Vorwort zur Juni-Ausgabe 2025

In dieser Ausgabe befasst sich DIE TROMMLER mit der alten Geschichte Russlands, u.a. mit dem Feldherrn Suworow (Russlands Kriege in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) und er Kultur Russlands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, u.a. mit dem russischen Wissenschaftler und Dichter Lomonossow, nach dem die Universität in Moskau benannt ist.

Außerdem wird anhand von Dokumenten des MfS über das Treffen von Willi Stoph und Willy Brand in Kassel im Jahre 1970 berichtet. Dies war das Folgetreffen nach dem Treffen in Erfurt im Jahre 1970.

Näheres siehe Inhaltsverzeichnis.

Inhaltsverzeichnis Juni 2025

Kalenderblatt

 

Buchvorstellung „Macht-Scharade + Dokumentation + 75 Jahre BRD“ von Jürgen Heidig

 

Versuch das Treffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel (1970) zu sabotieren

 

Reaktion der Bevölkerung der DDR auf das Treffen zwischen Willi Stoph und Willy Brandt in Kassel (1970)

 

Russlands Kriege in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der große Feldherr Suworow

 

Die Kultur Russlands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Buchvorstellung: „Macht-Scharade + Dokumentation+ 75 Jahre BRD“ von Jürgen Heidig

 

Dieses Buch und auch die anderen Bücher von Jürgen Heidig sind empfehlenswert für alle, die sich für Geschichte interessieren, die nicht von den Siegern geschrieben wird.

Nähere Ausführungen siehe auf der Website von Jürgen Heidig.

Sie erhalten das Buch in ihrer Buchhandlung und überall, wo es Bücher gibt. (Auch bei einem großen Online-Versandhaus) ISBN 978-3-00-078102-5, 199 Seiten, Preis: 18,50 EURO.  Oder beim Autor direkt:

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Versuch das Treffen zwischen Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel (1970) zu sabotieren

Absichten reaktionärer Kräfte zum Besuch in Kassel

 

Ein historisches Ereignis nach einem Dokument des MfS wiedergegeben.

Pläne und Maßnahmen reaktionärer Kräfte zum Treffen des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, mit dem Bundeskanzler der BRD Willy Brandt am 21. Mai in Kassel.

Anlässlich des Treffens des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, mit dem Bundeskanzler der BRD, Willy Brandt, am 21.05.1970 in Kassel planten rechte, nationalistische und revanchistische sowie linksradikale, anarchistische Kreise eine Anzahl gegen die DDR und gegen die DDR-Delegation und Willi Stoph persönlich gerichtete Aktionen.

Nach dem Treffen der Regierungschefs der BRD, Willy Brandt, und der DDR, Willi Stoph, zu einem ersten Gipfeltreffen in Erfurt, fand am 21.05.1970 in Kassel ein Folgetreffen statt. Diese Begegnungen waren Ausdruck der „Neuen Ostpolitik“ der Bundesregierung. Konkrete Beschlüsse brachten die Treffen nicht. In Reaktion auf diese Situation schlug Willi Stoph eine „Denkpause“ und die Aussetzung weiterer Gespräche vor. Erst im November 1970 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. (Im Nachhinein kann man sagen, dass diese Treffen der erste „Sargnagel“ für die DDR waren. Doch damals schöpfte man in der BRD und der DDR Hoffnungen auf Frieden und Verständigung.P.R.)

Obwohl einzuschätzen ist, dass eine Vielzahl der geplanten Vorhaben nicht umsetzbar waren, wurden unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der DDR-Delegation alle Hinweise auf mögliche Provokationen, Störmanöver usw. ernstgenommen. In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, dass internen Informationen (des MfS P.R.) zufolge Führungskräfte der westdeutschen Polizei teilweise stärker auf die geplanten Aktionen progressiver Organisationen sowie auf die erwarteten Auseinandersetzungen dieser Organisationen mit reaktionären Kräften orientierten als auf die Absicherung der Verhandlungsdelegation und des Verhandlungsortes.

Nachstehend eine Übersicht über die dem MfS in diesem Zusammenhang intern offiziell bekannt gewordenen feindlichen Plänen und Absichten:

Der Schwerpunkt der geplanten feindlichen Maßnahmen lag im Raum Kassel, wo besonders am 21.05. 1970 bzw. bereits am Vorabend des Verhandlungstages sogenannte Protestdemonstrationen, Hetzkundgebungen und andere Provokationen stattfinden sollten.

Im Vorfeld und während des Besuches von Willi Stoph kam es im Raum Kassel zu mehreren großen und zum Teil auch gewaltsamen Protesten, die von verschiedenen Gruppen aus dem konservativen und rechtsradikalen Lager organisiert wurden, sowie zu Gegendemonstrationen aus dem linken Spektrum.

Als unmittelbare Initiatoren und Veranstalter sollten insbesondere die NPD, die Junge Union und revanchistische Organisationen in Erscheinung treten. Darüber hinaus wurden dem MfS zum damaligen Zeitpunkt folgende Einzelheiten bekannt:

In der „National-Zeitung“, Ausgabe Nr. 19 vom 08.05.1970, wurden Leserstimmen veröffentlicht, die auffordern, „unter Führung der CDU/CSU, der Leiter der Vertriebenenverbände“, des „Deutschen Soldatenbundes“ und „aller freiheitlich Gesinnten“ in „Massen“ nach Kassel zu kommen.

Die „National-Zeitung“ war eine zwischen 1950 und 2019 erschienene rechtsradikale Wochenzeitung.

Der Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Kyffhäuserbund war bis 1945 Dachverband der Kriegervereine, wurde aufgrund seiner Nähe zum Nazi-Regime bei Kriegsende verboten und 1952 in der BRD als Deutscher Soldatenbund (Kyffhäuserbund) wiedergegründet.  

Der damalige NPD-Vorsitzende von Tadden erklärte offiziell demagogisch, dass am Tage des Treffens selbst die NPD in Kassel keine Aktionen veranstalten werde. Die NPD wolle jedoch auf einer Kundgebung in Kassel am Abend des 20.05.1970 „gegen die Anerkennung der deutschen Teilung und für das Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung“ eintreten. Auf einer Hetzkundgebung wollte von Tadden selbst sprechen. Nach inoffiziellen Hinweisen plante die NPD außer der Kundgebung am Abend des 20.05.1970 eine Demonstration in Kassel unter der Teilnahme von Mitgliedern aus dem Bundesgebiet. Nach internen Hinweisen wollte die NPD ihren sogenannten Ordnungsdienst neu organisieren und in Kassel einsetzen. Vorbereitungen wären im Gange.

Adolf von Tadden war ein rechtsextremer Politiker, 1939-1945 Kriegsdienst, 1945/46 Haft in Polen mit anschließender Flucht nach Deutschland, 1947 Eintritt in die rechtsextreme Deutsche Rechtspartei, 1950 Mitbegründer der Deutschen Reichspartei, 1961-64 deren Vorsitzender, 1964 Mitbegründer der NPD, 1967 – 71 deren Vorsitzender, 1964-72 Herausgeber des NPD-Parteiorgans „Deutsche Nachrichten“, ab 1975 Chefredakteur der „Deutschen Wochenzeitung“.

Eine „lautlose Demonstration“ in Form einer „Schweigefahrt“ mit dem PKW wollten – wie intern bekannt wurde- die NPD-Landesverbände Hessen und Bayern durchführen. Die Fahrzeuge sollten mit Hetzlosungen versehen werden („Kein freies Geleit für Mörder“, „Freiheit für unsere Brüder“, „Raus mit Stoph“ usw.). Sollte diese Demonstration nicht genehmigt werden, wollten sich diese NPD-Gruppen unter Umständen Demonstrationen der CDU7CSU anschließen, ohne sich äußerlich zu erkennen zu geben.

Rechtsextremistische Kreise, besonders aus der NPD, haben in Flugblättern zu einer „Gesamtdeutschen Aktion“ Willi Stoph in Kassel aufgerufen. Es wird gefordert, unter „Freunden und Bekannten“ für eine Demonstration“ am 21.05.1970 zu werben und an vorgesehene Adressen namentlich mitzuteilen, wer daran teilnimmt. Weiterhin wird in dem Flugblatt aufgefordert, „Vorschläge für Aktionen in Kassel“ zu machen.

Die Junge Union plante am Vorabend der Begegnung in Kassel einen „Schweigemarsch“. In dem Zug-es wurden etwa 3 000 Mitglieder erwartet- sollten 535 Fackeln getragen werden. (Die Zahl würde den Toten „der Mauer und Demarkationslinie“ entsprechen.) Die Initiative für diese Provokation ging von den Landesverbänden Hessen und Westberlin aus, die dazu ein Aktionskomitee „Wir gehen nach Kassel“ unter Vorsitz von Wohlrabe (MdB/CDU) geründet und alle Landesverbände der Jungen Union in Westdeutschland aufgefordert haben, an der Demonstration teilzunehmen. In Westberlin sollten ca. 500 Mitglieder für die Teilnahme gewonnen werden. Etwa 1 200 Anmeldungen aus Westdeutschland und Westberlin würden bereits vorliegen. Für die gesamte Aktion stellten die CDU und der Bundesvorstand der Jungen Union 350 000 DM zur Verfügung.

Jürgen Wohlrabe, Jahrgang 1936, CDU-Politiker, ab 1958 in der Studentenbewegung der CDU, 1979-95 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Westberlin, 1989-91 Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses.

Der neue SPD-Informationsdienst „intern“ berichtete in seiner ersten Nummer vom 10.05.1970, dass der Bundesvorstand der CDU erwäge, in Kassel durch eine Plakataktion „Akzente zu setzen“. Auf den Plakaten soll der Bonner Regierung „Verzichtsausverkaufspolitik“ vorgeworfen werden.

Der Informationsdienst „intern“ wurde zwischen 1970 und 2017 als Nachfolger der „bonner depeschen“ vom Bundesvorstand der SPD herausgegeben.

Auf einer Bundesvorstandssitzung des „Freundeskreises der CSU“ seien nach Mitteilung einer zuverlässigen Quelle folgende Maßnahmen festgelegt worden:

  • Blockierung der Fahrstrecke vom Bahnhof Wilhelmshöhe bis zum Tagungsort am 21.05.1970 durch Organisierung von Sitzstreiks;

  • Aufstellung von schwarzen Kreuzen und Hetzplakaten (Darstellung der Sicherungsanlagen der Staatsgrenze der DDR) sowie Organisierung von Sprechchören;

  • Druck von 10 000 Hetzflugblättern, in denen gegen Willi Stoph gehetzt werden soll.

Die Kirche hatte die Absicht, in Kassel auf einem größeren Platz, zusammen mit der Inneren Mission ein großes Zelt aufzustellen und darin Veranstaltungen durchzuführen. (Derselbe Standort für die Errichtung eines Zeltes sei der DKP abgelehnt worden.)

