Die Volksbewegung gegen die Leibeigenschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Stepan Rasin

Der Bedarf des Landes an Geldmitteln stieg. Besonders große Ausgaben erforderten die Kriege. Das alte Steuersystem genügte den wachsenden Bedürfnissen des Staates nicht mehr. Die Regierung unternahm zwecks Erhöhung des Steueraufkommens das verwickelte Werk der statistischen Erfassung des Grundbesitzes und der steuerpflichtigen Bevölkerung. Alle Bauern wurden mit schweren Steuern belegt.

Daneben verstärkte sich auch die Bedrückung seitens der Gutsbesitzer. Dies hing damit zusammen, dass der Handel im Lande von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an sich merklich entwickelte. Die Adligen, die ehedem alles Notwendige auch ihrer Wirtschaft erhalten hatten, begannen auf dem Markt die verschiedenen Erzeugnisse der städtischen Handwerker und die teuren ausländischen Waren zu kaufen. Die Gutsbesitzer, die Geld brauchten, verlangten es von den Bauern. Die Bauern, die auf dem Gut der Adligen lebten, mussten dem Grundbesitzer einen beträchtlichen Teil ihrer Ernte abgeben und ihm Nahrungsmittel usw. aus ihrer Wirtschaft liefern: Butter; Milch Eier, Geflügel, Schaffelle usw. Diese Naturalabgabe wurde „Obrok“ (Grundzins) genannt. Außer den Naturallieferungen aus ihrer Wirtschaft mussten die Bauern dem Gutsbesitzer auch einen Geld-„Obrok“ entrichten.

Zur selben Zeit vergrößerten die adligen Grundbesitzer die Ausmaße des grundherrlichen Ackerlandes. Das Land des Grundherrn musste von den Bauern, die auf dem Grund und Boden des Grundbesitzers wohnten, mit ihren Geräten unentgeltlich bestellt werden. Sie pflügten den Acker, ernteten das Getreide und fuhren es auf den herrschaftlichen Hof, verrichteten in der Wirtschaft des herrschaftlichen Gutshofes auch sonst alles, was der Gutsbesitzer anordnete. Die unentgeltliche Arbeit für den Bojaren oder Gutsbesitzer wurde „Bojarschtschina“ oder „Barschtschina“ (Frondienst) genannt.

Die Gutsbesitzer, die unentgeltliche Bauernarbeit benötigten, forderten die völlige Abschaffung der Fristen zur Ermittlung und Rückkehr geflüchteter Bauern. Der Zar Alexej Michajlowitsch Romanow, der Sohn des Zaren Michail, kam den Gutsbesitzern entgegen und befahl sämtlichen geflüchteten Bauern, mit ihren Familien und all ihrem Hab und Gut zu ihren früheren Besitzern zurückzukehren, ungeachtet dessen, wieviel Zeit seit der Flucht verstrichen sein mochte.

Im Jahre 1649 wurde eine neue Gesetzessammlung, die „Uloshenie“ angenommen, wonach die Bauern für immer an die Scholle des Grundbesitzers gebunden, als seine Leibeigenen wurden. Sie gerieten auch in persönliche Abhängigkeit vom Gutsbesitzer: er konnte über das Schicksal seiner Leibeigenen verfügen, mischte sich in ihr persönliches Leben ein; ohne seine Erlaubnis durften sie nicht heiraten, für den geringsten Ungehorsam wurden sie hart bestraft. Er selbst trug keinerlei Verantwortung, nicht einmal für einen von ihm zu Tode gequälten leibeigenen Bauern.

So bildete sich in Rusj die Lebeigenschaft heraus. Die zu Leibeigenen gewordenen Bauern wollten sich nicht in ihre Versklavung schicken. Sie trachteten danach, vor der Willkür der Gutsbesitzer und der zaristischen Behörden in die Grenzgebiete des Staates zu flüchten, am häufigsten an den Don, wo es noch keine Leibeigenschaft gab. Dort wurden sei freie Menschen: Kosaken. Jedoch, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, änderte sich auch die Lage der Kosaken. In den Steppen war kaum mehr freies Land übriggeblieben. Die früher hier angesiedelten reichen Kosaken hatten es in ihrem Besitz. Diese Kosaken wurden „Domowityje“ („Häusliche“), die neuen armen Kosaken „Glolytjbà“ („Habenichtse“) genannt.

Die Ausbeutung, Willkür und Bedrückung der leibeigenen Bauern und der Kosaken-Golytjbà riefen am Don und an der Wolga einen großen Aufstand hervor. An der Spitze dieses Aufstandes stand der Donkosak Stepan Timofejewitsch Rasin.

Nach Bolotnikows Aufstand war der Aufstand Rasins der zweite Bauernkrieg in Russland. Im Vergleich zu der Bewegung des Bolotnikow erfasste er ein bedeutend größeres Gebiet und zeichnete sich durch große Wucht aus. Er begann am Don, wo es besonders viele geflüchtete Bauern gab und wo die Empörung des Volkes gegen die Sklaverei der Leibeigenschaft sich seit langem angesammelt hatte.

Im Frühling des Jahres 1667 sammelte Stepan Rasin eine Schar armer Kosaken um sich und zog vom Don zur Wolga. Die Anhänger Rasins erbeuteten auf der Wolga eine dem Zaren gehörige Schiffskarawane, erschlugen die zaristischen Beamten, die Ruderer aber ließen sie frei. Mit reicher Beute auf 35 Schiffen begaben sich nun Rasin und seine Anhänger zum Jaik- (Ural-) Fluss und bemächtigten sich des befestigten Platzes Jaizkij Corodok. Im März des folgenden Jahres begann Stepan Rasin seinen Zug nach Persien. Die Rasinzy richteten an den Schah die Bitte, sie in seine Dienste zu nehmen, da sie nicht länger die Bedrückungen durch den Zaren und die Gutsbesitzer erdulden wollten. Der Schah hatte Furcht vor dem russischen Zaren und wollte sie nicht aufnehmen. Da kehrte Rasins Schar nach Ausplünderung der reichen persischen Städte zur Wolga zurück.

Im Winter des Jahres 1669 hielt Rasin sich am Don auf. Auf seinen Aufruf zum Kampf gegen die Unterdrücker stießen die Bauern und Kosaken in Gruppen und einzeln zu ihm. Im Frühling 1670 erschien Rasin zum zweiten Mal auf der Wolga. Er begann, als Verteidiger der Bauern- und Kosaken-Golytjbà, gegen die Bedrückungen der Wojwoden, Adligen und reichen Kaufleute aufzutreten. Mit Leichtigkeit eroberte er die Städte Zarizyn und nachher Astrachan, wobei er sich auf die Einwohner selbst stützte. In sämtlichen eroberten Städten und Dörfern verjagte oder erschlug er die zaristischen Wojwoden und vernichtete die Dokumente, die die Leibeigenschaft der Bauern bestätigten.

Von Astrachan rückte Rasin wolgaaufwärts vor und eroberte Saratow und Samara. Ihm schlossen sich nicht nur die russischen Bauern, sondern auch die nichtrussische Bevölkerung des Wolgagebietes: die Mordwinen, Tschuwaschen, Mari und andere Völkerschaften an, die durch die Zarenmacht starken Bedrückungen ausgesetzt waren.

Jedoch stellte sich Rasin, wie es auch bei Bolotinkow der Fall gewesen war, die Ziele des Kampfes nur unklar vor. Er sprach davon, dass er für den „großen Herrscher“ gegen die verräterischen Bojaren und Adligen zu Felde ziehe. Im Volk verbreitete sich sogar das Gerücht, dass sich in Rasins Schar der Sohn des Zaren, Alexej, befände, obgleich dieser schon vor Beginn des Aufstandes gestorben war.

Die Zarenregierung schickte ihre besten Truppen gegen Rasin. Anfang Oktober des Jahres 1670 brachten ihm die zaristischen Truppen bei Simbirsk eine große Niederlage bei. Er selbst wurde verwundet und floh an den Don. Die reichen Kosaken lieferten ihn jedoch den Behörden aus. Rasin und sein Bruder Frol wurden zur Hinrichtung nach Moskau überführt. Im Juni 1671 wurde Rasin gevierteilt (erst schlug man ihm Hände und Füße, dann den Kopf ab), sein Leichnam den Hunden vorgeworfen.

Stepan Rasin war tot, das Volk aber wollte es nicht glauben und wartete weiterhin auf seinen Führer. In zahlreichen Volksliedern wurde Stepan Rasin als tapferer Ataman, als Beschützer des Volkes gepriesen.

Der Aufstand Stepan Rasins war, wie sämtliche Bauernkriege in Europa und in Russland, ein Kampf der leibeigenen Bauernschaft gegen die feudale Unterdrückung. Die russischen Bauern und Kosaken wie auch die unterdrückten Völker der anderen Nationalitäten, die Russland bevölkerten kämpften gegen ihre Unterdrücker – die Grundbesitzer. Aber sie waren nicht verbunden und einig. Sie hatten nicht begriffen, dass an der Spitze der Gutsbesitzer der adlige Zar steht und dass die Armee des Zaren die Interessen der adligen Gutsbesitzer verteidigt. Die Volksmassen vereinigen und ihnen klarmachen, wofür man kämpfen soll, könnten nur die Arbeiter in Russland. Daher erlitten die Bauern Niederlagen.

Nichtsdestoweniger besaß der von Rasin geführte Aufstand, der ein gewaltiges Gebiet erfasst hatte, in der Geschichte des Befreiungskampfes der Völker Russlands eine große Bedeutung. Er stellte im 17. Jahrhundert die mächtigste Volksbewegung gegen die feudale Unterdrückung dar.

Marx, Engels, Lenin und Stalin haben stets den fortschrittlichen Charakter der Bauernkriege betont, da diese Kriege gegen die Leibeigenschaft gerichtet waren, die unterwühlten und erschütterten und den Übergang zu einer neuen – gegenüber der Leibeigenschaft fortschrittlicheren Gesellschaftsordnung- zu dem Kapitalismus erleichterten.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 „Die Vergangenheit des Sowjetlandes“, aus dem Jahre 1947. Original-Autorin Anna Michailowna Pankratowa, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“ aus dem Jahre 1947

Siehe auch:

Der Kampf des russischen und ukrainischen Volkes mit den polnischen Pans. Die Vereinigung der Ukraine mit Russland

Die Bildung des russischen Imperiums. Peter der Große

Peter I. 1672 bis 1725 (Bild entnommen aus „Das Sowjetland“, Band 1, aus dem Jahre 1947)

1. Beginn der Regierung Peters des Großen

Zu jener Zeit, als sich in Russland der Druck der Leibeigenschaft verstärkte, ging Westeuropa allmählich zur Verwendung von Lohnarbeitern über. Im 17. Jahrhundert fand in vielen europäischen Ländern und besonders in England eine stürmische Entwicklung des Handels und der Industrie statt. Es traten Großunternehmen auf, in denen die Handarbeit einer großen Zahl von Lohnarbeitern verwendet wurde. Es waren dies kapitalistische Manufakturen („Manufaktur“ bezeichnet ein Unternehmen, das auf Handarbeit beruht). Allmählich bildete sich aus den Lohnarbeitern eine neue Klasse: das Proletariat. Die Eigentümer der Unternehmen, die die Lohnarbeitskraft ausbeuteten, bildeten eine andere Klasse: die Klasse der Kapitalisten oder der Bourgeoisie

Die Bourgeoisie brauchte Märkte und freie Arbeitskräfte. Daher strebte sie die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Vernichtung aller feudalen Zustände an, die die Entwicklung des Marktes für die Industrie hemmten. Im 16. Jahrhundert siegte die Bourgeoisie in Holland und im 17. Jahrhundert in England.

