Die Volksbewegung gegen die Leibeigenschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Stepan Rasin

Der Bedarf des Landes an Geldmitteln stieg. Besonders große Ausgaben erforderten die Kriege. Das alte Steuersystem genügte den wachsenden Bedürfnissen des Staates nicht mehr. Die Regierung unternahm zwecks Erhöhung des Steueraufkommens das verwickelte Werk der statistischen Erfassung des Grundbesitzes und der steuerpflichtigen Bevölkerung. Alle Bauern wurden mit schweren Steuern belegt.

Daneben verstärkte sich auch die Bedrückung seitens der Gutsbesitzer. Dies hing damit zusammen, dass der Handel im Lande von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an sich merklich entwickelte. Die Adligen, die ehedem alles Notwendige auch ihrer Wirtschaft erhalten hatten, begannen auf dem Markt die verschiedenen Erzeugnisse der städtischen Handwerker und die teuren ausländischen Waren zu kaufen. Die Gutsbesitzer, die Geld brauchten, verlangten es von den Bauern. Die Bauern, die auf dem Gut der Adligen lebten, mussten dem Grundbesitzer einen beträchtlichen Teil ihrer Ernte abgeben und ihm Nahrungsmittel usw. aus ihrer Wirtschaft liefern: Butter; Milch Eier, Geflügel, Schaffelle usw. Diese Naturalabgabe wurde „Obrok“ (Grundzins) genannt. Außer den Naturallieferungen aus ihrer Wirtschaft mussten die Bauern dem Gutsbesitzer auch einen Geld-„Obrok“ entrichten.

Zur selben Zeit vergrößerten die adligen Grundbesitzer die Ausmaße des grundherrlichen Ackerlandes. Das Land des Grundherrn musste von den Bauern, die auf dem Grund und Boden des Grundbesitzers wohnten, mit ihren Geräten unentgeltlich bestellt werden. Sie pflügten den Acker, ernteten das Getreide und fuhren es auf den herrschaftlichen Hof, verrichteten in der Wirtschaft des herrschaftlichen Gutshofes auch sonst alles, was der Gutsbesitzer anordnete. Die unentgeltliche Arbeit für den Bojaren oder Gutsbesitzer wurde „Bojarschtschina“ oder „Barschtschina“ (Frondienst) genannt.

Die Gutsbesitzer, die unentgeltliche Bauernarbeit benötigten, forderten die völlige Abschaffung der Fristen zur Ermittlung und Rückkehr geflüchteter Bauern. Der Zar Alexej Michajlowitsch Romanow, der Sohn des Zaren Michail, kam den Gutsbesitzern entgegen und befahl sämtlichen geflüchteten Bauern, mit ihren Familien und all ihrem Hab und Gut zu ihren früheren Besitzern zurückzukehren, ungeachtet dessen, wieviel Zeit seit der Flucht verstrichen sein mochte.

Im Jahre 1649 wurde eine neue Gesetzessammlung, die „Uloshenie“ angenommen, wonach die Bauern für immer an die Scholle des Grundbesitzers gebunden, als seine Leibeigenen wurden. Sie gerieten auch in persönliche Abhängigkeit vom Gutsbesitzer: er konnte über das Schicksal seiner Leibeigenen verfügen, mischte sich in ihr persönliches Leben ein; ohne seine Erlaubnis durften sie nicht heiraten, für den geringsten Ungehorsam wurden sie hart bestraft. Er selbst trug keinerlei Verantwortung, nicht einmal für einen von ihm zu Tode gequälten leibeigenen Bauern.

So bildete sich in Rusj die Lebeigenschaft heraus. Die zu Leibeigenen gewordenen Bauern wollten sich nicht in ihre Versklavung schicken. Sie trachteten danach, vor der Willkür der Gutsbesitzer und der zaristischen Behörden in die Grenzgebiete des Staates zu flüchten, am häufigsten an den Don, wo es noch keine Leibeigenschaft gab. Dort wurden sei freie Menschen: Kosaken. Jedoch, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, änderte sich auch die Lage der Kosaken. In den Steppen war kaum mehr freies Land übriggeblieben. Die früher hier angesiedelten reichen Kosaken hatten es in ihrem Besitz. Diese Kosaken wurden „Domowityje“ („Häusliche“), die neuen armen Kosaken „Glolytjbà“ („Habenichtse“) genannt.

Die Ausbeutung, Willkür und Bedrückung der leibeigenen Bauern und der Kosaken-Golytjbà riefen am Don und an der Wolga einen großen Aufstand hervor. An der Spitze dieses Aufstandes stand der Donkosak Stepan Timofejewitsch Rasin.

Nach Bolotnikows Aufstand war der Aufstand Rasins der zweite Bauernkrieg in Russland. Im Vergleich zu der Bewegung des Bolotnikow erfasste er ein bedeutend größeres Gebiet und zeichnete sich durch große Wucht aus. Er begann am Don, wo es besonders viele geflüchtete Bauern gab und wo die Empörung des Volkes gegen die Sklaverei der Leibeigenschaft sich seit langem angesammelt hatte.