Der „Bund der Vertriebenen“ wollte am 21.05.1970 demonstrieren. Einen entsprechenden Antrag auf Genehmigung habe er an den Kasseler Magistrat gestellt. Weitere Einzelheiten lagen zum damaligen Zeitpunkt nicht vor.

Der Bund der vertriebenen Deutschen (BVD, seit 1954) wurde 1949 von Linus Kather als Zentralverband der vertriebenen Deutschen gegründet. Im Jahre 1957 schloss sich der BVD mit dem Verband der Landsmannschaften zum Bund der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände zusammen.

Die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ (VOS) hatte ebenfalls die Absicht, am 21.05.1970 in Kassel zu demonstrieren. Es sollte ein Demonstrationszug von etwa 200 Mitgliedern organisiert werden, die in Häftlingskleidung auftreten sollten.

Die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ wurde 1950 in Westberlin gegründet. Sie betreute vormals in sowjetischen Lagern und Haftanstalten inhaftierte sowie kriegsgefangene Deutsche und setzte sich für die Aufarbeitung der diktatorischen Herrschaft primär in der DDR ein. (Ach das kennen wir ja. Die Opferverbände – heute gehören sie zu den Siegern der Geschichte. P.R.)

Der Westberliner Landesvorstand der „Vereinigung 17. Juni 1953“ hatte die westdeutschen Landesverbände aufgerufen, am 21.05.1970 nach Kassel zu kommen. Das Ziel bestand darin, etwa 2000 Mitglieder für Kassel zu mobilisieren. Es sollte erreicht werden, dass die Mitglieder der Vereinigung aus „Protest“ die Anfahrtsstrecke zum Tagungsort blockieren. Weiterhin sollten Lautsprecherwagen eingesetzt werden. Darüber hinaus wurde eine Flugblattaktion vorbereitet.

Aus dem „Komitee 17. Juni“, das aus Aktivisten des „Aufstandes“, die sich durch Flucht in den Westen ihrer Verantwortung entzogen haben, hervorgegangener, im August 1957 gegründeter Verein, der sich besonders nach dem 13.08.1961 antikommunistischer Propaganda, der Ablehnung von Verständigungs- und Entspannungsbemühungen westlicher Politiker und militanter Übergriffe auf Funktionäre und Büros der SEW oder Repräsentanten der DDR und UdSSR widmete.

Außer den bisher genannte Aktionen der von rechten Kräften entfachten Atmosphäre der Morddrohung hatten Personen aus Westdeutschland an Willi Stoph Drohbriefe gerichtet. So hatte jemand aus Mannheim Willi Stoph angedroht, er werde „auf dem Boden von Kassel von Scharfschützen abgeschossen“.

Strafantrag gegen Willi Stoph haben außer Gerhard Frey (Herausgeber der „National-Zeitung“) folgende Personen gestellt:

  • Pöhlmann (stellv. NPD-Bundesvorsitzender und NPD-Fraktionsvorsitzender im bayrischen Landtag)

  • Heinze (NPD-Abgeordneter aus Augsburg)

  • Kuhnt (Fraktionsvorsitzender der NPD vom Landtag Baden-Württemberg)

  • Stöckicht (stellvertretender NPD-Fraktionsvorsitzender vom Landtag Baden-Württemberg)

  • Und noch Einer aus Starnberg/Bayern

Wie eine vertrauenswürdige Quelle berichtete, hatten auf dem Landesparteitag der NPD von Nordrhein-Westfalen am 25. und 26.04.1970 einzelne Delegierte Drohungen gegen Willi Stoph geäußert. So erklärte das 1968 im Zusammenhang mit einem bewaffneten Überfall auf das DKP-Büro in Bonn bekanntgewordene NPD-Mitglied Hengst, Bernd, es sei für ihn „Ehrensache“ nach Kassel zu reisen, denn er wolle Stoph „persönlich ohrfeigen“.

Am 02.10.1968 verübte der Rechtsextremist Bernd Hengst einen bewaffneten Überfall auf ein DKP-Büro in Bonn.

Bernd Hengst Jahrgang 1943, NPD-Politiker, 1967/68 bis zu seiner Verhaftung am 13.02.1971 führender Kopf der „Wehrsportgruppe Hengst“, einer rechtsterroristischen Vereinigung, die Anschläge plante und verübte.

Das Mitglied der Gewerkschaftsorganisation „Christlicher Metallarbeiterverband“ im Volkswagenwerk Baunatal bei Kassel, äußerte nach offizieller Darstellung der DPK: „Wenn es schon keine Handhabe gibt, den Stoph zu verhaften, so wird sich ein deutscher Mann finden, der hinter dem Zielfernrohr den Finger krumm macht.“

Gemeint ist die 1899 geründete „Christliche Gewerkschaft Metall“, die zum Christlichen Gewerkschaftsbund gehört.

Es lagen Informationen darüber vor, dass neben rechtsextremistischen Kräften auch linksradikale, anarchistische Kreise um die „Internationale Arbeiterkorrespondenz“ in Frankfurt/Main versuchen unter den Funktionären des DGB und der SPD Stimmung zu machen für Parolen, wie „Zwingt Brandt und Stoph am 21. Mai Farbe zu bekennen“.

„Internationale Arbeiterkorrespondenz“ ist der Name einer trotzkistischen Zeitschrift, die von 1965 bis 1981 erschien.

Auch die „Kommunistische Partei Marxisten-Leninisten“ trat gegen das geplante Treffen in Kassel auf. Eine ihrer Losungen lautete: „Stoph und Brandt: Verräter der deutschen Arbeiterklasse“. Mit solchen Losungen planten die sogenannten Marxisten-Leninisten sowie Trotzkisten in Kassel aktiv zu werden (nähere Einzelheiten waren zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt).

Die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten war eine westdeutsche kommunistische Kleinpartei, die 1968 in Hamburg gegründet wurde und sich zunächst an das maoistische China, später an Albanien anlehnte. Sie ging 1986 in der Vereinigten Sozialistischen Partei auf. (Das war eine der damaligen K-Gruppen, aus denen später Politikerinnen und Politiker der SPD und der GRÜNEN hervorgegangen sind. P.R.)

Nach einer internen, nicht bestätigten Information sollten die Kubaner Jorge Fraga, Regisseur aus Havanna, und Alfredo Guevara, Präsident des ICAIC (Kubanisches Institut für Filmkunst und Filmindustrie, gegründet 1959, größte staatliche Filmgesellschaft Kubas), anlässlich der Dokumentar- und Kurzfilmwoche (11.-18.04.1970 in Oberhausen) zum Ausdruck gebracht haben, dass sie es begrüßen würden, wenn auf Stoph geschossen würde. Die Kubaner erklärten, die „Linken“ wären klug, wenn sie einen solchen Anschlage inszenierten, da dann die wirklichen Zustände in der BRD zur Oberfläche kämen. (Eigenartige Logik- P.R.)

Geplante Störmaßnahmen und Hetzkundgebungen, die über den Raum Kassel hinausgehen, wurden seitens der NPD nicht bekannt. Im Einzelnen handelt es sich um

  • Abbrennen von „Mahnfeuern“ entlang der Staatsgrenze zur DDR am Vorabend des Treffens. Dazu will die NPD die Landsmannschaften und andere revanchistische Organisationen mobilisieren.

  • Durchführung von Hetzkundgebungen in einigen-zum damaligen Zeitpunkt unbekannten- westdeutschen Städten.

  • Verteilung von Hetzflugblättern in Westdeutschland.

Vom MfS wurden die notwenigen Maßnahmen zur weiteren Aufklärung der feindlichen Pläne, Absichten und Maßnahmen eingeleitet.

Nachbemerkungen von Petra Reichel

Dass damals in der BRD im Vorfeld eines Staatsbesuchs nicht die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen geplant und durchgeführt wurden, ist aus heutiger Sicht verwunderlich.

Die „Hau-drauf“- und „Hau-Ruck“- Methoden gegen die DDR hatten keinen Erfolg. Allerdings hatten die damals Verantwortlichen der DDR übersehen, dass die indirekte Strategie, die DDR von innen zu erodieren, auf lange Zeit Erfolg hatte.

Siehe Egon Bahr und die Tutzinger Rede von Egon Bahr und den Gastbeitrag von Karl-Heinz Schulze zum Brandt-Besuch in der DDR 1970 und MfS-Dokument zum Brandt-Besuch von 1970.

Dokument nur noch als Abschrift erhalten. Zum Original-Dokument ist nur noch die 1. Seite als Faksimile vorhanden.

entnommen aus dem Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv

Reaktion der Bevölkerung der DDR auf das Treffen zwischen Willi Stoph und Willy Brandt in Kassel (1970)

Ein historisches Ereignis nach einem Dokument des MfS wiedergegeben.

Entnommen aus dem Bundesarchiv Stasi-Unterlagen-Archiv

Der Umfang der Reaktion der Bevölkerung der DDR war in der Phase der Vorbereitung des Treffens in Kassel relativ gering, nahm aber unmittelbar am Verhandlungstag wesentlich zu.

Nachdem am 19.03.1970 die Regierungschefs der BRD, Willy Brandt, und der DDR, Willi Stoph, zu einem ersten Gipfeltreffen in Erfurt zusammengekommen waren, fand am 21.05.1970 in Kassel ein Folgetreffen statt. Die Begegnungen waren Ausdruck der „Neuen Ostpolitik“ der Bundesregierung, die auf eine Annäherung der beiden deutschen Staaten abzielte. Konkrete Beschlüsse brachten die Treffen nicht, beide Seiten beharrten auf Maximalforderungen für weitere deutschlandpolitische Initiativen, die eine Annäherung zu diesem Zeitpunkt unmöglich machten. In Reaktion auf diese Situation schlug Willi Stoph eine „Denkpause“ und die Aussetzung weiterer Gespräche vor. Erst im November 1970 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen.

Nach dem Treffen setzte eine stark rückläufige Tendenz in der Reaktion der Bevölkerung auf das Treffen in Kassel ein, was sich zum damaligen Zeitpunkt fortsetzte.

Stärker wurden Fragen diskutiert, wie

  • Die Aggression gegen Kambodscha und den Libanon,

  • ungeklärte Probleme im Zusammenhang mit der Planerfüllung in Industrie und Landwirtschaft,

  • Schwierigkeiten auf dem Gebiet von Handel und Versorgung (besonders die teilweise unkontinuierliche Versorgung mit Fleisch- und Wurstwaren),

  • geplante lohnpolitische Maßnahmen im Bereich der Volksbildung.

Zwischen März 1969 und Mai 1970 versuchten amerikanische Truppen in einer zunächst geheimen Luftoffensive den Nachschub für den prokommunistischen Vietcong aus Kambodscha zu unterbinden. Als die Bombardements nicht die erhofften Erfolge zeitigten, gingen im Frühjahr 1970 südvietnamesische and amerikanische Truppen zu begrenzten Bodeneinsätzen im Süden Kambodschas über.

Am 08.05.1970 töteten libanesische Terroristen in einem Kibbuz in Israel mehrere Schulkinder. Als Vergeltung bombardierte die israelische Armee Dörfer im Libanon, wobei ebenfalls mehrere Menschen zu Tode kamen.

