Der Krimkrieg und die Verteidigung von Sewastopol

Die fortschrittlichen russischen Menschen, die für Abschaffung der Leibeigenschaft kämpften, sahen ein, dass in ihr der Grund nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch für die militärische Schwäche des Landes zu suchen sei. Sie sahen voraus, dass das Russland der Leibeigenschaft im Falle eines militärischen Zusammenstoßes mit den bürgerlichen Staaten Europas eine ernste Niederlage erleiden würde.

Die zaristische Selbstherrschaft strebte nach der Beherrschung der der Türkei gehörenden Meerengen: des Bosporus und der Dardanellen. Hier hatte Russland jedoch mächtige Nebenbuhler: England, Frankreich und Österreich. Jede von diesen Mächten war bemüht, das Wirtschaftsleben der Balkanhalbinsel in seine Hand zu bekommen. Die Meerengen wurden zur Quelle eines erbitterten Kampfes des zaristischen Russlands mit seinen starken Konkurrenten.

Der Krieg Russlands mit der Türkei brach im Jahre 1853 aus. Im Juni dieses Jahres besetzte eine 80 000 Mann starke russische Armee die Donaufürstentümer Moldau und Walachei. Im November 1853 spürte das Geschwader des Admirals Nachimow auf der Reede von Sinope (an der Südküste des Schwarzen Meeres) türkische Schiffe auf und versenkte sie. Jedoch war die Hauptmacht nicht die Türkei, sondern ihre mächtigen Verbündeten: England und Frankreich. Im Herbst 1854 führ ihre Flotte, die mehr als 360 Dampf- und Segelkriegsschiffe, gewaltige Transportschiffe, mit Truppen und Artillerie beladen, zählte, ins Schwarze Meer ein und nach Jewpatorija, wo sie vor Anker ging. Die russische Segelschiff-Schwarzmeerflotte konnte sich mit der Dampfschiffflotte nicht in ein Gefecht einlassen, und man beschloss, sie am Eingang der Bucht von Sewastopol zu versenken, damit sie dem Geschwader des Gegners den Zugang in diese versperren sollte.

Die Kriegshandlungen konzentrierten sich während des Ostkrieges vornehmlich in der Krim, daher wird der Krieg Russlands mit England und Frankreich in den Jahren 1853 bis 1855 auch Krimkrieg genannt.

Die Stütze der Verteidigung Russlands im Schwarzen Meer war die starke Seefestung Sewastopol. Die Zugänge zur Bucht und ihre Ufer waren gut befestigt und machten Sewastopol für den Feind von der Seeseite her unzugänglich. Aber von der Landseite her war Sewastopol überhaupt nicht befestigt. Seine Garnison war nicht groß, obgleich sie nach der Versenkung der Schiffe noch durch Matrosen ergänzt wurde.

Die Admirale Nachimow und Kornilow leiteten die Verteidigung. Indem sie das Zögern des Gegners ausnutzten, begannen sie, Sewastopol auf der Landseite zu befestigen, dabei auch nicht den leisesten Gedanken an einen Rückzug zulassend. „Wir werden bis zum letzten kämpfen“, schrieb Kornilow in einem seiner Befehle. „Es gibt keinen Weg zum Rückzug, hinter das Meer. Allen Vorgesetzten verbiete ich, das Rückzugssignal zu geben, dann erstecht einen solchen Vorgesetzten; erstecht den Trommler, der es wagen würde, ein solches schmachvolles Signal zu trommeln.“

Im Verlaufe von zwei Wochen wurde die Stadt mit drohenden Bollwerken und Feldbefestigungen umgeben. Die Schiffsgeschütze der versenkten Schiffe wurden in den Batterien aufgestellt. Als die verbündete Armee an Sewastopol herangerückt war in der Hoffnung, die Festung in einem leichten und schnellen Sturm zu nehmen, sah sie mit Erstaunen eine starke Befestigungslinie vor sich. Da die englisch-französischen Truppen nicht damit rechneten, dass ein Sturm Erfolg haben würde, gingen sie zur Belagerung der Stadt über und besetzten Balaklawa und die Fedjuchinhöhen.

Nachdem die Verbündeten Sewastopol eingeschlossen hatten, eröffneten sie am 5. Oktober 1854 ein gewaltiges Artilleriefeuer auf die Festung. Bei dem ersten Bombardement kam der Befehlshaber der Verteidigung, Kornilow, um.