Die niederländische und die englische Revolution beschleunigten den Übergang dieser Länder auf den Weg der kapitalistischen Entwicklung. Russland aber blieb noch ein feudales Land. In ihm herrschten nach wie vor die adligen Gutsbesitzer über leibeigene Bauern. Zwar war auch Russland nicht stehengeblieben. Im 17 Jahrhundert fingen die lokalen Märkte Russlands an, sich zu einem allgemeinen Markt zu vereinigen. Das Handwerk entwickelte sich. In Moskau waren schon ganze Vorstädte von Schmieden, Wagenbauern, Webern, Tischtuchmachern, Bäckern und anderen Handwerkern bewohnt. Bis auf den Heutigen Tag (Stand 1947) haben die Bezeichnungen vieler Moskauer Straßen die Spuren dieser ehemaligen Handwerkersiedlungen bewahrt: Kusnezkij Most („Schmiedebrücke“), Karetnyj Rjad („Wagenbauerzeile“), Skatertnyj Pereulok („Tischtuchgasse“), Chlebnyj Pereulok („Bäckergasse“) usw..

Im 17. Jahrhundert begann man Leinwand- und Segeltuch-Manufakturen, Pottasche-Fabriken, Eisenwerke (in Tula, Olonez, Kaschira und anderen Orten) zu errichten. Immerhin blieb die russische Industrie schwach entwickelt. Im Unterschied von den westlichen Manufakturen beruhten die russischen auf der Arbeit von Leibeigenen. Die Zwangsarbeit der „Arbeitsleute“ war wenig produktiv. Geld war im Lande nicht viel vorhanden. Die einträglichsten Handelsgeschäfte hatten die Ausländer an sich gerissen.

Im Vergleich zu den fortgeschrittenen westeuropäischen Ländern war Russland am Anfang des 18. Jahrhunderts sowohl in wirtschaftlicher als auch in kultureller und militärischer Beziehung zurückgeblieben. Eine der Hauptursachen der Rückständigkeit lag darin, dass Russland keinen Ausgang zum Meer besaß. Marx hatte darauf hingewiesen, dass sich kein einziges Land in einer solchen Entfernung von den Meeren befand, wie Russland Anfang des 18. Jahrhunderts. Niemand möchte sich eine große Nation vorstellen, die von der Meeresküste abgeschnitten ist, schrieb Marx.

Der Zugang zur Ostsee und zum Schwarzen Meer war für Russland verschlossen. Das Schwarze Meer befand sich in der Gewalt der Türkei und des Krimer Khanats. Das baltische Küstenland hatte Schweden an sich gerissen. Die Schweden hatten auf ureigenem russischem Boden ihre Festungen errichtet und den Hauptausgang zum Meer -die Newa- mit „zei Riegeln“: den Festungen Noteburg und Nienschanz abgesperrt. Das russische Karelien hatten sie in das schwedische Ingermanland umgewandelt, die karelische Landenge sollte auf dem Wege Russlands nach Europa eine Schranke bilden.

Der Kampf um das Baltikum, um die Rückkehr „des Landes der Väter und Großväter“, wurde für den Russischen Staat zur unaufschiebbaren Notwendigkeit. Vom Ausgang dieses historischen Kampfes hing für Russland die Möglichkeit ab, sich in eine Reihe mit den fortgeschrittenen Staaten Europas zu stellen.

Die schwierige Aufgabe, an das Meer vorzudringen, wurde von dem ersten russischen Imperator, Peter dem Großen, mit Kühnheit gelöst. Er wurde am 30. Mai 1672 in Moskau geboren. Peters Vater, der Zar Alexej Michajlowitsch starb, als der zukünftige Imperator noch nicht vier Jahre alt war. Seine Mutter, Natalja Naryschina, war die zweite Frau des Zaren Alexej Michajlowitsch. Von seiner ersten Frau, der Miloskawskaja, waren noch Kinder vorhanden: der kränkliche Fjodor, der schwachsinnige Iwan und einige Töchter, von denen sich die Zarewna Sophia durch Klugheit und Energie auszeichnete.

Fjodor Alexejewitsch war Zar geworden, regierte jedoch nicht lange. Im Frühling 1682 starb er, ohne für sich einen Nachfolger bestimmt zu haben. Die Wahl eines neuen Zaren stand bevor. Zwischen den Naryschkins und den Miloslawskijs begann der Kampf um die Macht. Anfangs wurde der zehnjährige Peter zum Zaren gewählt. Aber damit gaben sich die Miloslawskijs nicht zufrieden. Von ihnen aufgewiegelt, drangen Moskauer Strelzy in den Kreml ein, erschlugen einige Bojaren, Peters Anhänger, und verlangten, dass beide Brüder, Peter und Iwan, zu Zaren ausgerufen würden. Staatsregentin wurde die herrschsüchtige Zarewna Sophia.

Während Sophias Regierung wohnte Peter mit seiner Mutter in den Palästen in der Nähe von Moskau, vornehmlich im Dorf Preobrashenskoje. Von Kindheit an interessierten den jungen Zaren Kriegsspiele. Peter wählte für seine Kriegsspiele die lebhaftesten Kinder, ohne Rücksicht auf vornehme Herkunft, aus und stellte aus ihnen „Spiel“-Regimenter auf. Zwei von diesen Regimentern- das Semjonowsker und das Preobrashensker- verwandelten sich später in die besten Moskauer Regimenter, die militärisch ausgezeichnet ausgebildet waren. Es waren die ersten Garderegimenter der künftigen, von Peter geschaffenen, russischen Armee.

Beim Lernen war Peter wissbegierig und beharrlich. Bei einem russischen Djak (einem kleinen Beamten) lernte er frühzeitig Lesen und Schreiben, und unter Anleitung von Ausländern beschäftigte er sich eifrig mit mathematischen Wissenschaften, besonders der Geometrie. In dem jungen Peter erwachte frühzeitig eine wahre Leidenschaft zur Seefahrt und zum Schiffbau. Einst fand Peter ein liegengelassenes altes Segelboot. Der Holländer Brant lehrte ihn das Segeln, zuerst auf der schmalen Jausa, später auf dem großen Perejaslawer See. Dieses Boot wurde zum „Großväterchen der russischen Flotte“.

Inzwischen hatten sich die Beziehungen zwischen Sophia und Peter immer feindseliger gestaltet. Sophia zettelte mit den Strelzy eine neue Verschwörung an, um sich Peters zu entledigen. Peter, der davon erfahren hatte, entzog ihr unter Mithilfe seiner „Spiel“-Regimenter im Jahre 1689 die Macht und sperrte sie bald darauf in ein Kloster.

Der während Sophias Regentschaft sich abspielende Kampf am Hofe verstärkte in Peter den Hass gegen die Verfechter der alten Zustände. Er begriff sehr früh, dass Russland, das mächtige und reiche Land, sich in die Reihe der europäischen Großmächte stellen könnte, wenn es seine Rückständigkeit überwinden würde.

Peter befreundete sich mit begabten und ihm nützlichen Russen und Ausländern. Ein enger Freund und treuer Helfer wurde ihm der Gefährte seiner Kinderspiele, der ehemalige Pastetenhändler Alexander Menschikow. Ein nützlicher Ratgeber wurde für Peter ein Schotte: der alte General Patrik Gordon. Er erzählte dem wissbegierigen jungen Zaren viel von Kriegen, an denen er teilgenommen hatte. Der Holländer Timmermann brachte Peter Mathematik und Kriegstechnik bei. Der fröhliche Schweizer Lefort wurde persönlicher Freund und Vertrauensperson des Zaren.

In den ersten Jahren seiner selbstständigen Regierung überließ Peter den Ratgebern seiner Mutter die Leitung des Staates und gab sich mit ganzem Herzen den Kriegsspielen hin. Im Jahre 1601 wurden große „Spiel“-Schlachten bei Semjonowskoje veranstaltet. Mit Hingabe beschäftigte sich Peter auch mit dem Bau eine „Spiel“-Flotte auf dem Perejaslawer See.

Bald aber hörten die Perejaslawer Spielereien auf, Peter zu befriedigen. Es zog ihn hinaus auf die Weite des Meeres. Im Jahre 1693 erlangte er von seiner Mutter die Erlaubnis, nach Archangelsk zu fahren, um „unmittelbar das Meer zu sehen“. In Archangelsk machte sich Peter mit den ausländischen Schiffen, mit ihrem Bau und ihrer Ausrüstung vertraut. Begierig eignete er sich Kenntnisse im Schiffbau und in der Seefahrt.

Während seiner ersten Reise nach Archangelsk im Jahre 1693 legte Peter ein Schiff auf Kiel, und im Jahre 1694 fuhr er nach Archanglelsk, um es vom Stapel zu lassen. Peter träumte davon, eine Hochseeflotte zu schaffen. Jedoch gab er auch den Gedanken über die Notwendigkeit der Schaffung einer neuen Armee nicht auf.

Den Übergang von Peters „Spielereien“ zu wirklichen Kriegshandlungen bildeten die Asowschen Feldzüge gegen die Türkei. An jener Stelle, wo der Don in das Asowsche Meer mündet, stand die starke türkische Festung Asow, von Mauern, einem Wall und einem tiefen Graben umgeben. Sie versperrte Russland den Zugang zum Asowschen Meer vom Don aus und machte es unmöglich, durch die Meerenge von Kertsch in das Schwarze Meer zu gelangen.

Im Frühjahr 1695 fuhr eine 30 000 Mann starke russische Armee auf Flussschiffen die Oka und die Wolga hinab, marschierte zum Don und belagerte Asow.

Aber der erste Sturm missglückte. Die Armee setzte sich zum größten Teil aus den Strelzy zusammen. Im Kampf zeigten sie sich weniger standhaft als das Preobrashensker und das Semjonowsker Regiment. Auch das Nichtvorhandensein einer russischen Flotte machte sich bemerkbar. Die Türken lieferten den Belagerten Waffen und Proviant über das Meer. Peter konnte dies nicht verhindern, und die Belagerung von Asow musste aufgegeben werden.

Peter war jedoch ein Mensch von unerschütterlichem Willen. Nachdem er in den eroberten Türmen von Asow seine Garnisonen zurückgelassen hatte, entschloss er sich, in einem Winter eine Ruderflottillie zu schaffen. Am Ufer des Woronesh-Flusses wurde eine Werft errichtet. Der junge Zar arbeitete selbst auf der Werft, sowohl als Ingenieur, als auch als einfacher Zimmermann. Im Frühjahr des Jahres 1696 erschien zum Erstaunen der Türken eine russische Flotte vor Asow, das nun von der See- und Landseite her belagert wurde und sich bald den Russen ergab. Den Zugang zum Schwarzen Meer konnte Russland jedoch nicht ohne Krieg mit der Türkei erlangen, und Peter begann sich für diesen Krieg vorzubereiten.

Schon vor den Mauern Asows hatte sich Peter fest entschlossen, eine große Kriegsflotte zu bauen. Zu deren Schaffung waren verschiedene Spezialisten notwendig: Schiffszimmerleute und Ingenieure, kundige Seeoffiziere und erfahrene Matrosen. In Russland gab es sie nicht. Mit großen Schwierigkeiten und Ausgaben holte man sich fachkundige Leute aus dem Ausland. Aber diese Meister reichten nicht aus. Da entschloss sich Peter dazu, seine Leute ins Ausland zu schicken, damit sie sich mit Schiffbau und Seefahrt vertraut machen. Unter der Zahl dieser ersten russischen Schüler war auch Peter selber.

Im Jahre 1697 wurde zwecks Herstellung von Verbindungen mit den europäischen Staaten, unter denen man Bundesgenossen zum Kampf gegen die Türkei finden musste, die Große Gesandtschaft nach Europa geschickt. Sie wurde von einer Abteilung Freiwilliger begleitet, die zur Erlernung des Marinewesens mitfuhren. Unter ihnen befand sich auch Peter, der sich mit dem Namen „Unteroffizier Peter Michajlow“ getarnt hatte.

