Die Kultur Russlands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Im 18. Jahrhundert brachte Russland viele große Männer hervor, unter denen in erster Linie Peter der Große, Alexander Suworow und Michail Wassiljewitsch Lomonossow zu nennen sind.

Michail Wassiljewitsch Lomonossow

Michail Wassiljewitsch Lomonossow 1711 bis 1765
Bild entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Michail Wassiljewitsch Lomonossow wurde am 8. November 1711 im Dorf Denissowka, in der Nähe der Stadt Cholmogory, geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Bauer des Küstenlandes im hohen Norden. Er beschäftigte sich mit Fischfang und dem Warentransport von Archangelsk nach anderen Städten. Oft nahm er seinen Sohn mit sich aufs Meer zum Fischfang hinaus. Der Knabe machte sich mit dem Leben der Küstenbewohner, der Salzgewinnung und dem Schiffbau bekannt. Lomonossow lernte frühzeitig lesen und schreiben und hatte von Kindheit an einen unstillbaren Wissensdurst. Es war ihm jedoch nicht leicht, diesen Wissensdurst zu befriedigen.

Ende 1730 ging Michail Lomonossow mit Erlaubnis seines Vater-aber ohne Wissen der Stiefmutter- mit 3 Rubeln in der Tasche aus seinem Dorf fort. Mit einem Wintertransport der Küstenbewohner begab er sich nach Moskau, und trat, unter Verheimlichung seiner bäuerlichen Herkunft, in die Slawo-gräko-lateinische Akademie ein. In Moskau verbrachte Lomonossow unter schweren Entbehrungen die Jahre des Lernens, jedoch überwand er alle Schwierigkeiten und Hindernisse.

Im Jahre 1735 wurde Lomonossow als einer der zwölf fähigsten Hörer der Akademie nach Petersburg geschickt und als Student der Universität bei der Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

Auf der Universität widmete sich Lomonossow mit größtem Eifer dem Studium der exakten Wissenschaften: der Mathematik, der Mechanik, der Physik und der Chemie. Zur Vervollkommnung in diesen Wissenschaften wurde er nach Deutschland geschickt.

Im Jahre 1741 kehrte Lomonossow nach Petersburg zurück. Hier erwartete ihn jedoch eine bittere Enttäuschung. Die jungen russischen Gelehrten konnten nur unter Schwierigkeiten ihre Kenntnisse verwerten. Die Akademie der Wissenschaften wurde von Ausländern geleitet. Sie behandelten alles Russische mit Verachtung und wollten die talentvollen russischen Gelehrten nicht zur wissenschaftlichen Tätigkeit zulassen. Mit der ihm eigenen Geradheit und Schroffheit begann Lomonossow den Kampf gegen die Vorherrschaft der Ausländer und des von ihnen in der Akademie eingeführten Systems. Im Jahre 1745 wurde er Professor und Mitglied der Akademie.

Die Adligen in seiner Umgebung bemühten sich, ihn auf jede Weise zu demütigen. Lomonossow verteidigte jedoch stolz seine Menschenwürde und erklärte: „Weder am Tische der Adligen noch bei irgendwelchen Herren dieser Erde will ich den Narren spielen, selbst nicht vor Gott, der mir Vernunft gab, es sei denn, er nähme sie mir wieder.“

Lomonossow war überzeugt, dass das Gedeihen und das Wohlergehen des Volkes und Staates von einem aufgeklärten und vernünftigen Monarchen abhängig ist. Als eines solchen aufgeklärten Zaren und Reformators erschien Lomonossow Peter der Große. Als glühender und aufrichtiger Verehrer Peters war Lomonossow bestrebt, auch dessen Nachfolgerinnen – Jelisaweta Petrowna und Jekaterina II. (Katharina die Große) – zu überzeugen, dass sie sich in allem Peters Vermächtnis zu halten hätten. Dafür leide ich, dass ich bestrebt bin, das Werk Peters des Großen zu verteidigen.“

Lomonossow war ein genialer Gelehrter, der sich auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Wissens auszeichnete. Als erster unter den Chemikern, viele Jahre vor Lavoisier, entdeckte er das Gesetz zur Erhaltung des Gewichtes der Stoffe. Seine Ansichten über die Natur des Lichts behaupteten sich in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Lomonossow war ein ausgezeichneter Astronom. Er bewies, dass der Planet Venus eine eigene Atmosphäre besitze. Lomonossow war der größte Kenner der Naturschätze des Urals und forderte die Ausbeutung des Erdinnern, in dem unermessliche Reichtümer verborgen sind.

