Der Beginn der Arbeiterbewegung

Das Proletariat begann mit den ersten Schritten seiner Entwicklung den Kampf gegen die kapitalistischen Unterdrücker. Tausende von Arbeitern, die in einer Fabrik beschäftigt waren, konnten sich miteinander für den Kampf gegen den ausbeuterischen Fabrikanten verabreden. Sie forderten Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, Erhöhung des Arbeitslohnes, Verkürzung der Arbeitszeit. Wenn der Unternehmer es ablehnte, die Forderungen zu befrieden, so legten sie die Arbeit nieder, brachten die Maschinen zum Stehen. Eine solche Einstellung der Arbeit wurde „Statnutjsja“ (Streik) genannt (abgeleitet vom Wort „Staknustjsja“, d.h. sich verabreden). Als die Arbeiter die Forderungen vorbrachten, sagten sie oft: „Wenn man nicht nach unserem Willen tut, so werden wir nicht arbeiten, und damit basta!“  Daher wurden die Streiks auch „Sabastowki“ genannt.

In den ersten zehn Jahren nach der Reform des Jahres 1861 waren die Streiks nicht organisiert und trugen einen spontanen Charakter. Die Arbeiter traten fast ausschließlich mit ökonomischen Forderungen hervor. Viele glaubten noch, dass die Zarenmacht helfen würde, ihre gerechten Forderungen zu erfüllen. Andere brachten ihre schwere Lage mit der Einführung von neuen Maschinen in Zusammenhang, die die Arbeit der erfahrensten und geschicktesten Arbeiter entwertete.

Lenin schrieb über die ersten Aktionen des Proletariats: „Es gab eine Zeit, wo die Feindschaft der Arbeiter gegen das Kapital nur in einem dumpfen Gefühl des Hasses gegen ihre Ausbeuter, in dem undeutlichen Bewusstsein ihrer Unterdrückung und ihrer Knechtschaft und in dem Wunsch, sich an den Kapitalisten zu rächen, Ausdruck fand. Der Kampf äußerte sich damals in einzelnen Aufständen der Arbeiter, die die Gebäude zerstörten, die Maschinen zerbrachen, die Fabrikvorgesetzten verprügelten usw.“

Aber allmählich begann die Arbeiterbewegung, die in der Form von Aktionen gegen die einzelnen Kapitalisten begonnen hatte, den Charakter eines bewussten Kampfes der Arbeiterklasse gegen die gesamte Klasse der Kapitalisten anzunehmen. Aus den Reihen der Arbeiter traten immer mehr Revolutionäre hervor. Anfangs schlossen sich die revolutionären Arbeiter den Volkstümlern (Narodniki) an, die die revolutionäre Bewegung in Russland in den 1860-1870er Jahren, vor dem Auftreten der Marxisten, führten. Die Volkstümler behaupteten irrtümlich, dass der Kapitalismus in Russland eine fremde Erscheinung, dass der Keim der Grundlage des Sozialismus in der Bauerngemeinschaft, d.h. die bäuerliche Gesellschaft sei, die das gesamte zugeteilte Bauernland besitzt. Da die Bauern kein Privateigentum an dem Land besaßen, sondern nur zur Nutzung an den zugeteilten Parzellen des Grund und Bodens, der gesamten Gemeinschaft gehörte, erklärten die Volkstümler die Bauern als „geborene Sozialisten“.

Im Frühjahr des Jahres 1874 beschlossen viele von den Revolutionären, „ins Volk“, d.h. auf die Dörfer zu gehen, um unter den Bauern eine revolutionäre Agitation zu betreiben. Sie versuchten, die Bauern zum Kampf um Land und Freiheit, gegen die Gutsbesitzer und gegen den Zarismus aufzuwiegeln. Wegen dieses „Gehens ins Volk“ wurden sie eben „Volkstümler“ genannt. Der „Gang ins Volk“ erlitt einen völligen Zusammenbruch. Die Polizei, die Kulaken und die Popen (Geistlichen) fingen die Revolutionäre ab. Viele wurden zur Zwangsarbeit und Verbannung verurteilt. Daraufhin gab ein Teil der Volkstümler die Agitation unter den Bauern auf und begann, geheime Verschwörergruppen zu bilden, die sich das Ziel setzten, den Zaren und seine Helfer zu töten und auf diese Weise einen Umsturz in Russland herbeizuführen. Die Anhänger des Terrors schufen die Partei „Narodnaja Wolja“ („Volkswille“), an deren Spitze Sheljabow und Sophia Perowskaja standen.

Am 1. März 1881 töteten die „Narodowolzen“ den Zaren Alexander II. Doch keinerlei Veränderungen zum Besseren ergaben sich hieraus. Den Platz Alexanders II. nahm sein Sohn Alexander III. ein. Die „Narodnaja Wolja“ wurde zerschlagen. Einige ihrer Führer wurden hingerichtet, die anderen eingekerkert. Die Reaktion im Lande verstärkte sich noch mehr.