Unmittelbar am Tage der Verhandlungen in Kassel bestand nach übereinstimmenden Berichten bei einem großen Teil der Bevölkerung der DDR ein starkes Informationsbedürfnis, wobei das Interesse hauptsächlich auf mögliche Ergebnisse des Treffens richtete.

Vermehrt wurden an diesem Tage wiederum Sendungen westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen abgehört, mehrfach mit einer solchen Begründung, dass man sich „von beiden Seiten her“ informieren müsste. Verbreitet setzte sich am Verhandlungstag die Meinung durch, dass die Sender der DDR anlässlich dieses Ereignisses eine ausreichende und übersichtliche Publikation geleistet hätten, wobei solche Argumente auch von Personen bekannt wurden, die als ständige Empfänger westlicher Stationen bekannt waren.

Obwohl der Umfang der Diskussionen zum Treffen in Kassel erheblich nachgelassen hatte und zum damaligen Zeitpunkt keinen Schwerpunkt mehr darstellte, wurden eine Reihe politischer Meinungsäußerungen besonders von dem an politischen Tagesfragen interessierten Teil der Bevölkerung weiterhin an Verlauf, Inhalt und Ergebnis bestimmt. Der überwiegende Teil dieser Diskussion beinhaltete zustimmende Äußerungen zum Zustandekommen des Treffens in Kassel.

Das Treffen wurde mehrfach als konkreter Bestandteil der Klassenauseinandersetzung gewertet.

Folgende inhaltliche Komplexe spiegelten sich in den positiven Diskussionsrichtungen wider:

  • Der Vertragsentwurf der DDR ist und bleibt eine reale Grundlage für die Normalisierung zwischen beiden deutschen Staaten.

  • Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR ist Voraussetzung für normale Beziehungen zwischen der DDR und der BRD und gleichzeitig Maßstab dafür, inwieweit die Bundesregierung an der Schaffung solcher Beziehungen interessiert ist.

  • Mit ihrer Initiative leistet die DDR einen konstruktiven Beitrag für die Entspannung in Deutschland und die Sicherheit in Europa.

  • Verhandlungen sind notwendig und richtig. Je länger der Frieden erhalten wird, umso stärker wird die DDR und das gesamte sozialistische Lager.

  • Die DDR hat seit Jahren immer wieder Verhandlungsvorschläge unterbreitet. Das Treffen in Kassel ist das Ergebnis unseres Staates und ein Zeichen der wachsenden Autorität der DDR.

Am 18.12.1969 hatte Walter Ulbricht den Entwurf eines Vertrages über die „Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen“ an Bundespräsident Gustav Heinemann geleitet. Vgl. zur Übergabe des Briefes in Bonn ausführlich: Kaiser, Monika _ Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972. Berlin 1997, Seite 349

Gleichzeitig spiegelten die zum Teil abgebenden Verpflichtungen die Bereitschaft vieler Bürger und Bürgerinnen wider, durch den Kampf um eine hohe Planerfüllung ihren Beitrag zur Stärkung der DDR zu leisten.

In allen Bevölkerungsschichten war am Verhandlungstag eine starke Reaktion auf die Vorkommnisse in Kassel zu verzeichnen, wobei diese Ereignisse auch seinerzeit noch einen relativ großen Anteil der bekannt gewordenen Äußerungen der Bevölkerung einnahmen. Die überwiegende Zahl der sich zu diesem Komplex äußernden Personen brachte ihre Empörung über

  • die Schändung der DDR-Staatsflagge vor dem Verhandlungshotel,

  • das provokatorische Auftreten neonazistischer Kräfte, besonders bei der Ankunft der DDR-Delegation und an der Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus in Kassel,

  • die Schändung des Kranzes der DDR-Delegation,

  • die Tatsache, dass diese gefährlichen Provokationen unter den Augen und mit Duldung der westdeutschen Polizei unternommen werden konnten,

  • das zynische und arrogante Auftreten des Regierungssprechers Ahlers während der Pressekonferenz in Kassel

    zum Ausdruck und werteten diese Ereignisse als Zeichen einer zunehmenden Faschisierung in Westdeutschland.

Als Willi Stoph im Schlosshotel Wilhelmshöhe in Kassel zu Unterredungen mit Willy Brandt weilte, rissen drei jugendliche Rechtsextreme die DDR-Flagge vor dem Tagungsort herunter. Die Gespräche wurden nach einem förmlichen Protest Stophs unterbrochen und nach einer Entschuldigung Brandts fortgesetzt.

Die für den Nachmittag des 21.05.1970 geplante Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Fürstengarten wurde angesichts massiver und teils gewalttätiger Proteste abgesagt und konnte erst nach Auflösung der Demonstration am Abend erfolgen.

Die Schleifen an dem vom Willi Stoph am Abend des 21.05.1970 vor dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus im Fürstengarten niedergelegten Kranzes wurden in der darauffolgenden Nacht von Unbekannten entwendet.

Conrad Ahlers, Jahrgang 1922, Journalist und SPD-Politiker, 1951/52 Chef vom Dienst des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1952-54 Pressereferent im Amt Blank, 1954-57 Redakteur der Tageszeitung „Die Welt“, 1957-59 Korrespondent des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, 1962-65 dessen stellvertretender Chefredakteur, 1966-69 stellvertretender, dann 1969-72 Regierungssprecher und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. (siehe auch „Die Spiegelaffäre“)

Die Unterstützung neofaschistischer und revanchistischer Kräfte durch die führenden politischen Kreise in der BRD sei offensichtlich gewesen. Im Zusammenhang mit der Beurteilung dieser Vorkommnisse traten auch solche Personen positiv in Erscheinung, die zu anderen Anlässen als politisch desinteressiert eingeschätzt wurden. Diese positiven Stellungnahmen waren oft mit der Forderung verbunden, die BRD sollte nun Endlich eine der Realität entsprechende Haltung zu den von der DDR gestellten Grundproblemen, besonders zur völkerrechtlichen Anerkennung, einnehmen.

Betont wurde, durch die Berichterstattung im Fernsehen usw. seit vor der internationalen Öffentlichkeit der wahre Charakter der BRD entlarvt worden. Andererseits sei aber auch klar geworden, dass viele fortschrittliche Menschen in Westdeutschland die Bonner Politik nicht billigen und den Mut aufbringen, durch konzentriertes Auftreten ihren friedlichen Absichten vor der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Wiederholt traten Meinungen auf, durch die Störaktionen der Neonazis seien auch Teilen der westdeutschen Bevölkerung die Augen geöffnet worden, sodass es zur weiteren Differenzierung unter der westdeutschen Bevölkerung kommen könnte. Im Ausland seien über das Erstarken des Neonazismus in der BRD bestätigt worden, da der Faschisierungsgrad in Kassel besonders deutlich geworden sei. Vereinzelt sind in den Diskussionen jedoch auch Tendenzen der Abschwächung der Bedeutung der neofaschistischen Ausschreitungen bekannt geworden.

Sie beinhalten im Wesentlichen:

  • Die Vorfälle sollten nicht zu ernst genommen und nicht „aufgebauscht“ werden.

  • Die Fahnenprovokation wäre lediglich eine Einzelaktion dreier Unverbesserlicher.

  • In Kassel hätten sich nur einige Jugendliche vor Fernsehen und Presse hervortun wollen, um Abenteuerlust zu stillen; mit Politik habe das aber nichts zu tun.

  • Die Aktionen in Kassel seinen lediglich so zu sehen, dass die westdeutsche Bevölkerung Familienzusammenführungen usw. wünschten. Von unserer Seite würden die Vorkommnisse aufgewertet.

  • Das Verhalten Einzelner sei nicht mit der politischen Konzeption der Bonner Regierung zu identifizieren.

Im Zusammenhang mit Diskussionen über die Ergebnisse des Kasseler Treffens setzte sich immer mehr die Kenntnis durch, dass eine lange Periode von Verhandlungen notwendig ist, ehe es zu konkreten Vereinbaren zwischen der DDR und der BRD kommen kann. Überwiegend wurde anerkannt, dass der erste Schritt die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die BRD sein muss. Es wurde betont, die Chancen, zu realen Ergebnissen und sofortigen Übereinkommen zu kommen, wären von vornherein äußerst minimal gewesen.

Ausgangspunkt solcher Erwägungen sind bereits im Zusammenhang mit dem Erfurter Treffen aufgetretene Widersprüche zwischen Wort und Tat des westdeutschen Bundeskanzlers, der Verlauf des SPD-Parteitages in Saarbrücken, die Haltung zum WHO-Aufnahmeantrag der DDR, die Verhaftung von DDR-Journalisten u.a.m.

Wiederholt traten Äußerungen auf, das Treffen in Kassel stelle lediglich eine Erwiderung des Brandt-Besuches in Erfurt dar und sei daher nur als Geste der Demonstration zu bewerten.

Die SED-Führung schlug im Vorfeld des Erfurter Gipfeltreffens Berlin/DDR als Ort der Begegnung vor. Sie bestand allerdings darauf, dass Brandt nicht über Westberlin einreiste, sondern auf dem Flughafen Schönefeld landen sollte. Dies lehnte die Bundesregierung ab. Am 12.03.1970 einigten sich die Unterhändler auf Erfurt als Ort der Begegnung. Wenige Tage vor dem Treffen äußerte sich Regierungssprecher Conrad Ahlers auf einer Pressekonferenz über die Arbeitsbedingungen der westdeutschen Delegation, die DDR sei ein „halbwegs zivilisiertes Gebiet“. Diese in den Medien der BRD aber auch der DDR verbreiteten Äußerungen sorgten für Verärgerung bei der SED. Vgl. Seltsame Töne. In: ND v. 14.03.1970, Seite 2; Erfurter Bürger weisen Frechheiten von Ahlers entschieden zurück. In: ND v. 17.03.1970, Seite 1

Der 14. SPD-Parteitag fand vom 11. Bis 14.05.1970 in Saarbrücken statt.

Die SED-Führung stellte 1966 einen offiziellen Antrag auf Aufnahme in die Weltgesundheitsorganisation. Im April 1970 stellte die im Westen noch immer nicht anerkannte DDR einen neuen Aufnahmeantrag, der ebenfalls scheiterte. Die Aufnahme kam aber erst 1973 mit der Aufnahme in die Vereinten Nationen zustande.

Die Reporter des DDR-Magazins „Neue Berliner Illustrierte“, Hans-Joachim Mollenschott und Manfred Schulz, waren am 14.05.1970 auf der Fahrt nach München an der Weiterreise gehindert und zur Rückkehr in die DDR gezwungen worden. Vgl. Unerhörte Provokation. Polizei der Bundesrepublik verhaftet DDR-Journalisten. In ND v. 14.05.1970 Seite 1

Unter solchen Personenkreisen, die auf sogenannte menschliche Erleichterungen gehofft hatten, ist eine Enttäuschung und gewisse Resignation darüber festzustellen, dass es während des Kasseler Treffens zu keinen konkreten Vereinbarungen gekommen ist. (Erwartet wurden u.a. sogenannte Erleichterungen im Reiseverkehr der zwischen der DDR und Westdeutschland, im Besucherverkehr DDR/Westberlin, im Zusammenhang mit den Grenzsicherungsmaßnahmen und im Handelsaustausch, Familienzusammenführungen usw.)