Er war ein vortrefflicher Poet, der Begründer der russischen Literatur, der Verfasser der ersten wissenschaftlichen Grammatik der russischen Sprache. Der große Kritiker Belinskij schrieb: „Mit Lomonossow beginnt unsere Literatur; er war ihr Vater und ihr Pfleger, er war ihr Peter der Große.

Eine äußerst treffende und tiefe Würdigung des hervorragenden Gelehrten gab Alexander Sergejewitsch Puschkin: „Außergewöhnliche Willenskraft mit ungewöhnlicher Verstandeskraft verbindend, umfasste Lomonossow sämtliche Zweige der Bildung. Der Wissensdurst war die stärkste Leidenschaft dieser von Leidenschaften erfüllten Seele. Als Historiker, Rhetor, Mechaniker, Chemiker, Mineraloge, Künstler und Poet durchforschte er alles und durchdrang alles.“

Lomonossow war ein leidenschaftlicher Kämpfer für eine fortschrittliche Wissenschaft und ihre Verwertung im Leben zum Nutzen und zur Bildung des russischen Volkes. Er träumte davon, mit Hilfe der Wissenschaft die Reichtümer Russlands zu vermehren und das Leben des Volkes zu verbessern.

Auf Lomonossows Initiative fand am 12. Januar 1755 die Eröffnung der Moskauer Universität statt. Im Jahre 1940 wurde die Universität nach ihm benannt. Lomonossow liebte sein Volk glühend und war erfüllt von tiefem Glauben daran, das aus der Mitte des russischen Volkes nicht wenig geniale Menschen hervorgehen würden:

O ihr, die unser Vaterland                                                                                                                                           Aus eigenem Schoße sich erhofft,                                                                                                                           und derengleichen es bis jetzt                                                                                                                               aus fremden Landen kommen muss,                                                                                                             gesegnet seien eure Tage!                                                                                                                                   Wagt kühn, von diesen Worten aufgemuntert,                                                                                                 durch eueren Eifer zu beweisen,                                                                                                                           dass der große, geistesscharfe Denker,                                                                                                               dem Platon und Newton gleich,                                                                                                                               die Erde Russlands selbst gebären kann!

Die reichen und adligen Würdenträger verstanden und schätzten die wissenschaftlichen Entdeckungen und Errungenschaften Lomonossows nicht.

Seine genialen Arbeiten blieben lange Zeit im zaristischen Russland der Leibeigenschaft vergessen.

Im Mai 1940 zu ihrem 185-jährigen Bestehen und Lomonossows 175. Geburtstag wurde die Universität in Moskau nach ihm benannt und trägt bis heute seinen Namen.

Iwan Petrowitsch Kulibin

Dem gleichen Unverständnis und der gleichen Geringschätzung begegneten auch andere talentvolle russische Gelehrte und Erfinder des 18. Jahrhunderts. Einer der bemerkenswertesten unter ihnen war Iwan Petrowitsch Kulibin. Er offenbarte ein außerordentliches Talent als erfinderischer Mechaniker. Fünf Jahre beharrlicher Arbeit verwendete Kulibin auf die Erfindung einer besonderen Uhr „mit Überraschungen“. Die Uhr war so groß wie ein Gänseei. Alle 60 Minuten öffnete sich in der Uhr die auf ihr dargestellte Heilige Pforte mit kleinen beweglichen Engelsfiguren. Kulibin schenkte diese Uhr Jekaterina II. (Katharina die Große). Als Belohnung für das Geschenk wurde er als Mechaniker in die Akademie der Wissenschaften berufen. Hier verausgabte er sämtlichen erhaltenen Gelder für neue Erfindungen. Als er erfahren hatte, dass in London eine Prämie für das beste Projekt einer Brücke über die Themse ausgeschrieben sei, arbeitete Kulibin ein Projekt aus und fertigte ein Brückenmodell an, das aus 10 000 einzelnen Teilen bestand. Der berühmte Mathematiker Euler bestätigte später sämtliche Berechnungen Kulibins. Aber die ausländischen Mitglieder der Akademie verhielten sich gegenüber der Erfindung des russischen Autodidakten spöttisch und gaben drüber ein ablehnendes Gutachten ab. Das von Kulibin hergestellte Brückenmodell fand keine Anerkennung.