Im Ausland lernte der russische Zar fleißig und eifrig. In Königsberg studierte Peter unter Anleitung des Hauptingenieurs dieser Festung die Regeln des Artillerieschießens. In Holland, das wegen seiner Schiffbaukunst berühmt war, arbeitete Peter in der kleinen Stadt Saardam auf einer Werft, bis sich das Gerücht verbreitete, der große und starke Zimmerman sei der Zar selbst. Um sich den Neugierigen zu entziehen, siedelte Peter in die große holländische Stadt Amsterdam über und arbeitete hier länger als vier Monate, bis das in seiner Gegenwart auf Kiel gelegte Schiff fertiggestellt war. Nachdem Peter erfahren hatte, dass in England der Stand der Schiffbaukunst noch höher wäre als in Holland, führ er dahin und arbeitete länger als zwei Monate auf einer englischen Werft, unweit von London.

Von England aus wandte sich Peter nach Wien, um mit dem deutschen Kaiser über ein Bündnis gegen die Türkei zu verhandeln. Doch es gelang ihm nicht, ein Bündnis der europäischen Mächte gegen die Türkei zustande zu bringen. Die Mehrzahl der europäischen Staaten bereitete sich zum Krieg um die spanische Erbfolge vor, d.h. um die Verteilung der ausgedehnten Besitzungen Spaniens nach dem Tode seines kinderlosen Königs, der von der österreichischen Dynastie Habsburg abstammte. Österreich wollte nicht nur Peter im Krieg gegen die Türkei nicht beistehen, sondern beeilte sich sogar, mit ihr Frieden zu schließen.

2. Der große Nordische Krieg

Der internationalen Lage Rechnung tragend, verzichtete Peter auf einen Kampf mit der Türkei um das Schwarze Meer und trat dem Bündnis Dänemarks und Polens gegen die Schweden bei. Diese Länder litten ebenso wie Russland unter der schwedischen Herrschaft über das baltische Küstengebiet. Die schwedischen Truppen galten zu jener Zeit als die besten Europas. Um mit ihnen Krieg zu führen, musste man eine gut ausgebildete, reguläre Armee haben. Daher beeilte sich Peter, der sich auf einen Krieg mit Schweden vorbereitete, eine neue Armee zu schaffen. Laut Erlas vom 17. November 1699 wurde eine Aushebung von Rekruten aus den leibeigenen Bauern und den Städtern durchgeführt. Man kleidete sie in dunkelgrüne Röcke europäischen Zuschnitts und bildete sie vom Morgen bis zum späten Abend militärisch aus.

Peter beschloss, sich den Umstand, dass die Hauptkräfte des schwedischen Königs Karl XII. durch den Krieg mit Dänemark in Anspruch genommen waren, zunutze zu machen, und begann im August des Jahres 1700 den Sturm auf die Festung Narwa, die die Zugangswege zur Ostsee deckte. Narwa war gut befestigt. Zum Sturm reichten die Granaten nicht aus. Das Pulver war schlecht. Das Heranschaffen von Munition und Proviant über die morastigen Sümpfe war schwer und langwierig.

Inzwischen hatte Karl XII. den dänischen König schnell geschlagen und wandte sich eilig nach Narwa. Obgleich die früheren Spiel-Regimenter hartnäckigen Widerstand leisteten, zerschlugen die Schweden bei Narwa die russische Armee und erbeuteten die gesamte Artillerie.

Karl XII. rechnete damit, dass die russische Armee nach Narwa erledigt sei, und ging daher nicht nach Moskau, sondern nach Polen.

Die Niederlage bei Narwa machte aber Peter nicht mutlos. Er sah ein, dass der Feind den Russen nicht an Zahl und an Tapferkeit, sondern an geschickter Kriegsführung überlegen war. „Der Krieg ist nicht zu Ende, sondern er fängt erst an“, erklärte Peter und begann in aller Eile, die Armee umzugestalten. In kurzer Zeit wurden in die Armee Tausende neuer Rekruten aufgenommen. An Stelle der adligen Reiterei und der Stelzy stellte Peter Dragoner- (Kavallerie-) und Armee-(Infanterie-)Regimenter auf. Er schuf eine neue, leichte Feldartillerie und rüstete mit ihr die Reiterei aus. In der Artillerie wurden neue Typen eingeführt, Kanonen, Haubitzen und Mörser. In Moskau wurde die Kriegsschule zur Vorbereitung von Offizieren eröffnet. Die Adligen sollten auch als einfache Soldaten den Militärdienst beginnen und allmählich zu Offizieren aufrücken. Im Ural, wo Erzlager aufgefunden worden waren, wurden eiligst neue Werke errichtet. Im Jahre 1701 lieferte der Hochofen im Newjansker Werk den ersten Posten Gusseisen für Kanonen. Peter befahl sogar, die Glocken abzunehmen und sie in Kanonen umzugießen.

Für die Armee arbeiteten die alten Tulaer, Kaschirer, Olonezer Werke und die kürzlich errichteten Brjansker und Lipezker Werke. In den Werken wurden Kugeln und Kanonen gegossen, Säbel geschmiedet. Auf der Werft bei Lodejnoje Pole wurden Kriegsschiffe auf Kiel gelegt. Peter und die besten Kommandeure der russischen Armee verfolgten die neue Kriegstechnik in den Ländern Westeuropas mit Aufmerksamkeit und übernahmen alles, was das Kriegswesen in Russland verbessern konnte. Peter führte auch in der Kriegstaktik manche Neuerungen ein. Er verlangte das Zusammenwirken der Artillerie mit der Kavallerie und Infanterie, der förderte die Aktivität und Initiative der Soldaten und Kommandeure sämtlicher Waffengattungen.

Die Ergebnisse der Heeresreform zeigten sich bald. Im Januar des Jahres 1702 schlugen die russischen Truppen in der Nähe von Jurjew (Tartu) den schwedischen Feldherrn Schlippenbach. Dies war der erste Sieg über die Schweden, die sich bis dahin für unbesiegbar gehalten hatten. Peter sprach: „Wir haben es erreicht, dass wir die Schweden besiegen können, zwar vorerst noch, solange wir zwei gegen einen kämpfen, aber bald werden wir auch bei gleichem Kräfteverhältnis siegen.“

Im Sommer 1702 säuberten die russischen Soldaten den Ladoga- und den Tschudj-(Peipus-)See von den Schweden. Im Herbst des gleichen Jahres wurde nach zehntägigem Bombardement die schwedische Stadt Noteburg (Oreschek) (Oreschek, die russische Bezeichnung für Noteburg, bedeutet „Nüsschen“.) im Sturm genommen. „Sehr hart diese Nuss“, schrieb Peter, „jedoch, Gott sei Dank, sie wurde glücklich aufgeknackt.“  Noteburg wurde in Schlüsselburg umbenannt. Sie wurde der Schlüssel für Russlands Ausgang zum Meer.

Im Frühling des Jahres 1703 wurde auch das zweite Schloss des Tores zum Baltikum abgeschlagen: unter den Schlägen der russischen Truppen fiel die schwedische Festung Nienschanz.

Peter beeilte sich nun, festen Fuß an der Newa zu fassen, die den Ausgang zur Ostsee öffnete. Auf der Kotlin-Insel, am Eingang in die Newa gelegen, entstand die Festung Kronschlot (später Kronstadt). Am 16. Mai 1703 erfolgte auf einer der Inseln an der Newamündung, inmitten von Sümpfen und Wäldern, die Grundsteinlegung einer neuen russischen Festung, die später Peter-Paul-Festung genannt wurde. Gegenüber der Festung baute sich Peter ein kleines Holzhäuschen. Neben ihm bauten sich auch viele seiner Vertrauten Häuser. So entstand Petersburg, die künftige Hauptstadt des Staates.

Peter hatte den Fehler Karls XII., der die Kraft und Stärke des Russischen Staates unterschätzte, richtig erkannt und gewandt ausgenutzt. Nachdem Peter seine Streitkräfte wiederhergestellt hatte, begann er, die alten russischen Gebiete zurückzuerobern. Im Jahre 1703 wurden Jam und Koporje genommen, im Jahre 1704 Jurjew sowie die Festungen Iwangorod und Narwa. Jedoch waren die Hauptkräfte der Schweden den Russen noch nicht gegenübergetreten. Der schwedische König hatte sie zu dieser Zeit gegen Posen geworfen. Der hochmütige Karl sagte, als Peter ihm Frieden anbot: „Möge unser Nachbar Peter Städte bauen, wir werden uns den Ruhm vorbehalten, sie zu erobern.“

Aber Peter sah etwas anderes voraus. „Die Schweden können uns noch ein-, zweimal schlagen“, sagte er, „an ihnen selbst aber werden wir lernen, sie zu besiegen!“ Die russische Armee sammelte Kampferfahrung. Sie bereitete sich für die Entscheidungsschlacht vor.

Im Jahre 1706 schlug Karl XII. den polnischen König August II., nahm Krakau und Warschau ein und rückte in die Tiefe des russischen Gebiets vor. Der schwedische König, der von der Weltherrschaft träumte, hoffte, im raschen Vorgehen Moskau zu erobern, Russland zu zerstückeln und es der schwedischen Oberherrschaft unterzuordnen. Ursprünglich wählte Karl den unmittelbaren Weg nach Moskau über Smolensk, das „Tor von Moskau“. Peter, der mit der militärischen Überlegenheit des Gegners rechnete, befahl seinen Truppen, sich nach Osten abzusetzen und dabei den Gegner durch einen „Kleinkrieg“ zu schwächen, d.h. durch Kriegshandlungen kleinerer Abteilungen. Widerstand leisteten nicht nur die Nachhuten der rückgehenden russischen Armee, sondern auch die gesamte Bevölkerung. Sie versteckte Nahrungsmittel und Vieh in den Wäldern, verbrannte Brot und Futtermittel, überfiel die schwedischen Nachhuten und einzelne schwedische Soldaten.

Im September des Jahres 1708 befahl Karl seiner Armee, in die Ukraine abzudrehen. Er schloss ein Abkommen mit dem ukrainischen Hetman, dem Verräter Maseppa, der versprach, den schwedischen König mit allem Notwendigen zu versehen. Er versprach auch, Hilfe für Karl beim türkischen Sultan und den Kalmücken jenseits der Wolga zu erlangen, hauptsächlich aber rechnete er damit, einen Aufstand der Saporoshjer Kosaken und des ganzen ukrainischen Volkes gegen Peter zu entfachen. Aber die Hoffnungen Karls XII. und des Verräters Maseppa gingen nicht in Erfüllung. Die ukrainischen Bauern begannen einen Krieg, aber nicht gegen Peter, sondern gegen die fremden Eroberer. Der Hetman Maseppa wurde gestürzt und flüchtete zu den Schweden. Der neu Hetmann, Iwan Skoropadskij, stellte ein großes Kosakenheer auf und führte es Peter zu. Viele der mit Maseppa übergelaufenen Kosaken kehrten reumütig zurück. Peter verzieh ihnen, und sie kämpften tapfer gegen die Schweden. Peter erwähnte in einem seiner Briefe die volle Einmütigkeit des russischen und ukrainischen Volkes im Kampf gegen die Schweden. „Das Volk steht so unerschütterlich, wie man es nicht besser von ihm verlangen kann. Der König schreibt schmeichelnde Briefe, aber dieses Volk bleibt unveränderlich treu und bringt uns die Briefe des Königs.“

Die Lage der schwedischen Armee in der Ukraine gestaltete sich immer schwieriger. Sie litt Hunger, unter unaufhörlichen Regengüssen, die die Erde aufweichten, unter unerwartet frühzeitigem Kälteeinbruch. Ein großer Tross, den die Abteilung Löwenhaupt begleitete, fiel nach der Schlacht bei dem Dorf Lesnaja in die Hände der Russen. Der Sieg bei Lesnaja war der erste große Sieg der russischen Truppen. Den Sieg bei Lesnaja hielt Peter für die „erste soldatische Probe“ und nannte ihn die „Mutter der Bataille von Poltawa“, die genau neun Monate später stattfand.