Nach dem Tode Kornilows wurde Admiral Nachimow die Seele der Verteidigung Sewastopols. Die Matrosen nannten ihn einfach Pawel Stepanowitisch. Zwischen Nachimow und den Matrosen herrschte ein tiefes gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Liebe. Er rief die Matrosen auf, ihr Sewastopol bis zum Ende zu verteidigen.

Die von Nachimow erzogenen Matrosen wurden die Löwen der Nachimow genannt. Unter ihrem Einfluss befanden sich sämtliche Soldaten der Garnison Sewastopol.

Die Verteidiger Sewastopols zeigten eine unermüdliche Energie und ein hohes Verantwortungsbewusstsein bei dem Bau der Befestigungsanlagen. Unter der Oberleitung des Ingenieurs Totleben errichteten die Matrosen und Soldaten Befestigungen, besserten die zugefügten Beschädigungen aus, legten Unterstände an. Nicht selten ersetzten die Matrosen die ausgeschiedenen Artilleristen auf den Festungsbastionen. Tag und Nacht machten die Soldaten und Matrosen Ausfälle, überfielen die Vorposten des Feindes, zuweilen drangen sie in die feindlichen Schützengräben ein und begannen ein erbittertes Handgemenge.

Alle Einwohner Sewastopols unterstützten unermüdlich die Verteidiger der Festung – die Soldaten und Matrosen: die Frauen der Matrosen brachten den Verteidigern der Bastionen unter Lebensgefahr Speise und Wasser, schleppten Granaten heran, leisteten den Verwundeten Hilfe; selbst die Halbwüchsigen (altes Wort für Teenager P.R.) und die Kinder der Matrosen bestätigten sich mutig auf den Befestigungsanlagen.

Unter den Verteidigern von Sewastopol befand sich auch der spätere große Schriftsteller Nikolajewitsch Tolstoi. In seinen „Sewastopoler Erzählungen“ schilderte er mit großer künstlerischer Kraft die heroischen Tage der Verteidigung Sewastopols.

Zu Beginn des Jahres 1855 nahm der Kampf noch an Erbitterung zu. Der Feind führte von der Land- wie von der Seeseite her orkanartige Bombardements auf die Festung durch. Am 26. Mai unternahm er den ersten Sturm auf Sewastopol.

Nach einem erneuten Bombardement wurde der Sturm am 18. Juni 1855 wiederholt. Die Feinde stürzten sich auf eine ganze Reihe von Bastionen zugleich. Ungeachtet der Überlegenheit der Kräfte der Stürmenden haben-nach den Worten eines französischen Generals – „die Russen sich selbst übertroffen“.

Aber der Kampf wurde immer schwerer. In Sewastopol gab es nur 50 000 ermüdeter und entkräfteter Kämpfer. Die Verbündeten hatten 100 000 Mann an Truppen und nach wie vor das Übergewicht in der Bewaffnung. Einer nach dem anderen fielen die besten Organisatoren der Verteidigung Sewastopols, Istomin und Nachimow. Totleben wurde schwer verwundet, jeden Tag schieden viele Hunderte von Leuten aus.

Am 27. August 1855 begann der Feind einen neuen Sturm auf Sewastopol. Die russischen Soldaten und Matrosen unternahmen mehr als einmal Gegenangriffe. Die Abhänge des Malachowhügels waren mit Leichen übersät.

Schon war aber Sewastopol nicht mehr zu halten. In der Nacht gingen die Verteidiger auf Befehl des Kommandos auf die Nordseite über, nachdem die Pulverkammern und sämtliche Militärmagazine gesprengt worden waren. Die ruhmvolle 349tägige Verteidigung Sewastopols war beendet. Den Siegern verblieben nur „blutige Ruinen“, wie sie in ihren Meldungen schrieben. Sewastopol war gefallen, aber es war nicht besiegt. Russland war gezwungen, den Pariser Friedensvertrag zu unterschreiben, demzufolge es nicht das Recht hatte, im Schwarzen Meer eine Flotte zu halten.

Entnommen aus dem Buch „Das Sowjetland“, Band 1 aus dem Jahre 1947, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Autorin: Anna Michailowna Pankratowa

ORIGINAL-Text aus dem Buch „Das Sowjetland“ aus dem Jahre 1947

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