Kulibin erfand ein Schiff, das auf dem Fluss gegen die Stömung schwimmen konnte. Das Modell dieser Erfindung wurde von einem Beamten als Brennholz gekauft. Kulibin starb in Armut in seiner Heimatstadt Nishnij-Nowgorod.

Iwan Polsunow

Tragisch war auch das Schicksal eines anderen Autodidakten, des genialen Erfinders der Dampfmaschine Iwan Polsunow. Er war der Sohn eines Garnisonsoldaten im Ural. Zu jener Zeit gewann man die notwendige Energie in den Werken, wo Iwan Polsunow arbeitete, durch Ausnutzung der Kraft des fallenden Wassers. Polsunow kam der Gedanke, eine Dampfmaschine zu konstruieren, die die Ausgaben verringern und die menschliche Arbeit erleichtern konnte. So wurde die erste Maschine der Welt, die durch Dampfkraft arbeitete, geschaffen. Aber Pulsonow erlebte die Anwendung seiner Maschine nicht mehr. Durch schwere Arbeit in seiner Gesundheit zerrüttet, starb er im Jahre 1766 in Armut an der Schwindsucht. Die von ihm gebaute Dampfmaschine war schon zur Inbetriebnahme fertig, aber nach dem Tode Pulsunows wurde seine geniale Erfindung vergessen. 21 Jahre später erfand der Engländer James Watt eine ebensolche Dampfmaschine, wie sie vorher von Polsunow erfunden worden war.

Dem Volke entstammten viele ausgezeichnete Neuerer auf allen Gebieten der Wissenschaft, Literatur und Kunst, ihre Namen gingen in die Geschichte der russischen Kultur ein.

Fjodor Wolkow

Der hervorragende Schauspieler Fjodor Wolkow, der Sohn eines Jarolawer Kaufmanns, wurde der Gründer des ersten russischen Theaters. An die Stelle des Laientheaters auf den Gütern des Adels trat das ständige, allen zugängliche Theater mit Berufsschauspielern. Wolkow gilt als der „Vater des russischen Theaters“.

Wassilij Bashenow und Matwej Kasakow

Die Gründer der russischen Baukunst waren zwei talentvolle Männer aus dem Volke: Wassilij Bashenow und Matwej Kasakow. Unter den Bauwerken des Bashenow ragt besonders der Palast Paschkow hervor (das alte Gebäude der Lenin-Bibliothek in Moskau). (Was heute darin ist, weiß ich nicht. P.R.)


Im Jahre 1758 wurde von der Akademie der Wissenschaften die Akademie der Künste abgesondert, in der hauptsächlich Malerei gelehrt wurde. Anfangs waren die Lehrer an der Akademie Ausländer, bald trat aber eine Reihe von russischen Künstlern und Bildhauern in Erscheinung.

Im 18. Jahrhundert gingen aus dem Volke viele talentvolle russischen Menschen hervor. Sie hatten sich nicht nur die besten Errungenschaften der westeuropäischen Kultur angeeignet, nicht nur sie verarbeitet, indem sie sie mit einem neuen nationalen Inhalt erfüllten, sondern auch ihrerseits auf die Entwicklung der Wissenschaft und Kunst Russlands und der Welt Einfluss ausgeübt.

Ende der 50er Jahre des 18. Jahrhunderts trat aus dem Kreise der Adligen eine fortschrittliche Gruppe von Dichtern und Schriftstellern hervor: Sumarokow, Kantemir, Tredjkowskij und andere. Somit lieferte das 18. Jahrhundert einen großen und wertvollen Beitrag zur Entwicklung der nationalen russischen Kultur.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947