Die schwedischen Truppen rückten im April 1709 an Poltawa heran. In der Annahme, dass Poltawa schlecht befestigt sei, hoffte Karl XII., es schnell zu erobern und dann auf Moskau vorzurücken. Peter jedoch hatte diese Möglichkeit vorausgesehen. Er hatte den energischen und kühnen Oberst Kellin zum Kommandanten Poltawas bestimmt, der die Verteidigung der Stadt glänzend organisierte. Auch Peter selbst eilte mit beträchtlichen Kräften Poltawa zu Hilfe. In der Nacht des 16 Mai 1709 drang eine russische Abteilung auf geheimen Pfaden durch die Sümpfe und schlug sich mit tapferen Bajonettenzugriff zu der belagerten Garnison durch. Die Kampfstimmung der Verteidiger Poltawas hob sich noch mehr, als sie erfuhren, dass die Truppen Peters die Worskla überschritten hätten und eine Stellung für die Hauptschlacht vorbereiteten.

Am Vorabend der Schlacht, am 26. Juni 1709, besichtigte Peter die Regimenter und rief die Soldaten auf, den Angriff des hochmütigen Eroberers, der sich für unbesiegbar hielt, standhaft abzuschlagen. Am Abend wurde den Truppen der berühmte Befehl Peters verkündet:

„Soldaten! Die Stunde ist gekommen, in der sich das Schicksal des Vaterlandes entscheidet. Daher sollt Ihr nicht denken, dass Ihr für Peter kämpft, sondern dass Ihr für den Staat, der Peter anvertraut ist, für Euer Volk, für Euer Vaterland kämpft. Ihr dürft Euch nicht durch den Ruf der Unbesiegbarkeit, der dem Feind anhaftet, verblüffen lassen. Denn dass dieser Ruhm ein erlogener ist, habt Ihr selbst mit Euren Siegen über ihn mehr als einmal bewiesen. Von Peter aber wisset, dass ihm sein Leben nicht teuer ist, wenn nur Russland glücklich und ruhmvoll für Euren Wohlstand lebt.“

Die russische Armee hatte eine Stärke von 42 000 Mann, die schwedische Armee ungefähr 30 000 Mann. Am Kampf nahmen aber auf beiden Seiten weniger teil. Peter gab den russischen Truppen den Befehl, die von ihm angewiesenen Stellungen zu beziehen. Die Auswahl und Befestigung dieser Stellungen hatte Peter besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Da er wusste, dass Karl XII. ein Freund von heftigen Angriffen und die schwedische Armee in der Kunst des Manövrierens erfahren war, legte Peter die Feldbefestigungen so an, dass sie die anrückenden Schweden längere Zeit aufhalten und die Gefechtsordnung der russischen Truppen zu Beginn der Schlacht vor Verwirrung bewahren konnten. Zwischen zwei Wäldchen wurden sechs Feldbefestigungen längs des Schlachtfeldes und vier rechtwinklig zu ihm angelegt. Die Feldbefestigungen (obgleich zu Beginn der Schlacht nicht alle fertiggestellt waren) wurden mit Artillerie ausgerüstet und bildeten die vorderste Stellung für die Infanterie. 

Am 26. Juni verließen die Schweden ihr Lager und stellten sich kolonnenweise in Richtung der russischen Feldbefestigungen auf. Im schwachen Licht der Morgendämmerung rückten sie zum Angriff vor, empfingen jedoch starkes russisches Kanonenfeuer aus den Feldbefestigungen und Gewehrfeuer von der Höhe der Wälle.

Peter folgte aufmerksam dem Verlauf der Schlacht. In gefährlichen und schwierigen Augenblicken gelang es ihm, herbeizusprengen und rechtzeitig die Situation zu retten. Sein schwarzer Dreispitz und sein Sattel waren von Kugeln durchlöchert. Eine Kugel traf seine Brust, drückte sich aber an dem Kreuz, das er auf seiner Brust trug, platt.

Die Schweden konzentrierten ihren Hauptschlag auf den linken russischen Flügel und durchbrachen die erste Linie der russischen Truppen. Peter dirigierte einige Bataillone Infanterie an die Durchbruchstelle und warf die Schweden zurück. Zur selben Zeit sprengte die russische Kavallerie heran, um die Flanken des Gegners zu umfassen. Die russischen Soldaten rückten in geschlossener Front zum Angriff vor. Die Schweden kamen ins Schwanken und flohen. „Die unbesiegbaren Herren Schweden zeigten bald ihre Rücken“, schrieb später Peter ironisch über die panische Flucht der schwedischen Armee.

Die Vernichtung der Schweden war vollständig. Das Schlachtfeld war von Leichen übersät. Der schwedische König, von einem Kanonensplitter verletzt, wurde eilig vom Schlachtfeld geschafft und floh mit einer kleinen Schar Getreuer in die Türkei.

Der große russische Kritiker Belinskij weist in seiner Würdigung der Schlacht von Poltawa darauf hin, dass„Die Schlacht von Poltawa keine einfache Schlacht gewesen sei…, nein, sie war eine Schlacht um die Existenz eines ganzen Volkes, um die Zukunft eines ganzen Staates“.

Puschkin würdigte in hohem Maße in seinem Poem „Poltawa“ die Bedeutung dieser Schlacht für die Sicherung der Macht und Größe Russlands:

Wohl war es eine schwere Zeit,

Da Russlands junge Herrlichkeit

Noch zwischen Tod und Leben kreiste,

Und im verzweiflungsvollen Streit

Groß ward mit Peters Riesengeiste.

Wohl war ihr Feld der Ehre

Ein Lehrer har und rauh verliehn,

Und manche blutgeschriebene Lehre

Gab Schwedens kühner Paladin.

Doch die Zeit des Wehs und Jammers

Erstarkte Russland unbesiegt,

Wie unterm wucht’gem Schlag des Hammers

Das Eisen Stahl wird, Glas zerbricht!

Die Schlacht von Poltawa versetzte dem Kriegsruhm der Schweden einen schweren Schlag. Russlands Verbündete, Polen und Dänemark, setzten gemeinsam mit Russland den Kampf gegen Schweden fort. Karl XII. gelang es nur, die Türkei für einen Krieg gegen Russland zu gewinnen. Im Jahre 1711 rückte eine große türkische Armee an die russischen Grenzen und umzingelte am Pruth das russische Heer.

Da die russische Armee kein Kriegsmaterial und keinen Proviant hatte, war sie genötigt, mit den Türken Frieden zu schließen. Peter gab der Türkei Asow zurück, hatte aber die Kampfkraft seiner Armee bewahrt.

Nach Beendigung des türkischen Krieges kehrte Peter an das Ufer der Ostsee zurück und brachte nach einige Jahren die Eroberung des Küstenlandes am Rigaer und Finnischen Meerbusen zum Abschluss.

Im Jahre 1714 errang die junge, während des schwedischen Krieges erbaute russische Flotte einen glänzenden Sieg über die Schweden am Kap Hangut (Finnland). Einen neuen großen Sieg über die schwedische Flotte erfocht Peter im Jahre 1720 bei der Insel Grenham.

Der Große Nordische Krieg dauerte 21 Jahre. Erst im Jahre 1721 wurde in Nystad (Finnland) Frieden geschlossen. Gemäß diesem Frieden erhielt Russland das Küstenland am Finnischen und Rigaer Meerbusen, Estland mit Narwa und Reval, Livland mit Riga und einen Teil von Karelien mit Wiborg.

Auf diese Weise schloss Peter den Kampf des russischen Volkes um einen Zugang zum Meer ab, der bereits Ende des 15. Jahrhunderts begonnen hatte.

In Würdigung der historischen Bedeutung von Peters Kampf um die Küste der Ostsee schreib Marx, dass die baltischen Provinzen hinsichtlich der geographischen Lage die natürliche Ergänzung für die Nation sind, die das Land, das hinter ihnen liegt, besitzt. Marx zog die Folgerung, dass Peter ein Territorium in Besitz nahm, das für die normale Entwicklung des Landes unbedingt notwendig war.

Russland wurde eine mächtige Militär- und Seemacht. Nach dem Nystädter Frieden wurde Peter dem Großen von dem Senat (der höchsten staatlichen Behörde in Russland) der Imperatoren-Titel angetragen. Russland begann man als Imperium zu bezeichnen.

3. Die Reformen Peters des Großen

Nach dem Sieg bei Poltawa beschloss Peter, an Stelle von Moskau die neue Stadt an der Newa-Petersburg- zu seiner Hauptstadt zu machen. Zehntausende von leibeigenen Bauern wurden für den Bau der neuen Hauptstadt zusammengetrieben. Sämtlichen Städten wurde verboten, steinerne Gebäude zu errichten, und befohlen, alle Maurer nach Petersburg zu schicken. An Stelle der früheren Wälder und Sümpfe wurden gerade Straßen mit großen Häusern aus Ziegel und Stein angelegt. Gegenüber der Peter-Paul-Festung an der Newa wurde eine große Schiffswerft errichtet, von ihr aus nahm eine große Straße, die die Bezeichnung Newskij-Prospekt erhielt, ihren Anfang.

Petersburg wurde ein belebtes Handelszentrum. Aus Westeuropa kamen ausländische Schiffe mit überseeischen Waren nach Petersburg.

Die Entwicklung des Handels allein vermochte aber Russlands Rückständigkeit nicht zu überwinden. Peter hatte begriffen, dass Russland wegen der schwachen Entwicklung seiner eigenen Industrie von Westeuropa abhängig war. Viele Waren, die das Land brauchte, mussten aus Holland, Schweden, England und anderen Ländern eingeführt werden.

In seinem Betreiben, die industrielle Rückständigkeit Russlands zu überwinden, förderte Peter mit allen Mitteln die Schaffung von Manufakturen. Unter seiner Mithilfe entstanden eine Reihe neuer Industrie- und Gewerbezweige: die Kupfergießerei, der Schiffbau, die Seidenweberei und andere.

Am Ende von Peters Regierung zählte man in Russland ungefähr 240 Manufakturen. Im Hinblick auf den Mangel an Arbeitskräften gab Peter im Jahre 1721 einen Erlass heraus, wonach den Eigentümern von Manufakturen erlaubt wurde, Dörfer mit Bauern aufzukaufen. Solche den Unternehmern übereignete Bauern (man nannte sie Possessionsbauern) mussten ihre bäuerliche Wirtschaft führen und außerdem in den Manufakturen arbeiten. Die Unternehmer beuteten grausam die „Arbeitsleute“ aus, unter den letzteren fanden häufig Unruhen statt.

Der langwierige und schwere Krieg erforderte große Aufwendungen. Peter ersetzte die zahlreichen kleinen Abgaben der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung durch eine große Kopfsteuer. Die Gutsbesitzer und Verwalter trugen die Verantwortung für den pünktlichen Eingang der Steuern ihrer Bauern. Die Kopfsteuer stärkte die Gewalt der Gutsbesitzer über die Bauernschaft. Ferner wurden auch die indirekten Steuern auf Salz, Tabak, Branntwein usw. erhöht. Besondere Personen, die „Pribylschtschiki“ („Gewinneinbringer“), dachten immer neue und neue Einnahmequellen aus. Mit Steuern wurde alles belegt: die Bienen im Bienenstand, die Schornsteine und Fenster der Bauernhütten, die Badestuben auf dem Hof, die Verkaufsstände auf dem Markt. Die Bauern mussten den Transport von Kriegsgütern bewerkstelligen, Wege bauen, Brücken ausbessern, Proviant für Heer und Flotte, Ziegelsteine zum Bau von Fabriken u.a. m. herbeischaffen. Die Rekrutenaushebungen entzogen dem Dorf die arbeitsfähigsten jungen Leute, die entweder überhaupt nicht oder als hilflose Behinderte wieder nach Hause kamen.

Abgesehen von den Rekrutierungen wurden die Bauern auch durch andere Verpflichtungen zugrundegerichtet; man trieb die Leute weg zum Bau von Befestigungen von Asow und Tanganrog, zum Bau der neuen Hauptstadt Petersburg, zum Bau von Kanälen, durch die die Ostsee mit der Wolga verbunden wurde.