Die fortschrittlichen Arbeiter, die sich anfangs den Volkstümlern angeschlossen hatten, begannen sie zu verlassen. Sie fingen an zu begreifen, dass nicht die Bauernschaft, sondern die Arbeiterklasse die führende Kraft der revolutionären Bewegung ist.

Unter den fortschrittlichen Arbeitern traten hervorragende Revolutionäre auf. Einer der ersten war der Weber Peter Alexjew. Ursprünglich ein Bauer aus der Smolensker Umgebung, lernte er als Autodidakt lesen und suchte eifrig in Büchern Antwort auf die ihn bewegenden Fragen über die Lage der Arbeiter und Bauern. Peter Alexejew betrieb eine revolutionäre Agitation unter den Arbeitern. Wegen revolutionärer Propaganda verhaftet, hielt er am 10. März 1877 vor Gericht eine bemerkenswerte Rede, die mit den Worten schloss: „Die Millionenmasse des Arbeitervolkes wird ihren muskulösen Arm erheben, und das von Bajonetten geschützte Joch der Despotie wird in Staub zerfallen.“

Lenin nannte diese Rede die große Prophezeiung des russischen Arbeiterrevolutionärs. Peter Alexejew wurde zu zehn Jahren Zwangsarbeit und zur Strafansiedlung in Jakutien verurteilt, wo er auch umkam.

Der revolutionäre Kampf der russischen Arbeiter begann zu jener Zeit, als in Westeuropa die von Marx und Engels geführte Arbeiterklasse bereits beim Aufbau ihrer Klassenorganisationen – der Gewerkschaften und Parteien – war. Zur Vereinigung der Arbeiter im Kampf gegen die Kapitalisten organisierten Marx und Engels im Jahre 1864 die Internationale Arbeiter-Assoziation-die Erste Internationale. Das Ziel der Internationalen Arbeiter-Assoziation war die Vereinigung der Arbeiter aller Länder zwecks Organisation des gemeinsamen Kampfes für die Vernichtung der Herrschaft der Kapitalisten und für die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Die Befreiung der Arbeiterklasse muss die Sache der Arbeiterklasse selbst sein, schrieb Marx in den Statuten der Ersten Internationale. Unter der Leitung der Ersten Internationale. Unter der Leitung der Ersten Internationale organisierten die europäischen Arbeiter erfolgreich Streiks. Im Jahre 1871 stürzten sie Arbeiter von Paris die Macht der Bourgeoisie und riefen die Pariser Kommune aus. Die war die erste Regierung der Arbeiterklasse. Lenin nannte die Kommune das Urbild der Diktatur des Proletariats. Die Pariser Kommune existierte 72 Tage.

Die russischen Revolutionäre, die vor den Verfolgungen des Zarismus ins Ausland geflohen waren, schufen in der Ersten Internationale eine russische Sektion. Im März 1870 wandten sie sich an Marx mit der Bitte, die Vertretung Russlands im Generalrat der Internationale zu übernehmen. Marx nahm dieses Angebot an und schrieb ihnen in seiner Antwort, dass die Aufgabe der Vernichtung des Zarismus in Russland die notwendige Voraussetzung für die Befreiung nicht nur des russischen Volkes, sondern auch des europäischen Proletariats sei.

Die fortschrittlichen russischen Arbeiter waren, ebenso wie die westeuropäischen Arbeiter, bestrebt, ihre eigenen revolutionären Organisationen zu schaffen. Die erste revolutionäre Organisation in Russland war der „Südrussische Arbeiterbund“. Er war von Ewgenij Saslawskij im Jahre 1875 in Odessa gegründet worden und umfasste etwa 200 Metallarbeitet. Dieser Bund bestand ungefähr ein Jahr und wurde von der zaristischen Regierung zerschlagen, sein Organisator Saslawskij wurde zur Zwangsarbeit verurteilt und starb bald darauf im Gefängnis.

Einer der Leiter des „Südrussischen Arbeiterbundes“, Viktor Obnorskij, rettete sich vor der Verhaftung ins Ausland. Dort machte er sich mit der westeuropäischen Arbeiterbewegung bekannt. Nach Russland zurückgekehrt, gründete Viktor Obnorskij gemeinsam mit dem Tischler Stepan Chalturin im Jahre 1878 in Petersburg den „Nördlichen Bund russischer Arbeiter“, in dessen Programm es hieß, dass er sich nach seinen Aufgaben den sozialdemokratischen Parteien des Westens anschließe und sich zum Ziele setze, „die bestehende politische und wirtschaftliche Staatsform als eine äußerst ungerechte zu stürzen“. Bald zerschlug die Polizei auch den „Nördlichen Bund russischer Arbeiter“. Viktor Obnorskij wurde zur Zwangsarbeit verschickt, während Stepan Chalturin, der an dem Anschlag auf den Zaren Alexander II. teilgenommen hatte, am Galgen endete.

Die ersten Arbeiterorganisationen waren noch keine marxistischen, obgleich sie von der Volkstümlerrichtung abgerückt waren. Die fortschrittlichen Arbeiter fingen erst an, sich mit dem Marxismus bekannt zu machen.

 

 

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

 

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

Original-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“

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