aufgabe die Interessen der Arbeiterklasse, hier von Bremen, zu vertreten. Aber es wurde Energie und Geld verschwendet für eine Organisation, die seinerzeit nur vorgab die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten. In Wahrheit war sie ja eine konterrevolutionäre Organisation. P.R.

Anfangs beschränkte sich die Tätigkeit des Büros auf Hilfsaktionen, und hier insbesondere auf Medikamenten- und Lebensmittellieferungen nach Nordpolen.

Außerdem wurden die Mitglieder des Büros auf verschiedene Veranstaltungen und Kongresse in der ganzen BRD und Westberlin eingeladen. Einer der Höhepunkte dieser Reisen war die Teilnahme, inklusive Vortrag, von Kazimierz Kunikowski am DGB-Kongress 1982 in Westberlin.

Ich erinnere mich, dass zur damaligen Zeit auch Veranstaltungen des DGB vor Ort, bzw. in Rheinland-Pfalz zum Thema Solidarnosc stattfanden. Damals warf ich diese Einladungen sofort weg. Kommunistinnen und Kommunisten in den DGB-Gewerkschaften, die dort sehr viel ehrenamtlich aktiv waren, reagierten mit glänzen durch Abwesenheit auf solche Veranstaltungen. P.R.

Zur Tätigkeit des Bremer Solidarnosc-Büros gehörte auch die aktive Teilnahme am Aufbau der ausländischen Solidarnosc-Strukturen und die führende Rolle dieser innerhalb der BRD und Westberlins. Das Koordinationsbüro und ein Projekt zur Gründung der Forschungsstelle für osteuropäische Literatur an der Universität Bremen sollten sogar die Beziehungen zwischen den Partnerstädten Bremen und Danzig, die ohnehin schon unter dem Kriegsrecht in Polen angespannt waren, auf eine weitere Probe stellen.

Nach zahlreichen Berichten polnischer Medien zu diesem Büro und Gesprächen auf mittlerer Regierungsebene fingen, neben dem Geheimdienst der DDR(MfS), sich die polnischen Geheimdienste an sich für die Mitglieder des Bremer Koordinationsbüros zu interessieren. An vier Mitgliedern des Büros waren die polnischen Geheimdienste interessiert. Unter ihnen war auch Kazimierz Kunikowski.

 

Der damalige Präsident der USA, Ronald Reagan hob in einem Brief die Bedeutung des Bremer Büros der Solidarnosc hervor. Daraufhin suchten Mitarbeiter der CIA (Geheimdienst der USA) den direkten Kontakt nach Bremen, der bis zur Schließung des Büros mit mehreren Treffen und Gesprächen intensiviert wurde.

Nachdem sich die Lage in Polen beruhigt hatte und die Familien Bobrowski und Kunikowski nach einem Jahr Verhandlungen mit den polnischen Behörden und mit Unterstützung des Außenministeriums der BRD im Februar 1983 aus Polen ausreisen durften, wurde das Büro langsam überflüssig und schloss im Sommer 1983.

Entnommen Wikipedia, bearbeitet von Petra Reichel