Zur gleichen Zeit versuchten die adligen Gutsbesitzer, deren Aufwand stark gestiegen war, diesen durch verstärkte Ausbeutung der Bauern zu decken. Unter den Gutsbesitzern entstand sogar die Redensart: „Lass den Bauern das Haar nicht lang wachsen, sondern schere ihn ratzekahl, wie das Schaf.“

Vor den ruinierenden Steuern und dem wachsenden Druck flüchteten die Bauern in die Gebiete der Kosakenfreiheit.

Die Bauern, die unteren Schichten des Kosakentums und die städtischen Armen erhoben sich wiederholt. Er erste große Aufstand fand im Jahre 1705 in Astrachan statt, wo die aufständischen Vorstadtbewohner, die Soldaten, Strelzy, Arbeitsleute sich gegen die Bojaren und Steuererheber auflehnten und auf der Wolga gegen Moskau ziehen wollten.

Der Astrachaner Aufstand dauerte fast acht Monate an und wurde von den zaristischen Truppen unterdrückt. Die Teilnehmer und Führer des Aufstandes wurden grausam hingerichtet.

Kaum war der Aufstand in Astrachan beendet, als im Jahre 1707 ein neuer, noch bedrohlicherer Aufstand am Don um im Wolgagebiet unter Leitung von Konratij Bulawin ausbrach. Im Frühjahr des Jahres 1708 hatte dieser Aufstand das gesamte Gebiet des oberen Don ergriffen. Bulawin versandte überallhin Briefe, in denen er aufrief, mit den Gutsbesitzern und Steuererhebern abzurechnen und die Ländereien des Zaren nicht zu bestellen.

Im März 1708 wählten die aufständischen Kosaken und Bauern Bulawin zum Ataman des Allgroßen Don-Heeres. Die gegen ihn geschickte adlige Strafarmee konnte die Volksbewegung nicht zum Stehen bringen. Die wohlhabenden Kosaken verreiten jedoch Bulawin. Sie traten mit den Regierungstruppen in Verbindung, umzingelten das Haus, in dem der Führer des Aufstandes sich befand, um ihn zu ergreifen. Bulawin, der sich nicht ergeben wollte, erschoss sich.

Aber auch nach Bulawins Tode dauerten die Aufstände an. Sie waren ein Beweis dafür, wie stark der Protest der Volksmassen gegen die feudalistisch-leibeigene Ausbeutung war.

Peter, der im Interesse der Stärkung des adligen Staates handelte und die Bauern nicht schonte, maß zugleich eine große Bedeutung auch der Stärkung der Kaufmannschaft bei, in deren Händen sich der Außen- und Innenhandel befand. Er räumte den Kaufleuten verschiedene Vergünstigungen ein und gewährte ihnen Gelddarlehen.

Die Adligen blieben nach wie vor die herrschende Klasse, jedoch waren auch in ihrer Stellung viele Veränderungen eingetreten. Den Adligen im Staatsdienst wurde ein Gehalt in Geld gewährt. Sämtliche Stammgüter und Lehnsgüter wurden uneingeschränktes Eigentum der Adligen. Unter Peter verringerte sich der Unterschied zwischen den Familien des hohen und des niedrigen Adels. Diese sowohl wie jene wurden „Adlige“ genannt. Peter verlangte, dass sämtliche Adligen in Staatsdienste-militärische oder zivile- traten.

Große Veränderungen wurden auch in der Verwaltung des Staates vorgenommen. Peter war bestrebt, einen starken Staatsapparat zu schaffen und eine straffe Zentralisierung durchzuführen. Der Aufbau des Russischen Staates begann, sich dem Aufbau der europäischen Staaten anzugleichen. Im Jahre 1711 gründete Peter den Regierenden Senat. Er war die höchste staatliche Behörde, die verpflichtet war, die Entwürfe neuer Gesetze auszuarbeiten und die Tätigkeit der anderen Behörden zu überwachen. An Stelle der alten Behörden (Prikasy) wurden Kollegien gebildet, deren Zahl bis auf zwölf anstieg. Jedes Kollegium war für irgendeinen Verwaltungszweig zuständig. Die gesamte Gerichtsbarkeit im Staate war dem Justiz-Kollegium unterstellt. Peter schaffte das Patriarchat ab und unterstellte die Kirche dem Staat. An die Spitze der kirchlichen Verwaltung stellte er das Geistliche Kollegium oder den Synod.

Auf dem gesamten Staatsgebiet wurde ein einheitlicher Verwaltungsapparat eingeführt. Das Land wurde in Gouvernements eingeteilt, an deren Spitze die Gouverneure standen. Besondere Aufmerksamkeit widmete Peter den Heeresreformen. Die von ihm geschaffene reguläre Armee war eine National-russische Armee. Seit der Zeit Peters wurde die russische Armee auf der Grundlage der Rekrutenaushebungen ergänzt. Eine bestimmte Anzahl von Bauernhöfen musste einen Rekruten stellen. Ein solcher Rekrut war zum lebenslänglichen Militärdienst verpflichtet. Befehligt wurde die Armee von adligen Offizieren. Die Regimenter nannte Peter nach den Gebieten, wo sie aufgestellt worden waren. Die Fahnen zeigten die Wappen der russischen Länder.

Am Ende von Peters Regierung stand die russische Armee in Bezug auf Organisation, Ausrüstung und Kampfbereitschaft den besten europäischen Heeren nicht nach. Sie zählte an die 200 000 Mann.

Peter schuf auch eine starke Marine. Vor Peter hatte Russland kein einziges Kriegsschiff besessen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts bestand die baltische Flotte aus 48 großen Segelschiffen und einer Menge kleiner Ruderfahrzeuge. Die russische Flotte wurde eine der stärksten in Europa.

Der Adel und die aufkommende Klasse der städtischen Kaufmannschaft spielten die führende Rolle im Staat. J.W. Stalin charakterisiert den von Peter dem Großen regierten Russischen Staat folgendermaßen:

„Peter der Große tat viel für die Hebung der Klasse der Gutsbesitzer und die Entwicklung der aufkommenden Klasse der Kaufleute. Peter tat sehr viel für die Schaffung und Festigung des nationalen Staates der Gutsbesitzer und Händler. Man muss aber auch sagen, dass die Hebung der Klasse der Gutsbesitzer, die Förderung der aufkommenden Klasse der Händler und die Festigung des nationalen Staates dieser Klassen auf Kosten der leibeignen Bauernschaft erfolgte, der man das Fell über die Ohren zog.“

Peter der Große war sein ganzes Leben lang bestrebt, Russland in eine Reihe mit den fortgeschrittenen europäischen Staaten zu stellen. Mit allen Mitteln förderte Peter die Entwicklung der russischen Kultur. Dabei studierte er sorgfältig die kulturellen Errungenschaften solch fortgeschrittener Länder wie England und Holland. Er berief in seine Dienste Männer der verschiedensten Nationalitäten, bewahrte sich jedoch stets eine schöpferische Selbstständigkeit.

Die staatlichen Reformen in Russland verlangten eine große Zahl gebildeter Menschen. In der Zeit Peters des Großen fällt der Beginn der Schulbildung. Für die allgemeine Bildung wurden die sogenannten „Ziffern-Schulen“ („Rechenschulen“) eröffnet. In diesen Schulen wurde den Kindern der Adligen im Alter von 10 bis 15 Jahren Lesen und Schreiben sowie Rechnen beigebracht. Zur Vorbereitung von Spezialisten einer höheren Kategorie wurden in Moskau und Petersburg einige Spezial-Lehranstalten eröffnet, in denen Mathematik oder Medizin gelehrt wurde, sowie Marine- und Artillerie-Schulen. Peter plante und bereitete auch die Schaffung eines Zentrums der Wissenschaften in Russland vor: der Russischen Akademie der Wissenschaften. Der Tod hinderte ihn, diesen Gedanken selbst zu verwirklichen. Die Eröffnung der Akademie fand erst Ende des Jahres 1725 statt, als Peter schon nicht mehr unter den lebenden weilte.

An Stelle der kirchenslawischen Schrift führte Peter die leichter lesbare zivile Schrift ein. Er führte auch den in den europäischen Ländern gebräuchlichen Kalender ein. Unter Peter wurde eine beträchtliche Anzahl von Lehr- und praktischen Handbüchern herausgegeben, sowie der Grund für eine periodische Presse gelegt. Vom Jahre 1703 an erschien in Moskau und später in Petersburg die erste russische Zeitung: „Wjedomosti“ (Nachrichten).

Peter verbot, die Kleidung nach altem Zuschnitt zu tragen und erzwang das Tragen von kurzen Röcken, wie man sie im Westen trug. Er bekämpfte das häusliche Einsiedlerleben der Frauen und befahl ihnen, zu den „Assembléem“(Versammlungen P.R.) zusammen mit ihren Männern und Eltern zu fahren.

Im Kampf mit der Rückständigkeit und der Barbarei war Peter grausam und unerbittlich. Die Anhänger der alten Zeit, die mit den Veränderungen im Staate unzufrieden waren, traten mit den Feinden des Staates im Ausland in Verbindung. Als Verräter des Vaterlandes erwies sich sogar Peters Sohn, der Zarewitsch Alexej, Peter überantwortete ihn einem Sondergericht, das ihn zum Tode verurteilte. Seine erste Frau, Jewdokija Lopuchina, die sich mit Reaktionären umgeben hatte, sperrte er ins Kloster.

Peter fegte entschlossen sämtliche Hindernisse hinweg, die seinen Reformen entgegenstanden. Lenin bemerkte, dass Peter „in seinem Kampfe gegen die Barbarei nicht vor barbarischen Mitteln“ zurückschreckte.

Unter Peter dem Großen verwandelte sich Russland in eine mächtige, zentralisierte Monarchie mit einer gewaltigen Armee und Flotte, mit ausgebildeten Kadern von Beamten und Diplomaten. Unter Peter hatte Russland bedeutende Errungenschaften auf kulturellem Gebiet aufzuweisen. Es war eine wichtige, progressive Etappe in der historischen Entwicklung Russlands, die günstige Bedingungen für sein weiteres Wachstum in der Reihe der europäischen Großmächte schuf.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 „Die Vergangenheit des Sowjetlandes“, aus dem Jahre 1947. Original-Autorin Anna Michailowna Pankratowa, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text von Anna Michailowna Pankratowa:

siehe auch „Russland als absolutistischer Staat“

Die Entstehung und Festigung des fränkischen Staates

Die Auflösung der Urgesellschaft bei den Franken

Die Franken in Gallien

Im Gebiet östlich des mittleren und unteren Rheins wohnten im 3. Und 4. Jahrhundert westgermanische Stämme, die Franken genannt wurden.

Fränkischer Krieger
Bildquelle: Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982
Entnommen aus dem Geschichtsbuch für die 6. Klasse, Stand 1982

Ständig waren sie bestrebt, neues Land für den Ackerbau zu gewinnen. Deshalb überfielen sie oft andere Völker. Der König eines fränkischen Stammes, Chlodwig, fiel mit seinen freien Kriegern in Gallien ein und besiegte im Jahre 486 den römischen Statthalter und sein Heer. Damit hatten die Franken die Reste der römischen Staatsmacht und zugleich die Sklavenhaltergesellschaft in Gallien beseitigt.

Das Frankenreich unter Chlodwig
Bildquelle: Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die Unterwerfung Galliens beschleunigte bei den Franken die Auflösung der Urgesellschaft. Jetzt nahmen sich die freien Bauern in Gallien Land. Sie siedelten sich nicht mehr in Sippengemeinschaften, in der die Verwandten beieinander wohnten, sondern in Dorfgemeinschaften an. Die Bauernkrieger erhielten Land zugeteilt. Sie bearbeiteten es selbstständig mit ihrer Familie. Allmählich wurde dieses Land zum Privateigentum des einzelnen fränkischen Bauern:

Er durfte es verkaufen, verschenken oder vererben. Nur Weide, Wald, Gewässer, auch Allmende genannt, blieben Gemeineigentum der Dorfbewohner. Während der langen Kriege hatten die fränkischen Stammesführer und Könige alle Entscheidungen ohne das Thing getroffen.