Während ein kleiner Teil der interessierten Personen davon ausgeht, dass die Ursache des „Scheiterns“ darin zu suchen sei, dass die DDR zu keinem „Zugeständnis“ bereit gewesen sei, äußert der überwiegende Teil bei richtiger Einschätzung der Situation, dass Fragen der sogenannten menschlichen Erleichterungen lediglich eine untergeordnete Rolle bei diesen Verhandlungen spielen können.

Der Teil der Äußerungen, in denen von einem generellen „Scheitern“ der Treffen in Erfurt und Kassel gesprochen wird, ist nach übereinstimmenden Einschätzungen aus den Bezirken als sehr gering zu beurteilen.

Überwiegend werden die große politische Bedeutung der Treffen und die vor der Weltöffentlichkeit gezeigte Initiative und Friedensbemühungen der DDR erkannt. Die Blockierung der Gespräche wird weitestgehend mit der Haltung der Bonner Regierung in Zusammenhang gebracht.

Unterschiedliche Meinungen werden über die Weiterführung der Gespräche geäußert. Am weitesten verbreitet ist in allen Bevölkerungsschichten die Annahme, vorläufig würden überhaupt keine Verhandlungen mehr stattfinden, da sowohl in Erfurt als auch in Kassel gezeigt haben, dass eine Annäherung der Standpunkte nicht zu erwarten sei.

Vereinzelt wurde Enttäuschung darüber gezeigt, dass es zu keinen Verhandlungen auf unterer und mittlerer Ebene gekommen sei, wobei die Hoffnung zum Ausdruck gebracht wurde, durch Bonner Initiativen könnten derartige Zusammenkünfte doch noch bis zum Herbst zustande kommen. Unter diesen Umständen sei eventuell doch noch ein drittes „Gipfeltreffen“ zu erwarten, während dem die in den vorbereitenden „Kommissionen“ gesammelten Erfahrungen ausgewertet werden könnten.

In Einzeldiskussionen wurde behauptet, die DDR habe nach dem Kasseler Treffen keine politischen Interessen mehr an einem weiteren Gespräch auf Regierungsebene, da besonders mit den letzten Verhandlungen die Ziele, die Politik der DDR gegenüber der BRD vor aller Weltöffentlichkeit unter Beweis zu stellen, erfüllt seien. Mit weiteren Gesprächen sei deshalb lediglich nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die BRD zu rechnen.

Politisch-ideologische Unklarheiten waren in allen Bevölkerungsschichten aufgetreten, besonders aber unter Personen mit loyaler politischer Einstellung und ungenügendem politischen Wissen. Sie resultierten aus einer falschen Beurteilung bzw. Nichtanerkennung der Aggressivität des westdeutschen Imperialismus, aus Unkenntnis der Klassenkampfsituation und der politischen Ziele der BRD.

Einen inhaltlichen Schwerpunkt bilden dabei die Einschätzung des Charakters der westdeutschen SPD/FDP-Führung und der politischen Rolle Brandts, wobei häufig eine Auswertung der Person Brandts vorgenommen wird.

Vorherrschend sind solche Tendenzen wie:

  • Die Brandt-Regierung befasst sich mit „echten“ Problemen und humanitären Anliegen. Es ist die erste westdeutsche Regierung welche die Interessen der Werktätigen vertritt.
  • Die Brandt-Regierung betreibt realistischere Politik als die vorangegangen westdeutschen Regierungen. Die DDR-Regierung sollte anerkennen und mit ihren Forderungen einen Schritt zurückgehen.
  • Nur noch der vorhandene Einfluss der CDU/CSU hat Brandt und seine Regierung abgehalten, konstruktiver für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten einzutreten.
  • Die Brandt-Regierung ist ebenfalls eine „Arbeiterregierung“ und muss entsprechend „geachtet“ werden (vereinzelt).

Weiterhin traten Unklarheiten über die Notwendigkeit der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR in folgenden Richtungen auf:

  • Unverständnis über das Beharren der DDR-Regierung auf die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung.
  • Mit der Forderung auf völkerrechtliche Anerkennung sei die SPD und die Regierung der BRD überfordert. Westdeutschland allein sei nicht zu solchen „Zugeständnissen“ in der Lage.

Westdeutschland habe wesentliche Souveränitätsrechte durch den Anschluss an westliche Verträge aufgegeben (unter Hinweis auf „Pariser Verträge“) und könne keine alleinige Entscheidung treffen.

  • Unverständnis darüber, warum wir überhaupt mit Brandt verhandeln und von seinem Staatsapparat die Anerkennung fordern, wenn feststeht, dass er lediglich die Monopole vertritt und auf Grundsatzforderungen nicht eingeht.

Außerdem trat in allen Bezirken die Tendenz in Erscheinung, die DDR sei nicht ausreichend zu Kompromissen bereit und erschwere dadurch das Stattfinden weiterer Verhandlungen. Unsere Delegation (die der DDR P.R.) habe nicht ausreichend Interesse gezeigt, Ansatzpunkte zu weiteren Vereinbarungen aufzugreifen. Vereinzelt wurde die Frage gestellt, ob die DDR nicht die Verhandlungen kompliziert habe, dass sie vor dem Treffen verstärkt gegen die Praktiken der westdeutschen Regierung polemisiert hätte.

Weitere Unklarheiten bestanden über Verlauf und das Ergebnis der beiden Treffen unter dem Gesichtspunkt, dass sie der DDR nicht genutzt hätten und letzten Endes eine „Verhärtung der Fronten“ bedeuteten.

In vielen Diskussionen wurde das konsequente Auftreten der Delegation der DDR in Kassel begrüßt. Das fand seinen Ausdruck in vielen Sympathiebekundungen, die häufig auch von solchen Personen ausgesprochen wurden, die bisher abwartend in Erscheinung traten. Im Zusammenhang mit der Ablehnung des Verhaltens neofaschistischer Kräfte in Kassel wurde die kluge und taktische Haltung unserer Delegation herausgestellt, wobei der Großmut der Delegationsleitung gelobt wurde.

Die von Willi Stoph vorgetragene Konzeption wurde von vielen Bürgerinnen und Bürgern als richtungsweisend und eindeutig hervorgehoben.

Anlässlich des Treffens mit Willy Brandt in Erfurt trug Willi Stoph ein 7-Punkte-Programm vor, das unter anderem die Gleichberechtigung der beiden deutschen Staaten und die Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der BRD zum Gegenstand hatte. Die Forderungen waren für die westdeutsche Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht annehmbar. Vgl. Erklärung des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, beim Treffen mit dem Bundeskanzler in Erfurt 19. März 1970. Eine Dokumentation. Hg. V. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn 1970, Seite 15-44

In Unkenntnis der Lage wurde jedoch auch vereinzelt zum Ausdruck gebracht, die DDR solle den Weg unterhalb der Schwelle der völkerrechtlichen Anerkennung durch „starre Erklärungen“ nicht verbauen und die SPD innenpolitisch nicht in Schwierigkeiten bringen. Eingehend auf die Verhandlungskonzeption Brandts wurde von diesen Bürgerinnen und Bürgern geäußert, die Vorschläge im 20-Punkte-Programm seien eine Grundlage zu weiteren Verhandlungen, die man ausnutzen müsse. Brandt lasse in seinen Ausführungen erkennen, dass er kein Nazi gewesen sei.

Die Bundesregierung übergab Willi Stoph am 21.05.1970 in Kassel ein 20 Punkte-Programm über die „Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen“. Sie reagierte damit auf ein von der DDR bereits 1969 vorgelegtes Papier, das gleichfalls Bedingungen für die Aufnahme bilateraler Beziehungen enthielt. Das 20-Punkte-Programm war unter anderem wegen Formulierungen, die Deutschland als Ganzes bzw. die „deutsche Nation“ betrafen und einen Sonderstatus der DDR definierten, die ihrerseits auf gleichwertige Anerkennung beharrte, nicht annehmbar. Im Weiteren beinhaltete das Programm Fragen der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, einen Gewaltverzicht und die territoriale Integrität der beiden deutschen Staaten. Vgl. den Wortlaut „Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen“. In: Bulletin der Bundesregierung, 1970, Seite 670-672.

Negativ-feindliche Diskussionen waren im Verhältnis zum Erfurter Treffen-bereits damals waren sie vom Umfang her gering- noch weiter zurückgegangen. Sie lassen keine territoriale und personelle Schwerpunktbildung erkennen, tragen den Charakter von Einzelerscheinungen und hatten keine Massenwirksamkeit.

Offensichtlich wurde ein Teil dieser „Argumente“ von Kommentaren westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen übernommen. In ihrem Inhalt richteten sie sich fast ausschließlich gegen die Politik unserer (der DDR P.R.) Partei (SED P.R.) und Regierung bzw. direkt gegen die Leitung der DDR-Delegation, wobei sie bis zur Verleumdung führender Persönlichkeiten der DDR reichten.

Außerdem waren folgende Tendenzen vorherrschend:

  • Anlehnung an die Konzeption der Regierung der BRD und von Brandt unterbreitete Vorschläge.
  • Unterstützung der Bonner Ostpolitik hinsichtlich der „Politik der kleinen Schritte“.
  • Unterstellung, in der DDR würde nur von Entspannung geredet. In der Wirklichkeit ging es der DDR nicht um Verständnis, sondern um die Ausweitung ihres politischen Einflusses.
  • Diskriminierung der Friedenspolitik der DDR. Der DDR gehe es nicht um die europäische Sicherheit (Argument, sie würde durch den Auf- und Ausbau der NVA und der Grenzsicherungstruppen selbst zur Verschärfung beitragen), sie habe durch „sture“ Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung die Verhandlungen zum Scheitern verurteilt.
  • Unterstellung, eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR bringe für den „einfachen Arbeiter“ keine Vorteile, sondern würde nur die Spaltung Deutschlands vertiefen.
  • Verleumdungen im Zusammenhang mit der freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen DDR und SU: Die DDR-Regierung sei völlig von der SU abhängig und dürfe selbstständig keine Entscheidung treffen.

Die „Politik der kleinen Schritte“ war neben dem „Wandel durch Annäherung“ Leitgedanke der neuen Ostpolitik, wie sie von Willy Brandt und Egon Bahr entwickelt worden war. Die „Politik der kleinen Schritte“ hatte Brandt erstmals am 18.03.1963 in seiner Regierungserklärung als Regierender Bürgermeister von Westberlin öffentlich als Maxime ausgegeben. Die Strategie von Brandt und Bahr, durch Verhandlungen schrittweise eine Annäherung zu erreichen, erwies sich 1970 mit den Begegnungen in Erfurt und Kassel sowie dem Abschluss bilateraler Verträge zwischen der BRD und der Sowjetunion bzw. Polens als erfolgreich. (Im Nachgang muss man sagen, dass auf Zeit gespielt wurde. Das ist schließlich gelungen. P.R.)