Im Frühling des Jahres 1667 sammelte Stepan Rasin eine Schar armer Kosaken um sich und zog vom Don zur Wolga. Die Anhänger Rasins erbeuteten auf der Wolga eine dem Zaren gehörige Schiffskarawane, erschlugen die zaristischen Beamten, die Ruderer aber ließen sie frei. Mit reicher Beute auf 35 Schiffen begaben sich nun Rasin und seine Anhänger zum Jaik- (Ural-) Fluss und bemächtigten sich des befestigten Platzes Jaizkij Corodok. Im März des folgenden Jahres begann Stepan Rasin seinen Zug nach Persien. Die Rasinzy richteten an den Schah die Bitte, sie in seine Dienste zu nehmen, da sie nicht länger die Bedrückungen durch den Zaren und die Gutsbesitzer erdulden wollten. Der Schah hatte Furcht vor dem russischen Zaren und wollte sie nicht aufnehmen. Da kehrte Rasins Schar nach Ausplünderung der reichen persischen Städte zur Wolga zurück.

Im Winter des Jahres 1669 hielt Rasin sich am Don auf. Auf seinen Aufruf zum Kampf gegen die Unterdrücker stießen die Bauern und Kosaken in Gruppen und einzeln zu ihm. Im Frühling 1670 erschien Rasin zum zweiten Mal auf der Wolga. Er begann, als Verteidiger der Bauern- und Kosaken-Golytjbà, gegen die Bedrückungen der Wojwoden, Adligen und reichen Kaufleute aufzutreten. Mit Leichtigkeit eroberte er die Städte Zarizyn und nachher Astrachan, wobei er sich auf die Einwohner selbst stützte. In sämtlichen eroberten Städten und Dörfern verjagte oder erschlug er die zaristischen Wojwoden und vernichtete die Dokumente, die die Leibeigenschaft der Bauern bestätigten.

Von Astrachan rückte Rasin wolgaaufwärts vor und eroberte Saratow und Samara. Ihm schlossen sich nicht nur die russischen Bauern, sondern auch die nichtrussische Bevölkerung des Wolgagebietes: die Mordwinen, Tschuwaschen, Mari und andere Völkerschaften an, die durch die Zarenmacht starken Bedrückungen ausgesetzt waren.

Jedoch stellte sich Rasin, wie es auch bei Bolotinkow der Fall gewesen war, die Ziele des Kampfes nur unklar vor. Er sprach davon, dass er für den „großen Herrscher“ gegen die verräterischen Bojaren und Adligen zu Felde ziehe. Im Volk verbreitete sich sogar das Gerücht, dass sich in Rasins Schar der Sohn des Zaren, Alexej, befände, obgleich dieser schon vor Beginn des Aufstandes gestorben war.

Die Zarenregierung schickte ihre besten Truppen gegen Rasin. Anfang Oktober des Jahres 1670 brachten ihm die zaristischen Truppen bei Simbirsk eine große Niederlage bei. Er selbst wurde verwundet und floh an den Don. Die reichen Kosaken lieferten ihn jedoch den Behörden aus. Rasin und sein Bruder Frol wurden zur Hinrichtung nach Moskau überführt. Im Juni 1671 wurde Rasin gevierteilt (erst schlug man ihm Hände und Füße, dann den Kopf ab), sein Leichnam den Hunden vorgeworfen.

Stepan Rasin war tot, das Volk aber wollte es nicht glauben und wartete weiterhin auf seinen Führer. In zahlreichen Volksliedern wurde Stepan Rasin als tapferer Ataman, als Beschützer des Volkes gepriesen.

Der Aufstand Stepan Rasins war, wie sämtliche Bauernkriege in Europa und in Russland, ein Kampf der leibeigenen Bauernschaft gegen die feudale Unterdrückung. Die russischen Bauern und Kosaken wie auch die unterdrückten Völker der anderen Nationalitäten, die Russland bevölkerten kämpften gegen ihre Unterdrücker – die Grundbesitzer. Aber sie waren nicht verbunden und einig. Sie hatten nicht begriffen, dass an der Spitze der Gutsbesitzer der adlige Zar steht und dass die Armee des Zaren die Interessen der adligen Gutsbesitzer verteidigt. Die Volksmassen vereinigen und ihnen klarmachen, wofür man kämpfen soll, könnten nur die Arbeiter in Russland. Daher erlitten die Bauern Niederlagen.

Nichtsdestoweniger besaß der von Rasin geführte Aufstand, der ein gewaltiges Gebiet erfasst hatte, in der Geschichte des Befreiungskampfes der Völker Russlands eine große Bedeutung. Er stellte im 17. Jahrhundert die mächtigste Volksbewegung gegen die feudale Unterdrückung dar.

Marx, Engels, Lenin und Stalin haben stets den fortschrittlichen Charakter der Bauernkriege betont, da diese Kriege gegen die Leibeigenschaft gerichtet waren, die unterwühlten und erschütterten und den Übergang zu einer neuen – gegenüber der Leibeigenschaft fortschrittlicheren Gesellschaftsordnung- zu dem Kapitalismus erleichterten.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 „Die Vergangenheit des Sowjetlandes“, aus dem Jahre 1947. Original-Autorin Anna Michailowna Pankratowa, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“ aus dem Jahre 1947

Siehe auch:

Der Kampf des russischen und ukrainischen Volkes mit den polnischen Pans. Die Vereinigung der Ukraine mit Russland