Die Stammesführer stärkten ihre Stellung weiter, indem sie sich große Teile des eroberten Landes als Eigentum nahmen. Sie bildeten Gefolgschaften (wie früher die Germanenstämme). Den Gefolgsleuten teilten sie Land zu. Die Stammesführer und die Gefolgsleute, die mehr Land als die freien Bauern und mehr Rechte besaßen, bildeten am Ende des 5. Jahrhunderts die adlige Oberschicht, kurz Adlige genannt. (Sie betrachteten sich als etwas Besseres: als edel oder adlig).

Die Gründung des fränkischen Staates

Der einflussreichste König war am Ende des 05. Jahrhunderts Chlodwig. Er stammte aus der Familie der Merowinger. Zu seinem hohen Ansehen hatten vor allem seine Siege über den römischen Statthalter in Gallien beigetragen. Chlodwig gelang es, die Führer der übrigen fränkischen Stämme zu beseitigen und selbst König aller Franken zu werden.

Chlodwig. Statue vom Grabmal.
Bildquelle: Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Nachdem die Franken in Gallien den römischen Sklavenhalterstaat vernichtet hatten, brauchten die zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft einen eigenen Staat. Der fränkische Staat entstand um 500 unter Chlodwig. Der Staat der Franken hatte die Aufgabe, das eroberte Land zu sichern, die dort lebende Bevölkerung (vor allem die Kolonen und Unfreien) zu beherrschen, neue Eroberungen vorzunehmen und die freien fränkischen Bauern in die Abhängigkeit zu zwingen.

Die Franken übernahmen in Gallien das römische Gerichtswesen und die staatliche Münzprägung des römischen Sklavenhalterstaates. König Chlodwig stärkte seine Macht durch die Aneignung riesigen Grundbesitzes. Er stattete Angehörige seiner Gefolgschaft reich mit Land aus und ernannte sie – ebenso wie eine Reihe ehemaliger römischer Großgrundbesitzer- zu königlichen Beauftragten, zu Grafen. Sie erhielten verschiedene Gebiete des fränkischen Reiches zur Verwaltung: man nannte sie Grafschaften. Der fränkische Staat wurde zu einem Machtorgan des Adels. Nachdem nahezu ganz Gallien erobert war, wurden Feldzüge in Richtung Osten unternommen. Chlodwigs Söhne setzten die Eroberungen fort. Der fränkische Staat sehnte sich bald über weite Gebiete West- und Mitteleuropas aus. Friedrich Engels wertete den Staat als „eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch die andre“.

Merowingische Goldmünze, 6. Jh. (vergrößert)
Bildquelle: Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Als die Franken unter Chlodwig Gallien überfielen, trafen sie auf die schon geschwächte römische Sklavenhaltergesellschaft. Da sie das eroberte Land beherrschen wollten, mussten sie einen neuen Staat aufbauen. Chlodwig nachte sich zum König der Franken und setzte Adlige als Grafen ein. Dadurch löste sich bei den Franken die Urgesellschaft schneller auf. Die freien Franken und Gallier wurden unterdrückt.

Die Festigung des fränkischen Staates

Die herrschende und die unterdrückte Klasse bei den Franken

Die Eroberung Galliens hatte für die Entwicklung der Ungleichheit bei den Franken und für die Festigung des fränkischen Staates weitreichende Folgen. Es bildete sich eine neue herrschende Klasse heraus, die sich allmählich zur Klasse der Feudalherren entwickelte. Ihre Macht beruhte auf gewaltigem Landbesitz, dem wichtigsten Produktionsmittel. Zur sich herausbildenden herrschenden Klasse gehörten:

Der König mit dem größten Landbesitz.

-Fränkische Stammesführer, die sich das Land der geflohenen römischen Großgrundbesitzer aneigneten.

-Ehemalige römische Großgrundbesitzer, die dem fränkischen Adel ihre Dienste anboten und zur Zusammenarbeit mit ihm bereit waren. Sie zeigten den Franken, wie man Bauern ausbeutet.

-Der Dienstadel des Königs. ER wurde aus Gefolgsleuten des Königs gebildet. Es waren Grafen (die Grafschaften verwalteten), Heerführer (die neues Land eroberten und sicherten) und Gutsverwalter (der König konnte sein Land nicht allein verwalten). Sie leisteten also dem König Dienste.

Zugleich entstand allmählich die neue unterdrückte Klasse. Das waren diejenigen, die wenig oder kein Land besaßen. Dazu gehörten:

-Die freien Bauern, die zunächst noch unabhängig waren. Da sie ihr Land verkaufen konnten, gab es in der fränkischen Dorfgenossenschaft bald reichere und ärmere Bauern. Viele freie Bauern, die lange Zeit zum Heeresdienst eingezogen wurden und ihr Land nicht mehr bestellen konnten, verarmten ebenfalls, verkauften ihr Land oder borgten sich Saatgut von den Adligen. Dadurch wurden sie abhängig.

-Halbfreie, die ein winziges Stück Land besaßen, aber meist auf den Feldern der Adligen arbeiten mussten.

-Unfreie, die kein Land besaßen und auf den Gütern und Feldern für den Adel arbeiteten.

So bestand im fränkischen Staat ein Gegensatz zwischen dem Adel, der großen Grundbesitz hatte, und den Bauern sowie den Halb- und Unfreien. Die Macht der herrschenden Klasse nahm zu, die Gleichheit aller Freien in der Dorfgemeinschaft wurde schließlich endgültig beseitigt.

Chlodwigs Übertritt zum Christentum

Ein weiteres Ereignis, das zur Festigung des fränkischen Staates beitrug, war die Übernahme der christlichen Religion durch König Chlodwig. Er soll während eines Feldzuges gegen die Alamannen zusammen mit 3 000 seiner Krieger zum Christentum übergetreten sein. Was veranlasste ihn, diesen Schritt zu tun?

Die Bewohner Galliens waren Christen. Chlodwig hoffte, wie früher die römischen Kaiser, sie leichter in Gehorsam zu halten, wenn er auch Christ wurde. Die römischen Großgrundbesitzer, die nicht vor den Franken flohen, waren ebenfalls Christen. Mit seinem Übertritt zum Christentum konnten Chlodwig und der fränkische Adel sie leichter als Verbündete gewinnen. Die Kirche war – wie bereits im Römischen Reich- einer der größten Landeigentümer. Der König bekannte sich zur Kirche und verbündete sich mit ihr. Er schenkte ihr Land und vermehrte somit ihren Reichtum. Die christliche Kirche beeinflusste die Bevölkerung, die dem Beispiel des Königs sehr bald folgte und zum Christentum übertrat.

In der Bibel („Neues Testament“) steht:                                                                                            „Ermahnung zum Gehorsam gegen die Obrigkeit….                                                                             Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebet Gottes Ordnung…                                                                                                                           So gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid:                                                                                             …Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“

Bildquelle: Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Chlodwigs Übertritt zur Kirche festigte seine Macht und förderte die Entwicklung zur Klassengesellschaft im fränkischen Reich. Die christliche Kirche wurde – wie vorher im römischen Sklavenhalterstaat – zur Stütze des feudalen Staates.

Bildquelle: Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Chlodwig festigte den fränkischen Staat, der um 500 entstanden war. Zu der sich herausbildenden herrschenden Klasse gehörten der König, fränkische Stammesführer, ehemalige römische Großgrundbesitzer und der Dienstadel. Sie besaß das wichtigste Produktionsmittel, den Grund und Boden. Zugleich begann die Herausbildung der unterdrückten Klasse.

Der Eintritt Chlodwigs und des fränkischen Adels in die christliche Kirche trug zur weiteren Festigung des Staates bei. Die Kirche heiligte den fränkischen Staat wie zuvor den römischen.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Geschichtsbuch der DDR

Das Frankenreich unter Karl dem Großen und seinen Nachfolgern

Die Schaffung des fränkischen Großreiches

Die Entstehung des Lehnswesens

Seit dem Ende des 7. Jahrhunderts sicherten sich die Karolinger größeren Einfluss. Sie festigten den fränkischen Staat, indem sie in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts das Lehnswesen einführten und somit die herrschende Klasse organisierten.

Der fränkische König und andere Großgrundbesitzer verliehen umfangreiche Teile ihrer Ländereien an treue Gefolgsmänner, auch Vasallen genannt. Diese verpflichteten sich, militärische Dienste zu leisten und Verwaltungsaufgaben zu Übernehmen. Das verliehene Land hieß Lehen. Es wurde von den abhängigen Bauern bewirtschaftet. Di Lehen brachten den Vasallen so viel Gewinn ein, dass es ihnen möglich war, eine eigene Gefolgschaft zu unterhalten und auszurüsten. Häufig vergaben sie ihrerseits Lehen an eigene Vasallen (Untervasallen), die ihnen Kriegs- und Verwaltungsdienste leisten mussten. Beim Tod oder Treuebruch der Vasallen forderten der König oder der Großgrundbesitzer das Lehen zurück.

Schema der Lehnsgliederung
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Bei der Übergabe des Lehens an treue Gefolgsleute sprach der König etwa folgende Worte: Du warst mit stets ein treuer Gefolgsmann. Du hast mir im Krieg und im Frieden gedient. Ich übergebe dieses Lehen!                                                              Darauf leistete der Vasall den Treueeid: „So treu ergeben will ich sein, wie es ein Gefolgsmann seinem Herrn schuldig ist. Den Feinden meines Herrn Feind, den Freunden meines Herrn Freund.“

Das Lehen hieß lateinisch „feudum“. Deshalb nennt man alle, die Lehen vergeben oder erhielten,Feudalherren. Die Feudalherren, die von der Arbeit ihrer abhängigen Bauern lebten, stellten die herrschende Klasse in der neuen Gesellschaftsordnung, dem Feudalismus, dar.

Belehnung und Weiterbelehnung
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Karl der Große und seine Eroberungen

Der bekannteste karolingische König hieß Karl, der später auf Grund seiner großen Erfolge den Beinamen „der Große“ erhielt. Karl der Große wollte seine Macht weiter stärken. Er besaß Königsgüter, Pfalzen, in allen Landesteilen.

Kaiserpfalz zu Ingelheim
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Mit großem Gefolge zog der König von Pfalz zu Pfalz, organisierte die Verwaltung und setzte Grafen ein. Das waren Feudalherren, die in seinem Namen in ihren Grafschaften Abgaben eintrieben, Gericht hielten, Bauern zum Kriegsdienst aufboten und sie im Feldzug anführten. Zur Kontrolle der Grafen ließ Karl der Große Königsboten umherreiten, die Anweisung übergaben und die Einhaltung der Gesetze überprüften. Mit diesen Maßnahmen hatte Karl sein Reich so weit gefestigt, dass er immer umfangreichere Eroberungszüge gegen westgermanische Stämme beginnen konnte. Im Jahre 772 fiel das Heer Karls des Großen erstmalig in Sachsen ein.

Franken dringen in das Land der Sachsen ein
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Der Kampf wurde erbittert geführt. Doch Karl musste fast ein Jahr mit großen Heeren in das sächsische Gebiet ziehen. Der Widerstand der Bauern, der zeitweilig von dem sächsischen Heerführer Widukind geführt wurde, konnte erst nach 30 Jahren endgültig gebrochen werden. Viele der sächsischen Adligen verbündeten sich zeitweise mit den Franken und wurden zu Grafen ernannt. Sie erhofften sich damit, die noch freien Sachsen rascher von sich abhängig zu machen bzw. die abhängigen Bauern leichtet unterdrücken zu können. 782 teilte Karl der Große Sachsen in Grafschaften ein setzte die reichsten sächsischen Grundbesitzer, die mit den Franken zusammenarbeiteten, als Grafen ein. Mit aller Kraft begann der Widerstand der sächsischen Bauern erneut. Karl hielt in Verden an der Aller ein furchtbares Strafgericht und ließ viele Sachsen hinrichten. Andere siedelte er in verschiedene Landesteile um, wie. Die Kampfkraft der Sachsen endgültig gebrochen werden sollte. Eine besondere Rolle bei der Niederringung der Sachsen spielte die christliche Kirche. Sie entsandte Geistliche aus dem Frankenreich um die sächsische Bevölkerung zum Christentum zu „bekehren“. Nach der Taufe Widukinds im Jahre 785 stand der fränkische Sieg fest. Mit Widukind traten weitere Führer des sächsischen Aufstandes zum Christentum über. Die Führer der sächsischen Erhebung hatten vor den Franken kapituliert. Sachsen wurde in das karolingische Reich eingegliedert.