Einzelne negative Personen stellten „Vergleiche“ zwischen den beiden führenden Staatsmännern an und bezeichneten Willy Brandt gegenüber Willi Stoph als „redegewandter“ und „sicherer im Auftreten“. Brandt sei ein „wirklicher Staatsmann“ und eine „Persönlichkeit“. Vereinzelt wurde die Verbreitung politischer Witze festgestellt, die sich auf die Fahrt von Willi Stoph nach Kassel beziehen.

Dokument nur noch als Abschrift erhalten. Zum Original-Dokument ist nur noch die 1. Seite als Faksimile vorhanden.

Die Kultur Russlands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Im 18. Jahrhundert brachte Russland viele große Männer hervor, unter denen in erster Linie Peter der Große, Alexander Suworow und Michail Wassiljewitsch Lomonossow zu nennen sind.

Michail Wassiljewitsch Lomonossow

Michail Wassiljewitsch Lomonossow 1711 bis 1765
Bild entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1

Michail Wassiljewitsch Lomonossow wurde am 8. November 1711 im Dorf Denissowka, in der Nähe der Stadt Cholmogory, geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Bauer des Küstenlandes im hohen Norden. Er beschäftigte sich mit Fischfang und dem Warentransport von Archangelsk nach anderen Städten. Oft nahm er seinen Sohn mit sich aufs Meer zum Fischfang hinaus. Der Knabe machte sich mit dem Leben der Küstenbewohner, der Salzgewinnung und dem Schiffbau bekannt. Lomonossow lernte frühzeitig lesen und schreiben und hatte von Kindheit an einen unstillbaren Wissensdurst. Es war ihm jedoch nicht leicht, diesen Wissensdurst zu befriedigen.

Ende 1730 ging Michail Lomonossow mit Erlaubnis seines Vater-aber ohne Wissen der Stiefmutter- mit 3 Rubeln in der Tasche aus seinem Dorf fort. Mit einem Wintertransport der Küstenbewohner begab er sich nach Moskau, und trat, unter Verheimlichung seiner bäuerlichen Herkunft, in die Slawo-gräko-lateinische Akademie ein. In Moskau verbrachte Lomonossow unter schweren Entbehrungen die Jahre des Lernens, jedoch überwand er alle Schwierigkeiten und Hindernisse.

Im Jahre 1735 wurde Lomonossow als einer der zwölf fähigsten Hörer der Akademie nach Petersburg geschickt und als Student der Universität bei der Akademie der Wissenschaften aufgenommen.

Auf der Universität widmete sich Lomonossow mit größtem Eifer dem Studium der exakten Wissenschaften: der Mathematik, der Mechanik, der Physik und der Chemie. Zur Vervollkommnung in diesen Wissenschaften wurde er nach Deutschland geschickt.

Im Jahre 1741 kehrte Lomonossow nach Petersburg zurück. Hier erwartete ihn jedoch eine bittere Enttäuschung. Die jungen russischen Gelehrten konnten nur unter Schwierigkeiten ihre Kenntnisse verwerten. Die Akademie der Wissenschaften wurde von Ausländern geleitet. Sie behandelten alles Russische mit Verachtung und wollten die talentvollen russischen Gelehrten nicht zur wissenschaftlichen Tätigkeit zulassen. Mit der ihm eigenen Geradheit und Schroffheit begann Lomonossow den Kampf gegen die Vorherrschaft der Ausländer und des von ihnen in der Akademie eingeführten Systems. Im Jahre 1745 wurde er Professor und Mitglied der Akademie.

Die Adligen in seiner Umgebung bemühten sich, ihn auf jede Weise zu demütigen. Lomonossow verteidigte jedoch stolz seine Menschenwürde und erklärte: „Weder am Tische der Adligen noch bei irgendwelchen Herren dieser Erde will ich den Narren spielen, selbst nicht vor Gott, der mir Vernunft gab, es sei denn, er nähme sie mir wieder.“

Lomonossow war überzeugt, dass das Gedeihen und das Wohlergehen des Volkes und Staates von einem aufgeklärten und vernünftigen Monarchen abhängig ist. Als eines solchen aufgeklärten Zaren und Reformators erschien Lomonossow Peter der Große. Als glühender und aufrichtiger Verehrer Peters war Lomonossow bestrebt, auch dessen Nachfolgerinnen – Jelisaweta Petrowna und Jekaterina II. (Katharina die Große) – zu überzeugen, dass sie sich in allem Peters Vermächtnis zu halten hätten. Dafür leide ich, dass ich bestrebt bin, das Werk Peters des Großen zu verteidigen.“

Lomonossow war ein genialer Gelehrter, der sich auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Wissens auszeichnete. Als erster unter den Chemikern, viele Jahre vor Lavoisier, entdeckte er das Gesetz zur Erhaltung des Gewichtes der Stoffe. Seine Ansichten über die Natur des Lichts behaupteten sich in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Lomonossow war ein ausgezeichneter Astronom. Er bewies, dass der Planet Venus eine eigene Atmosphäre besitze. Lomonossow war der größte Kenner der Naturschätze des Urals und forderte die Ausbeutung des Erdinnern, in dem unermessliche Reichtümer verborgen sind.

Er war ein vortrefflicher Poet, der Begründer der russischen Literatur, der Verfasser der ersten wissenschaftlichen Grammatik der russischen Sprache. Der große Kritiker Belinskij schrieb: „Mit Lomonossow beginnt unsere Literatur; er war ihr Vater und ihr Pfleger, er war ihr Peter der Große.

Eine äußerst treffende und tiefe Würdigung des hervorragenden Gelehrten gab Alexander Sergejewitsch Puschkin: „Außergewöhnliche Willenskraft mit ungewöhnlicher Verstandeskraft verbindend, umfasste Lomonossow sämtliche Zweige der Bildung. Der Wissensdurst war die stärkste Leidenschaft dieser von Leidenschaften erfüllten Seele. Als Historiker, Rhetor, Mechaniker, Chemiker, Mineraloge, Künstler und Poet durchforschte er alles und durchdrang alles.“

Lomonossow war ein leidenschaftlicher Kämpfer für eine fortschrittliche Wissenschaft und ihre Verwertung im Leben zum Nutzen und zur Bildung des russischen Volkes. Er träumte davon, mit Hilfe der Wissenschaft die Reichtümer Russlands zu vermehren und das Leben des Volkes zu verbessern.

Auf Lomonossows Initiative fand am 12. Januar 1755 die Eröffnung der Moskauer Universität statt. Im Jahre 1940 wurde die Universität nach ihm benannt. Lomonossow liebte sein Volk glühend und war erfüllt von tiefem Glauben daran, das aus der Mitte des russischen Volkes nicht wenig geniale Menschen hervorgehen würden:

O ihr, die unser Vaterland                                                                                                                                           Aus eigenem Schoße sich erhofft,                                                                                                                           und derengleichen es bis jetzt                                                                                                                               aus fremden Landen kommen muss,                                                                                                             gesegnet seien eure Tage!                                                                                                                                   Wagt kühn, von diesen Worten aufgemuntert,                                                                                                 durch eueren Eifer zu beweisen,                                                                                                                           dass der große, geistesscharfe Denker,                                                                                                               dem Platon und Newton gleich,                                                                                                                               die Erde Russlands selbst gebären kann!

Die reichen und adligen Würdenträger verstanden und schätzten die wissenschaftlichen Entdeckungen und Errungenschaften Lomonossows nicht.

Seine genialen Arbeiten blieben lange Zeit im zaristischen Russland der Leibeigenschaft vergessen.

Im Mai 1940 zu ihrem 185-jährigen Bestehen und Lomonossows 175. Geburtstag wurde die Universität in Moskau nach ihm benannt und trägt bis heute seinen Namen.

Iwan Petrowitsch Kulibin

Dem gleichen Unverständnis und der gleichen Geringschätzung begegneten auch andere talentvolle russische Gelehrte und Erfinder des 18. Jahrhunderts. Einer der bemerkenswertesten unter ihnen war Iwan Petrowitsch Kulibin. Er offenbarte ein außerordentliches Talent als erfinderischer Mechaniker. Fünf Jahre beharrlicher Arbeit verwendete Kulibin auf die Erfindung einer besonderen Uhr „mit Überraschungen“. Die Uhr war so groß wie ein Gänseei. Alle 60 Minuten öffnete sich in der Uhr die auf ihr dargestellte Heilige Pforte mit kleinen beweglichen Engelsfiguren. Kulibin schenkte diese Uhr Jekaterina II. (Katharina die Große). Als Belohnung für das Geschenk wurde er als Mechaniker in die Akademie der Wissenschaften berufen. Hier verausgabte er sämtlichen erhaltenen Gelder für neue Erfindungen. Als er erfahren hatte, dass in London eine Prämie für das beste Projekt einer Brücke über die Themse ausgeschrieben sei, arbeitete Kulibin ein Projekt aus und fertigte ein Brückenmodell an, das aus 10 000 einzelnen Teilen bestand. Der berühmte Mathematiker Euler bestätigte später sämtliche Berechnungen Kulibins. Aber die ausländischen Mitglieder der Akademie verhielten sich gegenüber der Erfindung des russischen Autodidakten spöttisch und gaben drüber ein ablehnendes Gutachten ab. Das von Kulibin hergestellte Brückenmodell fand keine Anerkennung.

Kulibin erfand ein Schiff, das auf dem Fluss gegen die Stömung schwimmen konnte. Das Modell dieser Erfindung wurde von einem Beamten als Brennholz gekauft. Kulibin starb in Armut in seiner Heimatstadt Nishnij-Nowgorod.

Iwan Polsunow

Tragisch war auch das Schicksal eines anderen Autodidakten, des genialen Erfinders der Dampfmaschine Iwan Polsunow. Er war der Sohn eines Garnisonsoldaten im Ural. Zu jener Zeit gewann man die notwendige Energie in den Werken, wo Iwan Polsunow arbeitete, durch Ausnutzung der Kraft des fallenden Wassers. Polsunow kam der Gedanke, eine Dampfmaschine zu konstruieren, die die Ausgaben verringern und die menschliche Arbeit erleichtern konnte. So wurde die erste Maschine der Welt, die durch Dampfkraft arbeitete, geschaffen. Aber Pulsonow erlebte die Anwendung seiner Maschine nicht mehr. Durch schwere Arbeit in seiner Gesundheit zerrüttet, starb er im Jahre 1766 in Armut an der Schwindsucht. Die von ihm gebaute Dampfmaschine war schon zur Inbetriebnahme fertig, aber nach dem Tode Pulsunows wurde seine geniale Erfindung vergessen. 21 Jahre später erfand der Engländer James Watt eine ebensolche Dampfmaschine, wie sie vorher von Polsunow erfunden worden war.