Reiterstandbild Karls des Großen
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

In den folgenden Jahren zog Karl nach Italien. 774 besiegte er die Langobarden und 788 auch die Bayern.

Alle westgermanischen Stammesverbände zwischen Elbe, Saale und Rhein gliederte er in das Frankenreich ein und beschleunigte auch dort die Entwicklung des Feudalismus. In dreißigjähriger Regierungszeit hatte er sein Reich fast um das Doppelte vergrößert. Das Frankenreich war ein Großreich geworden.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Karl der Große als Kaiser

Karl fühlte sich nun als Nachfolger der weströmischen Kaiser. Deshalb strebte er jetzt auch nach dem Kaisertitel. Er wollte damit als oberster Herr vieler Völker und als Beschützer der christlichen Kirche angesehen werden. Bei einem Besuch Roms im Jahre 800 setzte ihm der Papst während eines Weihnachtsgottesdienstes die Krone auf und grüßte ihn unter dem Beifall der anwesenden reichen Römer als Kaiser. Damit wurde im Jahre 800 Karl der Große Kaiser.

Unter den Karolingern bildete sich das Lehnswesen heraus. Die Verleihung von Land an Vasallen sicherte dem König die Macht. Die neue herrschende Klasse war die Klasse der Feudalherren. Karl schuf eine feste Staatsmacht. Er unterwarf westgermanische Stämme und eroberte Teile Italiens. Der Papst erkannte seine Macht an und krönte ihn zum Kaiser.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982
Karolingischer Silberbecher, um 800
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die Festigung der Klasse der Feudalbauern

Die Landwirtschaft bei den Franken bis 800

Die freien fränkischen Bauern besaßen Äcker, die sie mit ihren Familienangehörigen bestellten. Außerdem gehörten ihnen eine eigene Hauswirtschaft, ein Garten sowie eigene Produktionsinstrumente.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Zu den wichtigsten Produktionsinstrumenten zählten der Hakenpflug, der große Ackerwagen, ein Karren und die Sichel. Aber es gab auch schon den einfachen Bodenwendpflug auf Rädern, mit dem der Acker umgebrochen werden konnte, die Sense und den vierrädrigen Wagen. Zudem verfügten die Dorfbewohner über die Allmende. Das Ackerland wurde zwar von jedem Bauern eigenverantwortlich bearbeitet, jedoch die Zeiten für Aussaat und Ernte sowie die Fruchtfolge wurden gemeinsam festgelegt. Die Bauern bestellten die Felder bis etwa zum Jahre 800 in Form der Zweifelderwirtschaft.

In einem Jahre wurde nur die eine Hälfte der Felder bewirtschaftet, während die andere Hälfte brach liegen blieb. Damit erreichten die Bauern im nächsten Jahr wieder eine gute Ernte. Dich Brachfelder wurden auch als Weide für das Vieh genutzt.

Zweifelderwirtschaft
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die Abhängigkeit der Feudalbauern

Die Ungleichheit der Bauern in den Dörfern nahm zu. Oft verschuldeten sich Bauern gegenüber Nachbarn oder Feudalherren, so dass sie gezwungen waren, Teile des Hofes und ihrer Äcker zu verkaufen. Wie kam es dazu?

In verschiedenen Gegenden erbten alle Söhne des Bauern je einen Teil des väterlichen Gutes. Die Bauernwirtschaften wurden dadurch so klein, dass sie kaum noch die Familien ernähren konnten. Diese Bauern übertrugen einem Feudalherrn ihr Landstück als Eigentum. Sie erhielten es von ihm zur Nutzung zurück und bekamen manchmal von ihm noch bisher ungenutztes oder noch nicht gerodetes Land. Dafür wurden die Bauern gezwungen, dem Feudalherrn Abgaben (in Form von Produkten) und Frondienste zu leisten, d.h., sie mussten unentgeltlich für den Fronherrn arbeiten.

In anderen Gegenden erbte nur ein Sohn den väterlichen Bauernhof. Die anderen Söhne mussten Land von einem Großgrundbesitzer erbitten. So gerieten sei ebenfalls in die Abhängigkeit eines Grundherrn.

Häufig führte schon der mehrfache Heeresdienst, zu dem die freien Bauern verpflichtet waren, zum Zusammenbruch von Bauernwirtschaften. Um nicht zum Kriegsdienst eingezogen zu werden, begaben sich viele Bauern sogar „freiwillig“ in die feudale Abhängigkeit.

Besondere Methoden wandte die Kirche als feudale Grundbesitzerin an, um die freien Bauern in die Abhängigkeit zu zwingen. Geistliche versprachen den Bauern ein besseres Leben nach dem Tode. Sie betrogen die unwissenden Bauern mit angeblich wundertätigen Heiligenreliquien (Das sollten Überreste oder Gegenstände von Heiligen sein!). Sie drohten auch den freien Bauern mit Qualen, die sie nach dem Tode zu erleiden hätten. Damit wollten sie die Übergabe der Äcker an die Kirche erzwingen.

Folgende Quelle bestätigt, was die Leserinnen und Leser bereits erkannt haben!

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

So gerieten die freien Bauern nach und nach in die Abhängigkeit von Feudalherren, wurden zu feudalabhängigen Bauern (oder einfach: Feudalbauern). Sie waren nicht mehr Eigentümer des von ihnen bearbeiteten Landes. Eigentümer waren die Feudalherren. Sie überließen den Bauern das Land und zwangen sie zu Abgaben und Frondiensten.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Noch im 9. Jahrhundert gab es sehr viele Unfreie. Sie wurden durch Kriegsgefangene, aus dem Sklavenhandel und durch Schuldknechtschaft ständig ergänzt. Die Unfreien waren völlig ohne Rechte, galten als Eigentum ihrer Herren, auf deren Höfen sie als Gesinde arbeiteten.

Bauern beim Pflügen und Hacken, um 1203
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Durch die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion wurden immer weniger Unfreie gebraucht. Es war nun für den Feudalherrn lohnender, dem Unfreien ein Stück Land zu geben. Hierfür musste er Abgaben zahlen und Frondienste leisten. So wurden auch die Unfreien zu feudalabhängigen Bauern.

Man nennt diese Vorgänge – die Überführung der freien Bauern in die Abhängigkeit der Feudalherren und die Umwandlung Unfreier in feudalabhängige Bauern-Feudalisierungsprozess.

Die Klasse der feudalabhängigen Bauern (Feudalbauern) stand im unversöhnlichen Gegensatz zur Klasse der Feudalherren. Die Bauern wurden von den Feudalherren ausgebeutet. Die Ausbeutung bestand darin, dass die Feudalbauern Abgaben und Frondienste leisten mussten. Die gewaltsame Überführung der freien Bauern und der Unfreien in Feudalbauern wird als Feudalisierungsprozess bezeichnet.

Das Leben der Bauern in der Grundherrschaft

Die Organisation der Grundherrschaft

Die Feudalherren wollten aus den Feudalbauern möglichst viele Abgaben und Frondienste pressen, also die Ausbeutung verstärken. Deshalb organisierten sie ihren sehr verstreut liegenden Grundbesitz auf neue Weise. Sie bildeten aus ihren Ländereien Fronhofverbände. Zu diesen gehörten der Fronhof selbst und die Wirtschaften der Feudalbauern. Mehrere Fronhofverbände eines Feudalherrn nannte man feudale Grundherrschaft.

Der Fronhof war der Mittelpunkt eines Fronhofverbandes. Er wurde vom Feudalherrn selbst oder von einem Beauftragten, dem Meier oder Vogt, verwaltet. Er leitete die Arbeit der Unfreien auf dem Hofe und teilte den Feudalbauern ihre Fronarbeit zu. Außerdem kontrollierte er die vollständige und pünktliche Ablieferung der Abgaben der Bauern. Waren die Bauern einmal nicht gewillt, die Abgaben zu zahlen oder alle geforderten Frondienste zu leisten, so schickte der Grundherr oder der Meier Bewaffnete, setzte seine Forderungen mit Hilfe der Gerichte durch oder ließ die Bauern durch den Pfarrer an ihre Pflicht erinnern und zum Gehorsam zwingen. Der Grundherr herrschte wie in einem kleinen Staat.

Lageplan Fronhof
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982
Beschreibung Fronhof
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die Feudalbauern waren nicht alle in gleicher Weise vom Feudalherrn abhängig. Die Mehrheit waren Hörige (sie mussten dem Herrn gehorchen, auf ihn hören). Diese Hörigen hatten einen eigenen Hof. Sie besaßen also Produktionsmittel, wenn auch in geringem Umfang. Die Hörigen leisteten Abgaben: Getreide, Gemüse, Käse, Eier, Häute, Wolle und Vieh. Dazu kam noch der „Zehnte“ (der 10. Teil ihres Ertrages), den die Bauern an die Kirche zu entrichten hatten. Außer den Abgaben wurden von den Hörigen noch Frondienste verlangt, die besonders in Saat- und Erntezeiten abzuleisten waren. Dazu gehörten die Hand und Spanndienste (Arbeit auf dem Feld oder Transport von Getreide, Heu und Holz).

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

In einer drückenderen Lage als die Hörigen befanden sich die Leibeigenen. Sie waren persönlich vom Grundherrn abhängig. Er durfte sie verkaufen oder misshandeln, jedoch nicht töten. Sie besaßen keine eigene Wirtschaft, wohnen in armseligen Hütten in der Nähe des Fronhofes. Täglich mussten sie die ihnen aufgetragenen Arbeiten verrichten. Sie betreuten das Vieh, pflegten die Gärten, bestellten die Felder und hielten Ställe, Häuser, Scheunen, Zäune und Produktionsgeräte des Grundherrn instand. Der Feudalherr eignete sich das, was sie erarbeiteten, vollständig an. Für ihre Arbeit erhielten sie nur so viel, dass sie leben konnten.

Andere hatten nur sehr kleine Wirtschaften erhalten, von denen sie nicht einmal ihre Familien ernähren und deshalb nur geringfügige Abgaben liefern konnten. Dafür mussten sie oft mehr als drei Tage in der Woche Frondienste leisten.

Schließlich gab es die Zinsbauern. Sie zahlten genau festgelegte Abgaben als „Zins“.

Neue Arbeitsweisen

Seit 800 gingen die Bauern in den feudalen Grundherrschaften zur Dreifelderwirtschaft über.

Die bestellte Ackerfläche vergrößerte sich. Jetzt blieb nur noch ein Drittel brach liegen. Das zweite Drittel wurde im Frühjahr mit Sommergetreide (Hafer und Gerste) bestellt, das dritte im Herbst mit Wintergetreide (Roggen und Weizen). Da das Brachland als Weide diente, sorgte das Vieh gleichzeitig für eine natürliche Düngung. Mit der weiteren Verbreitung des Bodenwendpfluges gelang außerdem eine bessere Bearbeitung der Äcker. Ein solcher Pflug war aber noch nicht allgemein eingeführt. Überhaupt hatten die Bauern bis zum 11. Jahrhundert nur wenig Geräte aus Eisen. Meist verwendetes Zugtier vor Egge und Pflug war der Ochse, Pferde wurden nur in seltenen Fällen eingespannt. Ochsen waren billiger als Pferde. Sie brauchten nicht beschlagen und konnten als Schlachtvieh verwendet werden, wenn sie als Zugtier nicht mehr zu gebrauchen waren.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die landwirtschaftlich genutzte Fläche wurde seit 800 weiter durch umfangreiche Rodungen vergrößert, die von den Grundherrschaften organisiert wurden. Die seht schweren Arbeiten des Bäumefällens, des Ausbrennens des Waldes sowie des Aushackens der der Baumwurzeln wurden von Unfreien oder landlosen Bauern durchgeführt. Sie erhielten dafür Hof und Acker auf dem neu gewonnen Land, wofür sie Abgeben und Frondienste für die Feudalherrn zu leisten hatten.

Der Übergang zur Dreifelderwirtschaft, die umfangreichen Rodungen und die gründlichere Bearbeitung des Ackers mit dem Bodenwendpflug brachten einen gewaltigen Fortschritt gegenüber der bisherigen Produktionsweise in der Landwirtschaft. Die Erzeugung eines gewissen Überschusses an landwirtschaftlichen Produkten wurde jetzt möglich. Deshalb konnten sich einige Bauern oder Angehörige des Hofgesindes ausschließlich handwerklichen Tätigkeiten widmen. Früher hatten die Bauern, von Frau und Kindern unterstützt, alle handwerklichen Erzeugnisse von der Kleidung bis zu Arbeitsgeräten selbst hergestellt.

Bodenwendpflug mit Rädern Egge
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Es entstand eine Arbeitsteilung zwischen landwirtschaftlicher und handwerklicher Tätigkeit. Im Laufe der Zeit fertigten bestimmte Menschen immer wieder die gleichen Produkte an. Sie wurden zu Fronhandwerkern. Die Bauern tauschten Korn und Fleisch gegen die Produkte der Fronhandwerker aus.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Nun wurde es möglich, bestimmte Bauern und Angehörige des Hofgesindes von ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit zu entbinden und ausschließlich als Handwerker auf dem Fronhof arbeiten zu lassen.

Vielfach lösten sich Berufe, so der des Stellmachers und des Webers, von der bäuerlichen Arbeit. Auf den Fronhöfen bildeten sich Spezialhandwerker heraus, die nicht für den Markt, aber für die Bedürfnisse anderer Fronhöfe und Nebenhöfe arbeiteten.

Im 10. Und 11. Jahrhundert konnte sich das Handwerk stärker von der Landwirtschaft lösen, um immer neue Berufe, z.B. in der Eisenverarbeitung, entstanden.

Fronhof Bauern bringen dem Feudalherren Abgaben
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die Feudalherren organisierten feudale Gesellschaften. Dazu gehörten Fronhöfe als Zentren und die Bauerndörfer. Es gab Hörige, Leibeigene, Zinsbauern und Unfreie. Die Dreifelderwirtschaft, die gründlichere Bodenbearbeitung und die Rodungen brachten wesentlich höhere Erträge. Das ermöglichte die Arbeitsteilung zwischen Bauern und Handwerkern. Diese Entwicklung war ein Fortschritt in der Geschichte.

Bäuerliche Arbeiten in den verschiedenen Jahreszeiten
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Der Kampf der Bauern gegen Feudalisierung und feudale Ausbeutung

Einfache Formen des Kampfes der Bauern

Die freien Bauern haben von Anfang an gegen die Feudalisierung gekämpft. Sie wollten ihre Freiheit behalten und nicht von den Feudalherren abhängig werden. Als sie dann doch durch Anwendung von Gewalt, durch Betrug und falsche Versprechungen feudalabhängig geworden waren, leisteten sie erbitterten Widerstand gegen die feudale Ausbeutung. Die Klasse der Feudalbauern stand der Klasse der Feudalherren feindlich gegenüber.  Der Klassenkampf zwischen ihnen vollzog sich in verschiedenen Formen, war jedoch selten offen Aufstand. Vielfach verweigerten die Bauern die Abgaben oder schienen nicht zu den Frondiensten. Mitunter lieferten sie nur minderwertige oder halbverdorbene Feldfrüchte ab oder versahen ihre Fron sehr lachlässig. Oft flüchteten Bauern auch von Haus und Hof, rotteten sich unterwegs zusammen, bettelten oder lebten von Straßenüberfällen und Raub.

Das Verlassen der Bauernhöfe war eine sehr wirksame Form des Widerstandes, denn verlassene Bauernhöfe und Äcker nützten den Feudalherren nichts.

Der bewaffnete Aufstand

Die schärfste Form des bäuerlichen Klassenkampfes war der bewaffnete Aufstand.

Der größte Bauernaufstand im östlichen Teil des Frankenreiches jener Zeit war der Stellinga-Aufstand. In den Jahren 841 und 842 erhoben sich die Bauern in Sachsen, um ihre Freiheit zu schützen oder aus der feudalen Abhängigkeit zu entkommen. Die Aufständischen begannen ihre Erhebung, als sich ein großer Teil des fränkischen Feudalheeres gerade im Westteil des Frankenreiches auf einem Feldzug befand.                                                                                                                                          50 Jahre sind vergangen, seitdem Karl der Große die Sachsen unterwarf und viele sächsische Bauern unter das Joch der Feudalherren zwang. Die Bauern in Sachsen haben sich mit Frondienst, Kirchenzehnt und anderen Lasten nicht abgefunden. Sie versammeln sich heimlich zum Thing und vereinigen sich zu einem Bund, den sie Stellinga nennen….                                       Boten der Stellinga eilen von Dorf zu Dorf: „Rüstet euch zum Kampf…gegen die Feudalherren!“ Die Kunde fliegt durchs Sachsenland. Und selbst die Schwankenden und weniger Ausgebeuteten unter den Bauern werden mitgerissen.                  Schleifsteine kreischen; Schwerter, Äxte und Speerspitzen werden geschärft…Die Bauern errichten auf vielen Hügeln Holzstöße aus feuchtem Holz. Eines Tages hängen Rauchwolken über den Hügeln. Die Holzstöße sind angezündet. Der Rauch ruft zur Tat.                Die Bauern sammeln sich, ziehen bewaffnet zu den Königspfalzen, Fronhöfen und Klöstern. Sie erstürmen die Wälle, erbrechen die Toren. So wuchtig ist der Aufstand, dass viele Feudalherren mit ihren Kriegern aus Sachsen fliehen. Die Feudalherren erzittern. Was nun, wenn es die Bauern in anderen Gebieten ebenso machen wie die Sachsen?                                                                         Die Feudalherren begraben ihren Streit untereinander. Die vereinigen sich mit all ihren Reitern zu einem Kriegszug gegen die Stellinga. Unter des Königs Führung fallen sie in Sachsen ein.                                                                                                        Gegen die zahlreichen kriegserfahrenen Reiter können die sächsischen Bauern mit ihren Äxten und Schwertern, Speeren und Dreschflegeln nichts ausrichten…So geht Dorf um Dorf an die Feudalherren verloren, und der Stellinga-Aufstand wird 842 niedergeworfen.

Obwohl die Feudalherren die Bauern grausam bestraften, erhoben sich die Bauern im Winter 842 erneut. Sie wurden wieder und damit endgültig besiegt, weil das Bauernheer unorganisiert und zersplittert kämpfte. Außerdem waren die feudalen Krieger bedeutend besser bewaffnet und geübter.

Doch der Stellinga-Aufstand war nicht umsonst. Vielerorts wurden die Feudalherren gezwungen, die Frondienste und ‚Abgaben der Bauern schriftlich festzulegen. In den nächsten Jahrzehnten war eine weitre Verschärfung der Ausbeutung nicht möglich.

Das Ostfrankenreich am Ende des 9. Jahrhunderts

Der Zerfall des Frankenreiches

Das Großreich Karls des Großen zerfiel bald nach seinem Tode (814). Welche Ursachen führten dazu?

  1. Zu dem Riesenreich zählten viele Stammesverbände und Gebiete, die recht unterschiedlich entwickelt waren (höhere oder niedrigere Produktion, stärkere oder geringere Ausbeutung, straffere oder wenig straffe Organisation des Stammesverbandes). In Stammesverbänden hatten sich mehrere Stämme vereinigt, um gegenüber den Feinden stärker zu sein. Die zahlreichen Stammesverbände führten fast unabhängig voneinander ein selbständiges Leben und hatten ihre eigenen Sprachen.
  2. Als Folge der Feudalisierung standen immer weniger freie Bauern im Heer des Königs. Somit war die militärische Kraft des Frankenreiches geschwächt.
  3. Neues Land konnte nicht mehr erobert werden, deshalb hatten nur noch wenige Feudalherren Interesse, den Kaiser zu unterstützen.
  4. Der königliche Grundbesitz verminderte sich, weil Vasallen sehr reichlich Land als Lehen erhalten hatten.                                                                                              Nur noch der höchste Adel und die Kirche waren am Bestand des fränkischen Großreiches interessiert, da sie in allen Reichsteilen über Landbesitz verfügten. Unter dem Nachfolger Karls des Großen, seinem Sohn Ludwig dem Frommen, kam es zum Streit zwischen den fränkischen Feudalherren. Es setzten langjährige erbitterte Kämpfe des Adels ein.            

Nach langen blutigen Kämpfen einigten sie sich 843 im Vertrag von Verdun darüber, das Frankenreich in drei Teile aufzugliedern. In jedem Teilreich sollte einer der drei Brüder unabhängig, aber gelichberechtigt herrschen. Seit dieser Zeit gab es ein Westfrankenreich, ein Mittelreich und ein Ostfrankenreich. Aus dem Ostfrankenreich ging etwa 75 Jahre später das mittelalterliche deutsche Reich hervor. Teile des Mittelreiches wurden auf Grund weiterer Abkommen (870 und 880) dem Ostfrankenreich angegliedert.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982
Das Frankenreich unter Chlodwig
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Die Verwaltung des Ostfrankenreiches

Noch 843 war das Ostfrankenreich das stärkste der drei Teilreiche gewesen. Doch das änderte sich in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Da die Eroberungen fremder Gebiete nachgelassen hatten, musste der ostfränkische König immer mehr Land an seine Gefolgschaft aus dem Königsgut vergeben. Dadurch wurde die königliche Macht geschwächt. Zur gleichen Zeit stärkten die Feudalherren ihre Stellung, indem sie ständig mehr freie Bauern in ihre Abhängigkeit brachten. Sie bekämpften sich auch untereinander. Der Anteil der freien Bauern im Heer wurde immer geringer.

Da tauchte eine Gefahr von außen auf: Die Ungarn fielen seit 906 fast jährlich mit ihren Reiterheeren plündernd in das Reich ein. Die Ungarn waren nomadisierende Hirtenstämme, die sich Ende des 9. Jahrhunderts in der Theißebene (im heutigen Ungarn) angesiedelt hatten.

Das ostfränkische Königtum war zu schwach, um den Kampf gegen die Ungarn zu organisieren und gleichzeitig den Klassenkampf gegen die Bauern im eigenen Lande erfolgreich zu führen. Der König ließ die mächtigsten Feudalherren deshalb selbstständig regieren. Sie wurden in Franken, Bayern, Schwaben und Sachsen zu Anführern der Heere gewählt und hießen Herzöge (weil sie vor dem Heer herzogen!).

Die Macht der Herzöge beruhte auf Großgrundbesitz. Sie waren Grafen oder (in Schwaben, Bayern und Sachsen) Markgrafen (Marken hießen die Grenzgebiete). Die Herzöge bauten ihre Macht immer weiter aus, indem sie sich Land auf Kosten kleinerer Feudalherren und der Kirche aneigneten.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982
Zielscheiben vom Zaumzeug aus einem fränkischen Fürstengrab
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982

Es gab viele Ursachen für den Zerfall und die Schwächung des Riesenreiches Karls des Großen. Entscheidend war, dass es seine Nachfolger zunächst nicht vermochten, die Feudalherren unter ihre Macht zu zwingen. Jeder wollte in seinem Herzogtum, in seiner Grafschaft selbst regieren. Das Ostfrankenreich geriet durch den Einfall der Ungarn in Gefahr.

 Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 6. Klasse, Stand 1982, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Geschichtsbuch der DDR