Dem Volke entstammten viele ausgezeichnete Neuerer auf allen Gebieten der Wissenschaft, Literatur und Kunst, ihre Namen gingen in die Geschichte der russischen Kultur ein.

Fjodor Wolkow

Der hervorragende Schauspieler Fjodor Wolkow, der Sohn eines Jarolawer Kaufmanns, wurde der Gründer des ersten russischen Theaters. An die Stelle des Laientheaters auf den Gütern des Adels trat das ständige, allen zugängliche Theater mit Berufsschauspielern. Wolkow gilt als der „Vater des russischen Theaters“.

Wassilij Bashenow und Matwej Kasakow

Die Gründer der russischen Baukunst waren zwei talentvolle Männer aus dem Volke: Wassilij Bashenow und Matwej Kasakow. Unter den Bauwerken des Bashenow ragt besonders der Palast Paschkow hervor (das alte Gebäude der Lenin-Bibliothek in Moskau). (Was heute darin ist, weiß ich nicht. P.R.)


Im Jahre 1758 wurde von der Akademie der Wissenschaften die Akademie der Künste abgesondert, in der hauptsächlich Malerei gelehrt wurde. Anfangs waren die Lehrer an der Akademie Ausländer, bald trat aber eine Reihe von russischen Künstlern und Bildhauern in Erscheinung.

Im 18. Jahrhundert gingen aus dem Volke viele talentvolle russischen Menschen hervor. Sie hatten sich nicht nur die besten Errungenschaften der westeuropäischen Kultur angeeignet, nicht nur sie verarbeitet, indem sie sie mit einem neuen nationalen Inhalt erfüllten, sondern auch ihrerseits auf die Entwicklung der Wissenschaft und Kunst Russlands und der Welt Einfluss ausgeübt.

Ende der 50er Jahre des 18. Jahrhunderts trat aus dem Kreise der Adligen eine fortschrittliche Gruppe von Dichtern und Schriftstellern hervor: Sumarokow, Kantemir, Tredjkowskij und andere. Somit lieferte das 18. Jahrhundert einen großen und wertvollen Beitrag zur Entwicklung der nationalen russischen Kultur.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947

Russlands Kriege in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der große Feldherr Suworow

Der Bauernkrieg hatte das Adelsreich stark erschüttert. Zarin Jekaterina II. (Katharina die Große), neue Unruhen befürchtend, stärkte die zentrale und lokale Macht der Adligen. Das gesamte Reich war in 50 Gouvernements eingeteilt worden. An der Spitze der Gouvernements standen Gouverneure, die der obersten Gewalt unterstellt waren. Die Gouvernements waren in Kreise eingeteilt, die von Isprawniks aus den Reihen des Adels verwaltet wurden. Die Adligen waren die herrschende und regierende Klasse im Staate. Jekaterina II. (Katharina die Große) teilte in freigiebiger Weise staatliches oder erobertes Land an die Adligen aus. Die Rechte und Privilegien der Adligen waren in einem besonderen „Gnadenbrief für den Adel“, der am 21. April 1785 herausgegeben war, eingetragen. Darin wurde bestimmt, dass nur der Adel das Recht habe, Land und Leibeigene zu besitzen.

Jekaterina II. (Katharina die Große) bemühte sich, nicht nur die innere, sondern auch die internationale Lage des Reiches zu stärken. Sie wollte Russland eine führende Rolle in der Politik der europäischen Staaten sichern und stützte sich dabei auf die Stärke und Macht ihrer Armee. Die ausgezeichneten Kampfeigenschaften der russischen Armee hatte ganz Europa während des Siebenjährigen Krieges gesehen, Die Teilnahme an diesem Krieg war für die russische Armee eine ausgezeichnete militärische Schule gewesen.

Diese Schule bildete vortreffliche russische Feldherren heran. Einer der hervorragendsten Feldherren jener Zeit, General Rumjanzew, ist durch seine Siege über die Preußen im Siebenjährigen Krieg bekannt.

Alexander Wassiljewitsch Suworow

Alexander Wassiljewitsch Suworow

Die gleiche Schule der Kampferfahrung machte auch der große russische Heerführer Suworow durch. Mit seinem Namen sind die ausgezeichneten kriegerischen Taten der russischen Armee und die glänzende Entwicklung der russischen Kriegskunst, deren Grundlagen bereits Peter der Große geschaffen hatte, verbunden.

Alexander Wassiljewitsch Suworow wurde im Jahre 1730 in Moskau geboren. Sein Vater, der verabschiedete General Wassilij Iwanowitsch Suworow, war in seiner Jugend Fähnrich des Preobrashensker Garderegiments und eine Zeitlang Bursche bei Peter dem Großen gewesen. Die hohe Achtung vor dem militärischen Genie Peters I. hatte der Vater sein ganzes Leben bewahrt und auch seinem Sohn eingeflößt. Alexander zeigte schon sehr früh eine Leidenschaft zum Lesen und begeisterte sich besonders für Kriegsgeschichte. Es las über Heldentaten der großen Heerführer – Julius Cäsar, Hannibal, Alexander von Mazedonien. Da Suworow aber ein kränkliches und schwächliches Kind war, hatte sein Vater ihn nicht für die militärische Laufbahn bestimmt. Jedoch von seinem 10. Lebensjahr an war der kleine Suworow fest entschlossen, sich dem Kriegswesen zu widmen. Er begann beharrlich seinen Körper abzuhärten, begoss sich mit kaltem Wasser, schlief bei jedem Wetter bei geöffnetem Fenster, verzichtete auf warme Kleidung.

Mit 17 Jahren trat er in die Armee ein. Er begann seine militärische Laufbahn als Korporal (jüngerer Unteroffizier) des Semjonowsker Garderegiments und beendete sie im Range eines Feldmarschalles. Allmählich sämtliche militärischen Rangstufen durchlaufend, erlernte Suworow ausgezeichnet das Dienstreglement und den Frontdienst. Im Jahre 1754 wurde er zu Offizier befördert und empfing einige Jahre später die Feuertaufe im Siebenjährigen Krieg mit Preußen.

Damals schon begriff Suworow, dass das preußische Militärsystem, das auf der Stockdisziplin und auf komplizierten Gefechtsübungen beruhte, veraltet war, wir auch die preußische Strategie und Taktik der Kriegsführung veraltet waren.

Als er nach Beendigung des Krieges zum Kommandeur des Susdaler Infanterieregiments in Nowaja Ladoga, Gouvernement Nowgorod, ernannt worden war, begann er, seine Soldaten auf neue Art und Weise auszubilden. Er errichtete zwei Schulen, Für Soldaten- und Adelskinder, und lehrte dort auch selbst. Das Hauptaugenmerk richtete er auf die Ausbildung eines initiativen, für den Kampf und nicht für den Parademarsch geeigneten Kriegers. Daher wurden sogar die Manöver für die Soldaten des Susdaler Regimentes unter Bedingungen veranstaltet, die Kriegsverhältnissen ähnelten. „Schwierig bei der Übung – leicht im Kriege, leicht bei der Übung – schwierig im Kriege“, pflegte Suworow zu seinen Soldaten zu sagen.

Sechs Jahre beschäftigte sich Suworow mit der Ausbildung seines Susdaler Regimentes. Er legte seine militärischen Ansichten in der berühmten Instruktion nieder, die später den Titel „Die Lehre vom Siege“ erhielt. Diese Instruktion war in einfacher Volkssprache, in Form kurzer und scharfer Aussprüche und Vorschriften gehalten. Im zweiten Teil der Instruktion, unter der Bezeichnung „Mündliche Unterweisung der Soldaten“, legte Suworow drei Grundregeln der Kriegskunst dar: Augenmaß, Schnelligkeit und Angriffsgeist. Suworow bestimmte das Wesen dieser drei Regeln folgendermaßen:

  1. „Erstens – Augenmaß: Wie man Feldlager errichten, wie man marschieren, wo angreifen, verfolgen und schlagen soll.“
  2. „Zweitens – Schnelligkeit…Der Feind vermutet uns nicht, rechnet damit, dass wir 100 Werst entfernt sind, manchmal sogar 200, 300 Werst und mehr. Plötzlich sind wir über ihm wie der Schnee auf dem Kopfe. Ihm wird schwindlig. Greif an mit dem, was gerade herbeikommt, was Gott schickt. Reiterei, fang an! Säble, steche, jage, schneide ab, lass nicht locker!“
  3. „Drittens – Angriffsgeist. Ein Fuß stützt den anderen, eine Hand stärkt die andere. Im Feuer kommen viele Leute um. Der Feind hat die gleichen Hände, aber das russische Bajonett kennt er nicht.“

Suworow verlangte von seinen Soldaten Ungestüm, hohen Angriffsgeist, grenzenlose Tapferkeit und gleichzeitig Kaltblütigkeit und Überlegenskraft.

Im Hinblick auf die Unvollkommenheit der Feuerwaffen in der damaligen Zeit legte Suworow Wert auf den Bajonettangriff. Gleichzeitig verlangte er jedoch, dass die Soldaten das Gewehr gut kannten und geschickt mit ihm umzugehen verstanden. „Schieß selten, ab genau!“ lehrte Suworow. Er prägte den Soldaten ein, dass ihre Hauptaufgabe im Kampf darin bestehe, den Feind zu vernichten. Er sagte: „Der Gegner hat den Rückzug angetreten – das ist ein Misserfolg; der Gegner ist vernichtet, vertilgt – das ist ein Erfolg.“

Suworow schätzte im Soldaten die bewusste Einstellung gegenüber seiner Aufgabe und das Streben nach Aneignung von militärischem Wissen. „Jeder Soldat soll sein Manöver verstehen“– pflegte Suworow gern zu wiederholen. Die abgeschmackte Antwort des Soldaten: „Ich kann nicht wissen“, konnte er nicht ausstehen. „Von den Leuten, die sprechen: ‚Ich kann nicht wissen‘, kommt viel, viel Unglück“, sagte er. Die kämpferischen und persönlichen Eigenschaften des russischen Soldaten sehr hoch einschätzend, verlangte er von den Vorgesetzten, dass sie sich um die Nöte und Bedürfnisse der Soldaten kümmerten. Suworow selbst lebte in enger Gemeinschaft mit den Soldaten, aß die Kohlsuppe und Grütze der Soldaten, trug einfache Felduniform. Die Soldaten liebten ihren Feldherrn grenzenlos und waren bereit, mit ihm durch Feuer und Wasser zu gehen.

Die Neuerungen, die Suworow in seinem Regiment eingeführt hatte, riefen das Missfallen der Anhänger des preußischen Militärsystems und der höchsten Hofkreise hervor. Jedoch die Notwendigkeit, Kriege zu führen, zwang die Regierung, sich seiner Feldherrenkunst zu bedienen.

Im Jahre 1768 musste Jekaterina II. (Katharina die Große) gleichzeitig zwei Kriege führen: mit Polen und mit der Türkei. In Europa war man überzeugt, dass Russland es nicht aushalten würde, gleichzeitig zwei Kriege zu führen, und seine Pläne, sich im Baltikum festzusetzen und zum Schwarzen Meer vorzudringen, aufgeben würde. Aber an die Spitze des russischen Heeres wurde der vortreffliche Feldherr General Rumjanzew gestellt. Seine Handlung zeichneten sich durch Selbstständigkeit, Kühnheit und Neuartigkeit aus. Rumjanzew suchte Berührung mit dem Feind und war bestrebt, vor allem dessen Stoßkraft zu vernichten. Er verstand es, die geeigneten Untergeordneten zu wählen und zeichnete sehr bald den militärisch genial begabten Alexander Wassiljewitsch Suworow aus. Schon zur Zeit des Siebenjährigen Krieges war Rumjanzew auf Suworow aufmerksam geworden. Er schickte ihn anfangs nach Polen, und als dort der Krieg zu Ende war, übertrug er ihm die Belagerung der türkischen Festung Turtukaj. Am 10. Mai 1773, in dunkler Nacht, ließ Suworow, indem er eine günstige Entwicklung der Lage ausnutzte, seine Abteilung über die Donau übersetzen, ohne Rumjanzews Anweisungen abzuwarten, und nahm nach heißem Kampfe die Festung ein.

Der erste Krieg mit der Türkei dauerte von 1768 bis 1774. Die russischen Truppen eroberten einige starke Festungen. Mehr als einmal offenbarte Suworow dabei seine Kriegskunst.

Nachdem die Türken mehrere Schlachten verloren und die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage eingesehen hatten, traten sie in Friedensverhandlungen ein. Am 10. Juli 1774 wurde in der Stadt Kutschuk-Kajnardshi zwischen Russland und der Türkei Frieden geschlossen, demzufolge Asow, Kertsch und die Steppe zwischen Dnjepr und Bug an Russland fielen. Das der Türkei unterstellte Krimer Khanat wurde für unabhängig erklärt. Im April 1783 besetzten die russischen Truppen die Krim und vernichteten das Khanat. Unter der Bezeichnung „Taurien“ wurde die Krim Russland angegliedert. Im gleichen Jahre wurde in der Krim ein befestigter Hafen für die russische Kriegsflotte, Sewastopol, gegründet.

Die Türkei wollte sich mit dem Verlust der Krim nicht abfinden, der für sie den Verlust der Herrschaft über das Schwarze Meer bedeutete. Daher begann sie mit Russland einen zweiten Krieg, der vier Jahre (von 1787 bis 1791) dauerte.

Die Festung Otschakow war der Hauptstützpunkt der Türkei am Schwarzen Meer. Im Jahre 1788 belagerte der Günstling der Zarin, der Fürst Potjomkin, der zum Oberbefehlshaber ernannt worden war, Otschakow. Die Belagerung zog sich lange hin. Suworow kommandierte den linken Flügel des Besatzungskorps. Er beschloss, einen sich ihm bietenden günstigen Augenblick zu benutzen, und begann den Angriff gegen die Türken. Doch Suchorows Vorgehen wurde von Potjomkin nicht gutgeheißen, und schickte ihm keine Verstärkung. In diesem Gefecht wurde Suworow am Kopf verwundet.

Im Frühling 1789 wurde Suworow nach Moldawien versetzt. Hier erwarb er sich Ruhm durch die hervorragenden Siege bei Fakschani, am Rymnikfluss und besonders durch den heldenhaften Sturm auf die stärkste türkische Festung Isamil.

Im dritten Jahr des Krieges mit der Türkei trat Schweden gegen Russland auf den Plan. Russland war gezwungen, zum Schutz seiner Westgrenzen Truppen abzuziehen. Russlands Bundesgenosse, Österreich, nahm mit der Türkei Verhandlungen wegen Abschlusses eines Separatfriedens auf. Dies alles erschwerte die Lage an der russisch-türkischen Front. Um die Türkei zum Friedensschluss zu veranlassen, entschloss sich die russische Heeresleitung, die Festung Ismail einzunehmen, die den Weg zur unteren Donau versperrte. Es war eine erstklassige europäische Festung, die unter Leitung französischer und deutscher Ingenieure errichtet worden war. Suworow bekam den Befehl, die Festung im Sturm zu nehmen. Lange und sorgfältig hatte er sich auf die schwierige Operation vorbereitet. Abseits und vom Feind unbemerkt, hatte er ein Modell fertigen lassen, das haargenau der Festung Ismail glich, und daran mit den Soldaten alle ihnen bevorstehenden Operationen eingeübt.

Im Morgengrauen des 11. Dezember 1790 begannen vom Fluss und von der Landseite her 600 russische Geschütze das Bombardement der Festung. Den ganzen Tag über währte der Nahkampf. Die Zahl der Opfer war auf beiden Seiten sehr groß, jedoch Ismail wurde genommen. Suworow selbst gab zu, dass man sich nur einmal im Leben zu einem solchen Sturmangriff entschließen könne. Ismails Fall öffnete Russland den Weg für den Vormarsch an die Donau. Aber Potjomkin verstand es nicht, die Früchte des errungenen Sieges zu pflücken. Auf sein Betreiben wurde Suworow von der Armee abberufen und nach Finnland geschickt.

Im Jahre 1791 schloss Jekaterina II. (Katharina die Große) in der Stadt Jassy mit der Türkei Frieden. Die Türkei erkannte die Angliederung der Krim an Russland an und trat ihm das Gebiet zwischen dem Südlichen Bug und dem Dnjestr ab. Als Ergebnis des erfolgreichen Krieges mit der Türkei fasste Russland an den nördlichen Ufern des eisfreien Schwarzen Meeres endgültig festen Fuß.

Nach der Beendigung des zweiten Krieges mit der Türkei wurde der Krieg mit Polen wieder aufgenommen. Auf Vorschlag Preußens wurde Polen zwischen Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt. Dabei wurden Russland die ukrainischen und bjelorussischen Gebiete zurückgegeben, die bereits im 14. Jahrhundert von dem litauischen, später mit Polen vereinigten Großfürstentum erobert worden waren. Jekaterina II. (Katharina die Große) führte eine reaktionäre Politik durch. Sie hinderte die Umwandlung Polens in einen unabhängigen demokratischen Staat, den die polnischen Demokraten, mit dem Nationalhelden des aufständischen Polens, Thaddäus Kosciuszko an der Spitze erstrebten. Jekaterina II. (Katharina die Große) schickte Truppen nach Polen. Im Jahre 1794 nahm Suworow Praga (eine Vorstadt Warschaus) im Sturm und entschied damit den Ausgang des Krieges mit Polen. Jekaterina II. (Katharina die Große) beförderte ihn zum Feldmarschall.

Aber bald darauf fiel der Feldmarschall in Ungnade. Im November 1796 starb Jekaterina II. (Katharina die Große), und ihr 40jähriger Sohn Pawel (Paul), ein begeisterter Anhänger des preußischen Militärsystems, bestieg den Thron. Er schaffte das Suworowsche Reglement ab und befahl, die preußischen Dienstvorschriften in der Armee einzuführen. Die russischen Soldaten wurden in enge deutsche Röcke gepresst, und man befahl ihnen, sich die Haare mit Mehl zu bestreuen und Haarlocken zu tragen. Damit beim Marschieren die Knie nicht einknickten, band man Schienen unter. Man schätzte am Soldaten nur die Haltung und das Marschieren können. „Der Soldat ist nichts weiter als ein Mechanismus, der im Exerzierreglement vorgesehen ist“, erklärte Pawel I (Paul I.).

Suworow konnte sich mit den preußischen Dienstvorschriften in der russischen Armee nicht abfinden. Mit Spott und Empörung äußerte er sich über die preußischen Einfälle des Zaren: „Puder – kein Pulver, Locken – keine Kanonen, Zopf – kein Seitengewehr, und ich bin kein Deutscher, sondern ein echter Russe.“ Wegen seiner Dreistigkeit wurde Suworow im Februar 1797 nach seinem Stammgut Kontschanskoje verbannt.  Die Verbannung war für Suworow schwer und demütigend. Alle seine Handlungen wurden beobachtet. Es war ihm verboten, auszufahren, Freunde zu empfangen, zu korrespondieren.

Jedoch nach zwei Jahren, im Februar 1799, rief ihn Pawel I. unerwartet zurück nach Petersburg. Russland begann gemeinsam mit England und Österreich einen Krieg gegen Frankreich. Suworow wurde zum Oberbefehlshaber der verbündeten russisch-österreichischen Armee ernannt, die in Norditalien gegen die Franzosen operierte. Napoleon selbst eroberte zu jener Zeit Ägypten. Er schickte seine besten Feldherren gegen Suworow. Dank dem Heldentum der russischen Soldaten und der Kunst Suworows wurden die französischen Truppen geschlagen. Im Verlaufe einiger Wochen besetzte Suworow ganz Norditalien. Von hier aus lag der Weg nach Frankreich offen.  Aber die Österreicher verrieten ihren Bundesgenossen Russland und nahmen mit den Franzosen Friedensverhandlungen auf.

Suworow war befohlen worden, seine Truppen in die Schweiz zu führen, um sie mit der russischen Armee Rimskij-Korsakows, die die Österreicher dort ihrem Schicksal überlassen hatten, zu vereinigen. Der Schweizer Feldzug war noch schwieriger und heroischer als der italienische. Suworows erschöpfte Armee war ohne Artillerie, ohne Munition, ohne Proviant, sie befand sich in einer katastrophalen Lage.

Jedoch die russische Armee, von Suworow angefeuert, verrichtete Wunder an Heldentaten und überwand ehrenvoll alle Schwierigkeiten und Prüfungen. Anfang Oktober 1799 machte sie ihren letzten Übergang über den schneebedeckten Kamm des Panix. Diese Berge waren hoch, steil und felsig. Langsam kletterten die russischen Soldaten im Schneesturm und in dichtem Bergnebel hinauf. Der Abstieg von den Bergen nach dem Passübergang war noch schwieriger als der Aufstieg. Die Menschen, Pferde, Maulesel kamen ins Rutschen und fielen hin. Mitunter stürzten sie in den Abgrund.



Suworow überquert die Alpen Gemälde von Wassili Iwanowitsch Surikow

 

Bildquelle: Von Wassili Iwanowitsch Surikow – _AHnWPcZJr1YrQ at Google Cultural Institute maximum zoom level, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21854387

 

 

Suworows Alpenfeldzug, der schwierigste der Kriegsgeschichte, war beendet. Binnen zwei Wochen hatte die russische Armee an die 5000 Mann verloren, war jedoch der Vernichtung entgangen. Die gesamte Welt sprach von der Tapferkeit und dem Heroismus der russischen Soldaten und von Suworows Feldherrenkunst. Selbst der französische Marschall Massena bemerkte mit Bewunderung, dass er bereit wäre, für diesen Übergang Suworows über die Alpen alle seine 48 Feldzüge hinzugeben. Der Imperator Pawel I. (Paul I.) erhob Suworow in den Rang eines Generalissimus. Suworow wurde befohlen, nach Russland zurückzukehren. Unterwegs erkrankte er.

In Russland bereitete das Volk einen feierlichen Empfang für den geliebten Feldherren vor. Aber der Zar untersagte die Feierlichkeiten. Er hatte Angst vor der gewaltigen Liebe des Volkes und des Heeres zu Suworow. Der grausame Despot beraubte den sterbenden Feldherren der letzten Freude – der Freude des Zusammentreffens mit dem Volk.

In der Nacht zum 3. Mai 1800 fuhr Suworow heimlich durch die stillen Straßen der schlafenden Hauptstadt. In tiefer Einsamkeit verbrachte der Feldherr, der den Kriegsruhm Russlands begründet hatte, seine letzten Tage.

Am 18. Mai 1800 war Suworow nicht mehr. In großem Schmerze begleiteten ihn das Volk und die alten Kampfgefährten zur letzten Zufluchtsstätte – zum Alexander-Newskij-Kloster. Auf dem Grab des größten russischen Feldherrn wurde eine schlichte Steinplatte gelegt, die die ebenso schlichte Aufschrift trägt: „Hier ruht Suworow.“


Aber Suworows Name und Heldentaten lebten weiter. Die Suworowsche „Lehre zu siegen“ wurde auf viele Jahre hinaus zum Kriegsprogramm der besten russischen Feldherren. Seine Schüler und Nachfolger setzten die Weiterentwicklung und Vervollkommnung der Suworowschen Kriegskunst fort. Auch die Rote Armee hat sich die Suworowschen Gebote fest zu eigen gemacht und sie unter der Leitung ihrer Feldherren, unter der Leitung des Generalissimus der Sowjetunion, J.W. Stalin, schöpferisch verwertet.

Ein Zeitgenosse Suworows und sein Anhänger im Kriegshandwerk war der ausgezeichnet Flottenführer Uschakow. Mit seinem Namen ist das Aufblühen der russischen Kriegsmarinekunst verbunden.

Suworow hat nicht mitgekriegt, dass er später viel geehrt wurde. Siehe Wikipedia.

Suworow-Denkmal in der Schöllenen-Schlucht (Schweiz)
Bildquelle: Von I, Ondřej Žváček, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10710249

Die aktuellen Ereignisse machen auch vor den Denkmälern aus der älteren russischen Geschichte nicht halt.

Laut Wikipedia ist das Denkmal in der Schweiz, dass 1898 errichtet wurde, von mutmaßlich proukrainischen „Aktivisten“ Anfang 2022 geschändet worden.[15][16]

Noch zwei Ereignisse aus der heutigen Zeit sind zu erwähnen, die mit dem Denkmal an Suworow zusammenhängen.

Während der Kriegshandlungen zwischen der Ukraine und Russland erbeuteten (Na ja, sie nahmen es mit nach Hause, weil die Ukrainer damit ohnehin nichts anfangen können. P.R.) russische Truppen bei ihrem Rückzug aus Cherson im Oktober ein Denkmal für Suworow.[17]

Am 1. Dezember 2022 stimmte der Stadtrat von Odessa für eine Demontage des örtlichen Suworow-Denkmals. Am selben Tag begann der Abbau eines Denkmals für Suworow in Ismajil.[19]


Fjodor Fjodorowitsch Uschakow

Sowjetische Briefmarke von 1987
Bildquelle: Von Scanned and processed by Mariluna – Personal collection, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2823541

Fjodor Fjodorowitsch Uschakow wurde im Jahre 1745 in der Familie eines nicht reichen Adligen geboren. In das Petersburger Marinekorps eingetreten, begann der Sechzehnjährige mit Eifer und Beharrlichkeit sich dem schwierigen und rauen, aber verlockenden Seemannsberuf zu widmen.

Im ersten Russisch-Türkischen Krieg (1768 bis 1774) war Uschakow Leutnant und fuhr auf einem der kleinen Schiffe im Schwarzen Meer. Der Kampf um das Schwarze Meer wurde ihm zur Lebensaufgabe. Uschakow wurde der erste Erzieher der Schwarzmeer-Seeleute. Er kannte und liebte seine Matrosen. Wie Suworow war er der Ansicht, dass das Ziel der Erziehung der Soldaten darin bestehe, dass dieser in einer beliebigen Kampflage kriegerisches Können, kämpferischen Geist, Tapferkeit und Standhaftigkeit, Initiative und Flinkheit zeige.

Im ersten Russisch-Türkischen Krieg (1768 bis 1774) war Uschakow Leutnant und fuhr auf einem der kleinen Schiffe im Schwarzen Meer. Der Kampf um das Schwarze Meer wurde ihm zur Lebensaufgabe. Uschakow wurde der erste Erzieher der Schwarzmeer-Seeleute. Er kannte und liebte seine Matrosen. Wie Suworow war er der Ansicht, dass das Ziel der Erziehung der Soldaten darin bestehe, dass dieser in einer beliebigen Kampflage kriegerisches Können, kämpferischen Geist, Tapferkeit und Standhaftigkeit, Initiative und Flinkheit zeige.

Uschakow, wie auch Suworow, kümmerte sich nicht darum die Linienschlachtordnung einzuhalten. An erste Stelle stellte er das Manövrieren und den kühnen Angriff, beide mit kühler Berechnung kombinierend.

Im März 1790 wurde Uschakow zum Befehlshaber der Schwarzmeerflotte ernannt und konnte das von ihm ausgearbeitete System des Seekrieges zur praktischen Anwendung bringen. Der kühne, schnelle und entschlossene Angriff der Kriegsschiffe Uschakows war stets von einem Sieg gekrönt. Uschakows Seekriege, die gleichzeitig mit der Einnahme Isamils durch Suworow erfolgten, beschleunigten das siegreiche Ende des zweiten türkischen Krieges.

Im Jahre 1798 trat Russland in den Krieg gegen den französischen Eroberer Napoleon ein, der Malta, die Ionischen Inseln und Ägypten erobert hatte. Mit den Operationen gegen Napoleon im Mittelländischen Meer wurde Uschakow betraut, dem das Kommando über die gemeinsamen Aktionen der russischen und türkischen Flotte übertragen worden war.

Nachdem Uschakow eine Reihe griechischer Inseln befreit hatte, begann er im November 1798 die Belagerung der Insel Korfu. Es War eine mächtige Festung, gut ausgebaut, die als uneinnehmbar galt. Getreu den Suworowschen Regeln, bereitete Uschakow den Sturm auf die Festung gewissenhaft vor. Die russischen Schiffe kamen so nahe an die Insel heran, dass sie aus nächster Nähe die französischen Bastionen zerstören konnten. 2 000 Mann Marineinfanterie wurden unter Gewehrfeuerdeckung auf der Insel an Land gesetzt und schlugen den Feind in die Flucht. Als Suworow von dem glänzenden Sieg Uschakows erfuhr, rief er mit Bewunderung aus: „Unser großer Peter ist noch am Leben! Hurra die russische Flotte! Warum war ich nicht in Korfu mit dabei, wenn auch nur als Unterleutnant!“

Die griechische Bevölkerung begrüßte die russischen Befreier mit Jubel. Uschakow gewährte der Bevölkerung das Recht, sich ihre Selbstverwaltungsorgane selbst zu wählen und schützte die Rechte und das Eigentum der Bevölkerung vor jedwedem Anschlag. Als die Inseln endgültig von den französischen Okkupanten befreit waren, arbeitete Uschakow gemeinsam mit den örtlichen Patrioten eine Verfassung der Republik der Ionischen Inseln aus.

Nach der Einnahme von Korfu schickte Uschakow eine seiner Landungsabteilungen nach Süditalien, das bald von den Franzosen befreit wurde. Mit seinem Geschwader segelte Uschakow in die napolitanischen Gewässer und kommandierte zwei Abteilungen zur Befreiung Roms ab. Jubelnd empfing die römische Bevölkerung die russischen Befreier.

Uschakow hielt es für notwendig, sich nachher zur Insel Malta gegen die Hauptstreitkräfte Napoleons zu wenden, erhielt aber unerwartet den Befehl des Imperators Pawel I.(Paul I.) unverzüglich nach Russland zurückzukehren. Auf dem Rückweg in die Heimat besuchte Uschakow noch einmal die Insel Korfu. Der Senat der neuen Republik erklärte ihn in einer feierlichen Versammlung „zum Vater und Retter des Volkes“ und überreichte dem russischen Admiral im Namen des Volkes einen reichverzierten Schild, ein goldenes Schwert und eine Medaille, die ihm zu Ehren geprägt worden war.

Die zaristische Regierung würdigte die „eigenmächtigen“ und „aufrührerischen“ Handlungen des russischen Admirals in völlig anderer Weise.

1807 wurde Uschakow verabschiedet.

(Auf Wikipedia steht, dass Uschakow im Jahre 1806 verabschiedet wurde. P.R.)

Am 2. Oktober 1817 starb er, gleich Suworow, in der Einsamkeit und Verbannung.

(Dass er später geehrt wurde, hatte er ja nicht mitgekriegt. P.R.)

(Folgendes ist noch zu ergänzen, was auf Wikipedia, aber nicht in dem Alten Buch „Das Sowjetland“ steht. P.R.)

Mit der Ermordung von Zar Paul I. am 6. April 1801 änderten sich jedoch die russischen Interessen. Der neue Zar Alexander I. dachte an ein Bündnis mit Napoleon. Dabei störte ein erfolgreicher Kämpfer gegen die Franzosen wie Uschakow

Das Grab Uschakows im Sanaksar-Kloster bei Temnikow
Bildquelle: Von Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird Olegivvit als Autor angenommen (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben). – Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird angenommen, dass es sich um ein eigenes Werk handelt (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben)., CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=867394

 

Von http://mondvor.narod.ru, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2150504

 

Nach Uschakow ist der Uschakoworden der sowjetischen Flotte benannt.

Ebenso tragen mehrere Kriegsschiffe sowie der Asteroid (3010) Ushakov seinen Namen und der Ort Brandenburg (Frisches Haff) wurde 1946 nach ihm umbenannt.

2001 wurde er von der Russisch-Orthodoxen Kirche heiliggesprochen. Zum 15. Jahrestag der Heiligsprechung 2016 wurden Reliquien von ihm mit kirchlichem und militärischem Zeremoniell in der Kasaner Kathedrale in Sankt Petersburg niedergelegt.[1] Die 2006 fertiggestellte neue Kathedrale von Saransk trägt seinen Namen.

Ebenfalls 2006 wurde in Bulgarien das Uschakow-Denkmal am Kap Kaliakra eingeweiht.

Uschakow-Denkmal am Kap Kaliakra
Bildquelle: on Borislavlm87 – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=49757394

 

 

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947. Original-Autorin:  Anna Michailowna Pankratowa,

bearbeitet und einige Passagen aus Wikipedia entnommen, Petra Reichel

Suworow und Uschakow

 

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1